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Centratur - zwei Bände in einer Edition: Kampf um Hispoltai - Die Macht der Zeitenwanderer
Centratur - zwei Bände in einer Edition: Kampf um Hispoltai - Die Macht der Zeitenwanderer
Centratur - zwei Bände in einer Edition: Kampf um Hispoltai - Die Macht der Zeitenwanderer
eBook2.149 Seiten31 Stunden

Centratur - zwei Bände in einer Edition: Kampf um Hispoltai - Die Macht der Zeitenwanderer

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Über dieses E-Book

Der Roman spielt in einer Zeit lange vor Menschengedenken. Realismus und Fantasie verschmelzen in einer faszinierenden Welt voller Abenteuer und Gefahren. Der Große Krieg ist lange vorüber und sein Verursacher, Ormor der Dunkle Herrscher, unschädlich gemacht. Er hatte die Welt in schreckliches Leid und Elend gestürzt. Bis ihm schließlich von dem weisen und mächtigen Zauberer Aramar Einhalt geboten worden war. Doch auf einmal wird der Kontinent Centratur wieder mit Krieg überzogen. Ormor greift wieder nach der Macht. Aber eine Allianz aus Zwergen, Erits und Menschen leistet dem drohenden Unheil erbitterten Widerstand. Zusammen mit Aramar und der Hohepriesterin Qumara aus Rutan stellen sie sich der Übermacht entgegen. Sie alle erleben Abenteuer voller Gefahren, Leid und Mühsal. Sie müssen Schreckliches mit ansehen und sich gegen furchtbare Grausamkeiten zur Wehr setzen. Doch sie erfahren auch Freundschaft und Liebe und erleben Zeiten, in denen es sich zu leben lohnt. Aber als der Sieg schon nahe ist, tritt plötzlich der wirkliche Feind auf. Er ist so mächtig, dass ihm scheinbar nichts in Centratur widerstehen kann. Wird es gelingen, Hispoltai die Hauptstadt von Equan gegen den Ansturm der grausamen Orokòr zu verteidigen? Wird der Turm Loron und mit ihm das magische Kraftfeld des Weißen Rates dem Angriff standhalten? Werden die beiden Erits, Akandra und Marc, ans Ziel ihrer Reise gelangen und ihren gefährlichen Auftrag zu Ende führen können? Kommen die Zeitenwanderer als Retter oder besiegeln sie den Untergang Centraturs? Dieses Buch ist eine Verführung zum Eintauchen in eine längst untergegangene Welt. Centratur wurde bei seinem ersten Erscheinen im List-Verlag als der beste deutsche Fantasyroman bezeichnet und sein Autor als "deutscher Tolkien" gefeiert. Über 1600 TB-Seiten.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum4. Apr. 2016
ISBN9783741800696
Centratur - zwei Bände in einer Edition: Kampf um Hispoltai - Die Macht der Zeitenwanderer
Autor

Horst Neisser

Dr. Horst Neißer ist Autor von Romanen, Kurzgeschichten, Sachbüchern, Arbeiten für Zeitungen, Fachzeitschriften und Rundfunk, langjähriges Mitglied in prominenten Literatur-Jurys, Vorträge, Lesungen in mehr als 20 Ländern, Psychotherapeutische Praxis, lebt in Deutschland und in der Slowakei.

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    Buchvorschau

    Centratur - zwei Bände in einer Edition - Horst Neisser

    Horst Henrik Neißer

    Centratur

    Übersetzungen aus dem Blauen Buch

    Zwei Bände in einer Edition

    Kampf um Hispoltai

    Die Macht der Zeitenwanderer

    Circel 2016

    Horst Henrik Neißer

    Centratur Band 1 und 2

    Übersetzungen aus dem Blauen Buch

    Kampf um Hispoltai

    Die Macht der Zeitenwanderer

    völlig neu bearbeitete eBook-Ausgabe

    Published at epubli GmbH, Berlin

    Copyright: © 2016 Horst Neisser

    Hardcover-Ausgabe im List Verlag 1996

    Taschenbuchausgabe im Circel-Verlag 1. Aufl. 2009, 2. Aufl. 2010  

    Internetseite zu diesem Roman: www.centratur.de

    Band 1

    Kampf um Hispoltai

    Was gewesen ist, dasselbe wird wieder sein,

     und was geschehen ist, dasselbe wird wieder geschehen,

     und es gibt nichts Neues unter der Sonne.

    Es ist nur kein Andenken an die früheren Zeiten geblieben,

     und auch für die späteren, die künftig sein werden,

     wird kein Andenken übrig bleiben bei denen,

     die noch später sein werden.

    Prediger 1,9-11

      Vorwort des Übersetzers

    Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs hat sich die Welt verändert. Die Grenzen haben sich für die Menschen im Osten und im Westen geöffnet, und dadurch hat sich auch mein Leben verändert.

    Vor längerer Zeit erreichte nämlich die Post in U. ein seltsamer Brief. Die Adresse war mit ungelenker Hand in kaum entzifferbaren Buchstaben geschrieben. Gerichtet war der Brief an eine Frau N. Diese Frau war meine Großmutter. Sie lebt schon seit vielen Jahren nicht mehr und hatte bereits in den fünfziger Jahren die Wohnung gewechselt. Aber U. ist ein kleiner Ort, und so erinnerte sich der Briefträger an meine Tante, die noch dort wohnt. Ihr überreichte der findige und pflichtbewusste Mann den grauen Umschlag aus billigem Papier. Sie wiederum leitete den Brief an mich weiter.

    Absender der Botschaft war eine mir völlig unbekannte Familie in der Ukraine. Der Schreiber oder die Schreiberin hatte lateinische und kyrillische Buchstaben vermischt. Textpassagen in russischer Sprache wechselten mit solchen in schlechtem Deutsch ab. Außer ein paar Brocken, die mich neugierig machten, konnte ich nichts verstehen. Ich erinnerte mich aber an eine alte Freundin, die ich während meiner Studienzeit kennen gelernt und die damals Slawistik studiert hatte. Zu ihr nahm ich Kontakt auf, wir trafen uns und entschlüsselten gemeinsam die Nachricht. Gemeinsam fuhren wir schließlich auch nach Russland und sprachen mit den Leuten.

    Sie hatten mir nämlich geschrieben, dass mein Vater im letzten Krieg in ihrem Haus gestorben sei, und sie seinen deutschen Angehörigen gerne sein Grab zeigen wollten. Außerdem hätten sie seine Hinterlassenschaft fünfzig Jahre lang für uns verwahrt. Mein Vater war im Zweiten Weltkrieg als einfacher Soldat am Russlandfeldzug beteiligt gewesen und nicht mehr zurückgekommen. Ich habe ihn nie gesehen. Über sein Schicksal hatten weder meine Mutter noch meine Großeltern etwas herausfinden können. Umso überraschter war ich nun über dieses Zeichen, von dem ich mir Aufklärung erhoffte. Je älter man wird, desto mehr besinnt man sich auf seine Wurzeln.

    Nach einer schwierigen und mühsamen Reise gelangten wir in ein kleines Dorf mit heruntergekommenen Häusern und teils brachliegenden Feldern. Kaputte Traktoren standen am Wegrand und rosteten vor sich hin. Ein Hotel gab es nicht, sondern nur einen kleinen Gasthof. Die Toilette war katastrophal. Wir waren mit einem Schlag ein wenig ins Mittelalter zurückversetzt. Aber die Herzlichkeit der Menschen glich die trostlose Atmosphäre wieder aus.

    Die Leute, die geschrieben hatten, waren Kleinbauern. Ihre Behausung war kärglich und baufällig. Der Zerfall des mächtigen Sowjetreichs spiegelt sich in jedem seiner Teile. Wir saßen in einem kleinen, niedrigen Raum auf einer Eckbank und tranken selbst gebrannten Wodka aus Wassergläsern. Radebrechend in Deutsch und Russisch erfuhren wir folgende Geschichte:

    Unsere Gastgeber rechneten sich zu den Russlanddeutschen. Die Familie hatte unter Stalin viel zu leiden gehabt. Dennoch hatten sie die deutsche Invasion im Zweiten Weltkrieg mit gemischten Gefühlen beobachtet. Dann kamen die vernichtenden Niederlagen der Eroberer, der chaotische Rückzug. Eines Tages war ein Mann in grauer Uniform vor ihrer Tür zusammengebrochen, und sie hatten ihn um Christi Barmherzigkeit aufgehoben und ins Haus getragen. Das war damals gefährlich gewesen, denn auf Kollaboration mit dem Feind stand der Tod, und gerade den Russlanddeutschen misstraute die Obrigkeit. Außer einer alten Frau war keiner der Leute, die uns davon erzählten, dabei gewesen. Aber den Vorfall hatte man in der Familie immer wieder besprochen, so dass auch die Jungen gut informiert waren.

    Der Verwundete hatte einen Bauchschuss gehabt und war bald darauf gestorben. Sie hatten ihn in der Nacht begraben. Die Adresse meiner Großmutter war auf einem Briefumschlag gestanden, den sie in der Brusttasche des Toten gefunden hatten. Sie hatten ihn sorgfältig aufgehoben. Durch all die Jahre war es ihr Plan gewesen, sich in Deutschland zu melden; aber die Angst vor den sowjetischen Behörden hatte sie jahrzehntelang zurückgehalten. Nun, nach der großen Wende, hatten sie ihr Vorhaben endlich verwirklichen können. Eines Tages, so erklärten sie stolz, würden sie alle nach Deutschland, ihrer wahren Heimat, kommen. Dann würden wir dort zusammen Wodka trinken und wären Landsleute.

    Später führten sie uns zu einem Hügel, der mit einem Kreuz geschmückt war. Das Holz war frisch geschnitten und zusammen genagelt. Ich stand lange davor und versuchte, eine geistige Verbindung zu dem mir fremden Mann unter der Erde aufzunehmen, aber es gelang mir nicht. Später saßen wir wieder in der Stube und tranken wieder Wodka. Ich bedankte mich für die Menschlichkeit, die man einem fremden Soldaten erwiesen hatte. Die Familie wäre schließlich bis auf die letzte Seele ausgerottet worden, wenn die barmherzige Tat bekannt geworden wäre.

    Wir wollten schon gehen, als die alte Frau aufstand und uns zu verstehen gab, sie habe noch etwas für uns. Sie brachte einen alten, verstaubten und verschlissenen Wehrmachtstornister. Dies sei das Vermächtnis des toten Soldaten, sagte sie.

    Ich bedankte mich überschwänglich, ließ von meiner Barschaft da, was ich entbehren konnte und nahm mir vor, regelmäßig Pakete zu schicken. Dann reisten wir ab. Schon nach wenigen Kilometern hielten wir an und untersuchten den Tornister. Er enthielt ein paar alte, vertrocknete Zigaretten, Unterwäsche, Bilder von meiner Großmutter, meiner Mutter im Alter von zwanzig Jahren zusammen mit mir als Säugling und ein Tagebuch. Ganz unten lag ein großes, sehr dickes Buch. Der Umschlag musste einmal blau gewesen sein, doch war von der Farbe nicht mehr viel zu erkennen. Stattdessen war er übersät mit eingetrockneten Blutspritzern und Brandflecken. Sein Inhalt bestand aus handgeschriebenen Seiten in einer Schrift und Sprache, die wir noch niemals gesehen hatten. Das Material der Seiten kann ich bis heute nicht definieren, doch unstrittig ist ihr hohes Alter.

    Nach Deutschland zurückgekehrt suchten wir nach Leuten, die uns den Text übersetzen sollten. Aber wir fanden nicht einmal jemanden, der den Ursprung beziehungsweise den Namen von Schrift und Sprache hätte sagen können. Auch das Tagebuch brachte uns nicht weiter. Zwar war es von großer Aussagekraft, was die Erlebnisse meines Vaters betraf, und ich habe mir vorgenommen, es bei Gelegenheit an anderer Stelle zu veröffentlichen. Aber über das geheimnisvolle Buch erfuhren wir lediglich, dass mein Vater es aus einer uralten, orthodoxen Dorfkirche gerettet hatte, die in Flammen gestanden war. Die Ursachen des Brands und warum er sich in Lebensgefahr begeben hatte, wurden hingegen ausführlich beschrieben.

    Wir gaben schließlich auf und kümmerten uns nicht weiter um den russischen Fund, bis mir der Herr der Ringe von John Ronald Reuel Tolkien in die Hände fiel. Dort entdeckte ich ähnliche Schriftzeichen wie in meinem Buch. Tolkiens Werk wurde für mich zum ‘Stein von Rosette’. Mit seiner Hilfe gelang es mir, den geheimnisvollen Text zu entschlüsseln.

    Die Übersetzung des Textes war nicht einfach, und dies nicht nur, weil die alte Sprache erst einmal rekonstruiert und Übersetzungshilfen angefertigt werden mussten. Ich bin kein Fachmann, aber ich kenne in der Übersetzerzunft zwei Richtungen. Die eine will den fremden Text so originalgetreu wie möglich übertragen, auch auf die Gefahr hin, dass man ihn nur schwer versteht. Geprägt ist dieses Bemühen von der Ehrfurcht vor dem Geist und der Sprache des Originals. Die andere Richtung hat nur den eigenen Leser im Auge. Seinem Denken und seinem Sprachgebrauch unterwerfen diese Übersetzer das Originalwerk, auch wenn dadurch die Quelle radikal angepasst und verändert wird. Ich habe mich entschlossen, der zweiten Übersetzungsschule zu folgen.

    Es ging für mich darum, den Text für heutige Menschen zu erschließen. Lange habe ich überlegt, ob ich die moderne Sprache benutzen solle. Die Verhältnisse des Buches entsprechen mehr unserem Mittelalter als der Gegenwart. Dennoch habe ich neben sprachlichen Anleihen aus der Vergangenheit durchaus die Gegenwartssprache und moderne Begrifflichkeiten benutzt. Dies scheint mir auch gerechtfertigt, denn, wenn wir die großen Zeiträume bedenken, die uns von dem Zeitalter des Berichtes trennen, so ist uns das Mittelalter noch sehr nah. Ich hoffe, ich habe mein Ziel erreicht, altes Denken und antiquierten Sprachgebrauch für die Gegenwart zugänglich zu machen. Sicher ist mir dies nicht immer gelungen, und manchmal bin ich wahrscheinlich auch über mein Ziel hinausgeschossen. Deshalb bitte ich für meine Übersetzung, die vielleicht sogar zu sehr dem sprachlichen Zeitgeist verhaftet ist, um Nachsicht.

    Für Organisationen, die im Blauen Buch genannt werden, habe ich vergleichbare Einrichtungen aus unserem Kulturkreis eingesetzt. Ich habe bei unseren Genealogien und bei unseren Königshäusern und unseren gesellschaftlichen Strukturen Anleihen gemacht. Dadurch wird die fremde Kultur sicher nicht genau wiedergegeben, aber verständlicher. Auch die Klöster, die in dem Blauen Buch eine große Rolle spielen, sind natürlich nicht mit den uns bekannten Einrichtungen vergleichbar. Aber in Ermangelung analoger Begriffe habe ich mir hier einige Ungenauigkeiten gestattet. Bemerkenswert erscheint mir übrigens die Ähnlichkeit dieser „Klöster" mit denen aus dem asiatischen Kulturbereich. An anderer Stelle meiner Quelle, die ich, um den Text zu straffen, weggelassen habe, wird sogar, ähnlich wie im Zen, die Kunst des Bogenschießens erwähnt. Auch der Kampf als meditative Übung musste damals schon gepflegt worden sein. Vergleiche zum Kung-Fu drängen sich auf.

    Von der Wissenschaft meiner Zeit habe ich wenig Hilfestellung erfahren. Keiner der Lehrstühle, die ich mit der Bitte um Unterstützung angeschrieben habe, zeigte sich zuständig. Die Archäologen verwiesen mich an die Philologen und umgekehrt. Ich bekam nicht einmal einen Termin bei einem Ordinarius, dem ich mein Manuskript hätte vorlegen können. Derartige Funde passen scheinbar nicht in das Paradigma heutiger Wissenschaft.

    So war ich genötigt, mich autodidaktisch in verschiedene Disziplinen einzuarbeiten und Laboruntersuchungen aus eigener Tasche zu zahlen. Natürlich habe ich versucht, mit den modernsten Methoden das Material datieren zu lassen und habe Substanzanalysen in Auftrag gegeben. Dennoch weiß ich bis heute nicht, woraus die Seiten gemacht sind, und weshalb sie so viele Jahrtausende unbeschadet überstanden haben. Alt sind sie auf jeden Fall, wenngleich die wissenschaftliche Altersbestimmung die nicht gerade glaubhafte Angabe von 170.000 Jahren ergeben hat. Da mir jedoch die finanziellen Mittel fehlen, konnte ich bisher keine Kontrollanalysen durchführen lassen.

    Über Leben und Zeit der Autoren war auch nichts Objektives in Erfahrung zu bringen, so dass man sich auf die Quelle selbst verlassen muss. Offensichtlich wurde das Blaue Buch von mehreren Autoren verfasst. Nur so sind Stilbrüche innerhalb des Textes zu erklären und die genaue Kenntnis von Geschehnissen, die sich gleichzeitig an verschiedenen Orten zugetragen haben. Meine Vermutung geht dahin, dass der Text von den alten Zauberern aus Quantam stammt. Dafür spricht zum Beispiel der auktoriale Duktus der Erzählung. Aber auch in der Geschichte selbst werden meiner Ansicht nach verschiedene Hinweise auf diese Urheberschaft des Blauen Buches gegeben.

    Bis heute weiß ich nicht, ob die beschriebenen Geschehnisse auf wahren Begebenheiten beruhen oder der Fiktion zuzurechnen sind, die vielleicht aus religiösen Gründen oder im Rahmen eines Totenkults zu Papier gebracht wurden. Welche Absicht verfolgten die Autoren? Ging es ihnen um Geschichtsschreibung, geistige Auseinandersetzungen oder nur um Unterhaltung? Wollten sie ihr Publikum ermutigen, oder verfolgten sie das Ziel nationale Identitäten zu schaffen? Ich will hier nicht weiter spekulieren. Einer späteren Forschung muss es vorbehalten bleiben, die Intentionen der Chronisten herauszufinden. Aber es liegt an uns, welche Bedeutung wir diesen Texten heute geben, was sie uns sagen.

    Manche der Themen und Aussagen mögen dem heutigen Leser bekannt vorkommen. Wie ein Spruch des Predigers besagt, gibt es eben nichts Neues unter der Sonne, und das, was gewesen ist, wird wieder sein.

    Vielleicht gibt es eine kontinuierliche Überlieferung aus den alten Zeiten bis in die Gegenwart? Vor dem, was wir Menschengedenken nennen, existierten schon Menschen, und wir wissen wahrscheinlich mehr von ihnen, als uns bewusst ist. Die Wissenschaft ist gegenüber einer Kontinuität der Überlieferung skeptisch. Auf jeden Fall aber leugnet sie die Existenz von Menschen mit einem uns vergleichbaren Bewusstsein in einer so fernen Zeit, wie der in diesem Bericht beschriebenen. Folgt man den Dogmen unserer Wissenschaft, so beginnt die Menschheitsgeschichte etwa zehntausend Jahre vor Christus. Zuvor soll es nur primitive Wesen gegeben haben, die allenfalls mit Keulen aufeinander einschlugen. Als Begründung für diese fragwürdige These wird der Mangel an archäologisch fassbaren Quellen angeführt, und etwas wofür es keinen handfesten, greifbaren Nachweis gebe, existiere ganz einfach nicht. Was aber als Beweis anerkannt wird, das bestimmt wiederum diese Wissenschaft. So schließt sich der Kreis, und neue Erkenntnisse haben keine Chance in den Kanon dessen, was wir Wahrheit nennen, aufgenommen zu werden. Wie viele später als richtig erkannte Tatsachen haben die so genannte Wissenschaft in den vergangenen Zeitläufen schon geleugnet und jeden, der sie verkündete, geächtet und sein Leben bedroht!

    Es ist ein seltsames Geheimnis um die Wahrheit. Ausgerechnet die, die sich ihr verpflichtet fühlen, bekämpfen sie am stärksten. 

    So hat auch mein Manuskript wenig Aussicht, Gnade vor wissenschaftlichen Augen zu finden. Behauptet es doch, dass bereits 170.000 oder noch mehr Jahre vor der Zeitenwende Wesen gelebt haben, die uns sehr ähnlich waren. Ihr Denken und Fühlen entspricht durchaus dem unseren. So wie überhaupt alle Literatur aus vergangenen Epochen heute ungeheuer modern anmutet, wenn sie in unsere Gegenwartssprache übersetzt wird. Eine solche Übertragung habe ich mit dem geheimnisvollen Manuskript versucht. Es ist ein Text entstanden, wie man ihn auch am Ausgang des zweiten Jahrtausends nach Christus hätte schreiben können.

    An anderem Ort werde ich über meine Forschungen Rechenschaft ablegen. Dort werde ich mich auch dafür rechtfertigen, wie ich mit dem Text umgegangen bin, warum ich Teile aus dem Original herausgenommen habe, und die philologischen Probleme schildern, die es zu bewältigen galt. Immerhin handelt es sich um eine Übersetzung aus einer gänzlich unbekannten Sprache.

    Diese Veröffentlichung ist keine historisch-kritische Textwiedergabe. Ich habe den zum Teil wirren Urtext geglättet und manchmal nach bestem Wissen und Gewissen chronologische Zusammenhänge geschaffen. Dabei, so hoffe ich, habe ich mich nicht allzu sehr geirrt! Die Autoren haben die Chronik der Ereignisse so genau wie möglich wiedergegeben. Sie hatten das Bestreben, die komplexen Verhältnisse ihrer Zeit zu überliefern. Die Niederschrift mag daher für heutige Leser manchmal recht verwirrend sein. Um den Überblick zu erleichtern, habe ich vor die einzelnen Kapitel jeweils kurze erläuternde Einleitungen eingefügt. Derartige Eingriffe in ein fremdes Werk durch den Übersetzer sind ungewöhnlich. Da der Text dadurch aber an Übersichtlichkeit gewinnt, betrachte ich diese Eigenmächtigkeit als Dienst am Original. Wie schon erwähnt, habe ich auch einige Geschichten, die den Fortgang der Handlung behindern, aus ihrem Zusammenhang genommen. Einige wurden gar nicht veröffentlicht, andere finden sich in einem Anhang wieder. Auch für diesen weitgehenden Eingriff, für die Schaffung von ‚Apokryphen’, bitte ich um Nachsicht.

    Natürlich habe ich mir inzwischen auch Hypothesen über die Entstehungszeit des Blauen Buches gebildet und meine Quelle im Geist in die archäologische Forschung eingefügt. Auch dem gebührt eine eigene Publikation. Meine Überlegungen müssen von einer fachkundigen Öffentlichkeit kritisch geprüft, ergänzt oder gar verworfen werden. Vielleicht will der Text auch keine geschichtlichen Ereignisse wiedergeben, sondern hatte schon zu seiner Zeit rein fiktionalen Charakter. Ich kann es nicht entscheiden, aber oft sind Romane der Wahrheit näher als Geschichtsbücher.

    Ich bin dankbar, dass mir durch ein glückliches Geschick diese Kunde aus einer anderen Zeit in die Hände gefallen ist und übergebe dieses Vermächtnis, das mich auch persönlich sehr berührt, mit allen übersetzerischen Schwächen einer breiten Öffentlichkeit. Vorerst ist ein Erstes Buch fertig gestellt. An der Übersetzung des restlichen Manuskripts arbeite ich noch. Dort wird beantwortet werden, ob es Ormor gelingt, seine Kräfte aufs Neue zu sammeln und Centratur doch noch zu unterwerfen. Werden Akandra und Marc Rutan erreichen und den König befreien? Welche Zustände treffen Aramar und seine Begleiter in Cantrel an? Wie entwickeln sich die Verhältnisse im Heimland? Natürlich habe ich das Blaue Buch bereits weitergelesen und weiß, was bevorsteht. Es ist atemberaubend und aufregend. Aber solange der Text nicht fertig übersetzt ist, werde ich nichts verraten.

    Möge der Mut, mit dem die Menschen damals ihre Sorgen und Nöte meisterten, uns in unseren schwierigen Zeiten ein Wegweiser sein. Sie haben sich selbst in ausweglosen Situationen behauptet, obwohl sie Gefahren begegneten, die uns erspart bleiben mögen. Ihre Entschiedenheit, den bösen Kräften zu widerstehen, könnte uns heute Vorbild sein.

    Wie mir scheint, bedürfen wir dringend einer Ermutigung.

    H.N. anno 1996 p.Chr.n.

    Vorgeschichten

    Centratur ist ein Kontinent der Welt. Er wird regiert von Königen und ihren Vasallen. Die eigentliche Herrschaft aber üben Zauberer aus, von denen die einen gute, spirituelle und die anderen eigennützige, machtgierige Ziele verfolgen. Besonders ein skrupelloser Zauberer hat Centratur im Lauf der Geschichte bedroht: Ormor, der Zauberkönig.

    Um die absolute Macht zu erringen und die Erde zu unterjochen, war ihm jedes Mittel recht. Deshalb hat er die Welt in schreckliche Kriege gestürzt.

    Der letzte Krieg, der den Beinamen der „Große Krieg" bekam, begann vor sechzig Jahren. Wieder einmal schien der Usurpator, der rücksichtslos seine Ziele verfolgte, zu siegen. Wieder einmal wurde die Welt in entsetzliches Leid und Elend gestürzt. Aber wieder konnten die vereinten, freiheitsliebenden Völker von Centratur Ormor schließlich doch niederringen und mitsamt seinem Heer in einen Berg bannen.

    Nach Ormors Niederlage übernahm Meliodas, der Nachfahre der alten Hochkönige, die Herrschaft über Centratur. Er wurde ein gerechter König, der den Frieden sicherte und seine Völker schützte.

    Der Zauberer Aramar hatte seit Generationen die Geschicke der Menschen aus dem Verborgenen gelenkt. Er war der eigentliche Widerpart Ormors im Großen Krieg gewesen. Dieser Zauberer, der die Menschen und besonders die Erits liebt, war der Meinung, die Bewohner von Centratur sollten nun für sich selbst verantwortlich sein und ihr Geschick allein bestimmen. Die Zeit der Zauberer sei vorbei. Deshalb zog er sich auf eine Insel zurück. Dies war sein großer Irrtum.

    Die Geschichte, die nun erzählt werden soll, beginnt mit einer folgenschweren Befreiung und dem Tod des Hochkönigs. Die Folge ist ein grausamer Mord. Doch dann wird die Idylle des Heimlands geschildert, einem Gebiet weit im Westen der bekannten Welt. Dort leben in Abgeschiedenheit Erits, deren größte Sorgen ihre Ernte und das Wetter sind. Sie haben es sich gemütlich gerichtet und ahnen nicht, was in der übrigen Welt vor sich geht. Bis sich die Ereignisse überschlagen.

    Sechs Kämpfer

    Die sechs Reiter, die auf der Lichtung ihre Pferde festbanden, waren die besten ihrer Art. Jeder von ihnen hatte eine hervorstechende Eigenschaft, war auf seine Art geschickt, schnell und klug. Es gab, soweit man wusste, niemanden auf der Welt, der sie darin übertroffen hätte. Eines aber war ihnen allen gemeinsam: Sie schreckten vor keiner Gefahr zurück und sie hatten keine Hemmungen zu töten.

    Ihre bisherigen Aufträge hatten sie ohne fremde Hilfe erledigt, denn jedem von ihnen war es zur Gewohnheit geworden, sich nur auf sich selbst zu verlassen. Sie brauchten in der Tat keine Unterstützung, denn jeder der Sechs war so gefährlich wie Dutzende der besten Kämpfer, und keiner scheute ganze Heere als Gegner. Wer immer ihnen begegnete, fürchtete ihre Feindschaft und suchte ihre Freundschaft. Aber sie hatten keine Freunde, und sie hatten keine Feinde. Man bezahlte sie, sie erledigten ihre Arbeit und ritten weiter. Niemand sah sie gern, und dennoch waren sie sehr begehrt.

    Die Agenten hatten diese Sechs auf der ganzen Welt gesucht. Es hatte Jahre gedauert, bis alle Kämpfer aufgespürt worden waren. Über die Entlohnung musste nicht lange gefeilscht werden, denn die Agenten waren bereit, jeden Preis zu zahlen. Nur die Auflage, den Auftrag zusammen mit anderen auszuführen, war von keinem der Sechs zunächst akzeptiert worden. An dieser Bedingung wäre das Unternehmen beinahe gescheitert. Es bedurfte viel Zeit und großer Überredungskunst der Agenten, bis schließlich doch alle eingewilligt hatten. Endlich war es vollbracht und das große Werk konnte beginnen.

    Die sechs Männer hatten sich in der großen Ebene getroffen und auf den Weg zum Berg gemacht. Sie ritten sorglos und stellten in der Nacht keine Wachen auf, wussten sie doch um ihre Macht. Kein Wegelagerer und kein Herrscher dieser Welt hätte es gewagt, sie anzugreifen.

    Nach einigen Wochen erreichten sie die Lichtung am Fluss und wurden sogleich vorsichtiger. Die Gegend um den Berg wurde nämlich bewacht. Die einen sammelten Holz, die anderen holten Wasser. Später tranken sie wohlschmeckenden Tee und aßen von ihren Vorräten. Der Wald und die Lichtung lagen ruhig in der untergehenden Sonne, und die Männer genossen den Frieden. Sie sprachen wenig und bereiteten sich in Gedanken auf ihren Auftrag vor. Nicht, dass sie Angst gehabt hätten. Keiner von ihnen hatte je einen Kampf verloren. Aber sie waren siegreich geblieben, weil Vorsicht zu jeder Zeit ihr Tun bestimmte und sie gut auf ihre Aufgaben eingestellt waren.

    Die Bohnen mit Speck, die sie sich später zubereiteten, schmeckten köstlich. Danach lagen sie satt und zufrieden mit den Köpfen auf ihren Sätteln und sprachen noch einmal alles durch. Jeder wiederholte die ihm zugewiesene Rolle. Endlich schliefen sie einen tiefen Schlaf und natürlich hatten sie Wachen eingeteilt.

    Am nächsten Tag erhoben sie sich beim ersten Morgengrauen. Sie kochten Tee und frühstückten in aller Ruhe. Dann löschten sie das Feuer und traten auch noch die letzten Funken aus. Sie vergruben ihre Abfälle und gaben der Lichtung die Unberührtheit zurück, die sie vor ihrer Ankunft gehabt hatte. Mit ihren kleinen Spaten stachen sie Grassoden in einem Quadrat von sechs mal sechs Fuß ab und stapelten sie zu einem Haufen. Sorgfältig glätteten sie den erdigen Boden und zogen mit Messern ein Gitternetz ins Erdreich. Darauf legten sie aus kleinen Steinen zwei überlappende Dreiecke, so dass eine Figur mit sechs Ecken entstand. Würdevoll stellten sie sich um das Sechseck, jeder an einer Spitze, und fassten sich bei den Händen. Dann fielen sie gemeinsam auf die Knie und senkten die Köpfe. Ihre Stimmen vereinigten sich zu einem monotonen Singsang, bis die Gruppe von einem matten Lichtglanz umgeben war. Der Schein schwebte nur wenige Sekunden über ihnen und verschwand dann wieder. Jetzt erhoben sie sich und beseitigten mit großer Sorgfalt auch diese Spuren. Selbst die Soden legten sie wieder an ihren Platz.

    Gemessenen Schritts begab sich ein jeder zu seinem Pferd und kleidete sich um. Sie schälten sich aus ihren bequemen Reisekleidern. Die weiten Überhänge wurden abgestreift, die Hosen aus gefärbtem Wildleder ausgezogen, sorgfältig zusammengelegt und in den Satteltaschen verstaut. Einige hatten kecke Mützen mit langen Federn getragen, die sie nun vorsichtig abnahmen und an den unteren Ästen von Bäumen hingen, damit den Hauben während ihrer Abwesenheit nichts geschehe.

    Die Rüstungen, die sie nun anlegten, hatten jeweils eine andere Farbe und waren speziell für ihren Träger angefertigt worden. Sie waren schwarz, rot oder glänzten hell poliert. Allein das Anbringen der Magie, die auf jeder lag, hatte mehrere Jahre gedauert. Der Wert der einzelnen Rüstungen war größer als der von Königreichen.

    Zum Schluss legten sie ihre Waffen an. Auch sie waren bei jedem der Helden verschieden. Es gab kurze und lange Schwerter und solche, die man nur mit zwei Händen führen konnte. Sie schnallten sich Streitäxte um und schulterten Bogen und Köcher mit Pfeilen. Manche trugen Armbrüste, andere Lanzen und einer hatte sich zwölf Messer um den Oberkörper geschnallt, die er trefflich zu werfen verstand. Alle Waffen, selbst die Streitäxte, hatten berühmte Namen.

    Als sie gerüstet waren, machten sie sich auf den Weg. Sie wussten genau Bescheid über die Gegend. Man hatte ihnen rechtzeitig Karten zur Verfügung gestellt. Schon vor Jahren war alles auf das genaueste ausgekundschaftet worden. Die Agenten hatten damit die besten Späher beauftragt, die in der Welt aufzutreiben gewesen waren. Deshalb konnten sich die Kämpfer den Posten vorsichtig nähern und auch tödliche Fallgruben umgehen.

    Die sechs bewegten sich trotz der schweren Rüstungen behände und lautlos. Sie verschreckten nicht einmal das Wild, das ihren Weg kreuzte. Selbst wenn man nur vier Fuß von ihnen entfernt gewesen wäre, so hätte man sie nicht wahrgenommen. Vor der ersten Wache schwärmten sie aus. Es war ein alter Mann in abgewetzter grüner Kleidung, der sich anscheinend auf Pilzsuche befand. Aber sie ließen sich von seiner Tarnung nicht täuschen. Drei von ihnen kreisten ihn ein und stachen gemeinsam zu. Lautlos sank der Alte zu Boden. Der Anfang war gemacht. Als nächstes überfielen sie eine alte Frau die Beeren pflückte und töteten sie. Sie hatten kein Mitleid, denn sie wussten, dass die Wachen gut getarnt waren und selbst gnadenlos jeden Angreifer umbrachten.

    Sie hatten schon die halbe Höhe des Berges erreicht und waren noch immer auf keinen Widerstand gestoßen. Dieser Umstand gab ihnen zu denken. Zwei sicherten nach hinten und zwei liefen als Späher voraus. Plötzlich wurde der linke Späher tot aufgefunden. Er lag in seiner schwarzen Rüstung hinter einem Busch. Nur seine Beine ragten hervor. Sein Hals war von einer scharfen Lanzenspitze durchbohrt. Die Überlebenden kümmerten sich nicht weiter um ihn. Aber sie waren froh, denn sie wussten nun, dass sie auf dem rechten Weg waren.

    Auf einer Lichtung traten ihnen zwölf Gewappnete entgegen und es kam zum ersten Kampf. Es gab ein wütendes Hauen und Stechen. Als die zwölf endlich im Gras lagen, waren die sechs auf vier zusammengeschmolzen. Kurz nachdem sie weitergegangen waren, löste sich eine mächtige Steinlawine am Berg und stürzte zu Tal. Die Kämpfer rannten um ihr Leben, aber einer musste sterben.

    Die letzten Drei stiegen noch langsamer und noch vorsichtiger in einer Linie weiter. Sie wurden noch in viele Kämpfe verwickelt, die sie alle siegreich bestanden. Endlich erreichten sie den Gipfel. Dort trat ihnen eine hohe Gestalt in einem langen weißen Gewand entgegen. Sie hatte die Arme erhoben und die Handflächen ihnen zugewandt.

    „Was wollt ihr? rief der alte Mann mit lauter Stimme. „Warum stört ihr den Frieden dieses Berges?

    Keiner antwortete ihm. Der Mann mit den Messern traf den Alten in der Brust. Dieser brach stöhnend zusammen und ein Blutschwall quoll aus seinem Mund. Sie stiegen über ihn, nach allen Seiten witternd und sichernd. Vor ihnen musste das Tor sein. Es war nicht zu sehen. Kein Spalt zeichnete sich im Fels ab. Niemand, der nicht eingeweiht war, hätte hier den Zugang zum Herzen des Berges vermutet.

    Sie verloren mit der Suche keine Zeit und versuchten auch nicht, den magischen Schlüssel zu entdecken. Stattdessen packten sie die Zauberutensilien aus, die sie mitgebracht hatten, und bauten sie sorgsam auf. Dann zogen sie sich zurück. Mit einem mächtigen Blitz vernichtete der Zauber die Spitze des Berges und gab den Gang, der in die Tiefe führte, frei. Ohne zu zögern traten sie ein und stiegen über die verkrümmten Gestalten, die im Inneren des Berges durch den Zauber getötet worden waren.

    Immer tiefer folgten sie dem Gang ins Dunkel des Berges. Sie hatten Fackeln entzündet und schritten mit der gebotenen Vorsicht aus. Zwei Fallen auf dem Weg konnten sie rechtzeitig entdecken, die dritte kostete einem von ihnen das Leben. Nun waren es nur noch zwei Kämpfer, die sich immer tiefer in das Gestein wagten. Sie trafen auf keinen Widerstand mehr und erreichten nach Stunden die Halle.

    Diese war so groß, dass man weder ihre Seiten noch ihre Decke in dem fahlen Licht der Fackeln sehen konnte. Die Luft roch modrig, war aber völlig trocken. Staub lag auf dem steinernen, unebenen Boden. Es war völlig still. Es schien, als schlucke die Dunkelheit jedes Geräusch. Stunden um Stunden wanderten sie durch die unheimliche Schwärze. Ihr Vorrat an Fackeln neigte sich dem Ende zu. Waren sie verbraucht, würden sie nie mehr den Weg aus der Dunkelheit herausfinden. Aber sie kümmerten sich nicht um diese Gefahr. Sie hatten einen Auftrag und würden nicht ruhen, bis er erfüllt war.

    Das riesige Kriegerheer, dem sie dann begegneten, verharrte in der Dunkelheit reglos und stumm wie aus Stein. Gewappnete Krieger saßen auf ihren Pferden, Wolfsreiter standen auf dem Sprung, Kobolde und andere Geschöpfe aus dunklen Tiefen, bewaffnet mit allem, womit man töten konnte, standen in Reih und Glied. Die beiden Kämpfer schritten mitten durch das Heer. Sie kannten keine Furcht, aber sie betrachteten die ungeheure Macht, die hier versammelt war, mit Staunen.

    In der Mitte der Höhle tat sich ein großer Kreis auf. Hier stand ein steinerner Tisch, und an ihm saß ein Mann. Er musste schon viele tausend Jahre dort sitzen, denn sein langer Bart überwucherte und verdeckte die Steinplatte. Seine Hände lagen starr unter den Haaren. Die Fingernägel waren meterlang.

    Die beiden Männer gingen langsam um den Alten herum und betrachteten ihn von allen Seiten. Die Agenten hatten ihnen genaue Anweisungen gegeben, wie sie mit ihm zu verfahren hätten. Nun war der Augenblick gekommen, den Auftrag zu vollenden. Ohne weiter zu überlegen, holten sie Scheren aus ihren Taschen und schnitten ihm die Nägel. Anschließend verschränkten sie ihm die Hände, so als wolle er beten. Dann scherten sie ihm den Bart. Die langen Strähnen fielen achtlos auf den Boden und sammelten sich zu einem grauen Teppich. Endlich holten sie aus ihrem Gepäck eine kleine Schale aus purem Gold. Da hinein gossen sie von der Flüssigkeit, die ihnen ihre Auftraggeber in einer Feldflasche mitgegeben hatten. Damit wuschen sie die Gestalt am Tisch. Zuletzt wickelten sie aus einem samtenen Tuch einen Edelstein. Sie legten den roten Kristall in die Hände des Mannes und achteten sorgfältig darauf, den Stein nicht zu berühren. Plötzlich begann der Kristall zu glühen. Er strahlte so große Wärme aus, dass die beiden Helden in ihrer Rüstung zu schwitzen begannen.

    Dies war der Augenblick, da der Greis am Tisch die Augen aufschlug. Verwirrt sah er sich in der Dunkelheit um. Dann entdeckte er seine Retter und fragte mit heiserer Stimme: „Wer seid ihr?"

    „Man hat uns geschickt, Euch zu erlösen."

    „Warum kommt ihr so spät?"

    „Man hat uns nicht früher beauftragt."

    Da erhob sich der Mann am Tisch und sprach: „Kommt her, damit ich euch danken kann."

    Als sie auf ihn zu traten, sagte er: „Kniet nieder!"

    Als sie taten, wie ihnen geheißen, schlug der Alte dem einen, obwohl dieser einen starken Helm trug, den Schädel ein und dem anderen mit einem Schlag seiner Handkante den Kopf vom Hals. Ohne die beiden Toten, deren Fackeln am Boden verglommen, noch weiter zu beachten, reckte sich der Alte und streckte seine Arme in die Höhe.

    „Wachet auf! rief er und seine Stimme war wie Donnergrollen. „Wir haben zu lange geschlafen!

    Das mächtige Heer begann sich in der Finsternis zu regen.

    Dann erhob der Mann seine Stimme erneut und rief: „Öffne dich!"

    Bei diesen Worten brach der Berg auf. Donnernd stürzten riesige Felsbrocken zu Tal. Bäume wurden entwurzelt, knickten wie dünne Stäbe und rutschten die Hänge hinab. Die Erde bebte und das Gestein teilte sich. Strahlendes Licht flutete in das tausendjährige Dunkel des Berges. Die Sonne drängte in die Halle der Nacht. Das Heer, aus seinem Schlaf erwacht, ordnete sich und nahm Aufstellung. Zuerst kamen die Reiter und dann die Fußtruppen. Ormor bestieg sein Pferd und setzte sich an die Spitze.

    Niemand sprach, als der Zug die Höhle verließ. Nur der Huftritt vieler Pferde und das Trampeln schwerer Stiefel durchbrachen die Stille. Am Fuß des Berges kamen die Krieger an einer Lichtung vorbei. Dort standen Pferde und Mützen mit langen Federn hingen an Ästen; aber keiner der Vorüberziehenden achtete darauf.

    Der Tod des Königs

    Der Tag war zwar noch kalt, aber die klare Luft und die Sonne ließen den langen Winter vergessen. Meliodas, der Hochkönig von Centratur und Herrscher über Whyten, war auf dem Weg von Cantrel, seinem Regierungssitz, nach Hispoltai in Equan. Obwohl er aus dem Geschlecht der Großen Könige stammte und seine Lebensspanne weit über die von normalen Menschen hinausreichte, war sein Haar mit den Jahren grau geworden und seine Schultern gebeugt.

    Er ritt auf seiner Lieblingsstute, Weichfell, und an seiner Seite hing das Schwert seiner Väter, das er Aràntila genannte hatte, was bedeutet ‘Unerbittliche Siegerin’. Der König war in Begleitung seiner Frau, Lunete, seiner zwölfköpfigen Leibwache und der beiden Edlen Misselbeck und Rankohr. Obgleich Meliodas den Weg gut kannte, hatte ihm Equan drei Führer entgegengeschickt, die nun an der Spitze des Zuges ritten. Zu dem Gefolge gehörten noch zwei Abgesandte aus dem Norden des Reiches. Sie hatten sich mit dem König auf die Reise begeben, um dem Herrscher in einem günstigen Moment ihr Anliegen vorzutragen. Nicht vergessen werden sollte bei dieser Aufzählung die Dienerschaft, die mit den Packpferden hinter den Nobilitäten ritt.

    Der König war schon seit dem Vortag, als sie Cantrel verlassen hatten, guter Dinge und sang ein Lied nach dem anderen. In seinen Gesang fiel die ganze Reisegesellschaft respektvoll ein. Man war am frühen Morgen bei Dunkelheit vom Nachtlager aufgebrochen und machte am späten Vormittag die erste Rast. Die Diener stellten rasch Zelte auf und deckten die Tische reichlich. Wenn ihr Herr auf Reisen war, so sollte es ihm an nichts fehlen, dies verlangte ihre Ehre. Es gab süße Kuchen und köstlichen Tee. Die Laune des Herrschers wurde bei diesem zweiten Frühstück noch besser. Reyknang, der Gesandte aus Luran, sah dies mit Freuden und beschloss, sein Anliegen schon jetzt vorzubringen. Er hatte nicht damit gerechnet, den König so früh in leutseliger Stimmung vorzufinden und wollte die Gunst der Stunde nutzen. Wenn seine Mission frühzeitig zu einem erfolgreichen Ende käme, bräuchte er den beschwerlichen Weg nach Equan nicht mitzumachen. Er könnte umkehren und in Cantrel das Hofleben genießen.

    Respektvoll wartete er, bis Meliodas gespeist hatte. Dann näherte er sich ihm demütig, die Mütze in der Hand.

    Ob er die allergnädigste Majestät wohl kurz sprechen dürfe, fragte er bescheiden.

    Meliodas lachte, wenn es denn unbedingt sein müsse, und winkte dem Vasallen zu, auf einem Sitz neben ihm Platz zu nehmen. Reyknang gab sich unsicher und schwieg.

    Der König ermunterte ihn mit einer Frage nach seinem Begehr.

    Der Mann aus dem Norden tat, als wolle er sich ein Herz fassen, und sprach, sein Volk, seine Fürsten und auch er selbst seien stets der Meinung gewesen, es gebe keinen fürsorglicheren und gnädigeren König als Meliodas, den Sohn des Trisa. Hier unterbrach ihn der Herrscher mit einer gelangweilten und etwas unwilligen Handbewegung, aber er war noch immer gut gelaunt.

    Reyknang beeilte sich fortzufahren. Weil man sich in der Huld des Königs wisse, habe man beschlossen, sich mit drückenden Sorgen an ihn zu wenden.

    Das erwarte er auch, warf der Herrscher ein. Aber der Gesandte möge nun endlich zur Sache kommen, man wolle weiter reiten.

    Dieser sah, dass der König ungeduldig und unwillig wurde und beeilte sich mit seiner Rede. Man habe sich in seinem Land große Bauvorhaben vorgenommen, die nicht nur für Luran wichtig wären, sondern auch zur Ehre des ganzen Reiches beitrügen und damit den Ruhm des Königs mehren würden. Er habe Pläne und Aufrisse dabei und könne Seine Majestät deshalb über alle Einzelheiten genauestens unterrichten.

    Wieder zuckte er unter einer ungeduldigen Handbewegung von Meliodas zusammen.

    Kurz und gut, diese Bauten würden sehr viel Geld kosten. Man habe sich deshalb entschlossen, den König zu bitten, die Steuern des Landes Luran für zehn Jahre auszusetzen. Danach sei man gerne bereit, wieder den schuldigen Tribut zu zahlen.

    Der Herrscher sah den Gesandten einen Moment verwundert an. Dann antwortete er mit einem barschen „Nein" und erhob sich.

    Er klatschte in die Hände und rief zum Aufbruch. Als er aufs Pferd stieg, schien es, als habe seine gute Laune keinen Abbruch erlitten. Lunete, die Königin aus achajischem Geschlecht, lenkte ihr Pferd neben das ihres Gemahls. Sie war noch immer wunderschön, obgleich sich schon die ersten Falten um ihre Augen und Mundwinkel zeigten. Sie stammte von einem fernen Kontinent und hatte lange auf den geliebten Mann, der um seinen Thron kämpfte, warten müssen. Sie hatte ihre Entscheidung nie bereut, so war zumindest die Meinung ihrer Umwelt. Aber die wenigsten sahen, dass das Leben an der Seite des Königs nicht immer einfach war.

    Meliodas hatte erst in späten Jahren die Bürde der Regentschaft übernommen. An das Hofleben, die vielen Menschen um ihn, das bunte Treiben und das Wohlleben, konnte er sich nur schwer gewöhnen. Er war die meiste Zeit seines Lebens ein Hagestolz gewesen, der, vertrieben vom königlichen Hof, mit sich allein in der Wildnis gehaust hatte. Dabei hatte er gelernt, Einsamkeit zu ertragen. Deshalb kosteten ihn die höfischen Sitten und das Zusammenleben mit einer Frau auf Dauer Kraft und Überwindung. Er gab sich redlich Mühe, aber seine Eigenarten und sein Wunsch nach Einsamkeit brachen immer wieder durch. Seine Frau hatte darunter natürlich zu leiden. Dazu kam noch, dass die Ehe bisher kinderlos geblieben war.

    Lunete ertrug die Launen ihres Mannes mit Gelassenheit. Nie sah man ihr irgendeinen Kummer an. Stets lächelte sie und begegnete ihrem Mann in der Öffentlichkeit mit ausgeglichener Freundlichkeit. Zwischen ihnen aber gab es so manche Szenen, von denen der Hof besser nichts erfuhr. Dann ging sich das Paar einige Tage aus dem Weg und versöhnte sich schließlich auf spröde, aber herzliche Weise, wie es dem Wesen von Meliodas entsprach.

    Sie habe eine Bitte, so begann Lunete das Gespräch, und er möge ihr nicht zürnen, wenn sie ihm diese Bitte vortrüge.

    Nur frisch heraus, antwortete ihr Gemahl. Wenn immer es möglich wäre, würde er ihr Anliegen erfüllen.

    Die Augen der Frau leuchteten bei diesen Worten, und sie lächelte ihren Mann zärtlich an. Er wisse, sagte sie, dass sie die letzte ihres Volkes sei, die sich noch in Centratur aufhalte. Ihre Familie sei schon vor langer Zeit in die angestammte Heimat nach der Insel Aureas aufgebrochen. So lebe sie schon seit vielen Jahren ganz allein. Nun aber, da sie das nahe Alter spüre, habe sie das Bedürfnis, ihre Familie, Vater, Mutter und Geschwister, noch einmal zu sehen. Es sei ihr Wunsch, mit ihnen für einige Zeit zusammen zu sein, um dann für immer Abschied zu nehmen. Sie erbitte also von ihrem Gemahl Urlaub für eine kurze Reise nach Aureas.

    Der Herrscher blickte sie aus seinen hellen Augen prüfend an, während sein Mund zu einem schmalen Spalt verkniffen war. Dann sagte er: „Nein", und gab seinem Pferd die Sporen.

    Mittagsrast wurde am Fuß des Grauen Waldes gemacht. Ein Teil der Dienerschaft war nach der ersten Rast zurückgeblieben und hatte zusammengepackt. Der andere Teil war im Galopp vorausgeeilt und hatte das Mittagslager vorbereitet. Als der König mit seinem Tross eintraf, war schon alles gerichtet. Die Zelte standen im Schatten, eine Suppe dampfte in eisernen Kesseln über offenen Feuern, Wildbraten drehte sich auf Spießen. Im Lager roch es so gut, dass den Reisenden das Wasser im Mund zusammenlief. Man saß ab und machte es sich auf Feldstühlen bequem. Schalen mit Wasser wurden gebracht, damit sich die Herrschaften den Staub abwaschen konnten. Dann wurden Erfrischungen gereicht.

    Der Edle Rankohr war dem König auf diesem Ritt nach Equan gefolgt, um eine persönliche Angelegenheit mit ihm zu besprechen. Sie betraf seinen Sohn und war für seine Familie von äußerster Wichtigkeit. Er hatte sich schon seit Tagen genau zu Recht gelegt, mit welchen Worten er seinem Herrn sein Anliegen vorbringen wollte und brannte darauf, endlich dessen Entscheidung zu hören. Die Gelegenheit schien ihm nun günstig. Schon wollte er sich in das offene Zelt des Königs begeben, als er sah, wie Graf Misselbeck an ihm vorbei zum Monarchen huschte. Der andere war ihm zuvorgekommen, nun musste Rankohr seinen Bittgang wieder verschieben.

    Doch es dauerte nicht lange, und der Graf verließ das Zelt. Er sah sehr niedergeschlagen aus und war ganz rot im Gesicht. Man konnte deutlich sehen, dass er keinen Erfolg gehabt hatte und auf keinen gnädigen König gestoßen war. Seine Hände waren so zu Fäusten geballt, dass die Knöchel weiß hervortraten. Rankohr schlenderte zu ihm hinüber und fragte arglos, ob der König sehr erschöpft und ob Misselbecks Gespräch erfreulich verlaufen sei? Meliodas sei doch ein gütiger Monarch, dem man stets dankbar sein müsse.

    Rankohr sah mit Freude, wie schwer es dem Grafen fiel sich zu beherrschen und zustimmend zu nicken. Deshalb konnte er nicht an sich halten und setzte noch die Frage obendrauf, welche Güte der Herrscher dem edlen Grafen denn diesmal erwiesen habe?

    „Keine", war die knappe Antwort.

    Misselbeck ließ den scheinheiligen Rankohr stehen und ging mit langen Schritten davon. Dieser lächelte in sich hinein und nahm sich vor, es selber klüger anzustellen.

    Nachdem sie gegessen und ein wenig geruht hatte, machte sich die Gesellschaft wieder auf den Weg. Sie kamen nun in ein Gebiet, in dem Rebellen hausen sollten. Doch befürchtete man keinerlei Überfälle oder andere Misshelligkeiten. Meliodas war als gerechter und weiser König bekannt, der im Reich keine Feinde hatte. Auch war die Garde schwer bewaffnet, so dass Angreifer keine Chancen gehabt hätten. Dennoch schickte der Führer der Leibwache zwei seiner Leute zur Sicherheit voraus. Aufgeregt kehrte einer der beiden nach wenigen Stunden zurück. Er berichtete, sie seien angegriffen worden und der Überfall habe seinem Kameraden das Leben gekostet.

    Hauptmann Kuri unterrichtete seinen König. Er fragte ihn, was zu tun sei und empfahl ihm seinerseits umzukehren. Doch davon wollte Meliodas nichts wissen. Vor ein paar Rebellen würde er nicht kneifen, er hatte schon ganz andere Gegner in seinem langen Leben besiegt. Er fasste nach dem Schwert an seiner Seite und lockerte es in der Scheide.

    Die Wache sicherte nun in alle Richtungen. Vorsichtig ritt man weiter. Kurz vor Dunkelheit wurde der Zug mit Pfeilen beschossen doch niemand getroffen. Weil sie keinen sicheren Lagerplatz fanden, ließ der Hauptmann der Garde trotz der Dämmerung nicht Halt machen. Auch eilten nun die Diener nicht voraus, um alles vorzubereiten.

    Meliodas Lippen wurden immer schmäler und sein Kinn kantiger. Er umfasste den Knauf seines Schwertes mit starker Hand. Man sah, dass ihm ein Kampf nicht unwillkommen gewesen wäre. Für ihn waren diese Angriffe aus dem Hinterhalt eine persönliche Beleidigung. Er sah in ihnen sogar eine Schmähung der Königswürde. Hätten sich die Schurken zum Kampf gestellt, so hätte er ihnen gezeigt, dass noch die alte Kraft in ihm war. Aber sie blieben unsichtbar, wie um ihm zu zeigen, wie sehr sie die Macht des Königs missachteten.

    In seinem Reich seien die Straßen sicher, sagte er immer wieder beteuernd zu Wisbad, dem Gesandten aus Muriel, dessen Pferd schon seit geraumer Zeit neben dem seinen lief. Dennoch müsse man immer wieder mit Wahnsinnigen, Verbrechern und Wichtigtuern rechnen, die den Frieden störten. Diese Ausnahmen bestätigten nur die Regel.

    Die Sicherheit auf den Straßen Muriels, sei der Grund, der ihn an den Hof Seiner Majestät geführt habe, entgegnete Wisbad. Die Sicherheit sei nämlich im Osten des Reiches, dort wo er herkomme, nicht mehr gewährleistet, deshalb bitte man den König um Hilfe.

    Unwirsch erkundigte sich der Herrscher, ob der Gesandte damit andeuten wolle, sein königlicher Schutz reiche nicht mehr bis Muriel? Ob er tatsächlich behaupten wolle, sein Reich Centratur, das er von seinen Vorvätern übernommen und gegen alle Feinde verteidigt habe, zerfalle?

    „Ja, Majestät", kam die Antwort.

    Alles, was der Gesandte noch hörte, bevor sein Herr davon preschte, waren wüste Beschimpfungen ob seiner Dreistigkeit.

    Endlich wurde ein Lagerplatz am Ufer des Tessenfluss, der aus dem Tessenwald in die Ebene floss, gefunden. Man stellte Zelte und Wachen auf, und die Herrschaften begaben sich zur Ruhe. Meliodas blieb noch lange wach. Wie sehnte er sich nach seinem früheren Leben in der Natur zurück. Damals war er wirklich frei und nur sich selbst verantwortlich gewesen. Niemand hatte ständig etwas von ihm gewollt.

    Die Nacht verging ohne Zwischenfälle. Am nächsten Morgen äußerte Meliodas den Wunsch nach einem Bad. Sein Diener war entsetzt und wies auf das treibende Eis im Wasser hin. Der Herr werde sich erkälten, er könne sich sogar den Tod holen. Dieser ließ ihn mit einer Handbewegung verstummen. Die Absicht des Königs sprach sich rasch herum, und der Hauptmann eilte herbei. Der Fluss sei zu unsicher. Man könne den Herrscher nicht genügend schützen. Wenn er an dieser Stelle bade, sei er den Pfeilen vom anderen Ufer hilflos ausgeliefert.

    Doch Meliodas entgegnete: „Ich lasse mein Leben nicht von den Absichten einiger Verbrecher bestimmen. Niemals werde ich mich den Plänen der Feinde unterwerfen und meine eigene Freiheit von diesen Elementen einschränken lassen. Dies werde ich jetzt mit einem Bad demonstrieren."

    „Dann kann ich die Verantwortung für Euer Leben nicht länger übernehmen", bekannte der Mann von der Wache.

    „Diese Verantwortung hast du nie getragen, entgegnete ihm sein König bitter. „Sie ist für dich auch viel zu schwer. Der einzige, der die Verantwortung für mich tragen kann, bin ich selbst. Du kannst gehen. Für diesmal sei dir deine Unbotmäßigkeit noch verziehen.

    Mit diesen Worten warf er sich einen weiten Mantel über den nackten Körper und ging langsam auf den Fluss zu. Lunete war aus dem Nachbarzelt herausgekommen und stellte sich ihm in den Weg. Der Fluss sei reißend und gefährlich. Es wäre unklug, sich seinen Fluten jetzt anzuvertrauen. Er antwortete ihr nicht, sondern ging einfach eilenden Schritts um sie herum. Lunete sah ihm kopfschüttelnd nach. Dann wandte sie sich abseits in die Büsche. Die beiden Gesandten hatten das Lager bereits verlassen. Auch von den Edlen Rankohr und Misselbeck war nichts zu sehen. Der Hauptmann folgte seinem König zum Fluss. Er schlenderte dabei betont gemächlich.

    Am Ufer legte Meliodas den Umhang ab und stieg in die Fluten. Das Wasser war sehr kalt und tief. Es schauderte ihn, aber er konnte nun nicht mehr zurück und musste ein paar Stöße schwimmen, um sein Gesicht nicht zu verlieren. Nur sein Kopf war noch zwischen den Wellen sichtbar, obwohl er sich kaum vier Fuß vom Ufer entfernt hatte. Ein großer Baumstamm, dessen Äste traurig in die Luft ragten, trieb genau auf ihn zu. Der König sah ihn kommen und versuchte noch ihm auszuweichen, doch da färbte sich das Wasser an der Stelle, wo eben noch sein Kopf gewesen war, bereits rot. Meliodas, Hochkönig von Centratur, Herrscher von Whyten, der letzte Spross aus dem Geschlecht der großen Könige, wurde nicht mehr lebend gesehen. Er starb in den Fluten des Tessenfluss. Seine Leiche konnte in den braunen Wassern erst viele Meilen flussab geborgen werden. Sie war vom Eis, dem Treibholz, den Baumstämmen, und dem was das Hochwasser des Frühlings sonst noch mit sich führte, so entstellt, dass man die Todesursache nicht mehr erkennen konnte. Die edlen Züge waren zerstört. Nicht einmal Lunete erkannte ihren Mann.

    Der Körper wurde zum Regierungssitz nach Cantrel zurückgebracht und dort aufgebahrt. Dann eilten Boten durch das ganze Land und verkündeten überall das schreckliche Unglück. Die Edlen aus allen Ländern reisten nach Whyten, um an den Beerdigungsfeierlichkeiten teilzunehmen. Große Trauer herrschte überall. Man fürchtete das Schlimmste für das Reich. Einige Weise aber raunten, der König sei für diesen Tod glücklich zu preisen. Ihm sei es erspart geblieben, den Untergang seines Reiches mitzuerleben.

    Die Flasche

    Die Flasche war rund und hatte einen Durchmesser von drei Handflächen. Ihr langer Hals war mit einem kunstvoll geschnitzten Stück Holz verschlossen. Leider war sie nicht mehr ganz dicht. Mit den Jahren war der Ton porös geworden, und die Glasur hatte Sprünge bekommen. Ramram stand deshalb jeden Tag vor der Entscheidung, entweder schon im Lauf des Vormittags seinen Wasservorrat zu verbrauchen oder die Flüssigkeit sparsam über den Tag zu verteilen. Wählte er die erste Möglichkeit, hatte er schon am frühen Nachmittag nichts mehr zu trinken. War er aber sparsam, dann versickerte ein Teil des kostbaren Nass in der Erde neben dem Acker. Was er auch tat, es war falsch.

    Morgens, wenn er sich mit seinen beiden Ochsen und dem schweren Pflug auf den Weg machte, überlegte er manchmal, wie er es heute halten sollte. Aber er vergaß dann doch seine Vorsätze und überließ die Entscheidung der Hitze, seinem Durst oder der spontanen Laune.

    Natürlich hatte sich Ramram schon oft vorgenommen, eine neue Flasche zu besorgen. Dazu hätte er seine Arbeit liegen lassen und viele Stunden in das weit entfernte Dorf laufen müssen. Letztlich scheute er jedes Mal den Weg. Vielleicht war es aber gar nicht der Gedanke an den langen Fußmarsch, sondern vielmehr die Menschen, die er in der Siedlung treffen würde?

    Heute hatte er sich nicht zurückgehalten, und nun war die Flasche leer. Die Sonne brannte heiß und erbarmungslos vom Himmel. Ramram schwitzte während er sich schwer auf den Pflug stützte und versuchte ihn in der Spur zu halten. Die Ochsen legten sich ergeben in die ledernen Riemen und wischten nur hin und wieder mit den Schwänzen einen Schwarm Fliegen von ihren schweißnassen Rücken. Der Bauer hätte etwas darum gegeben, jetzt eine Pause machen und einen Schluck trinken zu können. Aber es war nichts mehr da und der Brunnen war eine Wegstunde entfernt.

    Mittag war schon eine Stunde vorüber und er hatte seine beiden Brote im Schatten der Bäume in aller Ruhe gegessen. Er hatte sie sich selbst gestrichen, denn zu Hause war nun niemand mehr, der ihm zur Hand ging. Seit seine Frau gestorben war, besorgte er den Haushalt allein. Kinder hatten sie keine, und für eine Magd oder gar einen Knecht reichte die Wirtschaft nicht aus. Seine Frau hatte ihm noch auf dem Sterbebett ans Herz gelegt, die Einöde zu verlassen und zu den Leuten zurückzukehren. Er hatte es ihr auch versprochen. Doch es ging nun schon ins dritte Jahr, dass sie unter der Erde lag, und er machte noch immer keine Anstalten, ihren Wunsch zu erfüllen.

    Was sollte er auch im Dorf? Ihm gehörte dort kein Land. Er könnte sich nur als Knecht verdingen. Nach der Freiheit hier würde ihn das schwer ankommen. Irgendwann würde er schon zurückkehren, sagte er sich immer, wenn er schuldbewusst an sein Versprechen dachte. Aber bis dahin war noch Zeit. Hier draußen war er zufrieden. Hier musste er sich nicht mit törichten Leuten herumstreiten. Hier war er ein freier Mann. Hier passte niemand auf, wie er seine Wirtschaft führte, wann er aufs Feld ging und wann er zurückkehrte. Hier war es gleichgültig, welche Kleidung er trug und wie lang er seinen Bart wachsen ließ.

    Weil er frei sein wollte, war er damals mit seiner jungen Frau in die Wildnis gezogen. Er war der jüngere Sohn gewesen, den Hof hatte sein Bruder geerbt. Ein Leben als Knecht wäre sein Los gewesen. Aber er hatte dem rauen Leben in der Einöde den Vorzug gegeben, hatte begonnen, das Land zu bestellen, das weit ablag, und das niemand haben wollte. Die Leute im Dorf hatten ihn und seine Frau ganz seltsam angesehen, wenn sie hin und wieder zum Einkaufen zurückgekehrt waren, so als ob sie etwas Unrechtes getan hätten.

    Der Anfang war nicht einfach gewesen. Sie hatten schwer gearbeitet, und die Frau war ihm tüchtig zur Hand gegangen. Sie hatte sich nicht geschont. Er erinnerte sich noch an das Gefühl von Glück, als sie zum ersten Mal in der neu erbauten Hütte vor dem Feuer gesessen waren.

    „Sieh nur, hatte sie immer wieder gesagt, „wie schön es brennt und wie gut der Kamin zieht.

    Er hatte sie zärtlich in den Arm genommen und hätte gerne die Zeit angehalten.

    Der Acker war nun zur Hälfte gepflügt. Er lag auf einer Lichtung mitten im Wald. Ramram hatte viele Bäume gefällt, um Platz für ihn zu schaffen. Nun wischte er sich den Schweiß von der Stirn, streckte sich und sah sich um. Irgendetwas hatte sich in der letzten halben Stunde verändert. Doch er wusste nicht, was es war. Trotz des grellen Tageslichts war der heiße, friedliche Nachmittag unheimlich geworden. Ramram schauderte es.

    Plötzlich erkannte er, was anders war. Eine erdrückende Stille hatte sich über das Land gelegt. Kein Vogel war mehr zu hören, kein Lüftchen bewegte ein Blatt. Kein Hase hoppelte über den Acker. Nichts mehr war zu hören. Nur sein Herz konnte Ramram vernehmen. Es schlug schnell und laut. Er meinte, das Pochen müsste die ganze Lichtung erschüttern.

    „Dummes Herz, sei ruhig! sagte er, „du wirst mir doch jetzt keine Schwierigkeiten machen!

    Aber sein Herz hörte nicht auf ihn, sondern schlug noch schneller und noch lauter, während die Sonne unbeeindruckt vom Himmel brannte. Ramram wusste plötzlich, dass er fliehen musste und ihm dazu nicht mehr viel Zeit blieb. Er ließ Pflug und Ochsen stehen und rannte los. Er lief quer über die frisch aufgeworfene Erde und war schon nach wenigen Schritten schweißnass und außer Atem. Immer wieder rutschte er auf dem staubigen, trockenen Boden aus, taumelte, fing sich wieder und rannte weiter. Seine Angst legte sich bleiern auf seine Glieder und hemmte seinen Lauf.

    Ramram war noch nicht weit gekommen, als er plötzlich zusammenbrach. Fünf schwarze Pfeile hatten seine Brust und seinen Rücken durchbohrt. Das letzte, was er sah, war ein Berg, der sich vor ihm auftürmte. Er lag in einer Furche, die er selbst geschaffen hatte.

    Die schwarzen Gestalten, die ihn getötet hatten, kümmerten sich nicht um den Bauern. Sie ließen ihn dort liegen, wo er zusammengebrochen war, und würdigten ihn keines weiteren Blickes. Irgendein Bauer war gestorben, jemand, nach dem kein Hahn krähen würde. Die Welt würde dadurch nicht verändert werden. Wer würde an so einen unbedeutenden Vorfall einen Gedanken verschwenden! Sie zogen vorüber, schweigend und grausam. Man hatte sie geschickt. Sie waren Teil eines großen Planes. Sie wussten, dass sie die Welt verändern würden, und sie waren stolz darauf.

    Eine kleine Gestalt, tief verborgen im Dickicht des Waldes, hatte das grausame Geschehen aufmerksam verfolgt. Als die wilde Horde weitergezogen war, trat sie aus ihrem Versteck hervor und ging zu dem zusammengebrochenen Bauern. Zart schloss sie ihm die Augen. Ramram bekam ein Grab unter einer großen Buche.

    Nachdenklich sah der Beobachter schließlich auf die tönerne Flasche. Die schwarzen Gestalten hatten sie mit ihren schweren Stiefeln zerbrochen. Dann hatte er einen Entschluss gefasst. Centratur brauchte dringend Hilfe, und er wollte sie holen.

    Im Heimland

    Ein wunderschöner Sommer, dem sich ein kurzer Herbst angeschlossen hatte, war vergangen, und nun stand der Winter vor der Tür. Die Bauern hatten eine reiche Ernte eingefahren. Die schweren Ähren des goldgelben Getreides lagen in den Scheuern und warteten darauf gedroschen zu werden. Abgeerntet waren auch die Äste der Apfel- und Birnbäume, die sich unter der Last der Früchte bis zum Boden gebeugt hatten und gestützt werden mussten. Die Beeren in Wald und Feld waren gezupft und eingemacht, der weiße Kohl in großen Fässern gestampft. Kammern, Keller und Scheuern waren bis zum Bersten gefüllt. Sogar das Bier schmeckte ausgezeichnet.

    Die Zeit des Großen Krieges war seit einem halben Jahrhundert vorbei und die Leute im Heimland mit der Entwicklung zufrieden. Sie nannten sich Erits und waren Menschen von geringer Körpergröße. Die wenigsten der großen Leute hatten je einen Erit getroffen, und man interessierte sich auch nicht für sie. In der Welt galten sie als scheu und feige. Konnte man von kleinen Leuten überhaupt Mut verlangen? Aber wenn vom Großen Krieg erzählt wurde, gab es einige Alte, die behaupteten, den endgültigen Sieg habe man der Beherztheit und dem Einsatz von Erits zu verdanken. Dies konnte natürlich nicht stimmen, und man schmunzelte immer wieder über diese seltsamen Legenden.

    Überhaupt war dieser Große Krieg schon so lange her, dass sich nur noch wenige an ihn erinnerten. Er war inzwischen Geschichte geworden und diente als Quelle für Geschichten. Auch Ormor, den dämonischen Führer, der diese Kriege angezettelt hatten, sah man eher als legendäre Sagengestalt denn als eine reale Figur.

    Die Tage wurden nun im Heimland merklich kürzer, und die Erits bereiteten sich auf die kalte Jahreszeit vor.

    Der alte Mog blickte zufrieden auf den großen Stapel Brennholz, den er unter einem kleinen Dach neben seinem Haus, das er Gutruh nannte, aufgestapelt hatte. Mog war Gärtner und hatte es mit seiner Frau Ev zu bescheidenem Wohlstand gebracht. Sie hatten vier Kinder, von denen inzwischen die Älteste, Almira, einem braven Erit ihre Hand gegeben hatte und nach Weststadt gezogen war. Til, der älteste Sohn, war seit zwei Jahren außer Haus. Man hatte ihn nach Nordhausen verdingt, damit er dort das ehrbare Schmiedehandwerk erlerne. Der junge Erit hatte starke Muskeln, und seine Eltern waren stolz auf ihn. Er liebte die Mutter über alles, deshalb war ihm der Abschied vom Elternhaus sehr schwer gefallen. Aber der Vater hatte auf der Abreise bestanden. Er wollte den Sohn von den Rockschößen der Mutter lösen. Der Wind der weiten Welt sollte ihm ein wenig um die Nase wehen. Außerdem galt der Schmied in Nordhausen als der beste im ganzen Heimland. Es war eine Ehre von Meister Schwarzfuß ausgebildet zu werden. Noch immer schrieb Til regelmäßig jede Woche drei Briefe an die Mutter, die jedoch immer kürzer wurden, seit er ein Mädchen namens Kirschlocke kennen gelernt hatte.

    Marc und Pet wohnten noch daheim. Marc war unstet und streifte oft tagelang durchs Heimland, aber Mog mochte seinen Sohn und ließ ihn gewähren.

    Pet, der Jüngste, war in die Fußstapfen seines Vaters getreten und erlernte die Gärtnerei. Er war ein lustiger Bursche, aber häufig krank.

    Der Sommer und die Ernte waren im Heimland gut gewesen. Das konnte man von den Nachrichten, die von außen ins Land kamen, nicht behaupten. Im fernen Whyten war der König gestorben. Überall in Centratur und an den Grenzen war Aufruhr ausgebrochen. Es hieß, längst vergessene Gestalten, die man bereits ins Reich der Fabel verwiesen hatte, seien wieder aufgetaucht. Sogar von Orokòr war die Rede. Noch war im Heimland wenig davon zu merken, und so behandelte man die Gerüchte als spannende, wenn auch etwas gruselige Abwechslung im gleichförmigen Alltag. Aber die Alten, die sich noch an die schlimmen Zeiten des Großen Krieges erinnerten, hoben mahnend ihre Finger.

    Im ‚Hirsch’, der alten Gaststätte an der Mühlendorfer Straße, wurde wie an jedem Abend heiß debattiert. Da schlugen die Gäste mit den Fäusten auf die Tische, dass das Bier überschwappte, und riefen, die Strolche sollten nur kommen, denen werde man es schon zeigen. Man habe keine Angst vor den großen Leuten. Im Heimland gebe es schließlich noch Männer. Andere beklagten sich, dass sich alles zum Schlechten verändere; früher sei alles viel besser gewesen. Nun sei man im Heimland seines Lebens nicht mehr sicher. Dagegen müsse etwas unternommen werden. An allem seien, sagten Dritte, nur die Fremden Schuld, die man jetzt aller Orten antreffe. Besonders die Flüchtlinge sollten besser schon an der Grenze abgefangen und zurückgeschickt werden. Die Behörden müssten sofort und härter durchgreifen. Furcht vor irgendwelchen Feinden, darin waren sich alle einig, habe man natürlich nicht. Die Eritmänner hätten in aller Welt einen so abschreckenden Ruf, dass sich Schurken nicht über die Grenzen des Heimlands wagen würden.

    Mog saß nachdenklich in der Ecke neben dem Kamin, trank sein Bier und schüttelte hin und wieder unwillig den Kopf über das wirre Gerede. Ihn störten nicht die Widersprüche und auch nicht die Angebereien, aber er wusste aus eigener Erfahrung um die Gefahren, die jenseits der Grenzen lauerten. Dort gab es Wesen, die so mächtig waren, dass es sich diese Zecher nicht einmal vorstellen konnten.

    Zu allem Unglück war das Heimland in diesen unsicheren Zeiten ohne Schutz. Die beiden vom König eingesetzten Herren waren zu den Beerdigungsfeierlichkeiten ins ferne Whyten gezogen. Sie hatten das Heimland ohne Sorgen verlassen, denn es war abgelegen und schien ihnen deshalb sicher. Im Vertrauen darauf hatten sie Vorsorge für unnötig gehalten und niemanden ausdrücklich mit der Verteidigung des Landes beauftragt. So waren die Grenzen unbewacht. Die zurückgebliebenen Soldaten der Grafen, die besten hatten sie mit auf die Reise nach Whyten genommen, waren ohne Führung kaum zu gebrauchen. Die Bürger des Landes blieben auf sich selbst gestellt.

    Mog war froh, dass er handfeste Söhne hatte, auf die er sich verlassen konnte. Zudem gab es noch den alten Schmalried, der in Blumendorf wohnte. Er war ein Freund und hatte das Herz auf dem rechten Fleck. Hin und wieder besuchte ihn dieser auf Gutruh. Dann saßen die beiden in dem kleinen Zimmer mit dem großen Kamin. Sie schauten durch das Fenster in den Garten, der noch immer der schönste im ganzen Heimland war, und erzählten von alten Zeiten. Wenn die Rede auf seine alten Freunde Til und Aramar kam, traten Mog regelmäßig die Tränen in die Augen. Er sehnte sich nach den Gefährten früherer Jahre. Bei Sonnenuntergang holte Mog in der Regel einen Krug Wein aus dem Keller, den sie genüsslich tranken. Spät in der Nacht setzte sich Schmalried dann auf seinen Wagen und kutschierte über einen dunklen Hohlweg nach Hause. Das Pferd musste dabei den Weg alleine finden.

    Auf Schmalried konnte man zwar zählen, dachte sich Mog, aber er war vom Alter gezeichnet. Er würde nicht mehr zu Knüppel und Lanze greifen, selbst wenn Not am Mann war.

    Der Bauer Pflugmann, der werktags wie sonntags in seiner alten Arbeitshose und mit lehmigen Schuhen herumlief, ergriff das Wort. Sein Hof lag östlich von Gutruh in der Nähe der Mühle. Gewöhnlich erzählte er jedem, wie schlecht die Zeiten und die Ernten waren, und dass ein armer Bauer einfach kein Auskommen mehr hatte, mochte er auch noch so

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