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Frauen und Vertreibung: Zeitzeuginnen berichten
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eBook242 Seiten3 Stunden

Frauen und Vertreibung: Zeitzeuginnen berichten

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Über dieses E-Book

Frauen erinnern sich an ihren Leidensweg zu Kriegsende: Es ist der radikal subjektive Ansatz dieser "Oral-History", mit der die Herausgeberin in den USA so große Resonanz erzielte. Die gebürtige Deutsche Brigitte Neary läßt Frauen aus Schlesien und Ostpreußen, Rußlanddeutsche, Donauschwäbinnen und viele andere zu Wort kommen.
SpracheDeutsch
HerausgeberAres Verlag
Erscheinungsdatum28. Feb. 2014
ISBN9783902732255
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    Buchvorschau

    Frauen und Vertreibung - Ares Verlag

    abgekürzt.

    OSTPREUSSEN:

    WIR WAREN UNS SELBST

    ÜBERLASSEN

    Dr. Ingeborg Nielsen-Franke

    Jahrgang 1920, mußte mit 25 Jahren vor den Russen aus Königsberg/Ostpreußen fliehen und wurde bis 1948 in einem sibirischen Arbeitslager interniert. Sie berichtete über ihre Erlebnisse am 31. Mai 1998 im Alter von 78 Jahren in Wasserburg-Hege (Baden-Württemberg).

    Ich bin in Königsberg geboren, als dänische Staatsbürgerin, weil mein Vater Diplomat war. 1937 habe ich in Königsberg Abitur gemacht. Mein Vater war bis 1938 Botschafter in Leningrad. Dann sind wir zurück nach Kopenhagen, wo ich mein dänisches Abitur gemacht habe. Ich bin eigentlich mit beiden Kulturen sozusagen aufgewachsen. Danach sind wir wieder nach Königsberg. Ich habe in Königsberg studiert und bin Volkswirt. In erster Ehe, Anfang 1942, bin ich mit einem Deutschen verheiratet gewesen, der sofort in der Nähe von Smolensk gefallen ist. Meine Eltern waren natürlich über die Ehe nicht glücklich, weil Dänemark 1940 besetzt worden ist, aber wo die Liebe hinfällt, konnten sie auch nichts machen.

    Unsere Flucht begann am 27. Januar 1945. Meine Mutter war gerade 60 Jahre alt, und ich selbst war 25 Jahre alt. Mein Vater war bereits weg, und ich bin mit Freunden in Richtung Pillau (heute Baltijsk) mit meiner Mutter geflohen. Dort war ein Schiff von den Schweden für uns gechartert, auf dem sämtliche Skandinavier nach Schweden gebracht werden sollten. Aber leider haben wir das Ziel nie erreicht. Wir sind gar nicht bis zum Schiff gekommen, weil wir nicht nach Pillau kamen. Wir sind davor in Groß-Heidekrug schon am zweiten Fluchttag von der Roten Armee überfallen worden. Meine Mutter war kränklich und hat es nicht geschafft. Wir wollten sie mit dem Flugzeug herausbringen oder mit dem Schiff, aber das ging nicht mehr. Wie das Schicksal so spielt, sind wir immer in der Schußlinie gewesen, entweder in Reichweite der deutschen oder der russischen Linien. Wir wurden eigentlich immer im Zickzack vorangetrieben, aber irgendwie immer in Gefechtsnähe.

    Es waren schon viele geflohen, viele Flüchtlinge waren mit den Trecks unterwegs. Wir sind den ersten Russen in Groß-Heidekrug begegnet, das war am 29. Januar 1945. Das war eine Vorhut Rotarmisten, die sehr diszipliniert war und uns nichts getan hat; aber die zweite rollende Welle, die war anders! Wie ich mich erinnern kann, kam dann eigentlich der „böse Wolf", damit sind die russischen Truppen gemeint, die geplündert und vergewaltigt haben. Wir wurden in Scheunen untergebracht, wurden sozusagen ausgenommen, sie nannten es registrieren. Uns wurden alle Wertsachen und Papiere abgenommen, wir bekamen dafür aber keine Empfangsbescheinigung. Somit waren auch meine beiden Pässe, nicht nur der deutsche, sondern auch der dänische Paß, weg. Wir wurden bis Ostern, das war der 4. April 1945, immer wieder in andere Lager verlegt. Dann wurden wir plötzlich getrennt, in Arbeitsfähige und in diejenigen, die nicht mehr arbeiten konnten.

    Ich wurde also von meiner Mutter getrennt, die im Juni 1945 verstorben sein soll. Das haben wir aber erst Anfang 1951 über das Rote Kreuz erfahren. Da konnte man Anträge stellen, über den Rücktransport. Es ging ja alles über das Rote Kreuz. Da ist dann von einer Frau eine Aussage gemacht worden, die miterlebt hatte, daß meine Mutter gestorben ist und auch beerdigt wurde.

    Meine Mutter blieb also in dem Lager, und wir wurden in Viehwaggons nach Tscheljabinsk nach Sibirien gebracht. Dort habe ich bis Ende Dezember 1948 im Lager gearbeitet. Dann wurde ich entlassen, auf Grund der vielen Krankheiten, die ich hatte: Diarrhöe und an der Lunge was, also Tuberkulose, damit war ich wirklich nicht mehr arbeitsfähig. Wir bekamen an Medikamenten nur Kampferspritzen, es wurde alles mit Kampfer behandelt. Durch den Kampfer wurde man doch ein bißchen verrückt. Also man mußte schon zusehen, daß man davon verschont blieb. Aber andere Medikamente gab es sonst nicht.

    Wir waren in der Unterkunft der ehemaligen „Räuberdeutschen" (von der Wolga deportierte Volksdeutsche, A. d. R.) untergebracht. Als wir ankamen, kamen diese in feste Häuser hinein, und wir kamen in die Erdbauten. Wir waren immer zu Hundert in solchen Bunkern. Da war ein großer Raum und darin Etagen, über drei Etagen waren die Betten. Da haben wir dann gehaust. Das war vergleichbar mit einem Konzentrationslager. Im Lager wurden wir den Umständen entsprechend gut behandelt, also da war nichts zu sagen, es war alles geordnet. Draußen hatten wir große Latrinenfelder, die Toiletten sozusagen auf dem offenen Acker. Das war ja gut so, sonst wären die Krankheiten ja noch größer gewesen.

    Flucht aus dem Osten, Januar/Februar 1945

    Wir haben acht Stunden im Bergwerk gearbeitet; mußten 200 Meter tief einfahren und haben dann die Kohle raufgeschaufelt auf die Waggons. Aber alle Achtung, die russischen Frauen haben uns geholfen. Das sind Arbeitstiere. Danach mußten wir noch auf die Felder, schwere Kannen schleppen und den Kohl gießen. Dabei haben wir Zwiebeln geklaut und davon gelebt. Also die Zwiebeln haben mich eigentlich am Leben gehalten. Wir wurden ernährt, bekamen Blechdosen und Suppe. In der Dose waren ein kleiner Fisch, ein Stockfisch, und ein paar Erbsen, weiter nichts. Es gab auch ein Schälchen Brei und einmal am Tag ungefähr 500 Gramm Brot. Wir waren froh, daß wir das noch hatten. Die Verpflegung wurde erst 1947 besser, da bekamen wir auch Käse dazu. Das war ein Hochgenuß!

    Von den hundert Menschen, die dort interniert waren, wurde dann eine Person ausgewählt, und darunter war auch ich selbst, die dafür zu sorgen hatte, daß das, was wir an Wertgegenständen noch hatten, abgeliefert werden sollte. Ich habe mich aber geweigert, denn wie komme ich dazu, Leuten etwas abzunehmen, was mir nicht gehört. Ich habe ihnen empfohlen, es in ihre Mäntel einzunähen. Ich bin aber verraten worden und habe dann fast einen Monat lang Stockschläge dafür gekriegt. Da ist mir mein ganzer Rücken kaputtgemacht worden. Jeden Tag wurde ich geschlagen. Wieviel ich eigentlich bekommen habe, weiß ich nicht mehr, ich bin immer ohnmächtig geworden, denn die Kraft hatte man ja nicht. Ich war stocksauer, daß man mir alle Papiere abgenommen hatte und kam mir vor wie ein wildes Menschentier. Wir hatten alle die Hoffnung, daß es vorübergeht und geklärt wird, denn wir waren ja in diesem Transport Franzosen, Belgier; alle Nationen gemischt. Es waren auch die dabei, die seinerzeit von den Deutschen zur Arbeit gezwungen worden waren. Dadurch kam Internationalität zusammen. Die Russen haben kassiert, was sie konnten, was halt arbeitsfähig war. Ob Freund oder Feind, das war denen ganz egal. Der Mensch war ja primitiv. Die Organisation war denen augenscheinlich über den Kopf gewachsen. Ich habe den Eindruck gehabt, daß ein Bewacher die Schrift des anderen gar nicht lesen konnte, vielleicht konnten sie ja überhaupt nicht lesen. Die Nationalitäten in der Sowjetunion sind ja da noch unterschiedlicher. Ich habe auch Eingaben nach Moskau geschrieben. Man konnte dort an die Botschaft schreiben, aber es hat nichts geholfen. Die Schreiben sind sicher nie abgeschickt worden!

    Vor allen Dingen hatten wir sehr schwer unter den Polen zu leiden. Die haben in der Küche arbeiten dürfen, schon wegen der Sprachkenntnisse, und dadurch wurden wir noch schlechter behandelt. Wer mich verraten hat seinerzeit, daß ich die Prügelstrafe bekommen habe, das weiß ich nicht. Das will ich auch nicht mehr wissen. Hat mich damals nicht interessiert, und der wurde auch nicht glücklich damit.

    Das schwerste war, sich sauber zu halten, die Hygiene. Draußen, neben den Latrinen, haben sie so eine Art Bottich aufgestellt, wo wir unsere Kleidung durchwaschen konnten. Fragen sie nicht, wie das aussah! Und vor allen Dingen: Dadurch, daß wir so entkräftet waren, hatten wir ja keine Periode. Das macht die Natur von selbst. Das habe ich erst wieder bekommen, als ich ein gutes Jahr wieder in Deutschland war.

    Im Lager war ich auf mich alleine gestellt, damit ich die Kraft behalte, weil man doch immer wieder gesehen hat, daß der eine wegstirbt und dann noch einer nebenan oder der übernächste. Es war doch die Angst zu überleben. Als ich von meiner Mutter getrennt wurde, hatte ich um alles Angst. Man hatte gesagt, es geht nach Rußland. Ich sage mir immer, damals war ich noch so jung, 25 Jahre alt, Verstand hatte man auch, und man hatte den Lebenswillen. Wenn man das alles nachträglich jetzt registriert, da haben die Russen wirklich alles gebraucht, was zur Arbeit taugte. Die eigenen Männer waren zum Teil ja auch gefallen. 1941 sind die ersten in den Krieg gegangen. Es war ja eigentlich ein unglaubliches Schicksal für die ganze Welt, als die Deutschen 1941 die Sowjetunion angriffen.

    Die Sterblichkeit im Lager war leider sehr, sehr groß. Die Leute, die vom Land kamen, waren ja gut ernährt und haben dann auf einmal dieses karge Essen bekommen. Das haben viele nicht verkraftet. Als Städter war man doch bescheidener durch die kleinen Zulagen, die wir zuletzt bekommen hatten. Im Lager brauchte keiner zu hungern, doch durch die schwere Arbeit war die Sterblichkeit sehr groß. Im selben Ort war auch ein Kriegsgefangenenlager, aber wir kamen nie zusammen. Das habe ich aber erst später von meinem Frauenarzt erfahren, der war im selben Ort, zur gleichen Zeit.

    Wenn man acht Stunden unter Tage sitzt und arbeitet und dann noch mal auf dem Lastwagen aufs Feld fährt, war man wirklich erschöpft und fertig. Obwohl ich Schläge bekam, mußte ich mit zur Arbeit. Die Männer, die uns bewachten, schliefen auf den Simsen und haben sich nicht gekümmert, aber die russischen Frauen, die uns da zu betreuen hatten, haben gearbeitet, alle Achtung. Die haben uns beschützt. Ich habe manchen Tag einfach nur in der Ecke sitzen können, weil ich so entkräftet von den Schlägen war. Die Frauen haben einfach so getan, als ob sie mich nicht sehen. Dann, Ende 1948, bin ich im Dezember mit dem Transport nach Frankfurt/Oder gekommen. Das war geradezu ein vornehmer Zug, mit Pritschen und Leintüchern, ganz anders als der, mit dem wir hingefahren sind. Auf der Hinfahrt stand ein Teil der Zwangsdeportierten, ein Teil lag, und ein Teil hat in den Viehwaggons in der Hocke gesessen. Wir waren damals vom 6. April bis 26. oder 27. April unterwegs. Wir mußten immer anhalten und die Toten herausnehmen oder diejenigen, die nicht mehr konnten. Die Russen haben alle entkräfteten Leute einfach rausgeworfen aus den Waggons. Am 20. April sind wir in Moskau gewesen, das weiß ich noch, und da haben sie nachts in die Waggons hineingeschossen, damit sie nicht mehr so viele zu versorgen hatten. Einfach in die offenen Waggons reingeschossen, das war sehr schlimm, und ich muß sagen, ich habe einen Schutzengel gehabt.

    1948 bin ich dann nach Frankfurt/Oder und von dort nach Berlin, wo wir ausgeladen worden sind. Ich bin in einen Bunker gekommen und wußte nicht, was ich machen sollte, und da hat mich ein deutscher Offizier angesprochen, und der hat dann auf mich eingeredet und gemeint, ich sollte Krankenschwester werden. Ich kann viel machen, aber das habe ich nicht gelernt. Er muß so auf mich eingeredet haben und dann erst gesehen haben, daß ich so schwach war. Er wollte mich rausholen; ich wollte ja in den Westen und habe es auch geschafft. Ich bin zur englischen Besatzung gekommen und habe meinen Wunsch einem englischen Offizier vorgetragen. Dann wurde ein Formular ausgefüllt, das ich unterschrieben habe, und so konnte ich in den Westen, nach Neustadt ins Holsteinische, gehen. Am letzten Tag bin ich im Zug zusammengebrochen und wurde ins Krankenhaus gebracht. In dem Krankenhaus waren noch überlebende Häftlinge der „Cap Arcona (Schiff mit KZ-Häftlingen, das am 3. Mai 1945 von der Royal Air Force versenkt wurde, A. d. R.). Der englische und der deutsche Arzt haben gesagt: „Ja, ist doch egal, woher Menschen kommen, krank ist krank. Ob so ein Häftling oder so ein Häftling. Ich wurde untergebracht und weiß noch, wie ich durchgedreht bin, denn ich bekam nur Haferschleim und lag mit zwei jüdischen Frauen in einem Zimmer, die gutes Essen bekamen. Die Krankenschwestern sagten, jeder habe ein Recht auf gutes Essen. Ich habe den Frauen das Essen heruntergerissen, denn ich habe nicht verstanden, daß sie mich erst aufpäppeln mußten, weil ich so ausgehungert war. Wenn ich auch so ein gutes Essen bekommen hätte, wäre ich wahrscheinlich gestorben, jedenfalls nicht gesund geworden; das konnte ich aber an diesem Abend überhaupt nicht verstehen.

    Ich habe dann eine Nachricht für meine Tante, die Schwester meines Vaters hinterlassen. Sie lebte in Flensburg und war Redakteurin bei einer dänischen Zeitung. Sie hatte meinen Vater dann erreicht, und er ist mit einem englischen Offizier nach Neustadt gekommen und mußte mir wieder neue Papiere mitbringen, denn ich hatte ja keine Pässe mehr, um mich ausweisen zu können. Mein Vater war schockiert, als er mich sah; ich war ganz geschoren und hatte keine Haare. Ich bin dann mit meinem Vater nach Kopenhagen geflogen. Da haben mich die Ärzte erst einmal ruhiggestellt und alle physischen Erkrankungen behandelt. Dadurch, daß ich mindestens zwei Jahre vor lauter Kummer nicht gesprochen hatte, meinten sie, daß ich auch psychisch krank sei. Das war gut so, denn dann kam der Redefluß. Wenn ich zurückdenke, hätte ich auch gerne russisch gelernt, aber es ging nicht.

    Ich bin von einem Krankenhaus ins andere, schließlich von Kopenhagen nach Hamburg gebracht worden. Dort haben sie meine Malaria ausgeheilt. Sämtliche Krankheiten muß ich gehabt haben. Da habe ich wieder zugenommen und mich körperlich stabilisiert und konnte nach Flensburg zurück.

    1952 bin ich hier nach Süddeutschland gekommen, durch meinen Vater, der seinen Studienfreund hier unten am Bodensee hatte, der in der Direktion einer Zahnradfabrik in Friedrichshafen gearbeitet hatte. Franke war ein Freund aus der Studienzeit meines Vaters in Breslau, da haben sie sich kennengelernt. Da hatte ich mich in Meersburg einquartiert und bin dann nach Friedrichshafen gefahren und zur Polizei gegangen und habe erfahren, wo die Familie Franke wohnt. Auch habe ich erfahren, daß sie nicht mehr in der Fabrik waren, sondern ihr eigenes Geschäft aufgemacht hatten. Da bin ich dann hin, und es standen zwei Herren hinterm Verkaufstisch, einer war groß und jung und der andere älter und klein. Da habe ich den kleineren Herrn angesprochen und habe gefragt, ob er sich an Kai Nielsen erinnern konnte. Da war er natürlich sprachlos, als ich mich dann als dessen Tochter entpuppt hatte. Er hatte gerade sechs Wochen vorher durch einen Verkehrsunfall seine Frau verloren. Er war 35 Jahre älter als ich, und ich bin hierher gekommen und habe ihn geheiratet. Ich mußte aber das Versprechen meines Vaters erfüllen, daß ich berufstätig bleibe. 27 Jahre lang habe ich als Managerin in einem Hotel in Friedrichshafen gearbeitet. 1968 bin ich zum zweiten Mal Witwe geworden. Aber wir hatten eine sehr gute Zeit zusammen. Danach war ich noch mehr im Geschäft als zu Hause. Es macht wirklich viel aus, wenn man mit der Jugend zusammen arbeitet.

    Seit 1980 bin ich hier im Ruhestand. Ich bin ein Einzelkind. Das macht sich jetzt im Alter bemerkbar. Ich wohne jetzt in einer schönen Seniorenanlage, habe einen kleinen Bungalow, und jeden morgen kurz nach acht Uhr steht die Schwester vor der Tür. Ich habe durch meine Zuckerkrankheit offene Beine bekommen und offene Stellen am Körper; sie reibt mich dann ein. Wegen der Zuckerkrankheit kann ich jetzt so schlecht gehen. Die Krankheit ist ganz plötzlich letztes Jahr im August gekommen. Die Woche war mir ganz schlecht, und ich habe mich ins Auto gesetzt und bin noch selbst zum Arzt gefahren. Ich mußte mit Koma ins Krankenhaus, da haben sie sämtliche Akten studiert. Ich habe auch noch einen Tumor, der nicht operiert werden kann. Aber durch die Chemotherapie schaffe ich das doch ganz gut. Den Krebs habe ich noch im Griff. Dadurch muß ich alle 14 Tage zum Blutabnehmen. Da haben wir die ganzen Akten nochmals gewälzt, aber da war nichts mehr.

    Das muß ich sagen, ich hatte noch einen lieben Freundeskreis in Königsberg, weil ich dort 1937 mein Abitur gemacht und studiert hatte, aber mein Zuhause ist jetzt eigentlich hier.

    Betty Haupt

    Jahrgang 1932, versuchte im Alter von 13 Jahren mit ihrer Familie aus ihrem Heimatort Stombeck, Kreis Königsberg/Ostpreußen, vor der Roten Armee zu entfliehen. 16jährig wurde sie 1948 aus Ostpreußen ausgewiesen. Sie berichtete am 29. Januar 2008 im Alter von 76 Jahren über ihre Erlebnisse.

    Ich bin am 12. Januar 1932 in Stombeck, Kreis Königsberg in Ostpreußen, geboren. Meine Eltern betrieben eine Land- und Gastwirtschaft. Es wurden noch zwei Brüder, 1934 und 1939, geboren. Gemeinsam mit den Großeltern väterlicherseits haben wir auf diesem Hof gelebt. Schon die Urgroßeltern väterlicherseits haben auf diesem Hof gelebt. Vom sechsten bis zum zehnten Lebensjahr besuchte ich die Grundschule im Nachbardorf Willheim. Danach kam ich in eine private Mädchenschule nach Königsberg (1942–1945) und wohnte dort bei liebevollen Pflegeeltern.

    Vom Krieg merkten wir erst 1944 etwas, als Königsberg bombardiert und im Sommer von zwei Bombenangriffen zerstört wurde. Die Schule fiel kurz aus, blieb aber unversehrt, und der Unterricht ging weiter. Die Ereignisse des Krieges spitzten sich zu. Im Oktober 1944 bekamen wir die ersten Flüchtlinge von der Grenze. Es war uns verboten, Haus und Hof zu verlassen. Mitte Januar 1945 wurde die Front schon hörbar.

    Mein Vater war Soldat in Frankreich. Meine Mutter hat einen Leiterwagen mit einem Lattengerüst ausstatten lassen und hat ein großes Segel der Fischer darüber gebunden. „Die Obrigkeit" war längst mit dem Flugzeug weg. Wir waren uns selbst überlassen. Mein Opa, 68 Jahre alt, rief uns per

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