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Du, mein geliebter "Russe": Eine deutsch-deutsche Liebesgeschichte
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Du, mein geliebter "Russe": Eine deutsch-deutsche Liebesgeschichte
eBook228 Seiten2 Stunden

Du, mein geliebter "Russe": Eine deutsch-deutsche Liebesgeschichte

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Über dieses E-Book

Über 75 Jahre liegt der letzte Weltkrieg schon zurück, doch nicht alle Wunden sind verheilt, nicht alle Opfer betrauert.
Der Krieg hatte die Leben vieler junger Menschen unbarmherzig niedergewalzt und zermalmt, darunter auch die der blutjungen Deutschen in der Ukraine, die mit dem Einmarsch der deutschen Truppen als sogenannte Volksdeutsche zur Wehrmacht einberufen, an die Front geschickt wurden und nach Kriegsende mit entsprechenden Konsequenzen den Sowjets in die Hände gefallen waren.
Als Opfer zweier verbrecherischer Systeme – des Hitlerregimes und der Stalindiktatur – mussten sie die Schuld Hitlerdeutschlands bis in ihre letzten Tage sühnen, sie und ihre Kinder.
Die Lost Generation der Russlanddeutschen? Zweifelsohne.
Arthur Gerbers Schicksal ist nur eines von vielen, aber es ist beispielhaft für Tausende von jungen Russlanddeutschen, die von der Kriegsmaschinerie zermalmt wurden.
Arthur ist kein Täter, er ist ein Opfer seiner Zeit, der böswilligen Kräfte, die willkürlich über Menschenschicksale entschieden. Er hat seine Liebe nicht verraten, hat sie in seinem Herzen bewahrt und durch sein ganzes Leben getragen, aber er hat versucht zu überleben – unter unvorstellbar schwierigen Bedingungen. Und dieser Versuch forderte seinen Preis.
Wer in die Versuchung kommen sollte, ihn zu verurteilen, der stelle sich selbst die Frage, wie er unter diesen Umständen gehandelt hätte, und gebe darauf eine ehrliche Antwort.
Der einzige Halt für die Deutschen in Russland war ihr Deutschtum, und man sollte nicht voreilig den Stab über meine Helden brechen: Der Erhalt des Deutschtums, und zwar nicht nur in Russland, sondern in der ganzen Welt, hängt einzig und allein davon ab, wie fest man an seiner Herkunft, am Glauben seiner Ahnen, an den Traditionen festhält. Hätten wir es nicht getan, wären wir zu Russen, Tataren, Kasachen, Kirgisen etc. geworden. So aber sind wir geblieben, was wir immer waren – schlicht und ergreifend Deutsche.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum20. Sept. 2020
ISBN9783961360864
Du, mein geliebter "Russe": Eine deutsch-deutsche Liebesgeschichte

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    Buchvorschau

    Du, mein geliebter "Russe" - Nelli Kossko

    Auf der Straße des Todes

    1947. Straflager Sussuman/Sowjetunion

    „Na ihr, Fritzen, wer von euch kann Russisch? Der junge Leutnant schaute sich grinsend die Reihen der Kriegsgefangenen auf dem Appellplatz des Lagers an und wartete gelangweilt ab. Die „Fritzen, fast allesamt russlanddeutsche Jungs, die nach dem Einmarsch der Deutschen in die Ukraine im Zweiten Weltkrieg zur Wehrmacht eingezogen worden und nach Kriegsende in Gefangenschaft geraten waren, ahnten Böses. Was sollte die Frage? Klar, konnten die meisten mehr oder weniger Russisch radebrechen, sie hatten ja Russisch auch als Fach in der Schule gehabt, einige hatten auch schon an der Universität in Odessa studiert. Außerdem waren die deutschen Kolonien von russischen und ukrainischen Dörfern umgeben, da konnte doch fast jeder Deutsche ein paar Brocken Russisch oder Ukrainisch. Aber war es auch ratsam, das jetzt zuzugeben?

    „Sollten wir uns vielleicht melden? Hans Malsam bewegte kaum die Lippen, als er seinem Freund, Arthur Gerber, diese Frage zuflüsterte. „Kei-nes-falls!, zischte Arthur zurück, „dann bringen die uns womöglich sofort in den Hinterhof, wo bestimmt schon das Erschießungskommando auf uns wartet!"

    „Leute, ich melde mich, kam es halblaut aus der Reihe hinter ihnen. „Sollen die mich abknallen, ist immer noch besser, als das tagtägliche elende Krepieren hier, das uns bevorsteht … Die Stimme wurde lauter, und ein Junge trat vor und verkündete: „Ich kann Ukrainisch! „Bravo, Molodez!, grinste der Offizier zufrieden und klopfte ihm gönnerhaft auf die Schulter. „Wer noch so intelligent ist, nach vorn mit euch, los, aber dalli!" Sein prüfender Blick tastete die Reihen der Häftlinge ab.

    „Du, ich melde mich auch, meinte Hans, an Arthur gewandt, „schlimmer kann´s doch nicht werden!

    „Halt, du Hammel! Lass uns abwarten, mach doch keine Dummheiten, versuchte Arthur, seinen Freund vor dem, wie er meinte, Schlimmsten zu bewahren, aber der war schon nach vorn getreten und meldete sich gerade beim Leutnant: „Ich kann Russisch.

    Arthur war außer sich, sah seinen Freund ins Verderben rennen, wollte ihn aber nicht im Stich lassen. So schrie er verzweifelt, bevor ihm andere zuvorkommen konnten, aus vollem Halse: „Ich auch! Ich kann auch Russisch!" und stürmte nach vorn zu seinem Freund.

    In die Reihen der Gefangenen kam Bewegung, nun wollten sich viele melden, doch der Leutnant hob die Hand: „Stop! Dann fragte er, zu Arthur gewandt: „Dein Freund? und kommentierte nachdenklich, ohne eine Antwort abzuwarten: „Wahre Freundschaft ist Gold wert! Ich schätze das sehr! Und weil ihr so treue Freunde seid, dürft ihr auch zusammenbleiben! „Oder zusammen sterben, raunte es auf Deutsch aus den hinteren Reihen.

    Dann brüllte der Leutnant mit einer schneidigen Stimme, die gerade noch fast warm geklungen hatte, schrille Befehle in die eisige Luft: „Achtung! Stillgestanden! Und Marsch-Marsch! – in die Unterkünfte!"

    Die graue Masse der Gefangenen beeilte sich wegzukommen, strebte auseinander und strömte in alle Richtungen, um dann wie Sand in den Baracken zu versickern. Zurück blieben der Leutnant mit seinen Soldaten und die drei Freiwilligen. Das kleine Grüppchen strebte dem Lagertor entgegen, allen voran der Leutnant, gut eingepackt in einen langen warmen Schafspelz und Filzstiefel, ihm folgten die drei Gefangenen in zerlumpter Wehrmachtsuniform mit zerschlissenen Decken um die Schultern und ungeheuerlicher Fußbekleidung sowie einer Kopfbedeckung aus alten Lappen, die ans Absurde grenzte. Die Jungs bewegten sich nur mit größter Mühe fort, hatten Schwierigkeiten, dem starken eisigen Wind standzuhalten, der gnadenlos auf sie einpeitschte, und kamen durch die dünne Luft außer Atem, die in diesen Breiten bei 45-50 und mehr Grad Minus keine Seltenheit war. Von den Wachsoldaten, die hinter ihnen marschierten und sie im Visier ihrer Maschinenpistolen hielten, und deren Wachhunden nahmen sie keine Notiz – Gewöhnungssache: Hunde gehörten wie auch das Tor, dem sich die kleine Gruppe näherte, schon seit nunmehr drei Jahren zu ihrem Alltag.

    Das Tor des Lagers, das mit dreifachem Stacheldraht umzäunt und mit zahlreichen Wachtürmen bestückt war, dieses Tor in die freie Welt, wie man meinen könnte, war den dreien hinlänglich bekannt. Jeden Morgen schlängelte sich hier eine endlose Raupe von Hunderten vermummter Gestalten hindurch, die sich in Begleitung von Wachhunden und Soldaten langsam in Richtung Goldmine wälzte und dann von ihr geschluckt wurde, um am späten Abend, ausgemergelt und kraftlos, wieder ausgespuckt zu werden. Was erwartete sie wohl heute dahinter?

    „Nun, was bringst du uns diesmal vorbei?" Der Mann hinter dem Fensterchen der Durchgangsstelle am Tor blätterte gutgelaunt in den Papieren, die ihm der Leutnant durchgereicht hatte.

    „Das heißt nicht ‚was‘, sondern ‚wen‘", korrigierte ihn dieser mürrisch, worauf der Spaßvogel hinter der Glasscheibe zu bedenken gab:

    „Das sind doch keine Menschen, die Bestien hier, diese Deutschen." Und, an die Jungs gewandt, meinte er höhnisch:

    „Euch blüht, wie ich ahne, eine schöne Überraschung, das habt ihr auch verdient – alle, bis auf den letzten Deutschen werden wir ausmerzen! Ich werde vor Lachen verrecken, wenn ich den letzten Deutschen hängen sehe!"

    Der verdutzte Leutnant riss ihm fast die Papiere aus der Hand: „Du hast wohl heute nicht genug gesoffen, he?" Dann befahl er seinem Trupp weiterzugehen.

    Am Gebäude der Verwaltung blieben sie erneut stehen, und die Soldaten meldeten sich beim Offizier ab. Von quälender Ungewissheit und zermürbender Angst hin- und hergerissen, traten die Häftlinge aus der grimmigen Kälte durch die offene Tür und glaubten, im Paradies gelandet zu sein. Diese Wärme …, die behagliche, wohltuende Wärme, in die die vermummten Gestalten so unerwartet eintauchten, trieb ihnen Tränen in die Augen, die sie am liebsten geschlossen gehalten hätten, damit der Spuk nicht verrauchte.

    Doch nein, der Leutnant meldete seinem Vorgesetzten, er wäre zur Stelle und wolle Meldung erstatten: Er hätte den ihm aufgetragenen Befehl ausgeführt und die Freiwilligen zugestellt.

    Eine Zeit lang passierte gar nichts, doch den „zugestellten Freiwilligen" war dies mehr als recht: Mit der behaglichen Wärme, ja, Hitze im Raum kehrte wieder Leben in ihre ausgemergelten, steifen Körper zurück, sie tauten auf, lächelten einander zögernd an, und auf ihren Gesichtern stand mit riesigen Lettern die zaghafte Frage geschrieben: Vielleicht ist doch alles nicht so schlimm? Sie wollten daran glauben, o Gott, wie gern sie doch daran glauben wollten! Ein ganz schwaches Gefühl der Geborgenheit keimte in ihnen, langsam und zögernd, ein kleines Flämmchen Hoffnung loderte auf, sie aber verschlossen sich mit aller Gewalt dieser Versuchung, denn zu oft waren sie heimtückisch betrogen, aufs Eis geführt, verraten und verkauft worden.

    Arthur hätte ein Lied davon singen können, ein langes, trauriges Lied. „Aber jetzt, jetzt nicht daran denken!" Er nahm sich zusammen und wischte sich verstohlen das Nass aus den Augen. Sein Blick fiel auf Hans und den neuen Kumpel, der sich zuvor als Robert vorgestellt hatte. Auch sie saßen da wie bestellt und nicht abgeholt, wussten nicht, wie ihnen geschah, rätselten ganz bestimmt darüber, was das alles zu bedeuten hatte und bangten der nächsten Stunde entgegen.

    Diese schlug auch schon bald, als aus einem der Zimmer ein untersetzter Uniformierter, ein Oberst, herauskam, der ihre Namen aufrief, einen nach dem anderen: „Gerber! Malsam! Hermann!" Die Jungs sprangen auf und starrten den Bulligen an, als hinge ihr Leben von ihm ab. In gewisser Weise war es auch so, und der Bullige kostete seine Macht über die Häftlinge in seinem Lager auch gern voll und ganz aus. Jetzt aber hatte er es eilig: Aus der Hauptverwaltung des Gulag in Magadan war der Befehl eingetroffen, wegen des Fachkräftemangels Häftlinge mit Abitur auszusortieren und zu Ausbildungslehrgängen in die Zentrale zu schicken. Man brauchte Standardisierer, Vermesser, Buchhalter, Facharbeiter in den Kraftwerken und Kohlegruben, auf den Goldfeldern und in den Uranminen.

    „So, und nun … Der Oberst legte eine längere Pause ein und schaute auf seine Uhr am Handgelenk. „In einer Stunde kommt der Laster, der euch nach Magadan bringt. Er sah die Häftlinge eine Weile unverwandt an und genoss sichtlich den Horror, der sich auf ihren erstarrten Gesichtern abzeichnete: Im Laster? 800 Kilometer weit? Bei Minus 45-50 Grad? Das war der sichere Tod durch Erfrieren!

    Doch dann ließ der Oberst Gnade walten: „Habt euch schon in die Hosen gemacht, wie? Halb so schlimm, die ganze Sache. Es ist ein Laster mit Deckplane und einem kleinen Kanonenofen drin, der unentwegt geheizt werden muss. Also wird es von euch abhängen, ob ihr in der weißen Einöde erfriert oder lebend in Magadan ankommt!" Er machte auf dem Absatz kehrt und verschwand hinter der Tür.

    Die drei sahen einander ratlos an – und nun? Sollte das ihr Ende sein? Oder vielleicht doch nicht? Würden sie diese Etappe ihrer unfreiwilligen Irrfahrt durch die aus den Fugen geratene Welt auch noch bewältigen können?

    Es gab praktisch wenig Chancen, aber auch keinen Ausweg, außer sich zu fügen und auf Gott zu vertrauen. „Amen!", sagte Robert plötzlich, als hätten alle drei das Gleiche gedacht und er damit einen Strich, einen dicken, fetten Strich, unter ihrem neuen unfreiwilligen Abenteuer ziehen wollen.

    „Leider, fuhr er traurig fort, „haben wir uns von unseren Kameraden nicht verabschieden können. Ob wir uns in diesem Leben je wiedersehen werden?

    Plötzlich hupte draußen ein Auto. Laut, schroff und ungeduldig. „Das könnte unser Laster sein! Hans lief zum Fenster: „Scheint so, der Fahrer fuchtelt wie wild mit den Armen, gibt Zeichen. Na, dann wollen wir mal, Leute. Und bringt eure Kleidung in Ordnung! Trotz des Ernstes der Lage mussten sie über den letzten Satz lachen, aber wo Hans recht hatte, hatte er recht: Ein Teil der Lappen musste fester um den Kopf gewickelt werden, der andere um die Füße, auch die Decken wollten gekonnt fest um die Schultern gelegt werden. Dann begab sich das Himmelfahrtskommando nach draußen und bestieg den Laster.

    Hier gab es einige Überraschungen: Der Ofen war angezündet und schon glühend heiß, in einer Ecke fanden sie Steinkohle in rauen Mengen, in der anderen Proviant in viel bescheideneren Mengen: jeweils ein Brot pro Person, 10 Salzheringe, eine Tüte mit Graupen, ein Säckchen voll getrockneter Kartoffeln und ein kleines Päckchen Salz. Ein Teekocher, drei Blechschüsseln und drei Aluminiumlöffel waren auch dabei.

    Alles in allem war es ziemlich zufriedenstellend: Wenn die Reise ohne unverhoffte Hindernisse verlief, würde sie mindestens drei Tage lang dauern, dann würden die Vorräte halbwegs reichen – man war ja nicht gerade verwöhnt worden in den letzten Jahren! Doch was, wenn etwas schiefging, und schiefgehen konnte vieles. Was dann? Es war hier keine Seltenheit, dass Menschen unterwegs wegen eines lächerlichen Motorschadens oder eines plötzlichen Erdrutsches erfroren, weil es keine Möglichkeit gab weiterzukommen.

    Die drei Häftlinge hatten leider keine Wahl, sich für oder gegen diese Reise zu entscheiden, und so fuhr der Laster nach dem Kommando „Auf geht’s!" vom Gelände des Lagers und nahm Kurs auf Magadan, die Hauptstadt des Planeten der Gefangenen.

    Die Reise führte über die einzige Straße, die berühmt-berüchtigte Kolyma-Fernstraße, auch „Straße des Todes oder „Straße der Knochen genannt, weil sie buchstäblich auf den Knochen von Tausenden und Abertausenden Gefangenen gebaut worden war. Wegen des Permafrosts und des sumpfigen Bodens konnten die Leichen der Gefangenen nicht ordentlich begraben werden, und so verscharrte man sie in der Straße und verlegte darauf anschließend die Fahrbahn.

    Der Laster quälte sich tagelang mühevoll durch die in Schnee und Eis eingeschweißte Gegend, versank in Schneewehen und wurde mit Hilfe der Fahrer von anderen Lastern wieder aus ihnen befreit, ratterte stur weiter, bis er dann, nach fünf Tagen am Ziel angelangt, seinen Geist aufgab. Aus dem Laster wurden drei Menschen geborgen – bewusstlos, mit starken Erfrierungen, beinahe verhungert.

    Im städtischen Krankenhaus versuchte man, die Häftlinge ins Leben zurückzuholen, doch bei einem versagten alle Mittel und Mühen: Robert starb am zweiten Tag nach der Ankunft in Magadan, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.

    „Ob wir uns je wiedersehen werden?" Auf diese seine Frage hatte er nun die Antwort erhalten: Für ihn gab es kein Wiedersehen, nie mehr und mit niemandem, weder mit seinen Kameraden im Lager noch mit den Eltern zu Hause, mit der Schwester, mit seinem Mädchen, mit allem, was ihm lieb und teuer gewesen war. Es blieb ihm nur noch die ewige Ruhe im eisigen Boden der Kolyma.

    Seine beiden Kameraden saßen mit gesenkten Köpfen schweigend an seinem Bett und nahmen Abschied.

    „Ist vielleicht auch besser so, meinte Arthur plötzlich nachdenklich, „ich würde mit ihm gerne tauschen, guck doch mal, wie entspannt, ja zufrieden sein Gesichtsausdruck ist … Es ist, als habe er das Schlimmste hinter sich gelassen und Frieden mit der Welt geschlossen, der Welt, in der man ihm so viel Unrecht angetan hat. „Du spinnst wohl! Hans sprang aufgebracht von der Bettkante auf. „Zugegeben, es gibt wenig Hoffnung darauf, dass wir lebend aus dieser Hölle herauskommen, ganz wenig, vielleicht nur ein einziges Prozent, aber immerhin – ein ganzes Prozent! Und das müssen wir uns zu eigen machen und ausnutzen, es bleibt uns in unserer Lage nichts anderes übrig … Da Arthur bedrückt schwieg, ereiferte sich Hans immer mehr, führte überzeugende Beispiele und Argumente an, und als auch das nichts brachte, fuhr er stärkere Geschütze auf: „Und was soll aus Liesel, deinem Mädchen in Deutschland, und eurer Liebe werden?"

    Arthur wurde kreidebleich und reagierte unerwartet schroff auf dieses Argument seines Kameraden, denn ohne es zu wollen, hatte Hans seinen wundesten Punkt berührt, Erinnerungen an Dinge wachgerufen, an die er sich verboten hatte zu denken: an seine Zeit im Lazarett in Fritzlar, an die zauberhafte Schwester Lisa, seine Liesel mit ihren rehbraunen Augen und der blonden Mähne, an die heißen Nächte und zarten Küsse, an ihre Träume …

    Der „Russe" kommt mir nicht ins Haus!

    1947-1948. Fritzlar/Nordhessen

    Die schwachen winterlichen Sonnenstrahlen bahnten sich zaghaft den Weg durch das Fenster in der Schräge, drangen zunächst in den oberen Teil des Schlafzimmers ein, und einigen gelang es, das Bett zu erreichen, auf dem sich eine junge Frau unruhig im Schlaf hin und her wälzte. Es war immer wieder derselbe schaurige Traum, der sie seit Jahren fast jede Nacht heimsuchte: Sie lief ihrem geliebten Arthur entgegen, lag fast schon in seinen Armen, doch da tat sich plötzlich ein tiefer, dunkler Abgrund direkt vor ihren Füßen auf und verschluckte ihren Geliebten, ihr Ein und Alles. Sie rief verzweifelt nach ihm, schrie seinen Namen in den Wind und … wachte auf, geweckt von ihrem eigenen Schrei. Kaputt und zerschlagen, als hätte sie die ganze Nacht hindurch Berge versetzen müssen, schleppte sie sich zur Kommode, auf der, kunstvoll eingerahmt, ein Bild stand. Das Bild zeigte ein junges Paar, das glücklich und übermütig dem Fotografen zuwinkte. Der junge Mann in deutscher Wehrmachtsuniform hatte seinen Arm liebevoll um die Schultern des Mädchens gelegt, sie schmiegte sich vertrauensvoll an ihn, der Wind spielte mit ihren Haaren, zerzauste sie und eilte davon. Die beiden lachten lauthals – man konnte es sehen und fast hören, sie waren verliebt und glücklich, auch das konnte man ihnen an den Augen ablesen. Und sie hofften auf eine glückliche Zukunft …

    Die Gesichter auf dem Bild waren scharf, nicht verschwommen und gut zu erkennen, das Foto war wie neu, als ob es erst gestern gemacht worden wäre. Kein Wunder, denn für Liesel, so hieß die junge Frau, bedeutete es mehr als ein Heiligenbild in der Kirche; ohne das Bild hier auf der Kommode konnte sie sich ihr Leben gar nicht mehr vorstellen, denn es

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