Sophienlust 63 – Familienroman: Unser Sonnenschein
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Die Dämmerung senkte sich über Sophienlust herab. Purpurrot färbte sich der Himmel. Denise von Schoen-ecker trat vor die Tür, um diesen herrlichen Anblick zu genießen. Doch wie aus dem Boden gewachsen stand plötzlich ein Junge vor ihr. Sie schätzte ihn auf etwa zehn Jahre. Das dunkle Haar hing ihm wirr in die Stirn, und sein Gesicht zeigte einen sehr entschlossenen, aber auch trotzigen Ausdruck. Er war keine Spur verwirrt, als sie ihn fragte, wer er sei.
»Tonio«, erwiderte der lakonisch.
»Und was möchtest du, Tonio?«, fragte Denise freundlich, denn es stimmte sie nachdenklich, dass ein Junge dieses Alters, den sie noch nie gesehen hatte, zu so später Stunde im Gutshof von Sophienlust erschien.
»Hierbleiben«, erwiderte er kurz.
»Dann komm erst mal herein«, forderte sie ihn auf. »Aber du musst mir schon ein wenig näher erklären, warum du hierbleiben willst und wer dich geschickt hat.«
Der Junge trottete hinter ihr her. Auf dem Rücken hatte er einen kleinen Rucksack, in der Hand trug er eine Schultasche. Er war gut gekleidet und sah nicht so aus, als wäre er lange herumgelungert, was ja manchmal auch bei erst Zehnjährigen vorkam.
Im Büro angekommen, machte Tonio keine Anstalten, von sich aus etwas zu sagen. Denise drückte ihn auf einen Stuhl und bot ihm Kekse an, von denen er ohne Schüchternheit ein paar nahm und in den Mund stopfte. Hunger hatte er offensichtlich.
»Wer hat dich hergeschickt?«, fragte Denise.
»Niemand«, kam die rasche Antwort. »Hier ist doch ein Kinderheim?«
»Woher weißt du das?«
»Von Frieder. Er hat gesagt, dass hier jeder aufgenommen wird. Und nun
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Rezensionen für Sophienlust 63 – Familienroman
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Sophienlust 63 – Familienroman - Patricia Vandenberg
Sophienlust
– 63 –
Unser Sonnenschein
Patricia Vandenberg
Die Dämmerung senkte sich über Sophienlust herab. Purpurrot färbte sich der Himmel. Denise von Schoen-ecker trat vor die Tür, um diesen herrlichen Anblick zu genießen. Doch wie aus dem Boden gewachsen stand plötzlich ein Junge vor ihr. Sie schätzte ihn auf etwa zehn Jahre. Das dunkle Haar hing ihm wirr in die Stirn, und sein Gesicht zeigte einen sehr entschlossenen, aber auch trotzigen Ausdruck. Er war keine Spur verwirrt, als sie ihn fragte, wer er sei.
»Tonio«, erwiderte der lakonisch.
»Und was möchtest du, Tonio?«, fragte Denise freundlich, denn es stimmte sie nachdenklich, dass ein Junge dieses Alters, den sie noch nie gesehen hatte, zu so später Stunde im Gutshof von Sophienlust erschien.
»Hierbleiben«, erwiderte er kurz.
»Dann komm erst mal herein«, forderte sie ihn auf. »Aber du musst mir schon ein wenig näher erklären, warum du hierbleiben willst und wer dich geschickt hat.«
Der Junge trottete hinter ihr her. Auf dem Rücken hatte er einen kleinen Rucksack, in der Hand trug er eine Schultasche. Er war gut gekleidet und sah nicht so aus, als wäre er lange herumgelungert, was ja manchmal auch bei erst Zehnjährigen vorkam.
Im Büro angekommen, machte Tonio keine Anstalten, von sich aus etwas zu sagen. Denise drückte ihn auf einen Stuhl und bot ihm Kekse an, von denen er ohne Schüchternheit ein paar nahm und in den Mund stopfte. Hunger hatte er offensichtlich.
»Wer hat dich hergeschickt?«, fragte Denise.
»Niemand«, kam die rasche Antwort. »Hier ist doch ein Kinderheim?«
»Woher weißt du das?«
»Von Frieder. Er hat gesagt, dass hier jeder aufgenommen wird. Und nun bin ich da.«
»Gut, du bist da, und ich freue mich, dass dir unterwegs nichts passiert ist. Woher kommst du?«
»Aus der Stadt.«
Denise seufzte in sich hinein. Es würde wohl geraume Zeit dauern, bis sie alles Wissenswerte aus ihm herausgeholt hatte. Von sich aus würde er sicher nichts erzählen. Aber ihr Mann würde daheim langsam ungeduldig werden, wenn sie wieder so lange ausbleiben würde. Sie rief ihn deshalb vorsichtshalber an, um ihm den Grund zu erklären. Dann wandte sie sich wieder dem Jungen zu.
»So, du kommst aus der Stadt und heißt Tonio. Und Frieder hat dir von Sophienlust erzählt. Ich nehme an, du sprichst von Frieder Baumgarten?«
Die Unterlippe des Jungen schob sich vor. »Gibt es keine anderen Frieder?«, fragte der aggressiv.
»Nein«, erwiderte Denise diplomatisch.
»Na ja, dann hab’ ich es also von ihm«, brummte Tonio.
»Und wie heißt du weiter?«, fragte Denise.
»Möchte ich nicht sagen.«
»Das musst du aber, wenn du hierbleiben willst«, stellte sie fest. »Wir haben unsere Bestimmungen.«
Seine feinen Augenbrauen schoben sich zusammen. »Helfert«, stieß er nach kurzem Überlegen hervor.
Auch diesen Namen hatte Denise noch nie gehört. Sie fragte sich, ob er wohl tatsächlich so heiße.
»Tonio Helfert heißt du also und bist zehn Jahre alt«, erklärte sie.
Staunend sah er sie an. »Woher wissen Sie das?«
»Ich kenne mehrere Zehnjährige«, erwiderte sie lächelnd.
»Du solltest mir jetzt aber sagen, ob deine Angehörigen wissen, dass du hier bist.«
»Großmutter ist ins Krankenhaus gekommen«, erklärte er gelassen.
Es befremdete Denise, dass es ihn nicht sonderlich zu berühren schien. Er sah sie nur sehr wachsam an.
»Ist sie sehr krank?«, fragte sie.
»Weiß ich nicht. Sie ist umgefallen. Vielleicht ist sie schon tot.«
Ein Frösteln kroch Denise über den Rücken. Doch sie wusste, man durfte bei Kindern solche Deutlichkeit nicht tragisch nehmen.
»Und sonst hast du niemanden?«, fragte sie leise.
»Nein.« Tonio machte eine kleine Pause. »Ich habe Hunger«, erklärte er dann gepresst.
Vielleicht kann Barbara mir Aufschluss geben, dachte Denise, die schon spürte, dass sie jetzt nicht mehr viel von dem Jungen erfahren würde.
»Du kannst mit den Kindern essen«, sagte sie freundlich. »Es ist gleich so weit.«
»Mein Fahrrad steht draußen. Es kommt wohl nicht weg«, meinte er.
Mit dem Fahrrad war er also aus der Stadt gekommen. Eine ganz schöne Strecke für einen kleinen Jungen. Angst schien er nicht zu kennen. Hemmungen auch nicht.
Denise geleitete Tonio, nachdem er sich die Hände gewaschen hatte, zum Esssaal, wo die Kinder bereits an dem großen Tisch Platz genommen hatten.
»Ich bringe euch einen Gast. Malu und Pünktchen, ihr kümmert euch wohl ein wenig um Tonio.«
»Um mich braucht sich keiner zu kümmern«, erklärte Tonio energisch. »Vielen Dank, gnädige Frau.«
Pünktchen riss die Augen auf. »Gnädige Frau« hatte noch kein Kind zu Tante Isi gesagt.
Denise aber dachte für sich, dass er eine sehr gute Erziehung genossen haben müsse, die vielleicht ein wenig über das Maß hinausging. Sie beeilte sich, Barbara Baumgarten anzurufen, um von ihr vielleicht mehr über Tonio zu erfahren.
*
Als die geplagte Arztfrau von Tonios Besuch in Sophienlust erfuhr, meinte sie, in diesem besonderen Fall würde sie lieber persönlich mit Denise sprechen. Da sie seit ein paar Wochen eine tüchtige Hilfe habe, könne sie mit ihrem Mann an diesem Abend noch schnell auf einen Sprung nach Schoeneich kommen. Denise könne Tonio jedenfalls unbesorgt in Sophienlust behalten. Niemand werde ihn vermissen.
Denise hatte den Eindruck, dass Barbara im Moment von ihren Kindern umringt sei und sich deshalb nicht deutlicher äußern könne. Sie freute sich, dass dieser Anlass ein Beisammensein mit den beiden Baumgartens versprach, die selten genug Zeit für Besuche hatten, da Werner Baumgarten ein viel konsultierter Arzt war.
*
Währenddessen ließ Tonio sich das Abendbrot schmecken. Er verdrückte Mengen, dass Pünktchen die Augen übergingen. Aber schließlich wurde er doch satt.
»Hast wohl lange nichts gegessen?«, erkundigte sich Pünktchen kameradschaftlich und mitfühlend.
Tonio nickte. »Wieso heißt du Pünktchen?«, wollte er wissen. »Hast du keinen anderen Namen?«
Pünktchen fühlte sich nicht veranlasst, ihm Auskunft über ihre Person zu geben, nachdem er selbst so verschlossen war.
»Man nennt mich eben so«, entgegnete sie.
»Wegen der Sommersprossen«, kam ein Zwischenruf. »Angelina heißt sie«, rief ein anderes Kind.
»Alle sagen Pünktchen«, erklärte das Mädchen bockig.
»Hab’ ja nichts dagegen«, brummte der Junge. »Ich heiße bloß Tonio.«
»Und sonst hast du keinen Namen?«, fragte sie.
»Nein«, erwiderte er wortkarg.
»Bist du ausgerissen?«, fragte Pünktchen ihn flüsternd.
»Ich bin weggefahren«, erwiderte er ausweichend. »Und mehr sag’ ich nicht.«
Pünktchen fragte nun nicht mehr. Schon oft waren Kinder in Sophienlust gewesen, die anfangs nicht hatten reden wollen. Aber das hatte sich mit der Zeit gegeben. Schließlich bekamen sie ja doch immer heraus, wer die Kinder waren und woher sie kamen. Wenn Tante Isi Tonio aufnahm, dann hatte es schon seine Richtigkeit. Das war jedenfalls Pünktchens Ansicht.
*
Dominik war leicht gekränkt, dass man auch ihn auf sein Zimmer schickte, als das Ehepaar Baumgarten am Abend auf Schoeneich eintraf. Er fühlte sich jetzt schon ziemlich erwachsen und war überzeugt, dass wieder einmal etwas Interessantes erörtert wurde. Aber da er eine neue Schallplatte bekommen hatte, fiel es ihm dann doch nicht so schwer, auf sein Zimmer zu gehen.
»Es muss also erst etwas los sein, damit man euch mal bei uns sieht«, stellte Alexander von Schoenecker fest. »Von selbst kommt ihr nicht.«
»Man nimmt es sich hundertmal vor«, brummte Dr. Werner Baumgarten, »und neunundneunzigmal kommt etwas dazwischen.«
Während der Arzt sich nun mit Alexander von Schoenecker über allgemeine aktuelle Fragen unterhielt, wandten die Frauen sich dem eigentlichen Thema des Abends, nämlich Tonio, zu.
»Er heißt nicht Helfert, er heißt Boering«, erzählte Barbara. »Sein Vater ist Chefarzt am Kreiskrankenhaus. Seine Mutter ist bei einem Skiunfall ums Leben gekommen, als er zwei Jahre alt war. Seither hat er bei seiner Großmutter gelebt. Ich kenne die Verhältnisse zufällig, weil Werner manchmal mit Doktor Boering zu tun hat. Warum der Junge aber bei seiner Großmutter, Frau Helfert, geblieben ist, nachdem Doktor Boering vor einem Jahr wieder geheiratet hat, weiß ich auch nicht. Denken könnte ich mir allerdings, dass Frau Helfert das so gewollt hat.«
Der Name Helfert war für Werner Baumgarten das Stichwort, sich in das Gespräch einzumischen.
»Ich habe mich gleich erkundigt, was mit ihr los ist. Sie hatte einen Schlaganfall und ist in die Privatklinik von Doktor Gebhardt eingeliefert worden.«
»Obwohl ihr Schwiegersohn Chefarzt im Krankenhaus ist?«, bemerkte Denise fragend.
»Sie sind übers Kreuz«, stellte Werner Baumgarten fest.
»Man muss Doktor Boering natürlich mitteilen, dass sein Sohn in Sophienlust ist«, überlegte Denise. »Tonio ist sehr verschlossen. Davon, dass er einen Vater hat, hat er nicht gesprochen.«
»Frau Helfert wird ihm schon eingeimpft haben, dass sein Vater nichts taugt«, brummte Dr. Baumgarten. »Früher war sie mal meine Patientin. Na, ich war ganz froh, als sie sich einen anderen Arzt ausgesucht hatte.«
Mehr ließ er sich über Frau Helfert nicht aus. Dennoch war das alles sehr aufschlussreich für Denise. Sie entschloss sich, trotz