Sophienlust 113 – Familienroman: Mit Vati wäre unser Glück erst richtig vollkommen
Von Judith Parker
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Pünktchen warf noch einen letzten Blick auf das Fohlen, das mit tollpatschigen Sprüngen über die Koppel zu der Mutterstute galoppierte. Dann folgte sie Nick.
"Es ist das schönste Fohlen, das ich jemals gesehen habe", stellte sie begeistert fest und strich sich eine rotblonde Strähne aus der Stirn. Das war ein unsinniges Unterfangen, weil der Wind ihr die Haare immer wieder ins Gesicht blies.
Dominik von Wellentin-Schoenecker, ein ungefähr fünfzehnjähriger bildhübscher Junge mit sehr dunklen Augen und schwarzen lockigen Haaren, nickte. "Ja, der kleine Hengst Pollux ist etwas ganz Besonderes. Er wird bestimmt ein wunderschönes Pferd werden. Das Schöne ist, dass ich Pollux vom ersten Augenblick seines Lebens an kenne. Ich glaube, er weiß das auch. Wenn er mich kommen hört, läuft er mir entgegen."
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Buchvorschau
Sophienlust 113 – Familienroman - Judith Parker
Sophienlust –113–
Mit Vati wäre unser Glück erst richtig vollkommen
Roman von Judith Parker
Pünktchen warf noch einen letzten Blick auf das Fohlen, das mit tollpatschigen Sprüngen über die Koppel zu der Mutterstute galoppierte. Dann folgte sie Nick.
»Es ist das schönste Fohlen, das ich jemals gesehen habe«, stellte sie begeistert fest und strich sich eine rotblonde Strähne aus der Stirn. Das war ein unsinniges Unterfangen, weil der Wind ihr die Haare immer wieder ins Gesicht blies.
Dominik von Wellentin-Schoenecker, ein ungefähr fünfzehnjähriger bildhübscher Junge mit sehr dunklen Augen und schwarzen lockigen Haaren, nickte. »Ja, der kleine Hengst Pollux ist etwas ganz Besonderes. Er wird bestimmt ein wunderschönes Pferd werden. Das Schöne ist, dass ich Pollux vom ersten Augenblick seines Lebens an kenne. Ich glaube, er weiß das auch. Wenn er mich kommen hört, läuft er mir entgegen.«
Nick lächelte seine kleine Freundin, die mit vollem Namen Angelina Dommin hieß, an. Für ihn würde sie wohl immer Pünktchen bleiben. Kein Mensch hatte gewusst, wer sie war, woher sie kam und wie sie hieß, als er sie als kleines Mädchen von der Straße aufgelesen hatte. Wegen ihrer vielen Sommersprossen hatte er sie damals kurz entschlossen Pünktchen genannt. Dieser Name war ihr bis jetzt geblieben.
»Ich möchte auch einmal ein so hübsches Pferd haben«, erklärte Pünktchen und lächelte verträumt. »Weißt du, eine ganz schwarze Stute, die nur mir allein gehört.«
»Eines Tages schenke ich dir eine Rappenstute«, versprach Nick fest. »Wenn wir Diana von dem Rappen Berber decken lassen, könnte ein solches Fohlen geboren werden«, überlegte er. Dann blickte er auf seine Armbanduhr. »Wir müssen uns beeilen, Pünktchen, damit wir pünktlich zum Mittagessen in Sophienlust sind. In einer Viertelstunde wird gegessen. Komm!«, rief er und fasste impulsiv nach ihrer Hand, die sie ihm nur zu gern überließ.
Es war ein reizendes Bild, als der schwarzhaarige große Junge und das zierliche Mädchen mit den halblangen rotblonden Haaren und den strahlenden blauen Augen Hand in Hand den Weg ins Tal hinunterliefen, wo das Herrenhaus von Sophienlust stand, das Heim der glücklichen Kinder. Dort fanden alle Kinder, die Hilfe benötigten, einen sicheren Zufluchtsort.
Plötzlich blieb Pünktchen mit einem Ruck stehen. »Sieh nur, Nick, dort radeln Leute durch unsere schöne blühende Wiese. Dabei darf doch kein Mensch um diese Jahreszeit dort mit dem Rad fahren«, empörte sie sich.
»Wirklich! Das ist eine Gemeinheit!«, rief Nick. »Aber denen werde ich Bescheid sagen«, erklärte er energisch. »Komm, Pünktchen.« Er schlug bereits den Wiesenweg ein und blickte den vier Radlern entgegen.
Ein ungefähr vierzehnjähriges Mädchen mit rückenlangen mittelblonden Haaren, einem himbeerroten Blüschen und Blue Jeans radelte neben einem jungen Mann mit schwarzen lockigen Haaren, einem leuchtend blauen Hemd und einer ebenfalls blauen Hose sorglos durch das kniehohe Gras, zwischen dem Wiesenschaumkraut, Hahnenfuß und schon verblühter Löwenzahn wuchsen. Den beiden folgten zwei etwas jüngere blondhaarige Kinder, ein Junge und ein Mädchen.
Als die vier noch ungefähr zwei Meter von ihm entfernt waren, stellte Nick sich ihnen mit ausgebreiteten Armen in den Weg und rief: »Stehenbleiben!«
Verwundert stiegen die vier von ihren Rädern. »Was willst du denn?«, fragte der junge Mann etwas von oben herab.
»Hier ist das Radfahren verboten. Habt ihr denn nicht das Verbotsschild gelesen? Ich finde, es ist eine Unverschämtheit von euch, einfach mitten hinein in die Wiese zu fahren. Mit euren Rädern tötet ihr Käfer, Bienen und vielleicht auch junge Vögel. Aber ihr von der Stadt habt ja kein Gefühl für die Kreatur«, schimpfte er weiter. »Ihr kommt wie Horden angefahren und zerstört gedankenlos die Natur.«
»Mensch, spiel’ dich bloß nicht so auf«, erwiderte der junge Mann verärgert. »Du tust ja gerade so, als gehöre dir das hier alles. Wir haben es eilig.«
»Bitte, Gerhard, es hat doch keinen Sinn, dass du dich mit diesem Jungen anlegst«, rief nun das Mädchen mit der roten Bluse.
Auch Pünktchen war inzwischen angekommen. Fast feindselig blitzte sie den unverschämten jungen Mann an. »Das alles gehört Nick. Er ist der Erbe von Sophienlust und heißt Dominik von Wellentin-Schoenecker«, fügte sie triumphierend hinzu.
»Bitte, seid friedlich«, ergriff rasch wieder das hübsche Mädchen mit den rückenlangen blonden Haaren das Wort. »Es ist nämlich so …«
»Ja, Ilka hat sich den Fuß bei einem Sturz vom Rad bös verstaucht«, unterbrach sie der junge Mann. »Wir wollten zur nächsten Behausung, um ihn dort bandagieren zu lassen, damit wir weiterradeln können.« Sein Ton war inzwischen um einige Grade freundlicher geworden. »Wenn das wirklich dein Besitz ist, dann bitte ich dich im Namen meiner Begleiterin um Verzeihung.«
Nick brummelte etwas vor sich hin. Schließlich war er kein Unmensch und hielt es stets für seine Pflicht, zu helfen, wo Hilfe nötig war.
Pünktchen dachte genauso und stieß Nick an. Die Blicke der beiden trafen sich in vollem Einverständnis. Dann sagte Nick: »Also gut, dann kommt mit zu uns. Dort vorn liegt gleich Sophienlust. Wir haben auch ein Erste-Hilfe-Zimmer. Und unsere Kinderschwester Regine ist auch Krankenschwester.«
»Oh, da danke ich dir sehr!«, rief Ilka und machte ein recht wehleidiges Gesicht.
Pünktchen wurde auf einmal misstrauisch. Sie hatte doch vorhin gesehen, dass das Mädchen fröhlich gelacht hatte und auch fest ins Pedal getreten war. Aber vielleicht hatte sie sich getäuscht?
Wie meist in solchen Fällen siegte Pünktchens Hilfsbereitschaft. »Soll ich dir aufs Rad helfen?«, fragte sie freundlich.
»Ich werde das Rad bis zum Haus schieben«, entgegnete Ilka. Sie humpelte auffällig und verzog ihr Gesicht schmerzhaft.
Ungefähr fünf Minuten später erreichten die sechs jungen Leute Sophienlust.
»Wir haben Glück!«, rief Nick. »Unsere Hausärztin, Frau Dr. Frey, ist gerade da. Ach ja, Heidi hatte heute Morgen Halsschmerzen. Hoffentlich sind sie nicht schlimmer geworden.«
»Ja, da steht tatsächlich das Auto von Frau Dr. Frey«, bestätigte Pünktchen. »Komm, Ilka, ich helfe dir die Treppe hinauf.«
»Lass uns das lieber machen«, schlug Nick vor und nickte dem jungen Mann auffordernd zu.
Ilka stöhnte ganz entsetzlich, als sie zwischen den beiden mühsam die Stufen der Freitreppe hinaufstieg.
»Nanu, was ist denn geschehen?«, rief die Heimleiterin, Frau Rennert, die gerade aus dem Portal trat.
»Das ist Ilka«, stellte Pünktchen das Mädchen vor. »Sie hat sich den Fuß verknackst. Ein Glück, dass Frau Dr. Frey da ist.«
»Dann komm nur herein, mein Kind«, bat Frau Rennert gütig.
»Ich heiße Ilka Breitenfels«, stellte sich das Mädchen nun vor. »Und das sind meine Freunde. Wir wollten zur nächsten Jugendherberge, um uns dort mit anderen Freunden zu treffen.«
»Ja, und wir möchten auch gleich weiterradeln«, erklärte der junge Mann und nannte nun ebenfalls seinen Namen. »Ich heiße Gerhard Kümmel.«
»Gerhard, radelt nur voraus«, bat Ilka. »Ich komme nach, sobald ich mich etwas besser fühle. Ihr müsst auf alle Fälle fahren, denn sonst warten unsere Freunde vergeblich auf euch.«
»Gut, Ilka, das werden wir tun.« Der junge Mann nickte. Dann verabschiedeten sich die drei und schwangen sich wieder auf ihre Räder.
Ilka stieß einen fast erleichterten Seufzer aus, als ihre Freunde die Auffahrt hinunterradelten und durch das große schmiedeeiserne Tor fuhren. Dann setzte sie ihren Weg mit Hilfe von Nick und Frau Rennert fort. Endlich waren die Stufen der Freitreppe überwunden.
Voller Mitleid richteten sich viele Augenpaare auf das humpelnde Mädchen, als es die Halle betrat. Denn die meisten Kinder von Sophienlust waren gerade auf dem Weg zum Speisesaal gewesen.
»Das ist Ilka Breitenfels«, übernahm Nick die Vorstellung. »Sie hat sich den Fuß verstaucht.«
»Guten Tag, Ilka«, begrüßte man sie nun von allen Seiten.
Das Mädchen war sehr beeindruckt von der Freundlichkeit der fremden Kinder, aber auch von der großen Halle mit dem offenen Kamin, vor dem ein Bärenfell lag. Der große Raum mit dem Tisch, dem hochlehnigen Sofa und den bequemen, mit braunem Leder bezogenen Sesseln sowie den Gemälden in den breiten vergoldeten Rahmen erinnerte sie sehr an ihr Elternhaus, zu dem ein großes Gut am Ammersee gehörte.
Nun erschien Nicks Mutter, Denise von Schoenecker, die Sophienlust bis zur Volljährigkeit ihres Sohnes verwaltete und viele Stunden hier verbrachte. Sie lebte mit ihrem zweiten Mann, Alexander von Schoenecker, auf dessen Gut Schoeneich, das nur wenige Kilometer von Sophienlust entfernt lag. Die beiden Güter waren durch eine Schnellstraße verbunden.
In Denises Begleitung befand sich eine hübsche junge Frau mit hochgesteckten blonden Haaren und gütigen dunkelbraunen Augen.
»Frau Doktor, wir haben Ihnen eine Patientin mitgebracht!«, rief Pünktchen und reichte der jungen Ärztin die Hand.
Ilka lächelte etwas unsicher, als sie die beiden Damen begrüßte. Auf einmal empfand sie so etwas wie Furcht und auch Beschämung.
Im Erste-Hilfe-Zimmer untersuchte Frau Dr. Frey Ilkas Fuß eingehend. »Tut es hier weh?«, fragte sie mehrmals.
Ilkas Antworten kamen etwas zu schnell und waren recht unsicher.
»Es ist keine Schwellung da. Auch ist nichts gebrochen. Schwester Regine, fühlen Sie doch mal«, bat die Ärztin dann die Kinderschwester, die in solchen kleinen Verletzungen ebenfalls genügend Erfahrungen gesammelt hatte.
»Auch ich kann nichts fühlen«, bemerkte Schwester Regine kopfschüttelnd.
Denises dunkle Augen richteten sich mit einem verstehenden Lächeln auf Ilka. Das trieb diese zu einem Geständnis. Mit vor Verlegenheit hochroten Wangen sagte sie leise: »Bitte, seien Sie mir nicht böse, weil ich Ihnen allen so viel Mühe gemacht habe. Denn ich habe …, ja, ich habe geschwindelt. Mir fehlt nichts.