Wo ist mein Baby?: Sophienlust 418 – Familienroman
Von Anne Alexander
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Über dieses E-Book
Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren.
Nach einigen Regentagen schien an diesem Morgen endlich die Sonne wieder. Else Rennert, die Leiterin des Kinderheimes Sophienlust, stand auf der Freitreppe des ehemaligen Herrenhauses und blickte dem abfahrenden Bus nach, der die schulpflichtigen Kinder nach Wildmoos zur Volksschule brachte. Dann drehte sie sich um und betrat durch das Portal die große Halle, die den Mittelpunkt des Kinderheims bildete. Die Frau schaute überrascht zur Treppe. Die fünfjährige Heidi Holsten hatte sich mit ihrem Bäuchlein auf das Geländer gelegt und rutschte, vor Vergnügen quietschend, hinunter. »Heidi!« rief die Heimleiterin entsetzt. Ärmchen um deren Taille. »Bitte, nicht böse sein, Tante Ma«, schmeichelte sie. »Das macht so'n Spaß! Hast du mich jetzt nicht mehr lieb?« Ihre blauen Augen blickten treuherzig zu der Frau auf. Unwillkürlich mußte Else Rennert lächeln. Keiner konnte lange diesem wonnigen Persönchen böse sein. »Eben weil ich dich liebhabe, möchte ich nicht, daß du das Geländer hinuntersaust«, erwiderte sie. »Wir haben dir alle schon oft erklärt, wie leicht du abrutschen und dich schwer verletzen kannst.« Sie zog das kleine Mädchen liebevoll an sich. »Ich werd's nicht wieder tun, bestimmt nicht«
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Buchvorschau
Wo ist mein Baby? - Anne Alexander
Sophienlust
– 418 –
Wo ist mein Baby?
Anne Alexander
Nach einigen Regentagen schien an diesem Morgen endlich die Sonne wieder. Else Rennert, die Leiterin des Kinderheimes Sophienlust, stand auf der Freitreppe des ehemaligen Herrenhauses und blickte dem abfahrenden Bus nach, der die schulpflichtigen Kinder nach Wildmoos zur Volksschule brachte. Dann drehte sie sich um und betrat durch das Portal die große Halle, die den Mittelpunkt des Kinderheims bildete. Die Frau schaute überrascht zur Treppe. Die fünfjährige Heidi Holsten hatte sich mit ihrem Bäuchlein auf das Geländer gelegt und rutschte, vor Vergnügen quietschend, hinunter.
»Heidi!« rief die Heimleiterin entsetzt.
Erschrocken sprang Heidi am Ende der Treppe vom Geländer, lief auf Frau Rennert zu und schlang ihre
Ärmchen um deren Taille. »Bitte, nicht böse sein, Tante Ma«, schmeichelte sie. »Das macht so’n Spaß! Hast du mich jetzt nicht mehr lieb?« Ihre blauen Augen blickten treuherzig zu der Frau auf.
Unwillkürlich mußte Else Rennert lächeln. Keiner konnte lange diesem wonnigen Persönchen böse sein. »Eben weil ich dich liebhabe, möchte ich nicht, daß du das Geländer hinuntersaust«, erwiderte sie. »Wir haben dir alle schon oft erklärt, wie leicht du abrutschen und dich schwer verletzen kannst.« Sie zog das kleine Mädchen liebevoll an sich.
»Ich werd’s nicht wieder tun, bestimmt nicht«, versicherte Heidi.
»Bis du es erneut vergessen hast!« erklang eine Stimme von oben. Auf dem obersten Absatz der Treppe war eine junge, hübsche Frau erschienen. Man hätte sie beinahe für Heidis Mutter halten können, da sie genauso blond wie das kleine Mädchen war und blaue Augen hatte. Doch die Kinderschwester Regine Nielsen hatte nicht nur ihren Mann, sondern auch ihr kleines Töchterchen Elke verloren. Seitdem widmete sie sich ganz den Kindern von Sophienlust.
Sie war inzwischen die Treppe hinuntergekommen, an ihrer Seite einen kleinen Jungen, der ihre Hand nicht losließ.
Heidi hüpfte der Kinderschwester entgegen, und mit schiefgestelltem Köpfchen sah sie zu ihr auf. »Ich kann nichts dafür«, versicherte sie, »ich will’s nicht vergessen, aber dann…«
»…lockt das Geländer«, vollendete Frau Rennert lachend. »Doch das war das letzte Mal, sonst muß ich ernsthaft böse werden.«
»Das kannst du gar nicht, Tante Ma«, behauptete Heidi strahlend. »Dazu hast du mich viel zu lieb. Darf ich jetzt gehen? Es ist draußen so schön. Ich habe Phil versprochen, ihm Schneeweißchen und Rosenrot zu zeigen. Er ist noch so dumm. Er kennt keine Kaninchen.«
»Er ist nicht dumm, sondern ein Jahr jünger als du und kommt aus der Großstadt«, korrigierte Schwester Regine. »In einer großen Stadt hoppeln nun mal keine Kaninchen auf den Straßen herum, sie würden sonst von den Autos überfahren werden.«
Heidi zog ihre kleine Stirn in Falten, steckte ein Fingerchen in den Mund und überlegte angestrengt. »Hm«, machte sie dann, »das ist wirklich schade. Da bin ich aber froh, hier zu sein.« Sie steckte ihre Hand dem kleinen Jungen entgegen. »Komm, Phil!«
Zögernd ließ der kleine Junge die Hand Schwester Regines los, um sich gleich an die Hand des kleinen Mädchens anzuklammern.
»Paß gut auf den Kleinen auf, er ist noch fremd hier«, sagte Schwester Regine.
»Werd’ ich, ich bin doch schon groß«, behauptete Heidi.
Hand in Hand liefen die beiden Kinder davon, lustig wippten die hellblonden Rattenschwänzchen des Mädchens auf und ab.
»Ein richtiger Wirbelwind«, meinte die Heimleiterin. »Aber sie wird den kleinen Philipp schon aufmuntern. Er ist noch ängstlich und hat die Trennung von seinen Eltern immer noch nicht überwunden.«
»Das stimmt«, erwiderte Schwester Regine. »Immer wieder mußte ich ihm versichern, daß seine Eltern bald zurückkommen und ihm was Schönes mitbringen. Er kann nicht verstehen, daß sie ihn nicht mitgenommen haben, da er doch sonst auf ihren Reisen immer dabei war.«
»Herr und Frau Herrmann haben gut daran getan, ihn hierzulassen«, meinte die Heimleiterin. »Die Abwicklung einer Erbschaft und eventuelle Auseinandersetzungen mit den anderen Erben ist immer unfreundlich, und dann noch in Australien. Hoffentlich lohnt sich für die beiden der ganze Aufwand.«
»Es wäre zu wünschen«, erwiderte Schwester Regine. »Soviel ich weiß, sind die Herrmanns nicht gerade auf Rosen gebettet.«
»Ich werde mich mal jetzt an meine schriftlichen Arbeiten machen«, erklärte Else Rennert. »Mein Schreibtisch krümmt sich bald unter der Last des noch unerledigten Schreibkrams.« Sie nickte der Kinderschwester freundlich zu und ging in ihr büroähnliches Empfangszimmer. Es war ein gemütlich eingerichteter Raum. Von dem Telefonapparat auf ihrem Schreibtisch konnten auch Gespräche in andere Zimmer verbunden werden.
Seufzend setzte sich die Heimleiterin an ihren Schreibtisch. Die Frau liebte nicht gerade die Schreibarbeit, aber sie mußte erledigt werden. Sie hatte gerade eine Rechnung nachgeprüft, als das Telefon klingelte.
Else Rennert hob den Hörer ab und meldete sich.
Hastiges Atmen klang an ihr Ohr, ehe sie die Stimme der Anruferin hörte. »Bitte, verzeihen Sie, Frau Rennert, ich bin noch ganz außer Atem, da ich nur vom Telefonhäuschen bei Ihnen anrufen kann, und ich muß auch gleich wieder zur Arbeit zurück.«
»Ist Ihre Angelegenheit denn so eilig?« fragte Frau Rennert etwas ironisch. »Unser Kinderheim läuft Ihnen nicht davon. Wie ist Ihr Name, und was haben Sie auf dem Herzen?«
»Ich kann Ihnen nicht meinen Namen sagen, bitte, glauben Sie mir, ich habe triftige Gründe. Deshalb rufe ich Sie ja auch von einem Telefonhäuschen an. Wissen Sie, die Sache ist heikel, ich bin eigentlich keine Klatschbase, und vielleicht sehe ich auch zu schwarz. Aber als ich gestern von einer Bekannten von Ihrem Kinderheim hörte, das man in der ganzen Umgebung das Heim der glücklichen Kinder nennt, dachte ich mir, vielleicht können Sie mal nach dem Rechten sehen.«
»Handelt es sich um eine Kindesmißhandlung?«
Die Telefonpartnerin zögerte, dann sagte sie: »Nein, ich glaube nicht, aber man könnte von einer großen Vernachlässigung sprechen. Mir tut das Kind so furchtbar leid, dabei ist er ein so goldiger Junge. Sie haben bestimmt die nötige Erfahrung als Heimleiterin, um dem Jungen zu helfen.«
»Falls er wirklich Hilfe benötigt«, meinte Frau Rennert skeptisch. Aus Erfahrung war sie immer etwas mißtrauisch gegenüber solchen anonymen Anzeigen. Aber wiederum, wenn da wirklich ein Kind in Not war…
»Sie glauben mir also nicht.« Die Stimme der Anruferin klang gekränkt.
»Das habe ich nicht gesagt«, erwiderte Else Rennert. »Aber ich bin nur die Heimleiterin. Frau Denise von Schoenecker verwaltet bis zur Großjährigkeit ihres Sohnes Dominik das Heim. Ich muß den Fall also mit ihr besprechen. Vielleicht erzählen Sie mir noch Näheres und geben mir die Anschrift des Kindes.«
»Das will ich gern tun. Die Mutter, Gerda Weigand, ist unverheiratet und besitzt ein Lokal in Maibach. Bis vor einem halben Jahr wurde der kleine Rolf noch von der Tante betreut. Sie starb an einem Schlaganfall. Ab und zu sah dann mal einer ihrer Angestellten nach dem Kind, aber seit Frau Weigand sich einen Freund zugelegt hat, dem sie die Oberaufsicht über das Lokal gegeben hat, hetzt er das Personal nur so hin und her, und keiner hat mehr Zeit für das Kind, erst recht die Mutter nicht. Rolf ist also meist den ganzen Tag allein in der Wohnung im ersten Stock. Man hört den Jungen oft weinen.«
»Wie alt ist der Kleine?« fragte Frau Rennert.
»Zwei.«
»Also in einem Alter, in dem er noch besondere Pflege und Zuwendung braucht.«
»Das ist es ja, deshalb mach’ ich mir Sorgen.«
»Gut, wir werden der Sache nachgehen. Wollen Sie mir nicht doch noch Ihren Namen nennen?«
»Das geht auf keinen Fall«, kam es hastig durch den Apparat. »Und jetzt muß ich aufhören, sonst bekomme ich noch Ärger, wenn ich so lange fortbleibe.« Es klickte. Am anderen Ende der Leitung war der Hörer aufgelegt worden.
Else Rennert lehnte sich in ihrem Schreibtischsessel zurück und dachte noch einmal über die Worte der Unbekannten nach. Man konnte sich viel Ärger einhandeln, wenn man auf einen anonymen Hinweis in eine fremde Wohnung eindrang und die Vernachlässigung des Kindes stellte sich als nachbarschaftlicher Klatsch heraus. Aber andererseits mußte man auch für jeden Hinweis dankbar sein, wenn ein Kind in ernster Gefahr war.
Die Heimleiterin hob den Hörer ab und wählte die Nummer von Schoeneich.
»Henrik von Schoenecker«, meldete sich Denises neunjähriger Sohn, aus ihrer zweiten Ehe mit Alexander von Schoenecker.
»Ich bin es, Henrik. Ist deine Mutti zu Hause?« erkundigte sich Else Rennert.
»Sie kommt gerade«, erwiderte der Junge, um gleich darauf neugierig zu fragen: »Kommt wieder ein neues Kind? Dann radle ich gleich los.«
»Wieso bist du überhaupt zu Hause?« fragte Frau Rennert. »Du solltest um diese Zeit doch in der Schule sein.«
»Oh, Tante Ma, ich hatte heute solche Bauchschmerzen«, sagte Henrik, »und…«
Ein schabendes Geräusch erklang im Hörer, seine Mutter hatte ihm den Hörer aus der Hand genommen. »Ich glaube eher, Frau Rennert, mein Sohn hat uns wieder schön an der Nase herumgeführt«, sagte Denise von Schoenecker. »Heute früh hat er
herzerweichend über Bauchschmerzen gestöhnt, und jetzt erwische ich ihn barfuß und