Niemand wusste von ihrem Leid: Sophienlust Bestseller 40 – Familienroman
Von Marisa Frank
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Das Kinderheim Sophienlust erfreut sich einer großen Beliebtheit und weist in den verschiedenen Ausgaben der Serie auf einen langen Erfolgsweg zurück. Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, mit Erreichen seiner Volljährigkeit, das Kinderheim Sophienlust gehören wird.
»Nun ist der Ball schon wieder im Nachbargarten drüben gelandet«, beschwerte sich Nicole bei ihrer Freundin Verena. »Du darfst ihn nicht so hoch werfen. Dann kann ich ihn nicht fangen.« »Das ist mir aus Versehen passiert«, erwiderte Verena und kletterte über den niedrigen Holzzaun, um den Ball zurückzuholen. Grete Reindorf saß auf der kleinen Terrasse und sah den Kindern beim Spiel zu. Sie freute sich stets, wenn ihre Enkelin Nicole zu Besuch kam und den Tag bei ihr verbringen durfte. Zwar war es für die inzwischen siebzig Jahre alte Frau manchmal ein wenig anstrengend, die Verantwortung für das achtjährige Mädchen zu übernehmen, aber es machte ihr Spaß, die Kleine um sich zu haben. Sie hatte sich immer ein Enkelkind gewünscht und die Hoffnung darauf schon fast aufgegeben gehabt. Ihre Tochter hatte erst mit dreißig Jahren geheiratet, und ihre Ehe war über fünf Jahre lang kinderlos geblieben. Als niemand mehr so recht daran geglaubt hatte, kündigte sich schließlich ein Kind an. Nicole war der Sonnenschein der ganzen Familie. Von Zeit zu Zeit durfte sie einen ganzen Tag bei ihrer Oma verleben und mitunter sogar dort übernachten. Im Laufe der Zeit hatte Nicole sich mit der gleichaltrigen Nachbarstochter Verena Busch angefreundet. Die beiden Mädchen spielten häufig zusammen, und heute hatten sie den ganzen Tag Zeit füreinander. Verenas Eltern waren fortgefahren, um einen Geschäftsfreund zu besuchen. Ihr Vater wollte das Schuhgeschäft erweitern und sich bei seinem Freund Rat holen, der ebenfalls vor kurzer Zeit seinen Betrieb ausgebaut hatte. Für Verena wären diese geschäftlichen Gespräche langweilig gewesen. Deshalb hatte Frau Reindorf sich angeboten, das Mädchen zu beaufsichtigen, bis die Eltern wieder zurückkamen.
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Buchvorschau
Niemand wusste von ihrem Leid - Marisa Frank
Sophienlust Bestseller
– 40 –
Niemand wusste von ihrem Leid
Verene war plötzlich ganz allein
Marisa Frank
»Nun ist der Ball schon wieder im Nachbargarten drüben gelandet«, beschwerte sich Nicole bei ihrer Freundin Verena. »Du darfst ihn nicht so hoch werfen. Dann kann ich ihn nicht fangen.«
»Das ist mir aus Versehen passiert«, erwiderte Verena und kletterte über den niedrigen Holzzaun, um den Ball zurückzuholen.
Grete Reindorf saß auf der kleinen Terrasse und sah den Kindern beim Spiel zu. Sie freute sich stets, wenn ihre Enkelin Nicole zu Besuch kam und den Tag bei ihr verbringen durfte. Zwar war es für die inzwischen siebzig Jahre alte Frau manchmal ein wenig anstrengend, die Verantwortung für das achtjährige Mädchen zu übernehmen, aber es machte ihr Spaß, die Kleine um sich zu haben. Sie hatte sich immer ein Enkelkind gewünscht und die Hoffnung darauf schon fast aufgegeben gehabt. Ihre Tochter hatte erst mit dreißig Jahren geheiratet, und ihre Ehe war über fünf Jahre lang kinderlos geblieben. Als niemand mehr so recht daran geglaubt hatte, kündigte sich schließlich ein Kind an. Nicole war der Sonnenschein der ganzen Familie. Von Zeit zu Zeit durfte sie einen ganzen Tag bei ihrer Oma verleben und mitunter sogar dort übernachten.
Im Laufe der Zeit hatte Nicole sich mit der gleichaltrigen Nachbarstochter Verena Busch angefreundet. Die beiden Mädchen spielten häufig zusammen, und heute hatten sie den ganzen Tag Zeit füreinander. Verenas Eltern waren fortgefahren, um einen Geschäftsfreund zu besuchen. Ihr Vater wollte das Schuhgeschäft erweitern und sich bei seinem Freund Rat holen, der ebenfalls vor kurzer Zeit seinen Betrieb ausgebaut hatte. Für Verena wären diese geschäftlichen Gespräche langweilig gewesen. Deshalb hatte Frau Reindorf sich angeboten, das Mädchen zu beaufsichtigen, bis die Eltern wieder zurückkamen.
Das nachbarschaftliche Verhältnis zwischen Frau Reindorf und der Familie Busch war ausgesprochen gut. Ihre Einfamilienhäuser lagen unmittelbar nebeneinander. Die Buschs waren vor sieben Jahren eingezogen und hatten sofort einen guten Kontakt zu Frau Reindorf gefunden, die damals schon seit einigen Jahren verwitwet gewesen war.
Die grauhaarige Frau legte ihr Strickzeug beiseite, als es an der Haustür klingelte. Verwundert sah sie auf ihre Uhr. Verenas Eltern konnten unmöglich schon zurück sein, und Besuch erwartete sie nicht. Vielleicht ist es irgendein Vertreter, dachte sie und ging durch die holzvertäfelte Diele zur Haustür.
Als sie geöffnet hatte, erschrak sie. Draußen standen zwei Polizisten. »Wollen Sie zu mir?« fragte sie unsicher.
»Ja«, erwiderte der größere der beiden Beamten. »Sie sind doch Frau Reindorf?«
»Das schon, aber ich kann mir nicht vorstellen, was Sie zu mir führt. Da muß ein Irrtum vorliegen.«
»Wir kommen wegen der Tochter von Ihren Nachbarn, der Familie Busch«, sagte nun der andere Polizist. Er machte eine Pause. Offensichtlich fiel es ihm nicht leicht, weiterzusprechen. »Herr und Frau Busch hatten einen Autounfall.«
»Kommen Sie doch erst einmal herein«, bot Frau Reindorf verwirrt. Sie führte die Polizisten ins Wohnzimmer und bat ihnen Platz an. »Ein Unfall, sagen Sie? Ist es schlimm? Sind Verenas Eltern verletzt?« Erwartungsvoll sah sie in die Gesichter der Beamten.
»Es war ein sehr schwerer Unfall. Ein entgegenkommender Wagen hat seinen Vordermann überholt, ein äußerst riskantes Unternehmen, weil die Straße an dieser Stelle nicht übersichtlich ist. Er konnte nicht mehr rechtzeitig nach rechts einscheren und ist mit dem Auto der Buschs frontal zusammengestoßen.«
»Mein Gott«, flüsterte Frau Reindorf. »Was ist mit Herrn und Frau Busch passiert? Sind sie noch... leben sie?«
Beide Polizisten schüttelten stumm den Kopf. Sie waren selbst ergriffen, und es fiel ihnen schwer, die Hiobsbotschaft zu überbringen.
Frau Reindorf blickte in den Garten hinaus, wo die Kinder noch immer fröhlich miteinander spielten. Sie hatten die Besucher anscheinend nicht bemerkt.
»Was wird nun aus dem Kind?« fragte die alte Frau. »Soweit ich weiß, hat es keine Verwandten. Wie soll ich dem kleinen Mädchen nur erklären, was passiert ist?«
»Wir werden versuchen, es der Kleinen schonend beizubringen. Es wird in jedem Fall ein Schock für sie sein. Aber sie muß es ja erfahren. Frau Busch war nicht sofort tot. Sie konnte uns noch sagen, wo wir ihre Tochter finden. Auf der Fahrt ins Krankenhaus ist sie dann gestorben.
Nun müssen wir uns um das Kind kümmern. Wir bringen es ins städtische Kinderheim, bis geklärt ist, ob es noch Verwandte gibt, die es eventuell zu sich nehmen können.«
»Nein, bringen Sie Verena nicht ins städtische Kinderheim«, bat Frau Reindorf. »Wenn es schon sein muß, dann ist sie in Sophienlust besser aufgehoben. Dort kann man besser auf sie eingehen. Sie wird jetzt viel Zuneigung und Liebe brauchen.«
»Sophienlust?« fragte der kleinere Polizist. »Den Namen habe ich schon einmal gehört. Ist das nicht ein privates Heim in Wildmoos?«
»Das stimmt«, bestätigte die Frau. »Es handelt sich um ein ehemaliges Herrenhaus. Frau von Schoenecker verwaltet dieses Heim für ihren Sohn Nick, der das Haus und den dazugehörenden Grundbesitz geerbt hat. Er ist noch nicht volljährig. Deshalb verwaltet seine Mutter das Heim. Die Kinder leben dort wie in einer großen Familie.«
»Gehört Frau von Schoenecker nicht das Gut Schoeneich?« wollte der Beamte wissen.
»Gewissermaßen ja«, gab Frau Reindorf Auskunft. »Nicks Vater ist gestorben, bevor der Junge auf die Welt kam. Frau von Schoenecker, die damals noch Wellentin hieß, hat später Alexander von Schoenecker geheiratet. Ihm gehört Gut Schoeneich. Er brachte zwei Kinder mit in die Ehe, Andrea und Sascha. Sie sind längst erwachsen. Frau von Schoenecker lebt mit ihrer Familie, also ihrem Mann, Nick und dem kleinen Henrik auf Schoeneich. Tagsüber ist Frau von Schoenecker jedoch immer in Sophienlust anzutreffen. Das Heim ist ihr Lebenswerk. Es liegt nicht weit von Schoeneich entfernt. Eine Privatstraße verbindet das Gut mit dem Kinderheim. Bitte bringen Sie Verena dorthin. Ich werde Frau von Schoenecker anrufen und fragen, ob ein Platz für das Kind frei ist.«
Die alte Frau erhob sich und ging zum Telefon. Denise von Schoenecker erklärte sich sofort bereit, das Mädchen aufzunehmen. Sie war erschüttert, als sie hörte, was geschehen war.
Verena und Nicole hatten bemerkt, daß Grete Reindorf ihren Platz auf der Terrasse verlassen hatte. Sie wunderten sich darüber, daß sie nicht wieder herauskam und wollten nachsehen, wo sie geblieben war. Erstaunt sahen sie auf die beiden Polizisten, die im Wohnzimmer saßen.
»Was ist denn passiert?« fragte Verena. »Ist etwa eingebrochen worden?«
»Nein, Herzchen«, antwortete Frau Reindorf. »Etwas anderes ist geschehen. Komm, setze dich einmal zu mir.«
Behutsam versuchten die drei Erwachsenen, dem Kind die schlimme Nachricht zu vermitteln. Verena saß da wie versteinert. Sie weinte nicht und sagte auch kein Wort. Ihr kam alles wie ein böser Traum vor. Sie wünschte sich, daß sie endlich aufwachte. Ohne Gegenwehr ließ sie sich von den Polizisten zum Auto bringen und stieg ein. Frau Reindorf hatte rasch noch ein paar Sachen zusammengepackt. Sie besaß für Notfälle einen Schlüssel vom Nachbarhaus.
Nicole sah dem davonfahrenden Streifenwagen nach. »Werden Verenas Eltern wirklich nie mehr wiederkommen?« fragte sie ihre Oma.
»Nein«, antwortete die alte Frau traurig. »Die arme Verena ist nun ganz allein. Aber Frau von Schoenecker kümmert sich um sie.«
*
Die Kinder in Sophienlust genossen die ersten warmen Frühlingstage. Der Winter war lang und kalt gewesen. Jetzt standen die Krokusse bereits in voller Blüte, und hier und dort zeigten sich die ersten Osterglocken.
Die zehnjährige Vicky kam mit ihrer zwei Jahre älteren Schwester Angelika gerade aus dem Haus. Die beiden Mädchen wollten zu den Pferdeställen gehen. Sie hatten von der Köchin Magda ein paar Möhren bekommen, die sie nun an die Tiere verfüttern wollten. Vicky, die eingentlich Viktoria hieß, und ihre Schwester Angelika lebten schon seit mehreren Jahren in Sophienlust. Sie hatten ihre Eltern bei einem Lawinenunglück verloren. Ihr Bruder Michael war inzwischen erwachsen und studierte in Heidelberg.
Die Geschwister waren erst wenige Meter von dem gepflegten Herrenhaus entfernt, als sie den Streifenwagen bemerkten, der die Auffahrt entlangfuhr.
»Ach, du liebe Güte«, meinte Angelika. »Was hat das denn zu bedeuten? Hat jemand etwas angestellt?«
»Keine Ahnung. Ich jedenfalls nicht«, verteidigte Vicky sich. »Sieh doch mal! Ich glaube, da sitzt ein Kind hinten im Wagen. Ob wir Zuwachs bekommen?«
Zaghaft und neugierig zugleich näherten sich die beiden Mädchen dem Wagen. Die beiden Polizisten stiegen aus und begrüßten die Kinder. Dann fragten sie, wo sie Frau von Schoenecker finden könnten.
»Tante Isi ist im Haus«, antwortete Angelika. »Ich werde Sie zu ihr führen.«
Einer der Polizisten öffnete die hintere Wagentür. »Wir sind da, Verena. Komm, steig aus. Du brauchst keine Angst zu haben. Niemand wird dir hier etwas tun.«
Mechanisch folgte das kleine Mädchen den beiden Beamten und Angelika ins Haus. Es schien seine Umgebung gar nicht richtig wahrzunehmen.
Vicky blieb mit erstauntem Gesicht zurück. Sie fragte sich noch immer, was das alles wohl zu bedeuten hatte. Es war sehr