Ein Engel ohne Himmel: Sophienlust 273 – Familienroman
Von Anne Alexander
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Über dieses E-Book
Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren.
»Hoppa, hoppa, Reiter!« sang Peterle und hüpfte begeistert auf den Knien der Huberbäuerin auf und ab. »Hoppa, hoppa, Reiter«, wiederholte er energisch, als die Bäuerin nicht gleich auf ihn einging. »Wenn er fällt, dann schreit er«, stimmte die Huberbäuerin nun ein und ließ ihre Knie auf und ab wippen. Ihre abgearbeiteten Hände hatte sie hinter dem Rücken des kleinen Jungen gefaltet. In ihren grauen Augen lag ein warmer Glanz. »Peterle, treib's nicht zu toll«, mahnte Dr. Hans-Joachim von Lehn, als er sah, daß sein kleiner Sohn immer heftiger auf und ab hüpfte. »Ach, lassen Sie nur, Herr von Lehn«, meinte die Bäuerin. »Kinder müssen toben. Das war schon immer so.« »Und meine Frau, die muß es wissen«, sagte der Huberbauer. Er zog bedächtig an seiner Meerschaumpfeife. »Wir haben selbst fünf Kinder großgezogen. Drei Buben und zwei Mädchen.
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Sophienlust (ab 351)
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Buchvorschau
Ein Engel ohne Himmel - Anne Alexander
Sophienlust
– 273–
Ein Engel ohne Himmel
Hat mich denn niemand wirklich lieb?
Anne Alexander
»Hoppa, hoppa, Reiter!« sang Peterle und hüpfte begeistert auf den Knien der Huberbäuerin auf und ab. »Hoppa, hoppa, Reiter«, wiederholte er energisch, als die Bäuerin nicht gleich auf ihn einging.
»Wenn er fällt, dann schreit er«, stimmte die Huberbäuerin nun ein und ließ ihre Knie auf und ab wippen. Ihre abgearbeiteten Hände hatte sie hinter dem Rücken des kleinen Jungen gefaltet. In ihren grauen Augen lag ein warmer Glanz.
»Peterle, treib’s nicht zu toll«, mahnte Dr. Hans-Joachim von Lehn, als er sah, daß sein kleiner Sohn immer heftiger auf und ab hüpfte.
»Ach, lassen Sie nur, Herr von Lehn«, meinte die Bäuerin. »Kinder müssen toben. Das war schon immer so.«
»Und meine Frau, die muß es wissen«, sagte der Huberbauer. Er zog bedächtig an seiner Meerschaumpfeife. »Wir haben selbst fünf Kinder großgezogen. Drei Buben und zwei Mädchen. Jetzt können wir langsam daran denken, uns aufs Altenteil zurückzuziehen. Den Hof wird der Alois übernehmen. Er hat eine tüchtige Frau und vier prächtige Kinder.«
»Nur schade, daß sie jetzt nicht hier sind«, warf die Huberbäuerin ein. »Es fehlt etwas, wenn sie in Urlaub fahren.« Sie lachte auf. »Urlaub, wer hätte zu unserer Zeit daran gedacht! Aber gegönnt sei es ihnen.«
»Und Ihre anderen Kinder?« fragte Andrea von Lehn. Sie, ihr Mann und Peterle waren an diesem Nachmittag zum Kaffee auf den Huberhof eingeladen worden.
»Der Martin studiert in Heidelberg Medizin. Er will Tierarzt werden wie Sie, Herr von Lehn«, sagte der Bauer. »Karl lebt mit seiner Frau in Stuttgart, und die Mädchen sind, wie Sie wissen, auch längst verheiratet und haben eigene Kinder. Ja, so nach und nach ist das Haus leer geworden.«
»Aber ganz aus der Welt sind die Kinder nicht«, meinte Waltraud Huber. »Sie besuchen uns alle für ein paar Wochen, wenn sie Urlaub haben.« Sie reichte Peterle seiner Mutter und stand auf, um Kaffee nachzuschenken. »Aber bitte, greifen Sie zu«, bat sie und wies auf die Kuchenplatte.
»Danke!« Andrea von Lehn nahm noch ein Stück Streuselkuchen, obwohl sie längst satt war, aber sie wollte die alte Frau nicht kränken.
»Ich habe von jeher meinen Kuchen und mein Brot selbst gebacken«, sagte die Bäuerin stolz. »Bei mir kommt nichts vom Bäcker auf den Tisch.«
»Sie ist keine schlechte Köchin, meine Frau«, bestätigte der Bauer. Liebevoll legte er seine Hand auf die ihre. »Ich habe meine Wahl nie bereut.«
»Der Kuchen ist ganz ausgezeichnet.« Hans-Joachim von Lehn griff ebenfalls noch einmal zu.
Sie unterhielten sich über die nächste Ernte und das Vieh. Der Huberbauer erzählte, daß er vor einigen Tagen zum Viehmarkt nach Maibach gefahren sei. »Ich habe zwei schöne Kalbinnen erstanden«, sagte er. »Schauen Sie sie doch nächste Woche einmal an, wenn Sie wieder in der Gegend sind.«
»Warum nicht heute?« meinte Dr. Hans-Joachim von Lehn und wollte aufstehen.
»Nein, nein, lassen Sie nur«, wehrte der Bauer erschrocken ab. »Heute ist Sonntag. Da gehen Sie mir nicht in den Stall. Die Kalbinnen sind gesund, soweit ich es beurteilen kann.«
»Aber da ist noch etwas anderes, über das wir mit Ihnen sprechen wollten.« Waltraud Huber sah ihren Mann an. »Als wir in Maibach waren, haben wir auch Freunde besucht. Sie wohnen am Stadtrand, in der Seegarten-Straße.«
»Meine Frau sieht wieder einmal Gespenster«, versuchte Karl Huber einzuwenden, aber die Bäuerin schüttelte energisch den Kopf.
»Von wegen Gespenster! Wir haben das Kind doch selbst gesehen, wenn auch nur flüchtig«, widersprach sie. »Unsere Kinder sind nie so herumgelaufen, oder willst du das etwa behaupten?«
»Es handelte sich also um ein Kind«, meinte Andrea von Lehn und drückte ihren kleinen Sohn an sich.
»Ja, um ein kleines Mädchen, etwa vier oder fünf Jahre alt«, bestätigte die Bäuerin. »Maria Krüger heißt es. Unsere Freunde wohnen drei Häuser weiter. Sie sagen, die Kleine werde ständig geschlagen. Und mit den anderen Kindern sähe man sie auch nur selten spielen. Und immer hätte sie langärmelige Kleider und Strümpfe an.«
»Sie sind der Meinung, die Kleine wird mißhandelt?« warf Hans-Joachim von Lehn stirnrunzelnd ein.
»Ja, genau das meine ich«, erwiderte Waltraud Huber. »Wir haben sie nur kurz gesehen. Sie ist gerannt, als ob der Teufel hinter ihr her wäre.«
»Man sollte sich nicht in Sachen einmischen, die einen nichts angehen«, wandte der Bauer erneut ein. »Wer weiß, was das Kind alles so anstellt. Mir ist bei meinen Kindern auch ab und zu die Hand ausgerutscht.«
»Ein Handausrutschen und ständiges Schlagen ist zweierlei«, sagte die Bäuerin unbeirrbar. Sie blickte Andrea an, die ihren Sohn in den Armen wiegte. Peterle war inzwischen eingeschlafen. »Sie dürfen nicht glauben, daß mein Mann jemals die Kinder mißhandelt hat. Das hätte ich nicht zugelassen.«
»So etwas hätten wir auch nie angenommen«, beruhigte der Tierarzt die alte Frau. Er wandte sich an den Bauern. »Wenn in der Gegend ein Tier mißhandelt wird, zeigen Sie es ja auch an, Huberbauer«, meinte er. »Ein kleines Kind ist genauso wehrlos wie ein Tier.«
»Daran ist schon etwas Wahres, Herr von Lehn«, gab der Bauer fast widerwillig zu. Er zuckte mit den Schultern. »Es ist schon eine Schande, was manche Eltern mit ihren Kindern anstellen. Wegnehmen sollte man sie ihnen, aber man ist manchmal einfach zu feige, gegen ein Unrecht einzuschreiten.«
»Gut, daß du es zugibst, Karl«, erklärte die Bäuerin zufrieden. »Ich dachte, daß Sie vielleicht Ihrer Schwiegermutter Bescheid sagen könnten. Frau von Schoenecker kümmert sich doch immer um Kinder, die Hilfe brauchen. Sie wird am ehesten herausfinden, ob wir recht haben oder ob wir uns täuschen.«
»Ja, das werde ich tun«, versprach Hans-Joachim von Lehn. »Wenn es der kleinen Maria schlechtgeht, wird meine Schwiegermutter sicherlich dafür sorgen, daß sie ihren Eltern weggenommen wird.«
*
Denise von Schoenecker verließ die Hauptstraße und wandte sich nach links. Sie fuhr jetzt an hohen Stadthäusern vorbei. Viele hatten noch altes, inzwischen mehrfach gestrichenes Fachwerk. Auf den Gehsteigen spielten Kinder. Wenige Meter vor ihrem Wagen rollte ein Ball auf die Fahrbahn. Ein kleines Mädchen rannte ihm nach.
Abrupt trat Denise auf die Bremse. Kurz vor dem Kind kam ihr Wagen zum Stehen.
Das kleine Mädchen griff nach dem Ball und schaute auf. Denise stieg aus. Erschreckt wollte die Kleine fortlaufen, aber die Gutsbesitzerin war schneller und konnte sie gerade noch festhalten.
»Ich tu es nicht wieder«, versprach das Kind, den Tränen nahe.
»Dann weißt du also, daß du nicht so einfach auf die Straße rennen darfst?« fragte Denise. Sie strich der Kleinen über die braunen Haare. »Ich gebe ja zu, daß es ein sehr schöner Ball ist, aber es ist doch besser, wenn der Ball überfahren wird und nicht du.«
»Sagst du es meiner Mama, Tante?« Das Mädchen sah bittend zu Denise empor.
»Nein, ich verrate dich nicht«, versprach Denise.
»Wie heißt du denn?«
»Gerlinde«, gab die Kleine bereitwillig Auskunft.
»Einen schönen Namen hast du«, meinte Denise. »Willst du mir jetzt versprechen, nie mehr auf die Straße zu laufen, ohne nach rechts und links zu sehen?«
Gerlinde nickte ernsthaft und umklammerte fest den bunten Ball. Sie schien immer noch Angst zu haben, daß er ihr fortgenommen werden könnte.
»Also, dann lauf!« Denise gab der Kleinen einen liebevollen Klaps.
Froh rannte das Mädchen den Bürgersteig entlang. Erst aus einiger Entfernung drehte es sich um und winkte. Denise erwiderte den Gruß und stieg wieder in ihren Wagen ein. Kinder sind doch überall gleich, dachte sie lächelnd.
Bald hatte Denise den Stadtrand erreicht. Ein Straßenschild wies ihr den richtigen Weg. Wenige Minuten später hielt sie vor einer schmalen Garteneinfahrt. Hohe Büsche verhinderten die Sicht in den dahinter liegenden Garten.
Denise stieg aus und klingelte an der schmiedeeisernen Pforte.
»Ja, wer ist da?« erklang eine Frauenstimme aus der Lautsprecheranlage.
»Mein Name ist Denise von Schoenecker«, stellte sich die Gutsbesitzerin vor. »Ich hätte Sie gern in einer persönlichen Angelegenheit gesprochen, Frau Krüger.«
»Wir kaufen nichts!«
»Ich möchte Ihnen nichts verkaufen. Es handelt sich um Ihre Tochter Maria.«
Statt einer Antwort öffnete sich automatisch die Gartentür. Denise ging durch die kleine Tür und betrat einen mit hellen Platten belegten Weg. Sie folgte ihm zu einem langgestreckten Bungalow, an dem sich hellrote Rosen emporrankten.
Denise war überrascht. Nach allem, was Andrea und Hans-Joachim ihr erzählt hatten, hatte sie angenommen, daß die Krügers in ärmlichen Verhältnissen leben würden.
Vor Denise öffnete sich nun die Haustür. Eine Frau von etwa achtunddreißig Jahren stand auf der Schwelle. Sie hatte ein scharfgeschnittenes Gesicht mit dunklen Augen und gepflegte schwarze Haare. Über ihrem geblümten Hauskleid trug sie eine weiße Schürze.
»Frau von Schoenecker?« Edith Krüger ging Denise einige Schritte entgegen. »Sie sagten, es handle sich um Maria. Hat sie wieder etwas ausgefressen?«
»Nein, sie hat nichts angestellt.«
»Und warum sind Sie dann hier?« Mitrauisch musterte die junge Frau die Besucherin.
»Vielleicht wäre es besser, wenn wir hineingingen«, schlug Denise von Schoenecker vor.
»Ich lasse keinen Fremden ins Haus. Da könnte ja sonst wer kommen«, sagte Edith