Wie erobert man einen Earl?
Von Carole Mortimer
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Über dieses E-Book
Woher rührt nur dieses sinnliche Prickeln, wenn der Earl of Hawthorne sie ansieht? Die junge Gouvernante Elena ist verzweifelt, weil sie ihre wahre Herkunft vor ihm verbergen muss. Dennoch gibt sie sich ihm hin, mit Leib und Seele. Zart wie die ersten Frühlingsblumen erblüht die Liebe - bis der Earl ihr Geheimnis aufdeckt!Woher rührt nur dieses sinnliche Prickeln, wenn der Earl of Hawthorne sie ansieht? Die junge Gouvernante Elena ist verzweifelt, weil sie ihre wahre Herkunft vor ihm verbergen muss. Dennoch gibt sie sich ihm hin, mit Leib und Seele. Zart wie die ersten Frühlingsblumen erblüht die Liebe - bis der Earl ihr Geheimnis aufdeckt…
Carole Mortimer
Carole Mortimer was born in England, the youngest of three children. She began writing in 1978, and has now written over one hundred and seventy books for Harlequin Mills and Boon®. Carole has six sons, Matthew, Joshua, Timothy, Michael, David and Peter. She says, ‘I’m happily married to Peter senior; we’re best friends as well as lovers, which is probably the best recipe for a successful relationship. We live in a lovely part of England.’
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Buchvorschau
Wie erobert man einen Earl? - Carole Mortimer
IMPRESSUM
Wie erobert man einen Earl? erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2013 by Carole Mortimer
Originaltitel: „Not Just A Governess"
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL SAISON
Band 21 - 2014 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: Gisela Grätz
Umschlagsmotive: The Killion Group, Inc. / Hot Damn Designs, kostins/GettyImages
Veröffentlicht im ePub Format in 04/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733746247
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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1. KAPITEL
Lady Cicely Hawthornes Londoner Stadtresidenz, Ende April 1817
Ich finde es jedenfalls enttäuschend, dass du immer noch keine Braut für Hawthorne gefunden hast, Cicely." Edith St Just, Dowager Duchess of Royston, maß ihre Freundin mit einem vorwurfsvollen Blick.
„Vielleicht hatten wir uns mit dem Vorsatz, diese Saison passende Gattinnen für unsere Enkelsöhne zu finden, ein wenig zu viel vorgenommen", gab Lady Jocelyn Chambourne vorsichtig zu bedenken.
Die drei Damen, die in Lady Hawthornes Salon beim Tee zusammensaßen, hatten sich vor fünfzig Jahren kennengelernt – während ihrer ersten Saison, als sie mit achtzehn in die Gesellschaft eingeführt worden waren. Seitdem verband sie eine unverbrüchliche Freundschaft, die sie durch sämtliche Höhen und Tiefen ihrer eigenen Ehe wie auch der ihrer Kinder begleitet hatte. Vor Kurzem nun waren die Damen zu dem Schluss gelangt, dass es höchste Zeit war, ihre heiratsunwilligen Enkelsöhne unter die Haube zu bringen.
„Unsinn, Jocelyn, tat die Dowager Duchess deren Bemerkung nachdrücklich ab. „Du hattest keinerlei Schwierigkeiten, Chambourne in den Hafen der Ehe zu manövrieren …
„Aber nicht mit der Braut, die ich für ihn ausgesucht hatte", wandte Lady Chambourne bedauernd ein.
„Und wenn schon. Die Dowager Duchess machte eine wegwerfende Handbewegung. „Wenigstens heiratet er. Unglücklicherweise scheint es ja außer uns niemanden zu kümmern, ob unsere Enkel sich vermählen. Meine Schwiegertochter ist jedenfalls keine Hilfe bei diesem Unterfangen, seit sie sich nach Roberts Tod vor drei Jahren aufs Land zurückgezogen hat. Und Royston selbst zeigt keinerlei Neigung, seine schlechte Gewohnheit aufzugeben. Nach wie vor nimmt er sich alle paar Wochen eine neue Geliebte, derer er dann nach kürzester Zeit wieder überdrüssig ist.
Sie schnaubte höchst undamenhaft.
Für Miss Eleanor Rosewood, ihres Zeichens Gesellschafterin der Dowager Duchess und gemeinhin Ellie gerufen, war das Schnauben, mit dem ihre Brotherrin und Stieftante ihre Missbilligung zu verdeutlichen pflegte, ein vertrautes Geräusch. Ellie saß mit den beiden anderen Gesellschafterinnen beim Fenster und hatte gedankenversunken auf den Garten hinausgeblickt, auf dessen gepflegten Rabatten sich nach dem ungewöhnlich warmen April ein wahres Farbenfeuerwerk aus sattgelben Osterglocken, flammend roten Tulpen, Hyazinthen in Blau- und Lilatönen, bunten Primeln und himmelblauen Vergissmeinnicht zeigte. Doch nun, da sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Konversation der drei Damen richtete, konnte sie sich eines gewissen Mitgefühls für Lady Hawthorne nicht erwehren. Adam Pembroke, Earl of Hawthorne, galt nicht nur unter der Dienerschaft, die er in seinem Haushalt beschäftigte, als ein kalter, hochmütiger und absolut unnahbarer Gentleman.
Und obwohl ihm seine erste Ehefrau nur eine Tochter und keinen Erben geschenkt hatte, war es für Lady Hawthorne keine leichte Aufgabe, ihrem Enkel gegenüber das Thema Heirat auch nur anzusprechen, geschweige denn eine Frau zu finden, die bereit war, die Gattin dieses als verletzender Spötter verschrienen Mannes zu werden.
Kein Zweifel, dass eine Verbindung mit ihm auch ihre Vorteile hatte. Hawthorne war sehr vermögend und zudem verboten attraktiv mit seinem glänzenden schwarzen Haar und den undurchdringlichen grauen Augen in seinem aristokratisch schönen Gesicht. Er war hochgewachsen, hatte beeindruckend breite Schultern, schmale Hüften und lange, kraftvolle Beine.
Bedauerlicherweise strahlte er etwas so Abweisendes aus, dass es jede Frau in seiner Gegenwart fröstelte, und nicht von ungefähr hatten ihm seine Standesgenossen im ton in Anlehnung an seinen Nachnamen, der so viel wie Weißdorn bedeutete, den Spitznamen „Thorn" verpasst.
Doch viel mehr als die schwierige Wesensart Hawthornes interessierten Ellie die Anstrengungen ihrer Dienstherrin, eine Braut für ihren eigenen Enkelsohn, Justin St Just, den Duke of Royston, zu finden …
„Adam erweist sich als wenig hilfreich, verteidigte Lady Hawthorne sich seufzend. „Er lehnt jede meiner Dinnereinladungen ab.
Die Dowager Duchess hob eine Braue. „Mit welcher Begründung?"
„Angeblich ist er zu beschäftigt …" Lady Hawthorne verzog das Gesicht.
Ihre Gnaden rümpfte die Nase. „Aber irgendwann muss auch er essen, so wie wir alle, oder nicht?"
„Man sollte es annehmen, ja …" Lady Hawthorne seufzte erneut.
„Dann darfst du nicht aufgeben, Cicely, bestimmte die Dowager Duchess knapp. „Wenn Hawthorne nicht zu dir kommt, musst du ihn aufsuchen.
Lady Hawthorne schrak zusammen. „Ihn aufsuchen?"
„Fahr nach Hawthorne House und mach ihm die Aufwartung. Die Duchess of Royston nickte. „Und besteh darauf, dass er am selben Abend zu dir zum Dinner kommt.
„Ich kann es versuchen, Edith. Lady Hawthorne wirkte nicht überzeugt. „Aber erzähl uns doch, wie es bei deiner Suche nach einer Braut für Royston vorangeht.
Ihre Miene hellte sich auf. „Letzte Woche hast du den Namen der jungen Dame aufgeschrieben und Jocelyns Butler den Zettel zur Verwahrung gegeben."
Die Dowager Duchess neigte hoheitsvoll den Kopf. „Richtig. Und wenn die Zeit kommt, wird er sie heiraten. Ich garantiere es euch."
„Ich beneide dich unendlich, wenn ich sehe, wie Adam meine sämtlichen Anstrengungen in dieser Hinsicht hintertreibt!" Lady Hawthorne machte ein niedergeschlagenes Gesicht.
„Auch er kommt zur Vernunft. Bestimmt." Lady Chambourne drückte der Freundin aufmunternd die Hand, doch die geplagte Lady Hawthorne war anscheinend genauso skeptisch wie Ellie, der die abweisende Miene des Gentleman lebhaft vor Augen stand.
„Und jetzt lasst uns über etwas anderes reden!, schlug Lady Chambourne strahlend vor. „Habt ihr schon die neuesten Gerüchte über die verschwundene Enkelin des Duke of Sheffield gehört?
„Nein! Erzähl!", verlangte Lady Hawthorne begierig.
Ellie blieb stumm, wie es ihrer Stellung geziemte, doch sie war genauso gespannt wie Ihre Ladyschaft. Die verschwundene Enkelin des kürzlich verstorbenen Duke of Sheffield war das Thema der Saison, in den Salons ebenso wie in den Dienerquartieren. Nach dem überraschenden Ableben Sheffields hatte sein Neffe den Titel geerbt, während die Enkelin am Tag nach der Beerdigung verschwunden war – ebenso wie der Familienschmuck und etliche Tausend Pfund Bargeld.
„Ich pflege solch haltlosen Behauptungen keine Beachtung zu schenken." Die Dowager Duchess ließ ihr berühmtes Schnauben hören.
„Sie sind nicht im Mindesten haltlos, Edith, protestierte Lady Chambourne entrüstet. „Miss Matthews wurde auf dem Kontinent gesehen, in Begleitung eines Gentleman, mit dem sie in Saus und Braus lebt. Was den Gerüchten, dass sie etwas mit dem verfrühten Tod ihres Großvaters und dem Diebstahl der Wertsachen zu tun hat, umso mehr Nahrung gibt.
„Ich kann nicht glauben, dass eine Enkelin von Jane Matthews sich eines derart tadelnswerten Verhaltens schuldig machen sollte", beharrte die verwitwete Duchess of Royston im Brustton der Überzeugung.
„Vergiss nicht, dass die Mutter des Mädchens eine Spanierin war", gab Lady Hawthorne mit einem vielsagenden Blick zu bedenken.
„Da hat sie recht, Edith", schaltete Lady Chambourne sich ein.
„Dummes Gewäsch, tat die Dowager Duchess die Einwände ab. „Maria Matthews war die Tochter eines spanischen Granden, und bis zum Beweis des Gegenteils weigere ich mich zu glauben, dass ihre Tochter sich irgendeines Vergehens schuldig gemacht hat.
Womit das Thema beendet war, wie Ellie aus Erfahrung wusste.
Auch wenn in den Salons und in den Dienerquartieren weiterhin lebhaft darüber spekuliert werden würde, warum Miss Magdalena Matthews, sollte sie denn tatsächlich unschuldig sein, mitsamt Familienschmuck und Geld am Tag nach dem Begräbnis ihres Großvaters verschwunden war.
2. KAPITEL
Hawthorne House, Mayfair, London. Einen Tag später.
Sieh mich nicht so finster an, Adam. Sonst glaube ich noch, du freust dich nicht, mich zu sehen."
Ein Ausdruck von Missfallen flammte in Lord Hawthornes grauen Augen auf und breitete sich unübersehbar in seiner strengen aristokratischen Miene aus. Auch wenn seine Großmutter mit ruhiger Stimme gesprochen hatte, war der Vorwurf in ihrem Ton nicht zu überhören. Ein Vorwurf, der im Übrigen gerechtfertigt war, doch er hatte an diesem Nachmittag weder die Zeit noch die Geduld, sich das Geplapper der alten Dame anzuhören. Keinen Nachmittag, um ehrlich zu sein. „Ich bin nur überrascht, dass du mich ausgerechnet jetzt besuchst, Großmutter, wo du doch weißt, dass ich um diese Zeit eine halbe Stunde mit Amanda im Kinderzimmer zu verbringen pflege."
Lady Hawthorne hob die Augenbrauen. „Könnte es vielleicht sein, dass ich den Wunsch habe, meine Urenkelin zu sehen?"
„Selbstverständlich. Adam durchquerte den Blauen Salon seines Hauses in Mayfair, um seine Großmutter einigermaßen verspätet auf die gepuderte Wange zu küssen. „Aber es wäre mir lieber gewesen, wenn du deinen Besuch vorher angekündigt hättest.
„Weshalb?"
„Meine Zeit ist knapp, und ich verabscheue Störungen meines Tagesablaufs."
„Wie ich bereits sagte, ich habe nicht den Wunsch, dich zu stören", rief Lady Hawthorne ihm in Erinnerung.
„Aber genau das tust … Adam unterbrach sich. Durch den unverhofften Besuch seiner Großmutter würde er vier Minuten zu spät ins Kinderzimmer kommen. „Dann begleite mich, wenn du schon einmal da bist.
Er nickte knapp und öffnete die Tür zum prachtvollen Vestibül, um sie vorausgehen zu lassen – sehr zur Überraschung seines Butlers Barnes, der wartend draußen stand.
„Du bist wahrhaftig der ungeduldigste Mensch, den ich kenne, Adam. Lady Hawthorne rauschte an ihrem Enkel vorbei in die Halle und bedeutete ihrer Gesellschafterin mit einem kurzen Nicken, dass sie auf sie warten sollte. „Weder dein Großvater noch dein Vater waren je so reizbar wie du.
Wie es die Höflichkeit gebot, legte Adam seine Hand stützend unter ihren Ellbogen und begleitete sie die breite, geschwungene Marmortreppe hinauf. Er wusste sehr wohl, dass die überfürsorgliche Art seiner Großmutter seinen Großvater und seinen Vater ebenso gestört hatte wie ihn. Aber da beide Gentlemen nicht mehr unter den Lebenden weilten, blieb es ihm und Amanda überlassen, sich damit zu befassen, und es war seine Pflicht als Oberhaupt der Familie, wenigstens zu versuchen, der alten Dame mit Freundlichkeit zu begegnen. „Verzeih, wenn ich dich mit meiner Schroffheit beleidigt haben sollte."
Lady Hawthorne löste sich aus dem Griff um ihren Ellbogen und legte ihre Hand in seine Armbeuge. „Als Entschädigung könntest du heute Abend mit mir essen."
Adam versteifte sich bei ihrem unverhohlenen Nötigungsversuch. Er zögerte, ihn als Erpressung zu bezeichnen, obwohl ihm ihre neuerdings verstärkten Bemühungen, ihm geeignete Heiratskandidatinnen vorzustellen, lebhaft vor Augen standen. Geeignet nach ihren Vorstellungen selbstverständlich. Er hingegen wollte nichts davon wissen. Weder von den betreffenden Damen noch von Heirat. „Ich muss zu einer Sitzung im Oberhaus, Großmutter." Und danach würde er in seinen Club gehen, eine Runde Karten spielen und sich einen anständigen Brandy gönnen.
„Dann vielleicht morgen Abend? Lady Hawthorne gab nicht auf. „Es ist eine Ewigkeit her, dass du mich besucht hast.
Nicht von ungefähr, seit ihm klar geworden war, was seine Großmutter bezweckte. Er hatte keine Lust, sich wiederzuverheiraten, und mit der Verwaltung seines Grundbesitzes und seinen Pflichten im Oberhaus war sein Leben weitgehend ausgefüllt. Die Dinner und Bälle und all der andere Unfug, mit dem man sich während der Saison die Zeit vertrieb, interessierten ihn nicht im Geringsten.
„Dafür besuchst du mich jetzt, Großmutter."
„Aber bei dir kann ich nicht … ach, schon gut. Sie seufzte ungeduldig. „Offenbar bist du noch unnachgiebiger geworden, als du ohnehin schon warst.
Adam presste die Lippen zusammen. Die Kritik war berechtigt, aber seine Großmutter kannte die Gründe für seine Unnachgiebigkeit. In den zwei Jahren seiner Ehe hatte seine untreue Gattin ihn während der Saison zu jedem Ball, jedem Dinner, jeder Soiree mitgeschleift, und im Sommer zu jeder Hausparty. Inzwischen war er seit vier Jahren Witwer und blieb all diesen Ereignissen fern. Die meisten Mitglieder des ton ödeten ihn an; warum also sollte er sich freiwillig ganze Abende in ihre langweilige, reizlose Gesellschaft begeben?
Gleichwohl regte sich bei den Tränen, die er in den Augen seiner Großmutter schimmern sah, sein schlechtes Gewissen. „Vielleicht kann ich morgen Abend eine Stunde erübrigen …"
„Oh, wie schön, Adam! Die Tränen versiegten, als habe es sie nie gegeben. Stattdessen strahlte die alte Dame ihn an. „Ich lasse deine Leibspeisen zubereiten und …
„Eine Stunde, Großmutter, unterbrach er sie streng, „höchstens zwei.
„Ja, sicher. So zerstreut, wie sie klang, war sie bereits mit der Planung des Menüs beschäftigt. Und der Gästeliste, die mit Sicherheit die Namen etlicher heiratsfähiger weiblicher Wesen beinhaltete, die er lieber mied. „Wie macht sich das neue Mädchen?
„Das neue Mädchen?" Der plötzliche Themenwechsel brachte ihn aus dem Konzept. Meinte sie die junge Frau, die letzten Monat kurz sein Interesse geweckt hatte, ehe ihm klar geworden war, dass sie ihn im Bett genauso langweilte wie außerhalb?
„Amandas Kindermädchen", stellte Lady Hawthorne klar.
„Ah. Adam nickte. „Mrs Leighton ist kein Mädchen, Großmutter. Und sie ist nicht Amandas Kindermädchen, sondern ihre Gouvernante.
„Ist Amanda nicht noch zu klein für eine Gouvernante? Du weißt genauso gut wie ich, dass die feine Gesellschaft Blaustrümpfe nicht besonders schätzt …"
„Ich werde Amanda nicht zu einem jener hohlköpfigen Wesen erziehen, die nichts anderes im Sinn haben als Bälle und Partys und die neueste Mode." So wie ihre Mutter, hätte er hinzusetzen können, entschied sich jedoch dagegen. Je weniger er an Fanny und ihre Untreue dachte, umso besser für ihn.
„… außerdem würde ich wirklich gern wissen, weshalb du nach all den Jahren plötzlich auf Dorkins’ Dienste verzichtet hast."
Lady Hawthorne war etwas außer Atem, als sie die Stufen zur dritten Etage erklommen, in der sich die Kinderzimmer befanden.
Adam beabsichtigte auch jetzt nicht, sich zu erklären. Das ehemalige Kindermädchen seiner sechsjährigen Tochter hatte ihm unverhohlen zu verstehen gegeben, dass es bereit war, sein Bett zu teilen, so er es denn wünschte. Das war unter keinen Umständen akzeptabel. Zumal er nie, weder in Worten noch in Taten, irgendein körperliches Interesse an der hübschen, aber ziemlich dreisten Clara Dorkins angedeutet hatte.
Wenn es dagegen Elena Leighton, Amandas neue Gouvernante, gewesen wäre, hätte er die Aussicht, ein, zweimal das Bett mit ihr zu teilen, ganz und gar nicht widerwärtig gefunden …
Und wie in Dreiteufelsnamen kam er auf den Gedanken?
Seit dem Tod seiner Ehefrau hatte Adam die Befriedigung seiner fleischlichen Bedürfnisse auf ein Mindestmaß beschränkt. Sie waren eine Schwäche, die er sich nicht leisten konnte, und wann immer das Verlangen zu groß wurde für seine inzwischen beinahe legendäre Selbstbeherrschung, befriedigte er es mit Halbweltdamen, deren Gesellschaft er ein, zwei Stunden aushalten konnte. Frauen, die keinen Ruf zu verlieren hatten und außer einer großzügigen Bezahlung nichts dafür erwarteten, dass sie die Schenkel für ihn spreizten.
Niemals hatte er auch nur im Entferntesten erwogen, eine Affäre mit einer seiner Bediensteten einzugehen, daher die übereilte Entlassung Clara Dorkins’ vor zwei Wochen.
Dabei war Elena Leighton, Dorkins’ Nachfolgerin, auf eine kühle Art schön. Ihr seidiges dunkles Haar trug sie in einem strengen Knoten, der die elegante Linie ihres Nackens eher unterstrich, als sie zu verdecken, genau wie die düstere schwarze Witwenkleidung nicht nur ihre schlanke Figur, sondern auch die Anmut ihrer fein gezeichneten Gesichtszüge betonte, statt davon abzulenken. Sie hatte eine zierliche gerade Nase und volle Lippen mit der Kontur eines perfekten Amorbogens, doch das Auffälligste waren ihre eigentümlich hellen blaugrünen Augen, die von dichten dunklen Wimpern gesäumt wurden.
Lieber Himmel, wann waren ihm all diese Einzelheiten an der jungen Witwe aufgefallen, die er kürzlich als Erzieherin seiner Tochter eingestellt hatte?
„Mrs Leighton?", fragte seine Großmutter neugierig nach.
„Ich glaube, ihr Mann fiel bei Waterloo", antwortete Adam zerstreut. Die Erkenntnis, dass er tatsächlich so viel von Elena Leightons zugegebenermaßen attraktiven körperlichen Eigenschaften wahrgenommen hatte, verblüffte ihn. Immerhin war die Frau seine Angestellte und keine Kokotte, die er für ein paar Stunden in sein Bett mitnehmen und anschließend fortschicken konnte. Und darüber hinaus war Elena Leighton die Witwe eines Kriegshelden, der sein Leben in der blutigen Schlacht gegen Napoleon gelassen hatte.
„Alt oder jung …?"
Adam hob die Brauen. „Ich habe nicht die geringste Ahnung, ob der gefallene Mr Leighton …"
„Ich meinte seine Witwe." Lady Hawthorne seufzte ungeduldig.
Bis zu diesem Moment hatte Adam sich keine Gedanken über Mrs Leightons Alter gemacht, aber er nahm an, dass sie Ende zwanzig oder Anfang dreißig sein musste.
Er runzelte die Stirn, als ihm aufging, dass die Witwentracht sie älter und reifer wirken ließ und dass sie vermutlich erheblich jünger war, als er sie einschätzte. „Solange Mrs Leighton ihre Aufgabe zu meiner Zufriedenheit erfüllt, ist mir ihr Alter vollkommen gleichgültig", tat er das Thema ab und schob die Tür zum Kinderzimmer auf. Dann trat er zur Seite und bedeutete seiner Großmutter, ihm voran in den Raum zu gehen.
Elena sah von dem Gedichtband hoch, in dem sie mit ihrer kleinen Schutzbefohlenen geblättert hatte, und setzte eine höflich distanzierte Miene auf, als ihr Dienstherr und seine Großmutter väterlicherseits das Zimmer betraten.
Eine höflich distanzierte Miene, die hoffentlich verbarg, dass sie mitgehört hatte, wie die beiden sich draußen über sie unterhielten. Die hoffentlich auch verbarg, wie angespannt sie deswegen war …
Sie hatte darauf gebaut, dass sie als verwitwete Mrs Elena Leighton, die als Gouvernante in Diensten des unzugänglichen Lord Hawthorne stand, vor derartiger Neugier sicher sein würde. Doch so wie Lady Hawthorne sie nun musterte, konnte sie diese Hoffnung begraben.
Elena widerstand dem Drang, den Sitz ihres strengen Haarknotens zu überprüfen und ihr schwarzes Kleid glatt zu streichen.