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Heirat um Mitternacht: Ein Liebesroman aus dem 18. Jahrhundert
Heirat um Mitternacht: Ein Liebesroman aus dem 18. Jahrhundert
Heirat um Mitternacht: Ein Liebesroman aus dem 18. Jahrhundert
eBook460 Seiten6 Stunden

Heirat um Mitternacht: Ein Liebesroman aus dem 18. Jahrhundert

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Über dieses E-Book

Inspiriert von realen Ereignissen: eine heimlich arrangierte Ehe wird zur Grundlage einer Dynastie. Nach Jahren im Exil kehrt Julian zurück, um eine Braut heimzuholen, die er nicht kennt. Zu seiner Freude entdeckt er, dass sie alles ist, was er sich erhofft hatte. Ohne zu ahnen, dass sie bereits verheiratet sind, genießt Deborah ihr unabhängiges Leben. Für Julian ist es eine Herausforderung, sie dazu zu bringen, ihn um seiner selbst willen zu akzeptieren, obwohl sie eigentlich keine Wahl hat. Die Zukunft des Herzogtums Roxton hängt davon ab. Lucinda Brant hat eine neues Erlebnis in der üppigen Welt des 18. Jahrhunderts und der georgianischen Aristokratie in ihrer typischen Art geschaffen - ein herzzerreißendes Drama mit einem glücklichen Ende. Laut den Mitgliedern von BookBub eines der 20 romantischsten Bücher überhaupt ... Rezensionen: Lucinda Brants breit angelegte Familiengeschichten erinnern mich daran, warum genau ich mich in historische Liebesromane verliebt habe. - Cheryl Bolen, New York Times Bestsellerautorin Das Buch wird Sie daran erinnern, warum Lucinda Brants Bücher solche Schätze sind. -SWurman, Night Owl Reviews 5 STAR TOP PICK Die Spannung beginnt auf Seite eins und lässt nie nach. Irrungen und Wirrungen, dramatische Enthüllungen und ein wenig genussreiches Chaos machen dies zu einem Buch, das man nicht weglegen kann. Sehr empfohlen! - Fiona Ingram, Readers' Favorite 5 STAR MEDAL WINNER

SpracheDeutsch
HerausgeberSprigleaf
Erscheinungsdatum10. Okt. 2020
ISBN9781925614572
Heirat um Mitternacht: Ein Liebesroman aus dem 18. Jahrhundert
Autor

Lucinda Brant

LUCINDA BRANT is a New York Times and USA Today bestselling author of Georgian historical romances & mysteries. Her award-winning novels have variously been described as from 'the Golden Age of romance with a modern voice', and 'heart wrenching drama with a happily ever after'.Lucinda lives most days in the 18th Century (heaven!) and is addicted to Pinterest. Come join her in her 18th Century world: http://www.pinterest.com/lucindabrant/

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    Buchvorschau

    Heirat um Mitternacht - Lucinda Brant

    TEIL I

    ENGLAND ZUR ZEIT GEORGS II

    PROLOG

    GLOUCESTERSHIRE, 1761

    Deborah erwachte durch die Geräusche einer hastigen nächtlichen Ankunft im gepflasterten Hof unter ihrem Schlafzimmer aus tiefem Schlaf. Die Stalljungen, in deren Augen noch der Schlaf stand, erhielten Befehle zugebrüllt und Kutschenräder drehten sich, bis sie abrupt zum Stehen kamen.

    Zuerst dachte Deborah, dass alles Teil ihres Traums war, aber das Klappern von Pferdehufen auf unebenem Stein schien in der Kühle einer Waldlichtung nicht möglich. Otto machte mit seiner Bratsche wunderschöne Musik, während sie auf der Seilschaukel höher und höher schwang und ihre Seidenröcke sich zwischen ihren mit langen Strümpfen bekleideten Beinen bauschten. Sie war sich sicher, dass ihre Zehen die Wolken berühren würden, wenn sie noch höher schaukelte. Sie lachten beide und sangen und es war ein so wunderschöner, sonniger Tag. Dann zog eine Wolke vor die Sonne, Otto verschwand und sie fiel an der höchsten Stelle von der Schaukel herunter.

    Jemand rüttelte sie wach. Eindringliches Flüstern ließ sie die Augen öffnen und sie blinzelte in das Licht eines Kerzenleuchters, den ihre Amme hochhielt.

    Bevor sie Zeit hatte, ganz aufzuwachen, zog die Amme die warme Decke fort und warf einen Morgenmantel über Deborahs schmale Schultern. Dann führte die Frau mit zitternden Händen einen Becher an ihre Lippen und forderte sie auf, ihn ganz auszutrinken. Deborah tat, was ihr gesagt wurde. Sie schnitt eine Grimasse. Die Medizin war das gleiche übel schmeckende Gebräu, das man ihr kurz vor dem Schlafengehen verabreicht hatte. Es hatte sie in einen tiefen, tiefen Schlaf versetzt. Warum wurde sie dann aufgeweckt, wenn sie doch wieder einschlafen sollte?

    Die Amme wich der Frage aus. Sie richtete das spitzenbesetzte Nachthäubchen des Mädchens, legte den langen Zopf dunkelroter Haare über eine Schulter, befingerte überflüssigerweise die weiße Schleife – alles das, während sie murmelte, Miss Deb sollte ein gutes Mädchen sein und tun, was man ihr sagte, dann würden alle ihre Gebete beantwortet werden.

    Schlaftrunken und barfuß wurde Deborah von ihrer Amme an der Tür von Sir Geralds Bücherzimmer stehengelassen. Der Flur war dunkel und kalt und das Bücherzimmer war nicht besser. Am äußersten Ende dieses maskulinen Heiligtums brannte ein Feuer im Kamin, aber es lud sie nicht mit der Aussicht auf Wärme und Geborgenheit ein. Sie trat vor, als ihr Bruder, Sir Gerald, ihr das befahl, und warf einen Blick auf die beiden Fremden, die eine Erfrischung zu sich nahmen. Sie hatten ihre dicken Mäntel abgelegt, aber der hochgewachsene Gentleman mit dem weißen Haar und der kräftigen Adlernase trug noch sein Schwert, dessen reich verzierter Griff unter den Schößen seines teuren, schwarzen Samtrocks mit Silberbesatz zu sehen war.

    Deborah konnte nicht anders, als diesen majestätischen, fremden Mann anzustarren, in dessen glattrasierte Wangen die Zeit tiefe Furchen eingraviert hatte. Seine Haare und Augenbrauen waren so weiß wie die weichen Spitzenrüschen, die über seine schlanken, weißen Hände fielen. Sie hatte noch nie einen so großen Smaragd gesehen wie den in dem goldenen Ring, den er an seiner linken Hand trug. Sie nahm an, dass er hundert Jahre alt sein musste.

    Als er leuchtende, dunkle Augen auf sie richtete und sie mit einem gekrümmten, schlanken Finger zum Näherkommen aufforderte, zögerte Deb und schwankte leicht. Ein scharfes Wort ihres Bruders ließ ihre Füße sich in Bewegung setzen und durch den Nebel in ihrem Kopf, der sie zu überwältigen drohte, erinnerte sie sich schließlich an ihre Manieren und senkte ihren Blick zu Boden. Als sie dann vor diesem majestätischen Fremden stand, zitterte sie, nicht aus Furcht, denn sie wusste nicht, vor wem oder was sie sich fürchten sollte, sondern wegen der kalten Nachtluft, die durch das offene Fenster hereinströmte. Sie machte einen wackligen Knicks, wartete ruhig darauf, zuerst angesprochen zu werden, und ließ gehorsam ihren Blick weiter auf dem türkischen Teppich ruhen.

    Die Stimme des Fremden war überraschend tief und kräftig für einen so alten Mann.

    „Wie alt bist du, Kind?"

    „Vor sechs Tagen bin ich zwölf geworden, Sir."

    Der Fremde runzelte die Stirn. Er sagte in Französisch etwas über seine Schulter zu seinem grauhaarigen Begleiter. Dieser Gentleman antwortete dem alten Fremden in derselben Sprache, der nickte und Sir Gerald in dessen Sprache anredete.

    „Sie ist viel zu jung."

    „Aber – Euer Gnaden, sie ist alt genug! Der Bischof erhob keinen Einwand, versicherte ihm Sir Gerald mit einem eifrigen, nervösen Lächeln. „Zwölf ist das Alter, in dem eine Frau ihre Zustimmung erklären kann.

    „Das stimmt, Monseigneur, stimmte der grauhaarige Begleiter zu. „Aber die Entscheidung liegt bei Euer Gnaden … ich weiß keine Alternative.

    „Mit Sicherheit haben doch Euer Gnaden Eure Meinung nicht geändert?, jammerte Sir Gerald. „Bischof Ramsay war nicht erfreut, hierher gerufen zu werden, und wenn die Zeremonie nicht durchgeführt wird …

    „Eure Schwester ist nicht fünfzehn, wie Ihr mich glauben machtet, Cavendish", stellte der Fremde mit eiskalter Stimme fest.

    Sir Gerald stieß ein Schnauben aus, das in einem nervösen Lachen endete. „Euer Gnaden! Zwölf oder fünfzehn – drei Jahre spielen kaum eine Rolle."

    Deborah blickte rechtzeitig auf, um Zeuge des Abscheus zu werden, der über das zerfurchte Gesicht des alten Gentlemans huschte, und sie fragte sich, was er an ihr auszusetzen schien. Sie wusste, dass sie nur einigermaßen hübsch war. Sir Gerald verzweifelte an ihrem schlichten, bräunlichen Teint, aber sie war nicht entstellt und ihre Gesichtszüge waren unauffällig. Man hielt sie für groß für ihr Alter, aber nicht so ungeschickt grobknochig, dass dieser Fremde das Recht hatte, in ihrem eigenen Heim über sie das Gesicht zu verziehen. Warum trug ihr Bruder ein so dummes Lächeln auf seinem runden, fleischigen Gesicht und starrte den arroganten alten Mann erwartungsvoll an, als hinge alles von dessen Willen ab? Er benahm sich, wie seine eigenen Diener es ihm gegenüber taten. Sie hatte nie gesehen, wie ihr Bruder solche Kratzfüße machte und um jemanden herumscharwenzelte. Es war wirklich merkwürdig.

    Deborah spürte die schwarzen Augen, die sie unter schweren Lidern betrachteten, und sie zwang sich, dem alten Herrn ins Gesicht zu schauen, ohne zu blinzeln. Aber sie konnte nicht umhin, rot zu werden, als sein Blick auf ihre bestrumpften Füße fiel und dann langsam über das Nachthemd bis zum Ende ihres dunkelroten Zopfes an ihrem Oberschenkel und dann über die Schwellung ihrer knospenden Brüste hinauf wanderte und auf der schiefen Schleife unter ihrem Kinn, die ihr Nachthäubchen festhielt, liegen blieb. Dann sah er wieder in ihre braunen Augen. Sie begegnete seinem Blick offen durch Augen, die sich anfühlten wie mit Öl gefüllt, und konnte daher nicht klar sehen, weil die Medizin, die sie getrunken hatte, zu wirken begann. Ein kleines, schiefes Lächeln spielte auf den dünnen Lippen des alten Gentlemans, und Deborah wünschte, sie hätte den Mut, ihm zu sagen, dass seine Manieren für einen so alten Mann zu wünschen übrig ließen. Die Frage, die er ihrem Bruder stellte, ließ ihre Wangen erbleichen.

    „Hat ihre Menstruation eingesetzt?"

    Sir Gerald war sprachlos. „Euer–Euer Gnaden?"

    „Ihr habt die Frage sehr wohl gehört, Cavendish", mischte sich der grauhaarige Begleiter des alten Herrn ein.

    Aber obwohl Sir Geralds Kiefer mahlten, konnte er nicht sprechen.

    Deborah, trotz des Gefühls, als wäre ihr Kopf mit Watte gefüllt, antwortete an seiner Stelle langsam. „Vor–vor zwei Monaten."

    Alle drei Männer wandten sich um und sahen sie an, als ob sie endlich neben ihrer körperlichen auch ihre geistige Existenz zur Kenntnis nähmen.

    Sir Gerald runzelte die Stirn, aber der alte Fremde und sein Freund lächelten und der alte neigte höflich seinen weißen Kopf zu ihr, um sich für ihre Antwort zu bedanken. Er schien sie direkt ansprechen zu wollen, als eine Unruhe im Gang sie alle ablenkte. Der grauhaarige Begleiter verschwand im Schatten und aus dem Zimmer. Er blieb einige Minuten lang fort und in der Zwischenzeit sprach niemand. Sir Gerald brütete vor sich hin, schaute seine Schwester ein- oder zweimal mit stummer Missbilligung an, während der alte Fremde ruhig am offenen Fenster wartete und behutsam Schnupftabak aus einer Schnupftabakdose aus Gold und Emaille nahm.

    Ein Gentleman, gekleidet in die Gewänder eines Geistlichen, betrat die Bibliothek, jedoch waren seine Gewänder keine gewöhnlichen – sie waren aus Samt mit goldenen Fäden und mit Hermelin eingefasst. Er trug eine kunstvoll verzierte Bibel bei sich und trug eine prachtvolle, altmodische gepuderte Perücke mit drei Locken über jedem seiner fleischigen Ohren. Deborah wusste, dass dies Bischof Ramsay war. Er war früher an diesem Tag im Haus angekommen und hatte die Diener mit seinen herrischen Forderungen verstört. Die Amme sagte, die Köchin wäre am Ende ihrer Weisheit. Der Bischof warf einen Blick auf Deborah in ihrem Nachtgewand und zog seine buschigen Augenbrauen hoch. Er ignorierte seinen Gastgeber zugunsten des alten Fremden, über dessen Hand er sich tief verbeugte. Deborah fand es seltsam, dass ein Bischof sich vor diesem alten Herrn verbeugte. Er musste wirklich jemand sehr Hochstehendes sein. In diesem Moment kam der kleine grauhaarige Mann aus dem Schatten und wirkte besorgt.

    „Sie haben ihn aus der Kutsche gezerrt, Euer Gnaden", verkündete er und zögerte dann.

    „Und – Martin?", fragte der alte Gentleman mit unheimlicher Aufmerksamkeit.

    „Er hat noch eine Flasche getrunken …", entschuldigte sich Martin.

    „Dann wird er die Zeremonie besser ertragen als wir alle", kam die trockene Antwort.

    „Die Trauung soll wie geplant durchgeführt werden?", fragte Sir Gerald eifrig.

    Der alte Fremde sah ihn nicht an. „Ich habe keine Wahl …"

    Er sagte dies in einem so müden Ton, dass sogar Deborah trotz ihrer Jugend und Unerfahrenheit die tiefe Trauer in der reifen Stimme hörte. Sie fragte sich, was ihn beunruhigte. Die Tatsache, dass diese Männer über eine Hochzeitszeremonie sprachen, drang kaum zu ihr durch. Schließlich hatte niemand mit ihr über eine Heirat gesprochen. Jeder wusste, wenn ein Mädchen das heiratsfähige Alter erreichte, verließ sie das Schulzimmer, um während der Saison in die Gesellschaft eingeführt zu werden. Sie besuchte viele Bälle und Gesellschaften und lernte passende Gentlemen kennen. Sie verliebte sich in einen davon und hoffte, dass er es sein würde, der in der üblichen Art und Weise bei ihrem Bruder um ihre Hand anhielt. Ehen wurden nicht mitten in der Nacht zwischen Fremden geschlossen. Und ganz sicher nicht im Nachthemd und nach der Einnahme einer großzügigen Dosis Laudanum. Es gab Formalitäten und geheimnisvolle Dinge, die Eheverträge genannt wurden und einen ordnungsgemäßen Ablauf für einen solch bedeutsamen Schritt im Leben eines Mädchens.

    Aber Deborah irrte sich und erkannte, wie furchtbar sie sich geirrt hatte, als ihr Bruder sie zum Bischof führte, der sie einen kleinen Spatz von einer Braut nannte und sie väterlich ins Kinn kniff. Er sagte, dass ihr und ihrer Familie eine große Ehre zuteil würde, weil sie als die Frau des Erben des Herzogs von Roxton erwählt worden wäre.

    Ihr erster Gedanke war, dass sie schliefe. Die Medizin, die zu nehmen die Amme sie geweckt hatte, führte sie aus ihrem schönen Traum mit Otto im Wald zu diesem Albtraum, in dem sie die Hauptrolle in einer Shakespeare-Tragödie zu spielen schien. Vielleicht, wenn sie sich genügend anstrengte aufzuwachen, würde es geschehen und die Amme würde mit einem Glas Milch und beruhigenden Worten neben ihr stehen.

    Sie schloss die Augen; sie schwankte, ihr Mund war trocken. Aber sie wachte nicht aus dem Albtraum auf. Sie war so verwirrt, dass sie weder sprechen noch sich bewegen konnte. Panik stieg in ihr auf. Sie wünschte sich von Herzen, dass Otto nach Hause kommen und sie retten würde. Sie wollte weinen. Hinter ihren Augenlidern standen heiße Tränen, aber aus irgendeinem Grund konnte sie nicht weinen. Warum schluchzte sie dann? Schnell wurde ihr klar, dass nicht sie das war. Das leise Schluchzen kam von der Tür her und lenkte sie genug ab, um zu vergessen, dass dies ein Albtraum war.

    Ein großer, gut gebauter junger Mann mit einem Schopf schwarzer Haare, die ihm in die Augen fielen, wurde an beiden Ellenbogen von stämmigen, livrierten Dienern gestützt. Er war nicht so betrunken, dass er nicht hätte gehen können, und das teilte er seinen Wärtern knurrend mit. Jedoch je mehr er darum kämpfte, sich von ihnen zu befreien, mit seinen bestrumpften Beinen um sich trat und die Fäuste ballte, desto fester wurde der Griff um seine Ellenbogen, und bald gab er das Kämpfen auf und begnügte sich damit, weiter in sich hinein zu schluchzen.

    Ein unbehagliches Schweigen folgte, als der Junge neben Deborah gestellt wurde. Auf eine träge Handbewegung des alten Gentlemans hin zogen die stämmigen Diener sich in den Schatten zurück.

    Deborah warf blinzelnd dem weinenden Jungen einen Blick zu, aber er hatte sein Gesicht von ihr ab- und dem alten Gentleman zugewandt. Er sprach Französisch mit ihm, seine Stimme brach zwischen den Sätzen in Schluchzen aus. Er sprach schneller, als sie je hoffen konnte, zu verstehen, aber er benutzte die Worte mon père – Vater – immer und immer wieder. Deb konnte nicht glauben, dass dieser weißhaarige alte Mann möglicherweise der Vater dieses Jungen sein könnte. Sicher meinte er Grand-père? Und während sie Vater und Sohn weiter anstarrte, brach es plötzlich auf Englisch aus dem Jungen heraus. Seine Worte waren so voller Bitterkeit, dass Deborahs Gesicht nicht das einzige war, das sich vor intensiver Verlegenheit rötete.

    „Es ist alles Eure Schuld! Eure Schuld", schrie der Junge den alten Gentleman an, während seine Fäuste sich vor Wut ballten und wieder öffneten. „Warum sollte ich für Eure Sünden verbannt werden? Bereitet meine Anwesenheit Euch Unbehagen, Monseigneur, nachdem ich jetzt die schmutzige Wahrheit kenne? Arme Maman. Daran zu denken, dass sie all diese Jahre mit Euren–Euren abscheulichen Geheimnissen leben musste …"

    „Alston! Das ist genug, unterbrach der grauhaarige Begleiter. „Du bist betrunken. Am Morgen wirst du es bereuen …

    Der Junge wandte seinen tränenerfüllten Blick von seinem Vater ab, um den Mann an seiner Seite anzufunkeln.

    Bereuen? Bereuen, dass ich die Wahrheit über ihn erfahren habe? Niemals!", fauchte er mit unkontrolliert zitternden Lippen. „Du hast es die ganze Zeit gewusst, nicht wahr, Martin? Warum hast du mir nichts gesagt? Ich bin sein Erbe. Ich habe ein Recht, es zu erfahren. Ei−ein Recht." Er begann wieder zu schluchzen und fuhr sich mit einem seidenen Ärmel über sein feuchtes Gesicht. „Mon Dieu, ich bin verflucht. Verflucht."

    „Das bildest du dir alles nur ein, mein Sohn", sagte der alte Gentleman ruhig.

    Dies ließ den jungen Mann hysterisch bellend auflachen.

    „Ich bilde es mir nur ein? Dann ist es eine – eine Lüge? Es ist eine Lüge, dass Seine Gnaden, der hochedle Herzog von Roxton – mein Vater – das Land mit schmutzigen Bastarden bevölkert hat …"

    Ein Schlag in sein Gesicht ließ den Jungen zu Boden gehen und den Herzog sich eine brennende Hand reiben.

    Deborah sah zu, wie der Herzog sich abwandte und in den Schatten ging, während der Junge sich zu ihren Füßen auf die seidenbekleideten Knie aufrappelte, eine Hand auf seiner schmerzenden Wange. Der grauhaarige Gentleman, den sie nun als Martin kannte, legte dem Jungen einen Arm um seine zuckenden Schultern und sagte mit besänftigender Stimme, einen Blick auf Deborah werfend:

    „Wenn du deine Mutter jemals wiedersehen willst, heirate dieses Mädchen. Dann können wir uns auf den Weg nach Frankreich machen."

    Der Junge umkrampfte Martins Arm, sein tränenbeflecktes Gesicht war nahe dem des anderen. „Wenn ich tue, was er verlangt, darf ich dann Maman sehen, bevor wir absegeln? Darf ich, Martin? Bitte. Ich muss sie sehen, bevor wir abreisen. Ich muss. Bitte."

    Martin schüttelte traurig den Kopf. „Die frühe Geburt deines kleinen Bruders hat sie sehr geschwächt, mein Junge. Sie braucht Zeit, sich zu erholen. Alles andere liegt in Gottes Hand."

    Der Junge brach erneut in Schluchzen aus. „Er wird sie mich nie wiedersehen lassen! Das weiß ich, Martin. Niemals."

    Deborahs braune Augen weiteten sich und sie hielt den Atem an, um auf die Antwort des grauhaarigen Mannes zu warten. Als er sie über den schwarz gelockten Kopf des Jünglings hinweg ansah und freundlich anlächelte, fühlte sie eine große Erleichterung. Doch warum sie etwas anderes als Panik angesichts dessen, was ihr bevorstand, empfinden sollte, konnte sie nicht erklären. Vielleicht lag es daran, dass sie nichts von all dem hier für real hielt. Es war ein durch das Laudanum verursachter Traum und bald würde sie erwachen. Wenn sie nur dieses Gefühl von Watte im Kopf abschütteln könnte.

    „Nach der Zeremonie nehme ich meinen Patensohn nach Frankreich mit, dann weiter nach Rom und Griechenland", erklärte Martin ihr in vertrauensvollem Ton und fügte hinzu, als wollte er das Versprechen seines Lächelns betonen: „Wir werden viele Jahre fort sein. Versteht Ihr, ma chérie?"

    Deborah nickte. In Martins Lächeln lag etwas merkwürdig Beruhigendes, als ob er sie vor diesem seltsamen, traurigen Jungen und den Folgen dieser übereilten Heirat um Mitternacht beschützen würde. Frankreich lag auf der anderen Seite des Meeres. Und Griechenland und Rom waren so weit fort, dass es Monate und Monate dauerte, um zu solch exotischen Ländern zu reisen. Das hatte Otto ihr erzählt. Plötzlich fühlte sie sich in Sicherheit. Sie wusste, bald würde sie erwachen. Alles, was sie tun musste, war stillzuliegen und auf ihre Amme zu warten, bis sie sie mit dem Frühstückstablett wecken würde. Dieser Junge würde für viele Jahre fortgehen. Sie würde ihn nach heute Nacht nie wiedersehen. Je eher der Bischof die Zeremonie durchführte, desto eher würde dieser Albtraum enden.

    Martins beruhigende Worte übten auch ihre Wirkung auf den Jungen aus, denn er löste sich aus der Umarmung des Mannes und strich sich das Haar aus den Augen. Der Bischof kam rasch herbei, um sich mit offener Bibel vor diese beiden Kinder zu stellen und die Vorgänge begannen in Eile. Es war, als gäbe es keine Gewissheit, dass die Kapitulation des Jungen lange genug andauern würde, um die Gelübde zu tauschen oder dass das Mädchen, das im Stehen schwankte und dessen Blick nicht zum Blinzeln fähig schien, imstande sein würde, sich noch viel länger aufrecht zu halten. Die Furcht des Bischofs schien berechtigt, als plötzlich der Junge in sich hinein zu kichern begann und den Bischof so aus der Fassung brachte, dass er zweimal innehalten musste.

    Deborah blinzelte den Jungen verständnislos an, um zu sehen, was er so amüsant fand. Schließlich musste der Junge seine Erheiterung mit seinem alten Vater teilen, der wie ein marmorner Wachposten hinter ihm stand.

    Monseigneur? Ist dieses unscheinbare, ungelenke Geschöpf mit dem Verstand eines Vögelchens das Beste, das Ihr finden konntet, um Euren Erben zu heiraten?, warf er voll arroganter Verbitterung über seine Schulter zurück. „Mit Sicherheit verdiente doch meine Abstammung etwas Besseres?

    „Ihr Stammbaum ist ebenso gut wie der deine, mein Sohn."

    Der Jüngling kicherte höhnisch. „Was für eine illustre Verbindung, in der Tat! Etwas, worauf Ihr alle sehr stolz sein müsst. Pah!"

    Er griff, als der Bischof ihn dazu aufforderte, nach Deborahs Hand und wiederholte gehorsam die Worte, die sie zu Mann und Frau machen würden.

    Auch Deborah wiederholte die Worte des Bischofs, aber sie sprach sie aus, ohne sie zu verstehen. Sie hatte keine Ahnung, wie die Vornamen dieses Jungen lauteten, obwohl es eine ganze Reihe davon gab, denn sie konnte ihre Augen nicht von seinem Gesicht abwenden. Ihr Albtraum hatte sich unerwartet in einen wundersamen Traum verwandelt. Ihr junger Ehemann war der schönste Junge, den sie je gesehen hatte. Seine Augen hielten sie im Bann. Sie waren grün, aber nicht von irgendeinem Grün. Sie waren von einem tiefen Smaragdgrün. Sie hatten dieselbe Farbe wie der große, quadratisch geschnittene Smaragd an der dünnen weißen Hand des alten Fremden, von dem Deborah überzeugt war, dass er hundert Jahre alt sein müsste.

    EINS

    BATH, 1769

    Julian Hesham dachte, er wäre gestorben und in den Himmel gekommen. Aber die Engel unterbrachen ihr Harfenspiel doch kaum mit verdammt und verflucht. Er vermutete, dass die Musik im Himmel ein sanftes Zupfen der Saiten wäre, die Melodie eher largo als allegro. Er hatte keine musikalische Neigung, aber die Kakofonie, die seine Ohren angriff, war ein rasend gespieltes Stück, das die Nerven reizte. Wenn er langsam zu Tode bluten sollte, wäre es besser, das in der Stille und im Frieden eines Frühlingsmorgens zu tun, mit nur den Geräuschen eines erwachenden Waldes zur Begleitung. Er wünschte den Musikanten hundert Meilen weit fort. Dass der Fiedler sich als sein Retter erweisen könnte, kam ihm nicht in den Sinn.

    Er lag zusammengesunken unter einer Buche. Für einen zufälligen Beobachter sah er aus wie ein Gentleman, der den Rausch eines Abends starken Trinkens ausschlief. Seine langen, muskulösen Beine lagen ausgestreckt. Sein Halstuch und die bestickte, seidene Weste waren in Unordnung. Seine Stiefel waren schlammbedeckt. Sein kräftiges, kantiges Kinn ruhte auf seiner Brust. Eine Strähne dicken schwarzen Haars, die sich aus dem Band gelöst hatte, fiel ihm in die Augen. Sein rechter Arm hing schlaff in das Laub hinab, daneben lag sein hingefallener Degen. Seine rechte Hand, die er in seine geblümte Weste geschoben hatte, hielt ein gefaltetes Taschentuch auf eine Stelle direkt unter seinen Rippen, wo ein Stoß des Floretts seines Gegners tief in den Muskel eingedrungen war.

    Plötzlich hörte die Musik auf. Der Wald war wieder ruhig.

    Julian seufzte erleichtert.

    In der Stille ertönte das unverkennbare Klicken einer Pistole, wenn sie gespannt wird, und das ließ ihn den Kopf heben. Nur ein paar Fuß von ihm entfernt, am Rande der Lichtung, stand ein Junge in einem blausamtenen Reitrock, der keine Pistole, sondern eine Bratsche hielt. Julian schätzte, er müsste etwa acht Jahre alt sein – so alt wie sein viel jüngerer Bruder.

    Als der jugendliche Musikant die Bratsche unter seinem Kinn anlegte und den Bogen wieder zu den Saiten hob, schüttelte Julian den Kopf und hielt das Spiel auf, bevor es begann. Er hatte nicht vor, ein bereitwilliges Publikum für weiteres Gekratze zu sein, so neugierig er auch auf den nächsten Schritt des Musikers war.

    „Ich bin sicher, dass du sehr gut bist, aber könntest du nicht an einem anderen Ort üben?, fragte er im Plauderton. Als der junge Musiker auf dem Absatz kehrt machte und fast den Bogen fallen ließ, fügte er hinzu: „Zu deinen Füßen. Und lächelte schwach, als der Junge unwillkürlich einen Schritt zurücktrat. „Tu mir den Gefallen, meinen Rock zu holen. Er liegt hinter dir … dort ist ein Fläschchen … in der rechten Tasche …"

    Der junge Musiker nahm die Bratsche vom Kinn.

    „Was wollt Ihr mit einer Flasche? Ihr seht aus, als hättet Ihr bereits genug getrunken."

    „Welch beklagenswert schlechte Manieren du hast, klagte Julian und fügte hinzu, als der junge Musiker weiter zögerte: „Ich will dir nichts Böses. Selbst wenn ich ein Straßenräuber wäre, könnte ich dir in meinem Zustand doch nichts antun.

    Diese Rede kostete Mühe und Julians Atem ging nur schwer.

    Der junge Musiker beobachtete, wie ein schmerzhafter Krampf über die schönen Züge huschte und fragte sich, was er tun sollte. Das Gesicht des Mannes war zu bleich, der kräftige Mund zu blau und der Atem ging jetzt zu kurz und schnell. In diesem Moment bemerkte der junge Musiker den dunklen Flecken, der sich unter der verschmutzten Weste heraus ausbreitete.

    „Mein Gott! Er ist verletzt!"

    Dieser Ausruf kam nicht von dem jungen Musiker, was Julian dazu zwang, unter äußerster Willensanstrengung aufzuschauen. Ein Paar feuchte, braune Augen betrachteten ihn mit Besorgnis und eine kühle, weibliche Hand berührte seine Stirn.

    Julian grinste und fiel prompt in Ohnmacht.

    „Verdammter Narr!, murmelte die junge Frau, legte ihre Pistole beiseite und schraubte hastig den Deckel einer monogrammverzierten, silbernen Flasche ab, die ihr von dem jungen Musiker überreicht wurde. Sie sah zu ihrem Neffen auf. „Jack. Nimm Bannock und hole Dr. Medlow. Sage ihm, dass ein Mann verwundet wurde. Erwähne nicht, dass die Wunde von einer Klinge stammt.

    Der junge Musiker zögerte.

    „Kann ich dich mit ihm allein lassen, Tante Deb?"

    Sie lächelte beruhigend.

    „Ja, Jack, ich komme schon zurecht. Ich habe meine Pistole, erinnerst du dich?"

    Sie beobachtete, wie ihr Neffe davonlief, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf den verletzten Duellanten richtete. Sanft hob sie seinen Kopf und träufelte den Inhalt des Fläschchens zwischen seine kalten, leicht geöffneten Lippen.

    „Ich will nicht schuld daran sein, wenn Ihr sterbt, schalt sie ihn wie ein ungezogenes Kind. „Aber es würde Euch recht geschehen dafür, dass Ihr so dumm seid, ein Duell auszufechten!

    „Nein. Es wäre nicht Eure Schuld, murmelte Julian schließlich. „Vielen Dank. Noch ein Schlückchen, wenn Ihr so gut sein wollt. Er ließ sich wieder in ihre Umarmung fallen und sah in ein errötetes Gesicht auf, das von einem Überfluss dunkelroter Haare umrahmt war. „Spielt er immer Fiedel und flucht dabei? Es macht das ja lebendig, aber es würde Herrn Bach kränken."

    „Es ist keine Fiedel, sondern eine Bratsche. Und nicht Bach, sondern Telemann. Die Flüche kamen von mir, nicht von Jack."

    „Und die − äh − die Pistole?"

    „Meine, gab Deb wahrheitsgemäß zu und wechselte prompt das Thema. „Was hieltet Ihr von der Komposition, die wir übten?

    „Sie gefiel mir gar nicht."

    Sie lachte gutmütig und zeigte wunderschöne, perlweiße Zähne.

    „Vielleicht in einer anderen Umgebung, nach ein paar Tagen mehr Übung, und … Julian hielt inne, von dem schwachen, weiblichen Duft ihres weißen Halses abgelenkt. „Das ist sehr angenehm, verkündete er überrascht. „Im Allgemeinen parfümieren sich Frauen viel zu stark. Ist das Lavendel oder etwas anderes? Rosenwasser vielleicht?"

    „Ihr müsst wahnsinnig sein. Wie könnte ihr Schmeicheleien sagen, wenn Ihr mich hier vollblutet? Sie lehnte ihn vorsichtig an den Baumstamm und schüttelte dann ihre Röcke aus, als sie sich erhob. „Lacht nicht. Das wird Eure Schmerzen nur verschlimmern. Wenn ich nicht etwas tue, um die Blutung zu stillen, werdet Ihr sterben, und ich habe genug Sorgen, ohne dass eine Leiche zu meinen Schwierigkeiten beiträgt.

    „Mein liebes Mädchen, macht Euch keine Mühe. Ich bin sicher, dass ich durchhalten werde, bis der Arzt eintrifft."

    Deb hörte nicht zu. Sie dachte nach. Das letzte, was sie wollte, war, dass dieser Gentleman ihr unter den Händen wegstarb. Außerdem würde sie schon genug Schwierigkeiten haben, ihrem spießigen Bruder zu erklären, was sie und Jack allein mit ihren Bratschen im Avonwald machten. Sir Gerald hasste ihr Musizieren fast ebenso wie Jacks bloße Existenz. Was könnte sie benutzen, um einen Verband daraus zu machen? Sie stöhnte. Sie nahm an, sie würde ihr Hemd opfern müssen (es war eines von Ottos und ohnehin ziemlich dünn vom Tragen). Um ihre Blöße zu bedecken, würde sie sich den Rock des Gentlemans borgen.

    „Ich werde auch seine Krawatte benutzen müssen", murmelte sie laut, als sie das Männerhemd an ihrem Hals aufknöpfte und es, ohne zu zögern, über den Kopf zog. Sie schnappte sich den abgelegten Rock des Fremden und verschwand hinter einem Baum.

    „W−wie alt sagtet Ihr, dass Ihr wäret?", fragte Julian im Plauderton, der bei ihrer Entkleidung ein bewunderndes Publikum abgegeben hatte, jedoch enttäuscht war, weil ihm nur der Anblick ihres schmalen Rückens in ihrem dünnen Baumwollhemd vergönnt wurde.

    „Ich habe nichts gesagt. Ihr könnt mein Bratschenspiel verabscheuen, rief sie ihm zu, „aber man hält mich in Krisen für recht brauchbar.

    „Was macht Ihr denn da hinten? Bitte, macht keine Umstände …"

    „Ich versichere Euch, ich werde nicht mehr tun, als nötig ist, um Euch am Leben zu erhalten, bis Dr. Medlow eintrifft."

    Deb trat hinter dem Baum hervor, der Rock hing ihr lose um Schultern und Arme und war bis zum Kinn zugeknöpft, die schmalen Kragenspitzen standen um ihren schlanken Hals und kitzelten ihre kleinen Ohren. Sie kniete sich neben Julian und machte sich daran, ihr Hemd zu Verbänden zu zerreißen.

    „Ich werde Euch die Weste und das Hemd ausziehen müssen, sagte sie, und bereitete die zurechtgerissenen Stoffstreifen vor. „Ich werde so vorsichtig wie möglich sein.

    „Dessen bin ich mir sicher", kam die gemurmelte Antwort.

    Er ließ es sich gutmütig gefallen, dass seine seidene Krawatte hin und her gezerrt, die Diamantnadel vorsichtig herausgezogen und beiseite gelegt wurde, aber er musste sich sehr zusammenreißen, um sich aufzusetzen, seine Beine zu strecken und die Hand wegzunehmen, die er auf die Wunde gepresst hatte. Bei der letzteren Bewegung verlor er das Bewusstsein, erholte sich aber schnell, seinen Blick hing an dem Gesicht des Mädchens: An den ausdrucksvollen braunen Augen, der geraden, unauffälligen Nase und der vollen Unterlippe, die kaum merklich bebte. Mehrere Locken waren ihren Nadeln entkommen und fielen ihr über die erhitzten Wangen. Julian konnte nicht entscheiden, welche Farbe sie hatten: waren sie von einem dunklen Erdbeerblond oder eher von einem herbstlichen Rot? Er war sicher, noch nie so reiches, rotes Haar oder einen solchen Glanz gesehen zu haben. An eine so außergewöhnliche Farbe hätte er sich erinnert. Die Frage fesselte all seine Gedanken, während er aus seiner reich bestickten Weste befreit wurde, unter dem ein Hemd hervorkam, das von seinem eigenen Blut nass und schwer war.

    Ihm das Hemd auszuziehen, erwies sich für Deb als Problem. Sie wusste, dass ihr Patient nicht die Kraft hatte, die Arme über die Schultern zu heben, um ihm das Hemd über den Kopf zu ziehen, also würde sie es aufreißen müssen. Das war jedoch nicht so einfach. Der Stoff war an der Wunde nass vom Blut und klebte an dem Schnitt in der muskulösen Brust des Mannes wie Papier an der Wand. Jedoch dachte Deb nicht lange über die Schmerzen nach, die sie ihm zufügen würde. Er würde sie nur für einen kurzen Augenblick ertragen müssen.

    Entschlossen packte sie die Vorderseite des offenen Hemds und riss es ihm links und rechts von den breiten Schultern. Sie musste dreimal zerren, um den feinen Stoff zu zerreißen. Beim dritten Anlauf riss das Tuch bis zu seiner Taille und enthüllte eine breite Brust, die von Haaren im selben Rabenschwarz wie die, die den Kopf des Gentlemans bedeckten, bedeckt war. Einen Moment lang stand Überraschung in ihren Augen. Die seidene Krawatte, die Kostbarkeit des erlesenen Stoffes von Weste und Rock, die aristokratischen Gesichtszüge, all das hatte das Ausmaß der Muskeln des Mannes verborgen. Das ließ sie auf eine vollständige Genesung hoffen. Ein so wohl trainierter Körper würde ihm dabei eine gute Hilfe sein, aber nur, wenn die Blutung gestillt werden konnte, und zwar sofort.

    Julian ertrug diese Behandlung mit großer Standhaftigkeit, überrascht, dass das Mädchen stark genug dafür war. Der Anblick von Blut schien ihr offensichtlich nichts auszumachen. Sie rümpfte lediglich ihre Nase, nicht als Reaktion von Zimperlichkeit, sondern in einer eher fragenden, interessierten Art und Weise. Er wollte einen Scherz über die doppelte Empfindlichkeit von Frauen und Musikern machen, aber der Witz erstarb auf seinen blassen Lippen. Er wurde durch einen heiseren Fluch tief aus dem Inneren seiner Kehle ersetzt, denn plötzlich zuckte sein ganzer Körper unter einem unerträglichen Schmerz zusammen.

    Deb hatte vorsichtig das durchtränkte Hemd von der Wunde abgenommen und einen tiefen Schnitt unter dem Brustkorb auf der rechten Seite des Gentlemans enthüllt. Sie untersuchte ihn und sagte mit abgeklärter Stimme:

    „Ich glaube nicht, dass Euer Gegner Euch töten wollte, oder er hat keine Ahnung von Anatomie. Der Schnitt ist tief, aber wenn er Euch hätte töten wollen, würde er Euch links gestochen haben …"

    Dann drückte sie ohne Vorwarnung ein Bündel gefalteten Stoffes auf die Wunde, so fest, dass es sich für Julian anfühlte, als ob sie ihre ganze Faust in die Wunde gestoßen hätte, um sich mit seinen Gedärmen zu mischen und auf sein Rückgrat zu stoßen. Verwirrt vor Schmerzen kämpfte er darum, bei Bewusstsein zu bleiben. Seine schlaffe Hand legte sich über den Tupfer. Mit strenger Stimme wurde ihm befohlen, sie mit festem Druck dort zu halten, bis der provisorische Verband sicher um seine Brust gewickelt wäre, um dieses Polster an Ort und Stelle zu halten.

    Es war keine einfache Aufgabe, diese Wunde zu verbinden. Deb schaffte es, den Verband einmal um den straffen Bauch ihres Patienten zu wickeln, aber nachdem sie so weit gekommen war, flatterten die Lider des Gentlemans und er fiel prompt in Ohnmacht. Rasch rappelte sie sich auf, zog grob die Lagen ihrer Röcke beiseite, um ihre langen, in Strümpfen steckenden Beine zu befreien und setzte sich rittlings auf die leblosen Oberschenkel des Mannes, um das ganze Gewicht seines Oberkörpers mit ihrer Schulter aufzufangen, als er nach vorn fiel. Sie wurde fast von ihren Knien gerissen, schaffte es aber, ihre Schulter gegen den oberen Teil seiner Brust zu stemmen, und zwar in einem solchen Winkel, dass ihre Arme frei blieben. Dies ermöglichte es ihr, den Verband ungehindert um die ganze Breite seines kräftigen, bloßen Rückens zu winden. Das tat sie mehrere Male, wobei sie den Verband jedes Mal fester zog, sodass die Wunde verschlossen wurde und das Polster sicher unter den Stoffstreifen lag.

    Sicher, dass sie einen blauen Fleck an ihrer Schulter davongetragen hatte und ihr Rücken unter dem Gewicht des Mannes fast zusammenbrach, tastete sie rasch zwischen den herausragenden Baumwurzeln nach der Nadel mit dem Diamantkopf, die sie beiseite gelegt hatte. Nachdem sie die Nadel benutzt hatte, um die oberen Lagen des provisorischen Verbands festzustecken, benutzte sie ihre restliche Kraft, um ihren Patienten aufzurichten. Sie lehnte ihn sanft wieder gegen die Birke. Aber es sah gar nicht bequem aus, daher entledigte sie sich ohne einen weiteren

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