Sehnsucht, die nie vergeht: Der Bergpfarrer 355 – Heimatroman
Von Toni Waidacher
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Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert.
Sebastian Trenker schraubte den Verschluß seiner Thermoskanne zu und steckte den Becher darüber. Dann verstaute er die Kanne im Rucksack und schnallte ihn sich über. Eine gute halbe Stunde hatte der Geistliche Rast gemacht, doch jetzt wurde es Zeit weiterzuwandern, wenn er bis zum Mittag das Ziel seiner Bergtour, die Kandererhütte, erreichen wollte. Wie immer hatte seine Haushälterin ihm reichlich Proviant mitgegeben, eigentlich zuviel für eine Person. Allerdings hatte Sebastian die Erfahrung gemacht, daß es hier oben, in der freien Natur, besonders gut schmeckte. Bestimmt lag es an der guten Bergluft, daß der Wanderer einen so großen Appetit entwickelte und kaum Brote wieder mit herunterbrachte. Indes hatte die Fürsorge seiner Haushälterin einen bestimmten Hintergrund. Sophie Tappert, die Perle des Pfarrhauses, hatte nämlich immer fürchterliche Angst, Hochwürden könnte sich auf einer seiner Touren verirren oder gar verunglücken, dann sollte er wenigstens nicht verhungern, bis Hilfe kam. Allerdings war diese Sorge völlig unbegründet. Sebastian Trenker kannte sich in den Bergen aus wie kein Zweiter. Schon in frühester Jugend hatte er als Bergführer gearbeitet und sich damit das Geld für das Studium verdient. So nannten ihn die Leute nicht von ungefähr liebevoll den ›Bergpfarrer‹. Für den guten Hirten von St. Johann gab es nichts Schöneres, als in seiner Freizeit auf Tour zu gehen, denn hier oben fühlte er sich seinem Herrgott ganz besonders nahe, und nicht selten begegnete ihm ein Mensch, dessen Schicksal nach Hilfe rief. Diese Hilferufe blieben nicht ungehört. Die ihm eigene unkonventionelle Art, auf die Menschen zuzugehen, machte es den Leuten leicht, ihm sein Herz zu öffnen, und Sebastian hatte für die Nöte seiner Mitmenschen stets ein offenes Ohr. Probleme wurden angepackt, denn eine Lösung gab es für den Bergpfarrer immer. Nachdem es eine Weile her war, daß Sebastian sich zu einer Tour aufmachen konnte, hatte es an diesem Morgen endlich geklappt. In aller Herrgottsfrühe hatte er das Pfarrhaus verlassen und war über den Höllenbruch und der Hohen Riest aufgestiegen. Noch lag das Dorf im Schlaf, und nur auf den umliegenden Höfen erwachte das Leben, als Sebastian, angetan in Wanderkleidung und festem Schuhwerk, losmarschierte.
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Buchvorschau
Sehnsucht, die nie vergeht - Toni Waidacher
Der Bergpfarrer
– 355 –
Sehnsucht, die nie vergeht
… auch wenn dich dein Herz in die Fremde zieht
Toni Waidacher
Sebastian Trenker schraubte den Verschluß seiner Thermoskanne zu und steckte den Becher darüber. Dann verstaute er die Kanne im Rucksack und schnallte ihn sich über.
Eine gute halbe Stunde hatte der Geistliche Rast gemacht, doch jetzt wurde es Zeit weiterzuwandern, wenn er bis zum Mittag das Ziel seiner Bergtour, die Kandererhütte, erreichen wollte. Wie immer hatte seine Haushälterin ihm reichlich Proviant mitgegeben, eigentlich zuviel für eine Person. Allerdings hatte Sebastian die Erfahrung gemacht, daß es hier oben, in der freien Natur, besonders gut schmeckte. Bestimmt lag es an der guten Bergluft, daß der Wanderer einen so großen Appetit entwickelte und kaum Brote wieder mit herunterbrachte. Indes hatte die Fürsorge seiner Haushälterin einen bestimmten Hintergrund. Sophie Tappert, die Perle des Pfarrhauses, hatte nämlich immer fürchterliche Angst, Hochwürden könnte sich auf einer seiner Touren verirren oder gar verunglücken, dann sollte er wenigstens nicht verhungern, bis Hilfe kam. Allerdings war diese Sorge völlig unbegründet. Sebastian Trenker kannte sich in den Bergen aus wie kein Zweiter. Schon in frühester Jugend hatte er als Bergführer gearbeitet und sich damit das Geld für das Studium verdient. So nannten ihn die Leute nicht von ungefähr liebevoll den ›Bergpfarrer‹.
Für den guten Hirten von St. Johann gab es nichts Schöneres, als in seiner Freizeit auf Tour zu gehen, denn hier oben fühlte er sich seinem Herrgott ganz besonders nahe, und nicht selten begegnete ihm ein Mensch, dessen Schicksal nach Hilfe rief.
Diese Hilferufe blieben nicht ungehört. Die ihm eigene unkonventionelle Art, auf die Menschen zuzugehen, machte es den Leuten leicht, ihm sein Herz zu öffnen, und Sebastian hatte für die Nöte seiner Mitmenschen stets ein offenes Ohr. Probleme wurden angepackt, denn eine Lösung gab es für den Bergpfarrer immer.
Nachdem es eine Weile her war, daß Sebastian sich zu einer Tour aufmachen konnte, hatte es an diesem Morgen endlich geklappt. In aller Herrgottsfrühe hatte er das Pfarrhaus verlassen und war über den Höllenbruch und der Hohen Riest aufgestiegen. Noch lag das Dorf im Schlaf, und nur auf den umliegenden Höfen erwachte das Leben, als Sebastian, angetan in Wanderkleidung und festem Schuhwerk, losmarschierte. Ein paar Wochen waren schon vergangen, seit er den alten Franz Thurecker besucht hatte, der auf der Kandereralm lebte und dort die Almwirtschaft und Käserei betrieb. Beinahe das ganze Jahr über blieb der Senner in seiner Hütte und kam nur für die kurze Zeit des Almabtriebs und des Winters ins Tal. Der Bergkäse, den der Senn herstellte, genoß einen legendären Ruf, und die Leute kamen von nah und fern, um beim Thurecker-Franz einzukaufen und zünftig zu essen. Manchmal, wenn der Andrang so groß war, daß der Senner ihn nicht mehr alleine bewältigen konnte, krempelte sich Pfarrer Trenker auch schon mal die Ärmel hoch, wenn er gerade oben auf der Hütte war, und half dabei, die Wünsche der hungrigen und durstigen Wanderer zu erfüllen.
Der Geistliche war gespannt, was Franz heute wohl seinen Gästen zu essen anbot. Bestimmt würden auf der Sonnenterrasse alle Plätze belegt sein. Es war Hochsommer, und in St. Johann gab es kaum noch ein freies Bett im Hotel oder einer der Pensionen.
Während Sebastian weiter hinaufstieg, die Almhütte lag beinahe zweitausend Meter hoch, schaute er sich immer wieder um. Es war einfach nur wunderschön hier oben.
Über ihm kreiste ein Steinadler, und in einiger Entfernung sah er ein paar Gemsen geschickt über die Felsen springen. Es war erstaunlich, daß die Tiere bei dem Tempo nicht abstürzten.
Inzwischen war die Sonne vollends aufgegangen, und ihre Strahlen waren schon recht heiß. Sebastian zog seine Windjacke aus und band sie sich um die Hüfte, nur den Hut behielt er auf. Der Geistliche schritt kräftig aus. Vor ihm beschrieb der Pfad eine Kurve, dahinter kam eine Senke, die er durchqueren mußte, um auf der anderen Seite wieder hinaufzusteigen. Eigentlich war es nicht der Weg, den er sonst nahm, aber irgendwie war es ihm heute in den Sinn gekommen, hier entlangzugehen.
Als der Bergpfarrer vor der Senke stand, stutzte er. Ungefähr dreihundert Meter vor ihm stand eine alte Hütte. Sie war Teil der Mooslacheralm, die dem Bauern Josef Anderer gehörte. Sie war uralt und längst nicht mehr in Betrieb. Der Besitzer hatte vergeblich nach einem Senner gesucht und, als er niemanden fand, der diese Arbeit übernehmen wollte, seine Kühe im Tal gelassen. Die Hütte stand seit Jahren leer und verfiel zusehends.
Ein Umstand, der Sebastian Trenker besonders ärgerte. Schon oft hatte er mit dem Bauern gesprochen und ihn gebeten, die Sennerhütte wieder instand zu setzen, doch jedesmal war er auf taube Ohren gestoßen.
Um so erstaunter war er jetzt, als er sah, daß aus dem Schornstein der schindelgedeckten Hütte Rauch quoll.
Und mehr noch – beinahe glaubte Sebastian zu träumen, denn auf der Wiese dahinter sah er Kühe stehen, ein Hund lief zwischen ihnen hin und her, und die Hütte sah aus, als wenn jemand sie renoviert hätte.
Der Bergpfarrer schaute ein zweites Mal und schüttelte ungläubig den Kopf.
»Das gibt’s doch gar net«, murmelte er und schritt erwartungsvoll den Pfad hinunter.
Im selben Augenblick sah er eine Gestalt aus der Tür treten, in der Hand ein Beil.
*
»Grüß Gott«, nickte Sebastian dem jungen Mann zu, der einen prüfenden Blick auf den Wanderer warf, während er das Beil in einen Baumstumpf schlug, der ihm zum Holzhacken diente.
Der Geistliche hatte die Hütte erreicht.
»Ich hab’ ja gar net gewußt, daß die Mooslacherhütte wieder bewohnt ist.«
Der Mann, er mochte Anfang Dreißig sein, erwiderte den Gruß. Er war groß und von schlanker Gestalt. Das sympathische Gesicht wurde von einem Dreitagebart verdeckt. Die hellen Augen strahlten freundlich.
»So lang’ ist’s auch noch gar net her, daß ich hier oben eingezogen bin«, antwortete er. »Natürlich mit Genehmigung des Bauern.«
Den letzten Satz schien er extra zu betonen, als wolle er darauf hinweisen, daß er nichts Verbotenes tat.
»Na, das freut mich aber, daß der Anderer endlich zu der Einsicht gekommen ist, daß es schad’ wär, die Hütte weiter verkommen zu lassen.«
Sebastian reichte dem jungen Mann die Hand.
»Mein Name ist Trenker«, stellte er sich vor. »Ich bin der Pfarrer von Sankt Johann.«
»Markus Brenner«, erwiderte der andere und schaute ihn überrascht an. »Erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Hochwürden.«
Dem Geistlichen war die Reaktion nicht entgangen, allerdings war sie ihm auch nicht fremd. Jeder, der ihn nicht kannte, machte ein erstauntes Gesicht, wenn er erfuhr, daß es sich bei dem sportlichen und agilen Mann, dessen Gesicht von vielen Aufenthalten in der Sonne stets leicht gebräunt war, um einen Priester handelte. Dem landläufigen Bild, das die Leute von einem Mann Gottes hatten, entsprach Sebastian Trenker nun wirklich nicht.
Markus Brenner deutete auf die Hütte.
»Ich hab’ sie zufällig entdeckt«, erzählte er, »und mir gesagt, daß das hier ein idealer Ort wäre, um in Ruhe und ein bissel Abgeschiedenheit zu leben.«
Er stieß einen leisen Pfiff aus, und der Hund kam herangelaufen. Der junge Mann strich dem Tier über den Kopf.
»Rocco gehört dem Andererbauern«, fuhr er fort. »Er hilft mir dabei, die Kühe zu hüten.«
Sebastian war immer noch erstaunt.
»Auf alles wär’ ich gefaßt gewesen«, meinte er. »Aber net darauf, daß hier wieder jemand lebt. Um so mehr freut es mich. Die Hütte war ja wirklich schon ein Schandfleck.«
Er betrachtete das Dach, das neu gedeckt war, und die Bretter, die in die Seitenwände eingezogen waren.
»Haben S’ das etwa alles alleine gemacht?« fragte er.
Markus zuckte die Schulter.
»Es blieb mir nix anderes übrig«, antwortete er. »Der Bauer wollt’s so.