Der Fremde vom Floriansfelsen: Der Bergpfarrer 416 – Heimatroman
Von Toni Waidacher
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Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert.
Die Sonne war eben erst über dem Wachnertal aufgegangen, als Sebastian Trenker das Pfarrhaus verließ und mit Wanderkleidung, Rucksack und Bergschuhen ausgerüstet, dem Weg zum Kogler hinauf nahm. Der Bergpfarrer, wie er ob seiner Leidenschaft fürs Wandern und Klettern genannt wurde, atmete tief die würzige nach Wildkräutern duftende Luft ein, während er schnell und zügig zuschritt. Ein Fremder, der ihn nicht kannte, hätte den Geistlichen durchaus für einen Sportsmann halten können. Es wäre nicht das erste Mal, daß Sebastian ungläubiges Erstaunen entgegenschlug, wenn er sich als Seelsorger zu erkennen gab. Sportlich und agil, dazu sonnengebräunt, täuschte sein kerniges Äußeres so manchen, der ihn für einen berühmten Filmstar oder sonst einen Prominenten hielt. Über den Kogler, der nahe an der österreichischen Grenze lag, am Floriansfelsen vorbei, wollte Sebastian heute den alten Urs besuchen, der seit ewigen Zeiten in einer Hütte hauste, die auf halber Höhe zur Ederer-Alm stand. Er hatte den Alten schon lange nicht mehr gesehen, und fand, daß es höchste Zeit sei, wieder einmal ein geistliches Gespräch mit ihm zu führen. Mochte Urs auch manchem als alter Bergsteiger erscheinen – sein wilder Rauschebart und die dröhnende Baßstimme taten das ihrige zu diesem Erscheinungsbild –, so durfte man sich von diesem Anblick nicht täuschen lassen, denn der Einsiedler besaß einen Bildungsstand, der Pfarrer Trenker immer wieder in höchstes Erstaunen versetzte. Es gab wohl kein Thema, in dem Urs Kremser nicht bewandert war. So manches Streitgespräch hatten die beiden unterschiedlichen Männer schon geführt, und immer hatte es in großer Achtung und Respekt vor dem anderen geendet. Sebastian hatte gut zwei Stunden Wegstrecke hinter sich gebracht, als er eine erste Rast einlegte. Am Berghang ließ er sich nieder und packte aus, was Sophie Tappert, seine Haushälterin, ihm Gutes mitgegeben hatte. Der heiße Kaffee duftete in der Thermoskanne, und in kleinen Päckchen steckte Brot, Schinken und Käse im Rucksack. Der gute Hirte von St. Johann aß mitgroßem Appetit und ließ dabei den Blick schweifen. Vergnügt beobachtete er ein Murmeltier, das flink zwischen den Steinen hin- und herhuschte und den Beobachter nicht aus den Augen ließ. Weit drüben kletterten behende ein paar Gemsen in den Felsen, und unter sich gewahrte Sebastian eine Hirschkuh, die vorsichtig ihre beiden Kälber aus dem Bergwald heraus, auf eine Wiese führte, wo sie sich bald darauf am saftigen Grün labten. Dieser Anblick ließ Sebastian das Herz aufgehen. Wie immer, wenn er in den Bergen unterwegs war, empfand er tiefe Dankbarkeit, Gottes Schöpferkraft so aus aller nächster Nähe miterleben zu dürfen. Mit keinem Menschen hätte er tauschen mögen, so glücklich und zufrieden war er in seiner kleinen heilen Welt.
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Buchvorschau
Der Fremde vom Floriansfelsen - Toni Waidacher
Der Bergpfarrer
– 416 –
Der Fremde vom Floriansfelsen
Toni Waidacher
Die Sonne war eben erst über dem Wachnertal aufgegangen, als Sebastian Trenker das Pfarrhaus verließ und mit Wanderkleidung, Rucksack und Bergschuhen ausgerüstet, dem Weg zum Kogler hinauf nahm. Der Bergpfarrer, wie er ob seiner Leidenschaft fürs Wandern und Klettern genannt wurde, atmete tief die würzige nach Wildkräutern duftende Luft ein, während er schnell und zügig zuschritt.
Ein Fremder, der ihn nicht kannte, hätte den Geistlichen durchaus für einen Sportsmann halten können. Es wäre nicht das erste Mal, daß Sebastian ungläubiges Erstaunen entgegenschlug, wenn er sich als Seelsorger zu erkennen gab. Sportlich und agil, dazu sonnengebräunt, täuschte sein kerniges Äußeres so manchen, der ihn für einen berühmten Filmstar oder sonst einen Prominenten hielt.
Über den Kogler, der nahe an der österreichischen Grenze lag, am Floriansfelsen vorbei, wollte Sebastian heute den alten Urs besuchen, der seit ewigen Zeiten in einer Hütte hauste, die auf halber Höhe zur Ederer-Alm stand. Er hatte den Alten schon lange nicht mehr gesehen, und fand, daß es höchste Zeit sei, wieder einmal ein geistliches Gespräch mit ihm zu führen. Mochte Urs auch manchem als alter Bergsteiger erscheinen – sein wilder Rauschebart und die dröhnende Baßstimme taten das ihrige zu diesem Erscheinungsbild –, so durfte man sich von diesem Anblick nicht täuschen lassen, denn der Einsiedler besaß einen Bildungsstand, der Pfarrer Trenker immer wieder in höchstes Erstaunen versetzte. Es gab wohl kein Thema, in dem Urs Kremser nicht bewandert war. So manches Streitgespräch hatten die beiden unterschiedlichen Männer schon geführt, und immer hatte es in großer Achtung und Respekt vor dem anderen geendet.
Sebastian hatte gut zwei Stunden Wegstrecke hinter sich gebracht, als er eine erste Rast einlegte. Am Berghang ließ er sich nieder und packte aus, was Sophie Tappert, seine Haushälterin, ihm Gutes mitgegeben hatte. Der heiße Kaffee duftete in der Thermoskanne, und in kleinen Päckchen steckte Brot, Schinken und Käse im Rucksack. Der gute Hirte von St. Johann aß mitgroßem Appetit und ließ dabei den Blick schweifen. Vergnügt beobachtete er ein Murmeltier, das flink zwischen den Steinen hin- und herhuschte und den Beobachter nicht aus den Augen ließ. Weit drüben kletterten behende ein paar Gemsen in den Felsen, und unter sich gewahrte Sebastian eine Hirschkuh, die vorsichtig ihre beiden Kälber aus dem Bergwald heraus, auf eine Wiese führte, wo sie sich bald darauf am saftigen Grün labten.
Dieser Anblick ließ Sebastian das Herz aufgehen. Wie immer, wenn er in den Bergen unterwegs war, empfand er tiefe Dankbarkeit, Gottes Schöpferkraft so aus aller nächster Nähe miterleben zu dürfen. Mit keinem Menschen hätte er tauschen mögen, so glücklich und zufrieden war er in seiner kleinen heilen Welt.
Nach einer ausgiebigen Rast packte er seine Sachen zusammen und wanderte weiter. In einiger Entfernung konnte er schon jenen Felsen aufragen sehen, der im Volksmund Floriansfelsen genannt wurde, weil, wie die Überlieferung zu berichten wußte, der Schutzheilige aller Feuerwehrmänner einmal dort gerastet haben soll. Sebastian wußte, daß es dafür keine Gewähr gab, aber die Behauptung hatte sich durch all die Jahrhunderte eisern gehalten, so daß heute nicht mehr daran zu rütteln war.
Der Bergpfarrer mußte jetzt ziemlich klettern, um die Stelle zu erreichen, von der ein Pfad weiter auf die Ederer-Alm führte, während der andere weiter ins Österreichische hineinreichte. Er endete in einem kleinen Grenzdorf, das Oberhofling hieß.
Sebastian setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen, während seine Finger in der Wand Halt suchten. Ein schmaler Grat unter ihm war es nur, auf dem er stand, und doch reichte er aus, dem Kletterer Sicherheit zu geben. Der Geistliche zog sich um die Felsenkante herum und konnte sich dann auf das Plateau hinaufschwingen. Eine Sekunde verschnaufte er, dann kniete er sich hin und warf einen Blick in die Tiefe. Gut drei Meter fiel die Wand steil ab. Ein eisiger Schrecken durchfuhr Sebastian, als er dort unten, auf einem Felsvorsprung, eine zusammengekrümmte Gestalt liegen sah.
Ein Mensch, offenbar abgestürzt.
Pfarrer Trenker schätzte die Tiefe ab. Der Felsvorsprung stach in etwa eineinhalb Meter aus der Wand hervor. Der Abgestürzte konnte von Glück sagen, genau darauf gelandet zu sein.
Wenn er überhaupt noch sprechen konnte…
Sebastian nahm das Seil von der Schulter und rollte es ab. Das eine Ende befestigte er an einem Haken, den er in den Stein geschlagen hatte, dann ließ er sich langsam zu dem Mann hinab.
Daß es ein Mann war, der da zusammengekrümmt lag, hatte er schon von oben erkennen können. Was ihn verwunderte, war die Tatsache, daß der Fremde absolut keine Wanderkleidung trug. Nicht einmal vernünftiges Schuhwerk hatte er an den Füßen. Mit den Slippern, dem Polohemd und der Jeans machte er eher den Eindruck, einen Spaziergang durch den Park eines Kurstädtchens unternehmen zu wollen. Der Bergpfarrer konnte über soviel Unverstand nur den Kopf schütteln. Nicht einmal eine wärmende Jacke trug der Mann.
Er lag reglos auf dem Vorsprung, das Gesicht dem Himmel zugewandt, und blutete aus einer Wunde am Kopf. Sebastian, der wohlbehalten bei ihm angekommen war, horchte auf Atemzüge und holte dann, als er feststellte, daß noch Leben in dem Verwundeten war, sein Erste-Hilfe-Päckchen hervor. Die Wunde schien schlimmer auszusehen, als sie war. Sebastian säuberte und desinfizierte sie. Dann legte er vorsichtig einen Verband an. Der Mann war immer noch ohne Bewußtsein. Behutsam unternahm der Seelsorger Wiederbelebungsversuche, indem er leicht die Wangen des Ohnmächtigen klopfte.
»Hallo. Hören Sie mich?« rief er immer wieder.
Nach zwei Minuten hatte seine Bemühung Erfolg. Zuerst blinzelten die Augen, dann öffnete der Mann sie ganz. Verwirrt starrte er Sebastian an.
»Wo… wo bin ich?«
»Keine Angst«, beruhigte der Pfarrer ihn. »Sie sind zwar verletzt, aber ich glaub’, daß es net so schlimm ist, wie’s ausschaut. Wie ist denn das passiert?«
Der Mann sah ihn immer noch fragend an, starrte dann ungläubig auf den Felsvorsprung, auf dem er lag. Erst allmählich schien er sich zu vergegenwärtigen, daß er sich nicht auf einem sicheren Pfad befand, sondern eher in eine ganz prekäre Situation geraten war.
»Ich… ich weiß es nicht«, sagte er mit zitternder Stimme. »Ich kann mich nicht erinnern. An gar nichts.«
Offenbar ein vorübergehender Gedächtnisverlust, überlegte Sebastian. Kein Wunder, bei dem Sturz. Der Mann hatte sowieso mehr Glück, als Verstand gehabt, daß das Unglück scheinbar noch glimpflich abgelaufen war. Er musterte ihn. Der Abgestürzte mochte Mitte zwanzig sein, höchstens Anfang dreißig. Er hatte ein gut geschnittenes offenes Gesicht, das Ehrlichkeit ausstrahlte. Die Kleidung, die er trug, war durch den Sturz zwar arg mitgenommen, man konnte aber durchaus noch ansehen,