Der Abenteurer: Der kleine Fürst 180 – Adelsroman
Von Viola Maybach
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"Der kleine Fürst" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken.
Die dreizehnjährige Anna von Kant las ihren Eltern, Baronin Sofia und Baron Friedrich von Kant, ihrem Bruder Konrad und ihrem Cousin Christian von Sternberg an diesem Samstagmorgen beim Frühstück im Grauen Salon von Schloss Sternberg einen Artikel vor. Er beschrieb einen Ausschnitt aus dem Leben von Baron Friedrichs Ururgroßvater Donatus von Kant, der im Jahr 1904 ›durch ein entsetzliches Unglück‹ den Tod gefunden hatte.
Es war ein langer Artikel, dennoch war niemand am Tisch ungeduldig, im Gegenteil, Anna konnte sich der größtmöglichen Aufmerksamkeit ihrer Zuhörer gewiss sein.
Gegen Ende erfolgte noch einmal eine Zusammenfassung der dramatischen Geschehnisse von vor über hundert Jahren. Anna las sie mit besonderer Betonung. »Donatus von Kant erbaute also ein Haus für seine Familie, idyllisch an einem See gelegen, und von außen betrachtet muss es ein glückliches Leben gewesen sein, das die Kants dort geführt haben. Sie hatten wohl geratene Kinder, waren gesund, schienen in besten wirtschaftlichen Verhältnissen zu leben. Wer hätte ahnen können, dass ihr Glück längst ausgehöhlt war? Dass Donatus und seine Ehefrau Emilia sich entfremdet hatten, dass das Geld immer knapp war und dass der Hausherr sich unaufhaltsam auf einen Abgrund zu bewegte? Donatus von Kant hat am 1. März 1904 seinem Leben selbst ein Ende gesetzt, indem er sich von einem Zug hat überfahren lassen. Er sah keinen Ausweg mehr aus einer für ihn unerträglich gewordenen Situation. Er hatte die Villa, diese Familienburg, in der sich seine Frau geborgen und zu Hause fühlte, verschenkt – verschenkt an einen Mann, von dem wir noch nicht
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Der Abenteurer - Viola Maybach
Der kleine Fürst
– 180–
Der Abenteurer
Darf Katharina von Gerow dem smarten Stephan trauen?
Viola Maybach
Die dreizehnjährige Anna von Kant las ihren Eltern, Baronin Sofia und Baron Friedrich von Kant, ihrem Bruder Konrad und ihrem Cousin Christian von Sternberg an diesem Samstagmorgen beim Frühstück im Grauen Salon von Schloss Sternberg einen Artikel vor. Er beschrieb einen Ausschnitt aus dem Leben von Baron Friedrichs Ururgroßvater Donatus von Kant, der im Jahr 1904 ›durch ein entsetzliches Unglück‹ den Tod gefunden hatte.
Es war ein langer Artikel, dennoch war niemand am Tisch ungeduldig, im Gegenteil, Anna konnte sich der größtmöglichen Aufmerksamkeit ihrer Zuhörer gewiss sein.
Gegen Ende erfolgte noch einmal eine Zusammenfassung der dramatischen Geschehnisse von vor über hundert Jahren. Anna las sie mit besonderer Betonung. »Donatus von Kant erbaute also ein Haus für seine Familie, idyllisch an einem See gelegen, und von außen betrachtet muss es ein glückliches Leben gewesen sein, das die Kants dort geführt haben. Sie hatten wohl geratene Kinder, waren gesund, schienen in besten wirtschaftlichen Verhältnissen zu leben. Wer hätte ahnen können, dass ihr Glück längst ausgehöhlt war? Dass Donatus und seine Ehefrau Emilia sich entfremdet hatten, dass das Geld immer knapp war und dass der Hausherr sich unaufhaltsam auf einen Abgrund zu bewegte? Donatus von Kant hat am 1. März 1904 seinem Leben selbst ein Ende gesetzt, indem er sich von einem Zug hat überfahren lassen. Er sah keinen Ausweg mehr aus einer für ihn unerträglich gewordenen Situation. Er hatte die Villa, diese Familienburg, in der sich seine Frau geborgen und zu Hause fühlte, verschenkt – verschenkt an einen Mann, von dem wir noch nicht wissen, in welcher Beziehung er zu ihm stand. So, wie wir noch nicht wissen, was Donatus von Kant letzten Endes zu seiner Verzweiflungstat bewogen hat. Aber sobald wir es herausgefunden haben, werden wir das Ende dieser Geschichte schreiben.«
Es blieb still am Tisch, nachdem Anna geendet hatte. Der Artikel war von Alina von Hoff geschrieben worden, auf Bitten der Familie, und er war so einfühlsam ausgefallen wie erhofft.
Baron Friedrich hatte Monate zuvor Briefe und ein Tagebuch seiner Ururgroßmutter Emilia gefunden und war auf diese Weise auf einen Teil seiner Familiengeschichte gestoßen, der ihm bis dahin vollkommen unbekannt gewesen war. Immer wieder hatte Emilia von der Villa am See geschrieben und wie viel sie ihr bedeutete, bis Friedrich sich eines Tages auf den Weg gemacht hatte, um zu sehen, ob diese Villa noch stand. Er hatte sie gefunden, und mittlerweile gehörte sie ihm. Sie musste freilich von Grund auf saniert werden, aber alle Familienmitglieder waren sich einig gewesen, dass es richtig war, die Villa, gewissermaßen, für die Familie zurückzukaufen, nachdem sie auf so rätselhafte Weise in anderen Besitz übergegangen war.
Friedrich hatte aber nicht nur nach der Villa gesucht, sondern auch nach Unterlagen, die die damaligen Vorgänge erklärten, denn am Ende ihrer Aufzeichnungen hatte Emilia erwähnt, dass sie ihr Haus verlassen mussten, weil es ihnen nicht mehr gehörte. Später hatten sie dann in der Villa in einem Hohlraum im Boden eines der Zimmer einen alten Brief von Donatus gefunden, offenkundig in höchster Verzweiflung geschrieben, in dem er alle Schuld an dem, was vorgefallen war, auf sich nahm und zum Ausdruck brachte, dass er in seinem Leben keinen Sinn mehr sah, nun, da er nicht nur sein Zuhause verloren hatte, sondern auch seine Frau, denn Emilia hatte ihn verlassen.
Alina von Hoff, der Journalistin, die jetzt diesen Artikel geschrieben hatte, und Moritz von Rethmann, einem Archivar im Landesarchiv, war es zu verdanken, dass die Familie jetzt wusste, wann Donatus gestorben war und auf welche Weise. Nur eins war nach wie vor ungeklärt: Warum hatte er die Villa verschenkt?
Mittlerweile waren sie sich einig darin, dass er es unter Druck getan haben musste. War er erpresst worden? Aber womit? Am rätselhaftesten erschien, dass er ja offenbar in Geldnöten gewesen war – das ging aus einigen von Emilias Briefen hervor – die Villa aber trotzdem verschenkt hatte. Wieso hatte er sie dann nicht wenigstens verkauft, um sich aus seinen Schwierigkeiten zu befreien?
»Wir müssen Frau von Hoff für diesen Artikel danken«, sagte Baronin Sofia in die Stille hinein. »Besser hätte man ihn nicht schreiben können.«
»Aber er ist noch nicht fertig«, sagte Anna. »Das Ende fehlt noch. Ich will unbedingt wissen, warum er die Villa verschenkt hat.«
Anna war eine jüngere Ausgabe ihrer Mutter: Von der Baronin hatte sie nicht nur das hübsche runde Gesicht mit den blauen Augen geerbt, sondern auch die blonden Locken und die lebhafte Art. Ihr Bruder Konrad, drei Jahre älter als sie, hatte zwar auch blonde Haare, ähnelte aber sonst seinem Vater, dem schmalen, hoch gewachsenen Baron mit dem scharfen Profil. Friedrich allerdings hatte braune Haare, die seit einiger Zeit von ersten Silberfäden durchzogen wurden.
Christian von Sternberg, Sofias Neffe, sah seinem verstorbenen Vater, Fürst Leopold, ähnlich: Er hatte dunkle Haare und dunkle Augen, war schlank und für seine fünfzehn Jahre ziemlich groß. Im vergangenen Jahr waren seine beiden Eltern bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen. Seitdem war er praktisch Sofias und Friedrichs drittes Kind. Er war zu den Kants in den Westflügel gezogen, der Ostflügel stand seitdem leer.
Die Kants lebten schon lange ebenfalls im Schloss, Anna und Konrad waren auch vor dem Unglück schon wie Geschwister für Christian gewesen. So hatte der Junge im Schloss bleiben können und nicht auch noch sein Zuhause verloren. Aber natürlich hatte ihn das Unglück geprägt. Auch vorher war er schon eher ruhig und zurückhaltend gewesen, diese Wesenszüge hatten sich noch verstärkt. Aber er hatte sich seinen Lebensmut bewahrt und seinen ganz eigenen Weg gefunden, mit seiner Trauer umzugehen.
Jetzt sagte er: »Wir finden das schon noch heraus, wir müssen nur weiter nachforschen. Irgendwo gibt es bestimmt einen Hinweis, warum Donatus von Kant die Villa verschenkt hat.«
Eberhard Hagedorn erschien an der Tür. Er war seit Jahrzehnten Butler im Schloss, niemand konnte sich Sternberg ohne ihn vorstellen. Es hatte schon zahllose Versuche gegeben, ihn abzuwerben, er hatte jedes Angebot höflich, aber bestimmt abgelehnt. Er gehörte hierher, er konnte sich ein Leben außerhalb von Sternberg nicht vorstellen.
»Haben die Herrschaften noch einen Wunsch?«, fragte er.
»Ich würde gern noch Kaffee trinken«, antwortete der Baron. »Wir sitzen heute bestimmt länger beim Frühstück als sonst, Herr Hagedorn.«
»Der Kaffee kommt sofort.« Eberhard Hagedorn verschwand so geräuschlos, wie er gekommen war.
»Vielleicht helfen uns Frau von Hoff und Herr von Rethmann auch weiterhin bei den Recherchen«, sagte die Baronin.
»Die haben sich doch verliebt, Mama!« Annas Stimme klang ein wenig gönnerhaft. »Die haben jetzt andere Dinge im Kopf.«
»Auch wenn man verliebt ist, hört die Welt nicht auf zu existieren!«, bemerkte die Baronin, um dann selbst mit einem Lächeln hinzuzusetzen: »Na, in den ersten Wochen vielleicht schon.«
Noch vom Frühstückstisch aus, bei einer frischen Tasse