Der kleine Fürst 106 – Adelsroman: Onkel gesucht – Liebe gefunden!
Von Viola Maybach
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"Versprich mir, dass du hingehst", sagte Gräfin Annaluise von Ortenberg. Sie lag im Bett, blass und ausgezehrt aussehend. "Ohne dich macht es mir keinen Spaß, ein Rennen anzusehen, Omi." Antonia von Ortenberg, Annaluises Enkelin, kämpfte gegen die Tränen an, die ihre Augen bereits feucht glänzen ließen. "Ich werde schon dabei sein, keine Sorge. Nur nicht so, dass du mich sehen kannst." Annaluise tastete nach Antonias Hand. "Du musst nicht traurig sein, ich bin es auch nicht.
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Der kleine Fürst 106 – Adelsroman - Viola Maybach
Der kleine Fürst –106–
Onkel gesucht - Liebe gefunden!
Dein Glück ist schon so nah, Antonia!
Roman von Viola Maybach
»Versprich mir, dass du hingehst«, sagte Gräfin Annaluise von Ortenberg. Sie lag im Bett, blass und ausgezehrt aussehend.
»Ohne dich macht es mir keinen Spaß, ein Rennen anzusehen, Omi.« Antonia von Ortenberg, Annaluises Enkelin, kämpfte gegen die Tränen an, die ihre Augen bereits feucht glänzen ließen.
»Ich werde schon dabei sein, keine Sorge. Nur nicht so, dass du mich sehen kannst.« Annaluise tastete nach Antonias Hand. »Du musst nicht traurig sein, ich bin es auch nicht.«
Annaluise atmete schwer. Sie war in ihrem Ferienhaus in den Bergen, wie immer um diese Jahreszeit. Drei Wochen hatte sie allein mit ihrer Haushälterin Agnes Bauer hier verbracht, dann hatte sie Antonia angerufen und um ihr sofortiges Kommen gebeten. Niemanden sonst, nur Antonia, ihre Lieblingsenkelin.
Und Antonia war gekommen, ohne zu zögern. Sie hatte es gewusst, die ganze Zeit schon. Am Abend ihrer Ankunft hatte die alte Gräfin gesagt: »Ich werde sterben, Toni, und ich möchte, dass du bei mir bist. Wirst du das können?«
»Du wirst nicht sterben, Omi, es ist viel zu früh, und …«
»Ich werde sterben. Bleibst du bei mir?«
Antonia hatte daraufhin nur stumm mit dem Kopf genickt. Was sonst hätte sie tun sollen?
»Kein Arzt, keine anderen Verwandten«, hatte Annaluise noch gesagt und danach das Thema gewechselt. Das war jetzt drei Tage her. Seitdem war sie beständig schwächer geworden. Es war das Herz, das war der Familie und ihrem Arzt seit Langem bekannt. Doch Gräfin Annaluise hatte einen starken Willen, und so wäre niemand auf die Idee gekommen, sich ihr zu widersetzen, auch wenn sie Dinge tat, die man bestenfalls als ›unvernünftig‹ bezeichnen konnte. Diese Reisen in die Berge zum Beispiel, nur in Begleitung ihrer treuen Haushälterin: Das grenzte doch schon an Wahnsinn!
Agnes Bauer erschien an der Tür. »Ihr Tee, Gräfin Anna«, sagte sie.
»Danke, Agnes.«
»Und Sie, Toni? Möchten Sie immer noch nichts?«
»Nein, danke, Agnes.«
Agnes Bauer war mit ihrer Arbeitgeberin alt geworden. Nach Annaluises Tod würde sie sich zur Ruhe setzen, sie hatte ihr Leben lang gearbeitet. In den letzten Jahren freilich hatte das Zusammenleben der beiden alten Frauen eher dem von zwei Schwestern geglichen, die Freud und Leid miteinander teilten. Außer Antonia war Agnes Bauer der wichtigste Mensch im Leben von Gräfin Annaluise, die von sich selbst sagte, sie sei nie ›ein Familienmensch‹ gewesen.
Agnes Bauer zog sich wieder zurück, und Antonia half ihrer Großmutter, den Tee zu trinken. Die Gräfin hatte Mühe, brachte aber einige Schlucke hinunter, bevor sie sich erschöpft zurück in die Kissen sinken ließ.
Antonia griff das Gespräch wieder auf. »Ein Pferderennen ohne dich neben mir in der Loge, das ist einfach zu traurig, Omi.«
»Ich sagte dir doch, ich werde da sein.«
Sie sahen einander an, dieses Mal konnte Antonia es nicht verhindern, dass ihr Tränen über die Wangen liefen.
»Nicht weinen, Kind«, sagte Annaluise weich. »Nicht weinen, ich gehe ohne Groll, und ich bin dankbar, dass du in dieser Stunde bei mir bist. Weißt du, so habe ich es mir gewünscht. Ich wollte in diesem Haus sterben, weitab von der Hektik zu Hause. Es ist natürlich etwas mehr Arbeit für dich, hinterher, meine ich …«
»Bitte, hör auf, Omi«, sagte Antonia mit tränenerstickter Stimme. »Ich kann es nicht ertragen, wenn du so redest. Vielleicht wirst du wieder gesund, vielleicht …«
Wieder tastete die alte Gräfin nach der Hand ihrer Enkelin. »Nein, das werde ich nicht«, sagte sie ruhig. »Aber es geht mir gut, verstehst du das?«
»Nein«, flüsterte Antonia. »Das verstehe ich nicht.«
»Wie dumm von mir. Du bist jung, wie sollst du da verstehen, dass der Tod auch eine Erlösung sein kann.«
»Aber du lebst doch gern, Omi! Und du hast keine Schmerzen. Wie kannst du da von Erlösung sprechen?«
Annaluises Hand wanderte von Antonias Hand zu ihrem Kopf, über den sie mit matten, zärtlichen Bewegungen strich. »Ich hinterlasse dir eine Aufgabe, Kind«, sagte sie.
»Was für eine Aufgabe denn?«, fragte Antonia verwirrt.
»Ich habe alles aufgeschrieben, der Notar, bei dem ich das Testament hinterlegt habe, hat einige Briefe, die du an dich nehmen und später verteilen musst. Es ist auch ein Brief für dich dabei, in dem ich dir alles erkläre, was du wissen musst. Er wird ihn dir geben, wenn die anderen nicht dabei sind. Sie werden die Wahrheit erst später erfahren, wenn du Erfolg hattest.«
»Ich verstehe nicht …«
»Nein, wie solltest du auch? Aber du wirst alles verstehen, wenn du gelesen hast, was ich geschrieben habe. Und dann wirst du entscheiden, was zu tun ist.« Annaluises Hand sank herab, sie hatte keine Kraft mehr.
Antonia betrachtete das blasse geliebte Gesicht mit den vielen feinen Linien, die sich im Lauf der Jahrzehnte darin eingegraben hatten. Die Vorstellung, dass sie schon sehr bald nicht mehr mit ihrer Großmutter würde reden können, lähmte sie.
»Du solltest Agnes jetzt rufen«, sagte Annaluise. »Sie war immer bei mir, all die Jahre. Ich möchte nicht, dass sie jetzt draußen vor der Tür bleibt.«
Antonia hob den Kopf, und da war Agnes Bauer auch schon, sie hatte Annaluises Worte gehört. Es wunderte Antonia nicht. Unter Tränen lächelte sie der alten Haushälterin zu, dann nahm Agnes auf der anderen Seite des Bettes Platz. Auch ihr Gesicht war von feinen Linien durchzogen, und Antonia schoss der Gedanke durch den Kopf, dass Annaluise und sie sich im Laufe der Zeit immer ähnlicher geworden waren, so wie es manchmal auch bei alten Paaren der Fall ist.
Annaluises Atem wurde schwerer. Ihre linke Hand ruhte in der ihrer Enkelin, die rechte hielt Agnes. Einmal noch öffnete sie die Augen, schenkte Agnes ein Lächeln voller Zuneigung und wandte sich dann Antonia zu. »Du wirst ihn finden«, sagte sie.
Nach diesen Worten sanken ihre Lider herab, zum letzten Mal stieß sie den Atem aus, in einem langen Zug, dann hörte ihr Herz auf zu schlagen.
Es war sehr still im Raum. Agnes senkte den Kopf und ließ ihren Tränen freien Lauf, während Antonia sich noch gegen die Erkenntnis wehrte, dass ihre Großmutter tot war. Das Unabänderliche dieses Ereignisses konnte sie noch nicht begreifen. Erst Minuten später legte sie ihre Wange auf die Hand ihrer Großmutter und schloss die Augen. Am liebsten wäre sie in dieser Haltung eingeschlafen. Vielleicht hätte sie beim Aufwachen feststellen können, dass sie nur einen schlimmen Traum gehabt hatte?
»Wir müssen den Arzt rufen«, sagte Agnes leise, indem sie aufstand. »Und Sie sollten mit Ihren Eltern sprechen, Toni.«
Antonia hob den Kopf. »Sie ist tot, Agnes. Sie ist tot!«
Jetzt erst sah sie, dass Agnes weinte. Sie stand auf und ging auf die alte Haushälterin zu. Lange umarmten sie einander und versuchten, sich gegenseitig zu trösten, bis Agnes schließlich einen Schritt zurücktrat. »Es hilft nichts«, sagte