Du bist der Papa, Johannes: Der kleine Fürst 277 – Adelsroman
Von Viola Maybach
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"Der kleine Fürst" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken.
»Wieso habe ich nicht schon viel früher bei euch Urlaub gemacht?«, fragte Johannes von Dreesen beim sonntäglichen Frühstück im Schloss. Er war mit Baronin Sofia und Baron Friedrich von Kant allein – die drei Teenager Anna, Konrad und Christian schliefen sich am Wochenende gründlich aus. Vor dem sehr späten Vormittag war mit ihnen nicht zu rechnen. »Wir haben dich oft genug eingeladen«, erwiderte die Baronin lächelnd. »Aber dich hat es doch immer mehr in die Ferne gezogen, was ich im Übrigen gut verstehen kann. Wenn man jung ist, will man die Welt sehen. Später hat man Verpflichtungen, von denen man sich nicht mehr ohne weiteres frei machen kann.« »Da ist was dran«, gab Johannes zu. Er war lang, dünn und blond, dazu sehr lebhaft. Alles an ihm schien ständig in Bewegung zu sein, es fiel ihm schwer, längere Zeit still zu sitzen, ganz so, als wäre er der unruhigen Teenagerzeit noch nicht entwachsen. Dabei war er einen Monat zuvor achtundzwanzig Jahre alt geworden. Bei den Mahlzeiten freilich saß er für seine Verhältnisse fast bewegungslos da. Er erklärte es damit, dass er die außergewöhnliche Kochkunst der mittlerweile durchaus berühmten jungen Schlossköchin Marie-Luise Falkner nicht durch zu wenig Aufmerksamkeit beleidigen wollte. Er war ein junger Mann, der die schönen Seiten des Lebens genoss, der meistens guter Dinge war und seine Freunde im Schloss mit allerlei Anekdoten aus seinem abwechslungsreichen Berufsalltag als Lehrer an einem Gymnasium – für Geschichte und Englisch – unterhielt. Schon lange war im Schloss nicht mehr so viel gelacht worden wie während seines Besuchs. In Johannes' Gesicht schien nichts zusammenzupassen: Die Nase war etwas schief, der Mund zu groß, das Kinn zu eckig. Nur die Augen waren perfekt, von tiefem Blau und so ausdrucksvoll, dass man sich ihrem Blick nur schwer entziehen konnte.
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Buchvorschau
Du bist der Papa, Johannes - Viola Maybach
Der kleine Fürst
– 277 –
Du bist der Papa, Johannes
Auf diesen Babyalarm war der Ärmste nicht vorbereitet
Viola Maybach
»Wieso habe ich nicht schon viel früher bei euch Urlaub gemacht?«, fragte Johannes von Dreesen beim sonntäglichen Frühstück im Schloss.
Er war mit Baronin Sofia und Baron Friedrich von Kant allein – die drei Teenager Anna, Konrad und Christian schliefen sich am Wochenende gründlich aus. Vor dem sehr späten Vormittag war mit ihnen nicht zu rechnen.
»Wir haben dich oft genug eingeladen«, erwiderte die Baronin lächelnd. »Aber dich hat es doch immer mehr in die Ferne gezogen, was ich im Übrigen gut verstehen kann. Wenn man jung ist, will man die Welt sehen. Später hat man Verpflichtungen, von denen man sich nicht mehr ohne weiteres frei machen kann.«
»Da ist was dran«, gab Johannes zu. Er war lang, dünn und blond, dazu sehr lebhaft. Alles an ihm schien ständig in Bewegung zu sein, es fiel ihm schwer, längere Zeit still zu sitzen, ganz so, als wäre er der unruhigen Teenagerzeit noch nicht entwachsen. Dabei war er einen Monat zuvor achtundzwanzig Jahre alt geworden.
Bei den Mahlzeiten freilich saß er für seine Verhältnisse fast bewegungslos da. Er erklärte es damit, dass er die außergewöhnliche Kochkunst der mittlerweile durchaus berühmten jungen Schlossköchin Marie-Luise Falkner nicht durch zu wenig Aufmerksamkeit beleidigen wollte. Er war ein junger Mann, der die schönen Seiten des Lebens genoss, der meistens guter Dinge war und seine Freunde im Schloss mit allerlei Anekdoten aus seinem abwechslungsreichen Berufsalltag als Lehrer an einem Gymnasium – für Geschichte und Englisch – unterhielt. Schon lange war im Schloss nicht mehr so viel gelacht worden wie während seines Besuchs.
In Johannes’ Gesicht schien nichts zusammenzupassen: Die Nase war etwas schief, der Mund zu groß, das Kinn zu eckig. Nur die Augen waren perfekt, von tiefem Blau und so ausdrucksvoll, dass man sich ihrem Blick nur schwer entziehen konnte. Sie waren es auch, die Johannes’ Gesicht ihren Stempel aufdrückten und dafür sorgten, dass er trotz der Unvollkommenheit der einzelnen Teile als gut aussehender Mann galt. Zudem war er überaus charmant oder konnte es zumindest sein. Wenn er lächelte, schmolzen nicht nur alte Damen dahin.
»Jedenfalls bin ich heilfroh, dass ich nicht mit meinem Freund Boris nach Vietnam geflogen bin. Das hätte mich zwar sehr interessiert, aber mir war klar, dass das eine anstrengende Reise geworden wäre, und ich habe einfach Ruhe gebraucht.«
»Verständlich, du bist ja noch Berufsanfänger.«
»Das kann man wohl sagen, obwohl ich schon ein paar Jahre unterrichte. Aber ich war ja zum ersten Mal Klassenlehrer einer Oberstufenklasse, das hat mich mehr geschlaucht, als ich mir das vorher hätte vorstellen können. Außerdem habe ich zwei Schüler mit englischen Vätern in meiner Klasse. Ihr könnt euch vorstellen, dass ich da auf der Hut sein muss, keine Fehler zu machen. Also: Ich war am letzten Schultag vor den Großen Ferien echt fertig und wollte mich nicht gleich wieder in ein Flugzeug setzen und ein neues Land erkunden. Boris wollte vier Wochen durch Vietnam reisen. Danach hätte ich gerade noch zwei Wochen zur Erholung und zur Vorbereitung auf den Unterricht gehabt.«
»Bleib, so lange du willst, Jo. Wir haben dich gerne hier, das weißt du. Und da wir mehr Platz haben als die meisten Leute, gilt bei uns auch nicht, dass wir nach einigen Tagen gern wieder unter uns wären.«
»Danke, Sofia, auch dafür, dass ihr mich so liebevoll aufgenommen habt. Ich fühle mich wie im Paradies, weil ich mich um nichts kümmern muss. Außerdem kann ich hier reiten, so viel ich will, ausschlafen, faulenzen, lesen, mit euch reden – und ich kann diese außergewöhnliche Küche eurer außergewöhnlichen Köchin genießen.«
Die Teenager hatten noch keine Sommerferien, was nicht nur sie bedauerten, sondern auch Johannes. So blieben ihnen für gemeinsame Unternehmungen nur die Wochenenden.
»Und was hast du heute vor?«, erkundigte sich der Baron.
»Eure reizenden Kinder haben mir versprochen, sich etwas früher als an anderen Sonntagen aus den Betten zu quälen und mit mir über den Sternberg zu reiten. Einmal zum Felsplateau, dann zu den Höhlen auf der anderen Seite und schließlich noch durch den Wald ins Tal.«
»Da habt ihr euch ja einiges vorgenommen. Freu dich lieber nicht zu früh, ich weiß nicht, ob sie wirklich aufstehen. Das versprechen sie manchmal, aber dann siegt doch das Schlafbedürfnis.«
Aber Sofias Warnung erwies sich als unbegründet, denn wenig später erschien zuerst Anna, die Jüngste, mit Stephanie von Hohenbrunn, die nicht nur ihre, sondern auch Christians Freundin war. Christian von Sternberg folgte den beiden Mädchen, er war Annas und Konrads Cousin, Sofias Neffe, und seit dem Unfalltod seiner Eltern praktisch Sofias und Friedrichs drittes Kind geworden. Zuletzt kam Konrad, er war mit seinen siebzehn Jahren der Älteste.
Anna, mit ihren blonden Locken und den blauen Augen im hübschen runden Gesicht, war ein jüngeres Abbild ihrer Mutter Sofia, während Konrad, obwohl er ebenfalls blond war, seinem braunhaarigen Vater glich, von dem er die schmalen Züge mit dem klassischen Profil und auch die Statur geerbt hatte. Christian sah seiner verstorbenen Mutter ähnlich, er hatte ihr ebenmäßiges Gesicht, ihre dunklen Augen und ihre dunklen Haare.
Stephanie, die regelmäßig im Schloss übernachtete, war ausgesprochen hübsch mit ihrer hellen Haut und den zarten Sommersprossen auf der Nase. Ihre grauen Augen bildeten einen reizvollen Kontrast zu den rotbraunen Locken. Christian und sie wechselten immer wieder verliebte Blicke, die die anderen jedoch nicht weiter beachteten, sie hatten sich daran gewöhnt.
Christians Eltern waren Fürstin Elisabeth und Fürst Leopold von Sternberg gewesen. Gemeinsam mit dem Piloten waren sie bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen. Zum Zeitpunkt des Unglücks war er erst fünfzehn gewesen, und natürlich war an jenem Tag eine Welt für ihn zusammengebrochen – wie auch für seine Tante Sofia, denn Elisabeth war nicht nur ihre Schwester, sondern auch ihre engste Vertraute gewesen. Natürlich trauerten alle um die Verstorbenen, aber bei Christian und seiner Tante ging diese Trauer tiefer als bei den anderen. Doch während er einen Weg gefunden hatte, mit dem Verlust seiner Eltern umzugehen, brachte Sofia es bis heute nur selten fertig, ihnen auf dem Familienfriedhof einen Besuch abzustatten. Christian hingegen machte sich jeden Tag auf den Weg dorthin, um in Gedanken mit seinen Eltern zu sprechen. Diese Besuche trösteten ihn und halfen ihm dabei, die Erinnerung an sie zu bewahren wie einen kostbaren Schatz. Zudem half ihm die Liebe zu Stephanie, nicht an seinem Verlust zu zerbrechen. Er wirkte zwar ernster und reifer als andere seines Alters, aber er konnte durchaus übermütig und gelegentlich sogar albern sein.
Schon früh war er von der Bevölkerung ‚der kleine Fürst’ getauft worden, seinerzeit im Gegensatz zu seinem sehr groß gewachsenen Vater. Seitdem waren etliche Jahre vergangen, Christian war längst nicht mehr klein, doch der Name war ihm geblieben. Er hatte ihn immer gern gehört, wusste er doch, dass er liebevoll gemeint war. Zwar zog ihn Konrad gelegentlich damit auf, dass er womöglich auch mit achtzig Jahren noch ‚der