Himmlische Liebe in Gefahr: Der kleine Fürst 228 – Adelsroman
Von Viola Maybach
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Über dieses E-Book
"Der kleine Fürst" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken.
»Gib ihr das Interview«, sagte Anatol Rimkow und pochte mit einem Finger sachte auf das Schreiben, das vor ihm auf dem Tisch lag. »Interviews mit dir sorgen immer dafür, dass wir noch ein paar Karten mehr verkaufen, und das kann ja nur gut sein.« Er grinste den blonden jungen Mann, der ihm gegenüber saß, verschmitzt an. Es handelte sich bei diesem um Adrian von Bleethen, dessen ›Todessprung‹ unter der Zirkuskuppel das Publikum jeden Abend in atemlose Spannung versetzte. Es gab nur noch zwei andere Trapez-Artisten auf der Welt, die diesen Sprung ohne Netz wagten, und keiner von beiden tat es so regelmäßig und machte es schon so lange wie Adrian. Seit zwölf Jahren riskierte er Abend für Abend sein Leben. Sein Partner in der Manege war Mesut Erdem, zusammen bildeten sie das Duo ›Flying Eagles‹, die fliegenden Adler. »Ich dachte, unsere Vorstellungen sind sowieso immer ausverkauft?«, fragte er. »Fast«, betonte Anatol. »Die teuren Logen sind manchmal leer, das weißt du ganz genau.« »Und das ändert sich, wenn ich dieser Reporterin ein Interview gebe, meinst du?« Anatol grinste wieder. Er war, anders als Adrian, weder groß und schlank, noch durchtrainiert, sondern im Gegenteil ein recht rundlicher, höchstens mittelgroßer Mann von Mitte Vierzig mit beginnender Glatze und einem runden, fleischigen Gesicht, in dem vor allem der große Mund auffiel. Man konnte ihn, wenn er auf dem Platz herumwuselte, leicht für einen der vielen Angestellten halten, so wenig stach er aus der Menge heraus. Genau das wusste er sich zunutze zu machen, denn auf diese Weise sah und hörte er vieles, das eigentlich nicht für seine Augen und Ohren bestimmt war. Einen geschickteren Direktor hatte der Zirkus ›Rimkow‹ lange nicht gehabt, unter seiner Leitung war das Unternehmen erfolgreicher denn je geworden. Das lag auch daran, jedenfalls glaubte Adrian das, dass Anatol lange Jahre mit dem Zirkusleben nichts zu tun gehabt hatte, obwohl er aus einer Akrobatenfamilie stammte.
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Himmlische Liebe in Gefahr - Viola Maybach
Der kleine Fürst
– 228–
Himmlische Liebe in Gefahr
… denn Adrian wagt den Todessprung
Viola Maybach
»Gib ihr das Interview«, sagte Anatol Rimkow und pochte mit einem Finger sachte auf das Schreiben, das vor ihm auf dem Tisch lag. »Interviews mit dir sorgen immer dafür, dass wir noch ein paar Karten mehr verkaufen, und das kann ja nur gut sein.« Er grinste den blonden jungen Mann, der ihm gegenüber saß, verschmitzt an.
Es handelte sich bei diesem um Adrian von Bleethen, dessen ›Todessprung‹ unter der Zirkuskuppel das Publikum jeden Abend in atemlose Spannung versetzte. Es gab nur noch zwei andere Trapez-Artisten auf der Welt, die diesen Sprung ohne Netz wagten, und keiner von beiden tat es so regelmäßig und machte es schon so lange wie Adrian. Seit zwölf Jahren riskierte er Abend für Abend sein Leben. Sein Partner in der Manege war Mesut Erdem, zusammen bildeten sie das Duo ›Flying Eagles‹, die fliegenden Adler.
»Ich dachte, unsere Vorstellungen sind sowieso immer ausverkauft?«, fragte er.
»Fast«, betonte Anatol. »Die teuren Logen sind manchmal leer, das weißt du ganz genau.«
»Und das ändert sich, wenn ich dieser Reporterin ein Interview gebe, meinst du?«
Anatol grinste wieder. Er war, anders als Adrian, weder groß und schlank, noch durchtrainiert, sondern im Gegenteil ein recht rundlicher, höchstens mittelgroßer Mann von Mitte Vierzig mit beginnender Glatze und einem runden, fleischigen Gesicht, in dem vor allem der große Mund auffiel. Man konnte ihn, wenn er auf dem Platz herumwuselte, leicht für einen der vielen Angestellten halten, so wenig stach er aus der Menge heraus. Genau das wusste er sich zunutze zu machen, denn auf diese Weise sah und hörte er vieles, das eigentlich nicht für seine Augen und Ohren bestimmt war. Einen geschickteren Direktor hatte der Zirkus ›Rimkow‹ lange nicht gehabt, unter seiner Leitung war das Unternehmen erfolgreicher denn je geworden.
Das lag auch daran, jedenfalls glaubte Adrian das, dass Anatol lange Jahre mit dem Zirkusleben nichts zu tun gehabt hatte, obwohl er aus einer Akrobatenfamilie stammte. Aber er hatte kein Akrobat werden wollen – er hatte nicht den richtigen Körperbau dafür, und an einer Karriere als Clown oder Dompteur war er nicht interessiert gewesen. Also war er zum Studieren nach London gegangen, später auch noch in die USA. Er hatte Betriebswirtschaft studiert und war in seinem Element gewesen. Da er all seine Abschlüsse mit Auszeichnung machte, stand einer glänzenden akademischen Karriere nichts im Wege, doch dann war überraschend sein Vater gestorben. Seine Geschwister waren Akrobaten, die Mutter konnte und wollte das Unternehmen nicht leiten.
Anatol hatte nicht lange überlegt und war zum Zirkus zurückgekehrt. Wozu hatte er Betriebswirtschaft studiert? Mit Zahlen kannte er sich aus, und in seiner Kindheit und Jugend hatte er genug Zirkusluft geschnuppert, um zu wissen, worauf es ankam. Und so war ›Rimkow‹ erst unter seiner Leitung richtig erfolgreich geworden.
Einer seiner größten Coups war die Verpflichtung von Adrian gewesen. Der attraktive junge Mann war DIE Sensation jeder Vorstellung, abgesehen von den großen Tiernummern, denn der Zirkus leistete sich noch immer Raubtiere und edle Pferde. Mehr als die Hälfte des Publikums aber kam wegen Adrian. Besonders unter den Frauen hatte er viele Fans, sie verehrten den gut aussehenden Trapezkünstler wie einen Popstar. Aber auch unter den Männern hatte Adrian viele Bewunderer, wollten doch viele gern so aussehen und sich so elegant und geschmeidig bewegen können wie er. Noch lieber freilich hätten sie, wie er, den Mut gehabt, jeden Abend ohne Netz und mit einem Salto von einem Trapez zum andern zu fliegen.
Über die Tiernummern diskutierten Anatol und Adrian öfter. Adrian, der verrückte Akrobat, war nämlich außerdem ein Tierschützer. Eigentlich eine unmögliche Mischung, fanden viele, bevor sie ihn kennenlernten. Wie konnte ein Tierschützer in einem Zirkus arbeiten, der mit Tieren arbeitete und sie dafür – denn anders ging es doch gar nicht, oder? – quälte? Das schloss sich aus. Aber wenn Adrian anfing zu diskutierten, gingen seinen Gegnern in der Regel schnell die Argumente aus.
»Gib deinen Fans ein bisschen Futter«, sagte Anatol jetzt. »Lass sie träumen, lass dich vor allem von allen Seiten fotografieren, viel mehr musst du nicht tun. Und diese …«, er suchte auf der E-Mail, die er sich ausgedruckt hatte, nach dem Namen der Journalistin, »diese Annalena von Cronberg ist wahrscheinlich jung und will das Interview weniger aus professionellem, als aus privatem Interesse machen. So war es doch bei Journalistinnen bisher zu hundert Prozent, oder?«
»Kann sein«, erwiderte Adrian. »Wenn mich das nur nicht immer so schrecklich langweilen würde, Anatol! Immer die gleichen Fragen nach den Gefühlen, die ich habe, kurz bevor ich losspringe und nach meinem Privatleben und meinen Ansichten über Tierschutz und so weiter und so fort. Du weißt schon. Ich kann mich an kein einziges Interview erinnern, das eine Herausforderung gewesen wäre. Die meisten Leute, ob Frauen oder Männer, beleidigen meinen Verstand.«
»Sie rechnen halt nicht damit, dass du welchen hast«, stellte Anatol trocken fest. »Wer zu körperlichen Höchstleistungen imstande ist, kann nicht auch noch einen scharfen Verstand haben, so ungefähr ist doch die landläufige Meinung.«
»Die landläufige Meinung ist dumm!«, erwiderte Adrian schärfer als beabsichtigt.
Anatol musterte ihn aus zusammengekniffenen Augen. »Gibt es etwas, das dich beunruhigt?«
Adrian antwortete nicht sofort. Er blickte aus dem Fenster von Anatols geräumigem Wohnwagen, ohne etwas zu sehen. Erst nach einer Weile wandte er sich dem Direktor wieder zu. »Ich kann das nicht mehr lange machen«, sagte er sachlich.
Anatol war nicht überrascht, er rechnete schon länger damit, dass Adrian so etwas sagte. »Weil du jetzt dreißig bist?«
»Weil ich merke, dass ich mir mehr Gedanken als früher mache, wie es mit mir weitergehen soll. Ich springe, seit ich achtzehn bin, jeden Abend, Anatol. Das hinterlässt Spuren. Ich muss damit aufhören, so lange ich noch in Topform bin. Und glaub mir, ich weiß, was das für den Zirkus bedeutet. Luigi ist noch nicht so weit. Aber lange braucht er nicht mehr. Ich habe ihn in letzter Zeit genau beobachtet.«
Luigi Moretti war ein siebzehnjähriger überaus begabter Trapezspringer, den Adrian schon vor über zwei Jahren zu seinem Nachfolger auserkoren hatte.
»Machst du weiter, bis er so weit ist?«
Wieder folgte eine längere Pause, bevor Adrian zögernd erwiderte: »Ich weiß es nicht, Anatol. Da ist so eine Unruhe in mir, die ich von mir nicht kenne. Ich wollte dich nur vorwarnen. Es kann sein, dass ich mich sehr schnell zum Aufhören entschließe.«
Anatol ließ sich nicht anmerken, wie sehr ihn diese Worte trafen. Sicher, er hatte gewusst, dass Adrian nicht noch zehn Jahre so weitermachen konnte, aber er hatte doch auf zwei oder drei gehofft. Und nun sah es so aus, als würde es nicht einmal mehr eins werden. Aber er wusste auch, dass er sich jedes Wort sparen konnte. Adrian hatte seinen eigenen Kopf, er ließ sich in Entscheidungen nicht hineinreden,