Das Geheimnis ihres Vaters: Der kleine Fürst 384 – Adelsroman
Von Viola Maybach
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"Der kleine Fürst" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken.
Vincent von Castella betrat den Eingangsbereich des vornehmen Hotels, in dem er auf Kosten seines Auftraggebers die letzte Nacht verbracht hatte. Um zehn Uhr wollte Hagen von der Lehen erscheinen, und Vincent gestand sich ein, dass er neugierig auf diesen Mann war, über den er im Zuge seiner Recherchen einiges in Erfahrung gebracht hatte – zwangsläufig. Er hatte durchaus eine Vorstellung von dem Mann, mit dem er sich gleich treffen würde: Eine blendende Erscheinung sah er vor sich, einen dunkelhaarigen Mann, blauäugig, schlank und groß, in den späten Fünfzigern, der sicherlich noch immer Erfolg bei Frauen hatte. Als er sich jetzt jedoch umsah, konnte er niemanden entdecken, der seinem Fantasiebild entsprach. Er war aber auch ein wenig zu früh, und vermutlich war Hagen von der Lehen es gewöhnt, andere Leute warten zu lassen. Ein Mann, der mit Diamanten ein riesiges Vermögen gemacht hatte, musste auf andere Leute natürlich keine Rücksicht mehr nehmen. Vincent hatte versucht, irgendwo ein Bild von ihm aufzutreiben, es war ihm jedoch nicht gelungen. Hagen von der Lehen ließ sich grundsätzlich nicht fotografieren – und wer es versuchte, der bekam Schwierigkeiten. »Sie sind also der viel versprechende junge Detektiv«, sagte eine leise Stimme neben ihm. Er fuhr erschrocken herum. Der Mann, der ihn angesprochen hatte, war einen Kopf kleiner als er selbst, hatte einen leichten Bauchansatz, die Haare lichteten sich, und sein rundes Gesicht sah so harmlos aus, dass er unmöglich einer der gewieftesten Geschäftsmänner der Welt sein konnte. »Lehen«, sagte er mit breitem Lächeln und drückte Vincent fest die Hand. »Ich beobachte Sie schon eine ganze Weile. Sie gefallen mir. Kommen Sie mit, ich habe ein Büro gemietet, in dem wir uns ungestört unterhalten können.« Vincent versuchte noch immer, sich von seiner Überraschung zu erholen. Wie betäubt folgte er dem Diamantenhändler in einen Raum, der etwa die Ausmaße seiner eigenen Wohnung hatte. Was Hagen von der Lehen als »Büro«
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Buchvorschau
Das Geheimnis ihres Vaters - Viola Maybach
Der kleine Fürst
– 384 –
Das Geheimnis ihres Vaters
Viola Maybach
Vincent von Castella betrat den Eingangsbereich des vornehmen Hotels, in dem er auf Kosten seines Auftraggebers die letzte Nacht verbracht hatte. Um zehn Uhr wollte Hagen von der Lehen erscheinen, und Vincent gestand sich ein, dass er neugierig auf diesen Mann war, über den er im Zuge seiner Recherchen einiges in Erfahrung gebracht hatte – zwangsläufig.
Er hatte durchaus eine Vorstellung von dem Mann, mit dem er sich gleich treffen würde: Eine blendende Erscheinung sah er vor sich, einen dunkelhaarigen Mann, blauäugig, schlank und groß, in den späten Fünfzigern, der sicherlich noch immer Erfolg bei Frauen hatte. Als er sich jetzt jedoch umsah, konnte er niemanden entdecken, der seinem Fantasiebild entsprach. Er war aber auch ein wenig zu früh, und vermutlich war Hagen von der Lehen es gewöhnt, andere Leute warten zu lassen. Ein Mann, der mit Diamanten ein riesiges Vermögen gemacht hatte, musste auf andere Leute natürlich keine Rücksicht mehr nehmen. Vincent hatte versucht, irgendwo ein Bild von ihm aufzutreiben, es war ihm jedoch nicht gelungen. Hagen von der Lehen ließ sich grundsätzlich nicht fotografieren – und wer es versuchte, der bekam Schwierigkeiten.
»Sie sind also der viel versprechende junge Detektiv«, sagte eine leise Stimme neben ihm.
Er fuhr erschrocken herum. Der Mann, der ihn angesprochen hatte, war einen Kopf kleiner als er selbst, hatte einen leichten Bauchansatz, die Haare lichteten sich, und sein rundes Gesicht sah so harmlos aus, dass er unmöglich einer der gewieftesten Geschäftsmänner der Welt sein konnte.
»Lehen«, sagte er mit breitem Lächeln und drückte Vincent fest die Hand. »Ich beobachte Sie schon eine ganze Weile. Sie gefallen mir. Kommen Sie mit, ich habe ein Büro gemietet, in dem wir uns ungestört unterhalten können.«
Vincent versuchte noch immer, sich von seiner Überraschung zu erholen. Wie betäubt folgte er dem Diamantenhändler in einen Raum, der etwa die Ausmaße seiner eigenen Wohnung hatte. Was Hagen von der Lehen als »Büro« bezeichnete, war eine elegante Suite, in der der Tisch für ein opulentes Frühstück für zwei gedeckt worden war.
»Ich hoffe, Sie haben auf meinen Rat gehört und nur wenig gefrühstückt?«
»Ja, natürlich«, murmelte Vincent. Er war ein wenig aufgeregt gewesen und hatte tatsächlich nicht mehr als eine Tasse Kaffee hinuntergebracht an diesem Vormittag.
»Dann nehmen Sie bitte Platz.«
Vincent kam zu dem Schluss, dass er den Worten seines Auftraggebers am besten Folge leistete, und so setzte er sich. Hagen von der Lehen hatte von allem nur das Beste auftischen lassen – und das so reichlich, dass auch sehr viel mehr Leute davon hätten satt werden können. Er plauderte über dieses und jenes, erkundigte sich eingehend nach Vincents Auftragslage und kam dann plötzlich und ohne jede Ankündigung auf das Thema zu sprechen, das der Grund für dieses Treffen war. »Haben Sie die Sachen bei sich?«
»Ja, natürlich.« Vincent reichte ihm einen dicken Umschlag über den Tisch. »Das ist ein ausführlicher Bericht, wie gewünscht, mit allen Einzelheiten, auf die Sie Wert gelegt haben.«
»Und Fotos?«
»Und Fotos, selbstverständlich.«
»Von ihr und ihm?«
»Von beiden, natürlich.«
Wenn Vincent erwartet hatte, dass sich Hagen von der Lehen den Inhalt des Umschlags sofort ansehen würde, so wurde er enttäuscht. Der Diamantenhändler legte die Unterlagen beiseite und griff zum Kaviar. »Erzählen Sie mir, was Sie da aufgeschrieben haben«, sagte er.
»Erzählen?«, fragte Vincent entgeistert. »Aber das ist ein sehr ausführlicher Bericht, Herr von der Lehen, ich habe extra …«
Eine kleine fleischige Hand wedelte dieses Argument einfach weg. »Ich lasse mir lieber etwas erzählen, also fangen Sie schon an. Den Bericht kann ich später immer noch lesen, aber Sie treffe ich vermutlich nie wieder. Ich möchte hören, wie Sie vorgegangen sind und was Ihnen durch den Kopf gegangen ist, als Sie die Arbeit durchgeführt haben. Seien Sie so ausführlich wie möglich. Mich interessiert alles.«
Vincent war auf der Hut, das konnte eine Falle sein. Andererseits war Hagen von der Lehen bisher bereits überaus großzügig gewesen, und nichts deutete darauf hin, dass er es mit einem Mal nicht mehr gut mit ihm meinte. Er beschloss also, den seltsamen Wunsch seines Auftraggebers zu erfüllen. An diesem Vormittag hatte er keine anderen Termine, Cindy sei Dank. Die hatte offenbar eine Vorahnung gehabt und ihm gesagt: »Ich schaufele dir ein paar Stunden frei, wer weiß, was der reiche alte Sack noch alles von dir will.«
Cindy Mellenstedt war Vincents Mitarbeiterin. Sie war ein wenig ungeschliffen, nahm selten ein Blatt vor den Mund, aber ohne sie hätte er den Laden gleich dichtmachen können. Sie war um einiges älter und erfahrener als er und konnte gut mit Leuten umgehen. Hatte sie eine zarte Seele vor sich oder am Telefon, wurde aus der derben Cindy ein mitfühlender Mensch, der immer die richtigen Worte fand und Vincent auf diese Weise schon etliche Aufträge verschafft hatte. Auch Hagen von der Lehen war zuerst an sie geraten, und offenbar hatte sie ihn ja nicht abgeschreckt.
Er beschrieb also, wie er an den Auftrag des Diamantenhändlers herangegangen war und bemühte sich um größtmögliche Genauigkeit. Erst nach einer Weile merkte er, dass er offenbar packend zu erzählen wusste, denn Hagen von der Lehen hatte aufgehört zu essen und lauschte ihm mit halb geöffnetem Mund und versonnenem Blick.
Vincent verließ das Hotel erst drei Stunden später, aber es hatte sich gelohnt. Der Diamantenhändler hatte sich nicht lumpen lassen und noch ein ordentliches Nachschlaghonorar bezahlt. »Kann sein, dass ich nach der Lektüre Ihres Berichts noch Fragen haben – dann melde ich mich noch einmal, junger Mann«, waren seine Abschiedsworte gewesen. »Gute Arbeit jedenfalls, ich werde Sie weiterempfehlen.« Er hatte eine Pause gemacht und dann lächelnd hinzugefügt: »Sie und Ihre Mitarbeiterin natürlich, die lässt sich ja offenbar nicht die Butter vom Brot nehmen. Aber mir gefällt so etwas. Das dürfen Sie ihr von mir ausrichten.«
Vincent hatte sich bedankt und war mit erheblicher Verspätung in sein Büro zurückgekehrt.
»Ich wollte gerade nach dir fahnden lassen«, erklärte Cindy, als er außer Atem hereinstürzte. »Was hat er denn so lange von dir gewollt, der reiche, alte …«
»Bitte, mäßige deine Ausdrucksweise, Cindy! Er wollte, dass ich ihm alles erzähle.«
Cindys Augen wurden noch größer, als sie ohnehin schon waren. Sie hatte sich die Haare erst kürzlich in einem grellen Rot gefärbt, die Nasenflügel zierten mehrere Ringe. Ihr Aussehen war einer der Gründe gewesen, weshalb Vincent sie um ein Haar nicht eingestellt hätte – was eindeutig ein Fehler gewesen wäre, wie er mittlerweile wusste. Dennoch kämpfte er noch immer darum, dass sie sich ein etwas gemäßigteres Erscheinungsbild zulegte, seinen möglichen Kunden zuliebe. Die gewöhnten sich zwar erstaunlich schnell an die schrille Mitarbeiterin, aber es konnte natürlich jederzeit passieren, dass sich jemand bei ihrem Anblick erschrocken umdrehte und gleich wieder ging.
»Wieso erzählen?«, fragte sie. »Warum haben wir uns dann solche Mühe mit dem schriftlichen Bericht gegeben?«
»Den liest er auch noch«, beruhigte er sie, »aber er wollte zuerst von mir hören, wie wir an die Sache herangegangen sind. Keine Sorge, er hat mir die zusätzlichen Stunden reichlich vergütet.«