Ein Kind, das nicht mehr lacht...: Dr. Norden 35 – Arztroman
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Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist.
»O Mann, das kann doch nicht wahr sein! Wo ist denn das Ladegerät hin? Das lag doch gestern noch hier!« Dem Schimpfen folgte ein Rummsen. Ein Schmerzensschrei hallte durchs Haus. Dann war alles wieder still. Gespenstisch still. Dr. Daniel Norden lag im Bett und drückte die Augen zu in der Hoffnung, dass er nur geträumt hatte. Sein Gefühl sagte ihm, dass es noch viel zu früh war, um sich über irgendetwas Gedanken zu machen. Das nächste, was er spürte, war ein kühler Lufthauch, der um seine Beine strich. Instinktiv tastete er nach der Bettdecke. Doch seine Hand griff ins Leere. Gleichzeitig klang eine wohlbekannte, für diese Uhrzeit allerdings viel zu muntere Stimme an sein Ohr. »Guten Morgen, mein Liebster.« Leise stöhnend drehte er sich um, als ein Kuss in sein Ohr schmatzte. »Morgen? Es ist höchstens Mitternacht, und ich habe einen Albtraum.« Daniel rieb sich das klingelnde Ohr. »Von wegen!«
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Dr. Norden – Retro Edition
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Buchvorschau
Ein Kind, das nicht mehr lacht... - Patricia Vandenberg
Dr. Norden
– 35 –
Ein Kind, das nicht mehr lacht...
Patricia Vandenberg
»O Mann, das kann doch nicht wahr sein! Wo ist denn das Ladegerät hin? Das lag doch gestern noch hier!« Dem Schimpfen folgte ein Rummsen.
Ein Schmerzensschrei hallte durchs Haus. Dann war alles wieder still. Gespenstisch still.
Dr. Daniel Norden lag im Bett und drückte die Augen zu in der Hoffnung, dass er nur geträumt hatte. Sein Gefühl sagte ihm, dass es noch viel zu früh war, um sich über irgendetwas Gedanken zu machen.
Das nächste, was er spürte, war ein kühler Lufthauch, der um seine Beine strich. Instinktiv tastete er nach der Bettdecke. Doch seine Hand griff ins Leere.
Gleichzeitig klang eine wohlbekannte, für diese Uhrzeit allerdings viel zu muntere Stimme an sein Ohr.
»Guten Morgen, mein Liebster.« Leise stöhnend drehte er sich um, als ein Kuss in sein Ohr schmatzte.
»Morgen? Es ist höchstens Mitternacht, und ich habe einen Albtraum.« Daniel rieb sich das klingelnde Ohr.
»Von wegen!«, widersprach Felicitas erstaunlich lebendig. »Es ist halb sechs, und ich habe schon Wäsche zusammen gelegt, den Geschirrspüler ausgeräumt und Frühstück gemacht.«
»Ach, du meine Güte! Meine Frau hat einen akuten Anfall von seniler Bettflucht.« In gespielter Verzweiflung blinzelte Daniel ins erste Grau des Morgens. »So alt bist du doch noch gar nicht.«
»Von wegen senile Bettflucht. Dein Sohn hat mich mit seinem Gepolter aufgeweckt, und ich konnte nicht mehr einschlafen.«
Sie hielt ihm die Tasse Kaffee hin, die sie ihm mitgebracht hatte.
Daniel setzte sich im Bett auf und nippte an dem heißen, starken Muntermacher. Nach und nach wurde er wach, und seine Gedanken kamen in Schwung. Er ahnte, von welchem Sohn Felicitas sprach.
»Die Schlaflosigkeit lag nicht am Lärm, sondern an deinem Gedankenkarussell«, sagte er ihr auf den Kopf zu. »Du bist traurig, weil die Schonfrist vorbei ist und er endgültig nach Frankfurt geht.«
Nach einem schonungslosen Auswahlverfahren hatte Felix Norden vor ein paar Wochen die endgültige Zusage für die Ausbildung zum Verkehrspiloten bei einer renommierten Luftfahrtgesellschaft bekommen. Der ersten Einweisung folgte ein vierzehntägiger Urlaub zu Hause, bevor Felix an diesem Vormittag für längere Zeit nach Frankfurt entschwinden würde.
Fee saß auf der Bettkante und versuchte, ihre Gefühle zu ergründen. Hatte Daniel recht?
»Kleinen Kindern soll man Wurzeln geben und großen Kindern Flügel«, zitierte sie einen bekannten Spruch. »Wenn das nur so einfach wäre!«
»Dass es das nicht ist, liegt auch daran, dass sich unser Sohn besonders große Flügel mit einer Spannweite von ungefähr achtzig Metern ausgesucht hat«, scherzte Daniel. Er konnte Fees Gefühle nachvollziehen, wollte sie aber nicht traurig sehen. Sein Vorhaben gelang, und sie lächelte. »Was war vorhin überhaupt los?«, erkundigte er sich.
»Auf der Suche nach seinem Ladekabel ist Felix über einen Stuhl gestolpert und im Wäschekorb gelandet.«
Daniel leerte die Tasse und schüttelte den Kopf.
»Ist es möglich, dass er an einer Clownschule besser aufgehoben wäre?«
»Sag ihm das bloß nicht! Sonst steht zu befürchten, dass deine Patienten heute auf dich verzichten müssen«,warnte Fee ihren Mann gutmütig lachend.
Diesmal erreichte ihr Kuss sein Ziel. Sie stand auf mit der Bemerkung, dass es Zeit für das Abschiedsfrühstück wurde. Obwohl sie tapfer lächelte, blieb Daniel die Trauer in ihren violetten Augen nicht verborgen. Während er unter der Dusche stand, dachte er darüber nach, wie er den wichtigsten Menschen in seinem Leben aufmuntern konnte.
*
Das Morgenlicht fiel als grauer Streifen durch einen Spalt im Vorhang auf den Parkettboden. Antonia Molin lag im Wohnzimmer ihrer Altbauwohnung auf der Couch. Sie war schon lange wach, bewegte sich aber nicht. Eine steile Falte auf ihrer Stirn zeugte von den sorgenvollen Gedanken, die sie sich machte. Der Muskel in ihrem Oberschenkel zuckte. Das tat er, seit sie vor zwei Monaten vom Unfalltod ihrer einzigen Schwester erfahren hatte. Zwei Wochen später war sie nach Rom gefahren, um ihren fünfjährigen Neffen Simon aus der Klinik zu sich zu holen. Seitdem stand ihr Leben Kopf. Darüber dachte sie noch nach, als der Wecker klingelte. Seufzend schlug Antonia die Bettdecke zurück. Auf bloßen Füßen ging sie über den Flur hinüber zu dem Zimmer, das einmal ihr Traumreich gewesen war. Vorsichtig, um Simon nicht zu ängstigen, drückte sie die Klinke herunter. Doch das Bett war leer. Vor Schreck schlug ihr Herz schneller, und ihre Blicke flogen durch den Raum mit den hohen Wänden und großen Sprossenfenstern.
»Simon?«
Ein leises Schluchzen ließ sie herumfahren. »Ach, du liebe Zeit, was machst du denn hier?« Zusammengerollt wie eine Katze lag der Junge hinter der Tür und weinte. Antonia ging neben ihm auf die Knie. Sie streckte die Hand nach dem rabenschwarzen Haar aus, wagte aber nicht, es zu berühren. Noch immer war Simon traumatisiert vom Unfalltod seiner Mutter. Die Eingewöhnung im neuen Zuhause fiel ihm schwer. Er wich jeder Zärtlichkeit aus, sprach wenig, und sogar das Essen fiel ihm schwer. »Was ist passiert, Katerchen?«, beschränkte sich Antonia daher wohlweislich auf eine Frage.
»Mein Bauch … Er tut so weh.«
»Mein armer Kleiner. Darf ich dich hochheben?« Sie hatte sich angewöhnt, fast immer um Erlaubnis zu bitten.
»Ja. Mir ist so kalt.«
»Kein Wunder, wenn du im Schlafanzug auf dem nackten Boden rumliegst.« Antonia schob ihre Arme unter seinen mageren Körper und hob das Fliegengewicht hoch. Als Simon wieder im Bett lag, blickte sie nachdenklich auf ihn hinunter. »Was machen wir denn jetzt mit dir?« Sie sah auf ihre Armbanduhr. »In einer halben Stunde muss ich in der Arbeit sein.« Als medizinisch-technische Assistentin im Labor der Behnisch-Klinik konnte sie Simon im klinikeigenen Kindergarten betreuen lassen. Doch in diesem Zustand wollte sie ihn nicht dorthin bringen. »Was meinst du, sollen wir einen Doktor in der Klinik fragen, ob er dich untersuchen kann?«
Erstaunlich energisch schüttelte Simon den Kopf.
»Ich will nicht ins Krankenhaus.«
Antonia konnte es ihm nicht übel nehmen. Der Aufenthalt in der großen Klinik in Rom hatte deutliche Spuren in der Kinderseele hinterlassen. Anfangs hatte sich Simon sogar geweigert, das Krankenhaus überhaupt zu betreten. Es hatte Tage gedauert, bis er sich zum ersten Mal in den Kindergarten gewagt hatte.
Händeringend suchte Antonia nach einem Ausweg. Erfolgreich.
»Wir könnten zu Dr. Norden gehen. Ich bin schon seit vielen Jahren bei ihm in Behandlung. Er hat selbst fünf Kinder und ist supernett.«
Simon betrachtete sie aus Augen, schwarz und tief wie Tintenfässer. »Im Krankenhaus?«
»Nein. Er hat eine eigene Praxis.«
»Also gut«, erklärte er sich zur Erleichterung seiner Tante einverstanden.
»Dann müssen wir uns beeilen!« Nun fuhr Antonia ihrem Neffen doch durch die