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109. Botin der Liebe
109. Botin der Liebe
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eBook260 Seiten3 Stunden

109. Botin der Liebe

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Über dieses E-Book

Diese Barbara Cartland Geschichte spielt im Greenwich Palast unter Elizabeth I. Die schöne Andora Bland, eine selbsterklärte ‚Landmaus‘, kommt vom Gut ihres Vaters auf dem Lande um die Position einer Ehrenjungfrau am Hof der mächtigen Königin anzutreten. Eine Position, die, wie sie herausfindet, sowohl gefährlich als auch aufregend sein kann. Andora trifft im Palast einen gutaussehenden Gentleman und als sie durch einen Hochverräter in Gefahr gerät muss sie feststellen, daß ihr Gentleman auf dem Festland ebenso ein Pirat ist wie er es auf der hohen See war.
SpracheDeutsch
HerausgeberM-Y Books
Erscheinungsdatum14. Juni 2019
ISBN9781788671880
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    Buchvorschau

    109. Botin der Liebe - Barbara Cartland

    1

    Die Kutsche fuhr langsam in den Hof vor dem Palast von Greenwich ein. Sie war ein altes Ungetüm, sperrig und über und über mit Staub und Dreckspritzern bedeckt. Offensichtlich hatte sie eine lange Fahrt hinter sich. Die eingespannten Pferde waren erschöpft, und der Kutscher schien nicht ganz sicher zu sein, wohin er das Gefährt nunmehr lenken sollte.

    Eine Gruppe von Edelleuten, die im Sonnenschein spazieren gingen, trat beiseite, um die Kutsche vorbeizulassen. Im gleichen Augenblick war ein Krachen zu hören, das linke Hinterrad löste sich von der Kutschenachse, und knirschend und kreischend sank der Aufbau auf die Pflastersteine nieder.

    Das alles geschah so schnell und unvermittelt, daß die anwesenden Herren in ihren farbenfrohen Jacken und mit den Federhüten ein paar Sekunden lang nur sprachlos dastanden. Dann rief einer von ihnen aus: »Mein Gott! Die Arche ist in London gestrandet!«

    Er lachte laut und schadenfroh und deutete auf die zusammengebrochene Kutsche; im gleichen Augenblick erschien das Gesicht eines jungen Mädchens in einem der Kutschenfenster.

    Sie schaute den Sprecher an, der den Kopf zurückgeworfen hatte und sich vor Lachen den Bauch hielt, musterte dann die anderen Höflinge, die ihn umgaben und sie mit offenem Mund anstarrten, und sagte knapp: »Befindet sich unter den Anwesenden vielleicht ein Gentleman, der einer Dame behilflich wäre?«

    Das Gelächter erstarb, und der Edelmann, der so laut gelacht hatte, eilte herbei, um die Kutschentüre aufzuziehen.

    »Vielen Dank, Sir«, sagte sie mit ironischem Unterton. »Und hättet Ihr vielleicht noch die Güte, einen Eurer Freunde zu bitten, dem Kutscher mit den Pferden zu helfen? Er ist schon alt und kann sie nur schwer halten.«

    Die Pferde waren aber schon zu müde, um noch Schwierigkeiten zu machen. Sie hatten nur kurz gebockt, als sich die Kutsche auf dem Pflaster festsetzte, und der Kutscher hatte sie bereits wieder unter Kontrolle.

    Nach einem kurzen Blick auf die Tiere antwortete ihr der Mann, der ihr die Tür geöffnet hatte: »Die Pferde werden keine Probleme bereiten.«

    Sie legte ihre Finger in seine. Ihre Hand war klein, weich und warm, denn sie hatte ihre Handschuhe ausgezogen. Und plötzlich stellte er fest, daß die Augen, die zu ihm aufschauten, von einem klaren Blau waren und daß ihre gesunde Gesichtsfarbe erkennen ließ, daß sie vom Lande kommen mußte.

    »Gestatten Sie, daß ich Sie aus der Kutsche heraushebe?« fragte er. »Es wird nicht einfach sein, ohne Trittbrett herauszugelangen.«

    »Vielen Dank, aber ich bin kein Krüppel«, wies sie ihn zurück und sprang mit einer fast unbeschreiblichen Eleganz zu Boden.

    Jetzt erst erkannte er, wie klein sie war. Ihr Kopf erreichte kaum seine Schulter; und er wurde sich halb bewußt, daß ihr Kleid altbacken wirkte und die Halskrause ein Muster aufwies, das vielleicht vor fünf Jahren aktuell gewesen sein mochte.

    Sie dagegen sah, daß der Mann, der auf sie niederschaute, nach der neuesten Mode gekleidet war. Sein Wams war mit grünem Samt besetzt, seine schmale Halskrause war goldgesäumt, und seine Handschuhe waren mit dem gleichen Rosenmuster verziert wie seine Schuhe.

    Er war nicht eleganter gekleidet als seine Freunde, doch er strahlte unbestreitbare Autorität aus, die sich mit einer scheinbar unerträglichen Arroganz paarte. Seinen Hut hatte er betont lässig über eines seiner spöttisch blickenden grauen Augen gezogen, und er sah mit der Andeutung eines zynischen Lächelns in den Mundwinkeln auf sie herab.

    Sie fühlte, wie sich in ihr der angestaute Ärger über seine abfällige Art Luft machen wollte. »Ich danke Euch, Sir, für Eure Unterstützung«, sagte sie hochmütig. »Aber von jetzt an brauche ich weder Eure Hilfe noch Euren Spott.«

    Nach ihren Worten herrschte kurz betretenes Schweigen. Sie fühlte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte, weil sie so unhöflich gewesen war und weil es ihrem Wesen eigentlich nicht entsprach, jemanden so anzugreifen. Aber irgendwie hatte er sie einfach wütend gemacht, nicht nur durch seine Worte, sondern einfach durch die Art, wie er dagestanden und sich an ihrem Unglück geweidet hatte.

    Sie hörte, wie einer seiner Freunde kicherte und etwas hinter vorgehaltener Hand flüsterte; aber er, den sie angegriffen hatte, schien überhaupt nicht getroffen. Er zog mit einer großartigen Geste den Federhut und senkte ihn vor ihr, bis die Federn den Boden berührten.

    »Ich stehe zu Euren Diensten, wann immer Ihr meiner bedürft.«

    Sie drehte sich zornig um und wandte sich dem Kutscher zu.

     »Ich werde dafür sorgen, daß man dir Hilfe aus den Ställen schickt«, sagte sie.

    »Danke vielmals, Miss Andora«, antwortete der Kutscher. »Die armen Tiere werden keine große Arbeit machen. Die schlafen ein, wo ich sie hinstelle.«

    »Wir haben sie sehr gefordert«, sagte Andora. »Und wir müssen dankbar sein, daß die Kutsche bis hierher gehalten hat. Glaubst du, daß du sie reparieren kannst, Barker?«

    »Das hoffe ich«, antwortete er. »Das hoffe ich stark.«

    »Darf ich Euch einige meiner Kutschenbauer zur Unterstützung anbieten?« fragte eine Stimme neben ihr.

    Andora wandte sich um und stellte fest, daß der aufdringliche Edelmann sich keinen Zentimeter wegbewegt hatte. Immer noch lag dieses gehässige Lächeln auf seinen Lippen, und in den Augen blitzte es höhnisch. Fast wollte sie ihm wütend erwidern, daß sie auf seine Hilfe verzichten könne, aber dann fiel ihr ein, daß sie in diesem riesigen Palast keine Menschenseele kannte. Sie wußte nicht einmal, durch welche Tür sie das Gebäude betreten sollte.

    Als hätte er ihr Zögern bemerkt und ihre Gedanken gelesen, sagte er: »Vielleicht sollte ich mich zuerst einmal vorstellen. Mein Name ist Hengist Wake, zu Euren Diensten. Und Eurer?«

    »Ich bin Andora Bland«, antwortete sie. »Ich bin nach London gekommen, weil ich Ihrer Majestät dienen soll.«

    »Noch eine Ehrenjungfrau!« rief er aus. »Es werden täglich mehr und jede ist hübscher als die vorangegangene. Ein Universum der Schönheit, das Paradies und die Hölle zugleich für jeden schlichten und ehrlichen Mann.«

    Andora wandte den Kopf ab, als legte sie keinen Wert auf die Unterhaltung mit ihm, sondern wollte lieber dafür sorgen, daß ihre Kutsche beiseite geschafft wurde und die Pferde in die Ställe kamen.

    Sie hörte einen kurzen Befehl, und wie von Zauberhand erschienen Bedienstete. Die Pferde wurden ausgespannt, dem alten Kutscher wurde vom Bock geholfen, und ihre Koffer und Kisten wurden weggetragen. Nur die Kutsche selbst blieb zurück, im Sonnenschein auf dem Pflaster liegend wie ein Betrunkener.

    »Darf ich Euch begleiten, Miss Bland?«

    Sie richtete sich ein wenig auf, spürte, wieviel Kraft sie das kostete, und wurde sich plötzlich bewußt, daß sie nach der langen und anstrengenden Fahrt ebenfalls erschöpft war.

    »Ich möchte Eure Freundlichkeit nicht weiter ausnutzen, Sir«, antwortete sie.

    Er lächelte sie nachsichtig an wie ein aufsässiges, störrisches Kind, ein Kind, das man zu dem zwingen muß, was von ihm erwartet wird.

    »Kommt«, sagte er gebieterisch. »Die Tür, die Ihr sucht, befindet sich links von uns. Wenn Ihr durch den Haupteingang eintretet, ist der Weg zu den Gemächern der Königin wesentlich weiter.«

    Gehorsam, so als bliebe ihr ohnehin keine andere Wahl, überquerte Andora an seiner Seite den sonnenbeschienenen Hof. Dankbar stellte sie fest, daß seine Freunde sie allein gehen ließen, aber sie hörte verhaltenes Gelächter hinter sich. Sie vermutete, daß ihre Erscheinung ein komisches Bild bot, das die Männer ebenso zum Lachen reizte wie vorhin an der Kutsche ihren Begleiter.

    Plötzlich bekam sie Angst. Warum war sie hergekommen? Hatte sie das Land und das Heim verlassen, das sie liebte, nur um hier als Tölpel und Witzfigur dazustehen?

    Sie wünschte, sie wäre wieder in dem Ziegelhaus inmitten des Parks und könnte beobachten, wie die Hirsche unter den alten Bäumen weideten. Wie hatte sie nur so dumm sein können, all das, was sie liebte, zurückzulassen?

    »Habt Ihr eine weite Reise hinter Euch?«

    Die Frage riß sie aus ihren Gedanken.

    »Ja, sehr weit.«

    Sie war entschlossen, ihm nicht mehr als das Nötigste zu verraten.

    »Ihr heißt Bland. Steht Ihr in irgendeiner Beziehung zu Sir Robert Bland?«

    »Er ist mein Vater.«

    »Tatsächlich! Ich fühle mich geehrt, seine Tochter kennenlernen zu dürfen. Alle Welt weiß, wie treu und tapfer er für Ihre Majestät gekämpft hat.«

    »Ich werde meinem Vater von Euren freundlichen Worten berichten, wenn ich ihm schreibe«, antwortete Andora etwas steif.

    »Und so haben wir endlich wieder jemanden aus der Familie Bland am Hof!« bemerkte die Stimme neben ihr.

    Bestimmt machte er sich über sie lustig, weil sie im Vergleich mit ihrem Vater und seinen ehrenvollen Taten so klein und unbedeutend war.

    Ein Mann näherte sich und blieb vor ihnen stehen.

    »Sir Hengist«, sagte er, »Lord Essex wünscht Euch zu sehen.«

    »Sagt dem Lord, daß ich in Kürze bei ihm sein werde«, antwortete Sir Hengist.

    Andora warf ihm einen verstohlenen Blick zu. Er war also ein Knappe, dachte sie, offenbar ein wichtiger Mann am Hofe. Aber das machte ihn auch nicht sympathischer. Sie hörte immer noch den Spott in seiner Stimme, als er ihre Kutsche als Arche bezeichnet hatte. Ohne daß sie ihn anzublicken brauchte, wußte sie, daß um seine Mundwinkel ein ironisches Lächeln spielte.

    »Ich möchte Euch keinesfalls von etwas Wichtigerem abhalten, Sir«, erklärte sie hastig.

    »Kann es etwas Wichtigeres geben, als eine schöne Dame zu begleiten?« fragte er.

    Sie spürte, daß er sich wieder über sie lustig machte. Die Tür, welche er ihr gezeigt hatte, war noch ein ganzes Stück entfernt, und bei jedem Schritt spürte sie schmerzlich, wie lächerlich sie aussah, verglichen mit der eindrucksvollen Gestalt an ihrer Seite.

    Auf dem Hof befanden sich noch andere Frauen, und sie wußte nur zu genau, wie schäbig ihr Kleid wirken mußte. Und dabei war sie so stolz auf ihr Gewand gewesen, bevor sie ihr Heim verlassen hatte. Die Sachen waren extra angefertigt worden, und der ganze Haushalt hatte dabei mitgeholfen. Bis spät in die Nacht hatte man die Spitzen an die Seide und den Samt angenäht und kleine Motive eingestickt, die, wie sie jetzt mit einem Anflug von Verzweiflung feststellen mußte, vollkommen unmodern waren.

    Sie brauchte nur einen kurzen Blick auf die eleganten Damen zu werfen, die ihre schweren Röcke hoben, damit sie nicht auf dem Pflaster schleiften, um zu wissen, daß alles, was sie in ihren Koffern mitgebracht hatte, hinterwäldlerisch und keinesfalls mehr aktuell war. Und wieder wäre sie am liebsten umgekehrt und heimgelaufen. Aber nicht einmal das war möglich: Sie mußte mindestens warten, bis ihre Kutsche repariert war.

    »Hier ist die Tür«, hörte sie Sir Hengist sagen. »Wenn Ihr die rechte Treppe hinaufsteigt und den Gang bis zum Ende geht, steht Ihr direkt vor den Gemächern der Königin.«

    »Ich danke Euch.«

    Andora überlegte sich kurz, ob sie ihm ihre Hand reichen sollte oder ob es genügte, wenn sie vor ihm knickste. Sie entschied sich für einen Knicks, den er wiederum mit einer formvollendeten Verbeugung beantwortete.

    »Ich hoffe, Ihr werdet hier sehr glücklich, Miss Andora«, sagte er.

    »Das hoffe ich auch«, antwortete sie leise. »Aber ich bezweifle es.«

    »Warum?« fragte er neugierig.

    Sie antwortete ihm, obwohl sie das Gefühl hatte, daß es besser gewesen wäre, so schnell wie möglich in den Palast zu gehen.

     »Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Ich weiß nicht, wie es am Hof zugeht, und ich verstehe nicht, wie sich die Menschen benehmen.«

    »Ihr dürft sie nicht alle nach meinem schlechten Beispiel beurteilen«, erklärte Sir Hengist, und wieder hörte sie die Heiterkeit in seiner Stimme.

    Nur ihr Stolz verbot es ihr zu weinen. Sie hob ihr Kinn und war plötzlich wieder wütend auf ihn.

    »Lacht Ihr immer über das Unglück anderer Menschen?« fragte sie ihn wütend.

    »Immer«, antwortete er, »über meines übrigens auch.«

    Er verbeugte sich wieder und drehte sich dann um.

    Sie blieb stehen und starrte ihm nach, unsicher, ob sie bedauern sollte, daß er sie jetzt allein ließ, oder ob sie froh darüber sein sollte, weil sie ihn nicht mochte.

    Langsam stieg sie die Treppe hoch. Sie versuchte, sich daran zu erinnern, daß sie die Tochter ihres Vaters war Miss Andora Bland von Willow Park. In der Grafschaft Hertfordshire hatte das etwas zu bedeuten, hier aber, da war sie sich sicher, hatte noch niemand jemals von ihr gehört. Aber wenigstens kannte man ihren Vater. Sogar Sir Hengist Wake hatte mit einem Anflug von Ehrfurcht von ihm gesprochen; dafür sollte sie ihm eigentlich sein Gelächter und seine Ironie verzeihen.

    Zögernd ging sie die Galerie entlang. Durch die Fenster konnte sie auf den Fluß blicken, der sein silbernes Band durch die grünen Wiesen zog. Die Segel vieler eleganter Schiffe waren darauf zu sehen. Sie wäre gerne stehengeblieben und hätte sich an dem Bild erfreut, doch sie spürte, daß dies nicht der geeignete Zeitpunkt zum Träumen war.

    Man hatte ihr nachdrücklich befohlen, an den Hof zu kommen.

     »Schickt Eure Tochter, sobald es Euch möglich ist«, hatte die Königin ihrem Vater geschrieben.

    Weil das Schreiben in so drängendem Tonfall gehalten war, hatte Andora angenommen, der Königin mangele es an Ehrenjungfrauen. Aber Sir Hengist hatte ihr erklärt, daß täglich neue Mädchen einträfen. Warum also hatte sie sich so beeilen müssen?

    Ihr Vater war hocherfreut gewesen, daß die Königin seine Tochter an den Hof beordert hatte.

    »Also erinnert man sich doch noch an mich«, hatte er gesagt. »Ich hatte schon befürchtet, Ihre Majestät hätte mich vergessen, seit meine Krankheit es mir verbietet, weiter meiner Königin zu dienen. Doch sie vergißt niemanden. Sie erinnert sich an alles. Eine Frau, wie es in der englischen Geschichte noch keine gegeben hat. Merk dir das gut, Andora: Sie ist eine Frau ohnegleichen.«

    »Ja, Vater, ich werde es nicht vergessen«, hatte Andora gehorsam geantwortet.

    Manchmal machte sie die scheinbar grenzenlose Bewunderung ihres Vaters für die Königin nervös oder vielleicht eifersüchtig.

    »Warum spricht Vater so oft von der Königin, Mutter?« hatte sie schon als Kind gefragt.

    »Dein Vater hat für die Königin gekämpft und ihr gedient, bis ihn seine Krankheit dazu zwang, sich vom Hof zurückzuziehen«, hatte ihre Mutter erklärt. »Wir sind alle gehorsame Untertanen Ihrer Majestät, Andora.«

    »Ja, ja, natürlich«, hatte Andora erwidert, »aber Vater spricht so oft von ihr. Wenn man ihm zuhört, kommt es einem vor, als sei sie ... beinahe übermenschlich.«

    »Vielleicht ist sie das sogar«, hatte ihre Mutter mit einem Lächeln gesagt, und dann hatte sie ihre Arme um Andora gelegt und sie geküßt. »Zerbrich dir nicht den Kopf über solche Dinge. Geh in den Garten spielen. Wenn dein Vater so gern von den alten Zeiten spricht, dann sollten wir es ihm nicht übelnehmen. Er ist im Grunde seines Herzens ein Soldat geblieben. Er stand früher immer im Zentrum des Geschehens und war es gewohnt, mit den Löwen von England zu brüllen. Ich fürchte, er findet uns kleine Landmäuse etwas langweilig.«

    »Kleine Landmäuse!«

    Die Worte ihrer Mutter klangen Andora noch im Ohr. Genau das war sie, dachte sie mit einem kleinen Lächeln - eine kleine Landmaus, die sich in die große Welt gewagt hatte.

    Fast widerwillig hob sie ihre Hand, um an die Tür am Ende des Ganges zu klopfen. Mäuse sollten in ihrem eigenen Bau bleiben, dachte sie, und nicht den Kopf in die Löwengrube stecken.

    Ein Diener öffnete die Tür. Er hörte ihren Namen ohne jede Regung. Erst als sie erklärte, sie sei eine neue Ehrenjungfrau für Ihre Majestät, führte er sie einen weiteren Gang hinunter zu Mrs. Blanche Party, der Hofdame, die zuständig war für die Betreuung der Ehrenjungfrauen Ihrer Majestät.

    Mrs. Party saß im Salon ihrer Wohnung. Sie war alt und im Dienst der Königin ergraut. Ein freundliches Lächeln zeigte sich auf ihrem Gesicht, als Andora vor ihr knickste.

     »Ich bin erleichtert, Euch zu sehen, mein Kind«, sagte sie. »Man hat uns berichtet, daß die Straßen nach den letzten Regenfällen unter Wasser stehen. Wir befürchteten schon fast, Eure Ankunft würde sich verzögern.«

    »Bisweilen war es kaum möglich, die Furten zu überqueren, Madam«, bestätigte Andora, »aber es ist uns trotz allem gelungen. Erst bei unserer Ankunft in Greenwich verlor unsere Kutsche ein Rad.«

    »Wie schrecklich!« Mrs. Parry klatschte erschrocken in die Hände. »Wenn das früher geschehen wäre, hättet Ihr stundenlang am Wegesrand warten müssen.«

    »Nein, Madam, in diesem Fall wäre ich den Rest der Strecke auf einem der Zugpferde geritten. Es wäre vielleicht eine unkonventionelle Art des Reisens gewesen, aber zumindest wäre ich rechtzeitig gekommen«, erklärte ihr Andora.

    Mrs. Parry lächelte.

    »Ich sehe, Ihr seid eine selbständige junge Dame«, meinte sie. »Kümmert sich jemand um Euer Gepäck und vor allem um Eure Kutsche?«

    »Ein Gentleman, der den Unfall beobachtete, versprach, mir zu helfen«, bestätigte Andora.

    »Hat er Euch seinen Namen verraten?«

    »Ja. Es handelt sich um Sir Hengist Wake.«

    Sie bemerkte die Überraschung auf Mrs. Parrys Gesicht. Es nahm einen Ausdruck an, den Andora nicht richtig einzuordnen wußte, bis die Hofdame sagte: »Dann seid ganz beruhigt. Alles wird erledigt. Sir Hengists Wort hat einiges Gewicht hier am Hof.«

    Mrs. Parrys Tonfall verriet Andora, daß sie nicht allzu viel von Sir Hengist hielt.

    »Und jetzt werde ich Euch zur Königin bringen«, sagte die alte Dame abschließend. »Sie wollte sofort von Eurer Ankunft informiert werden.«

    Sie führte sie aus ihrem Zimmer und durch endlos lange, gewundene Gänge. Andora wünschte, sie hätte ihre Hände waschen und sich ein wenig zurechtmachen können, bevor sie Ihrer Majestät gegenübertrat, aber sie war zu schüchtern, um Mrs. Parry darum zu bitten. Stattdessen fragte sie sich, warum Ihre Majestät sie so dringend zu sprechen wünschte.

    Mrs. Parry öffnete die Tür zu einem kleinen Raum. Es handelte sich offensichtlich um ein Vorzimmer, in dem sich niemand befand, außer einer Zofe, die einen Knicks machte und verschwand.

    Eine zweite Tür führte in ein weiteres Zimmer, und Mrs. Parry steuerte zielsicher darauf zu.

    Aber noch bevor sie den Raum durchquert hatte, wurde die Tür geöffnet, und eine laute Stimme schallte dahinter hervor: »Bei Gott! Wie lange soll ich denn noch auf die Nachricht warten? Der Bote sollte schon seit mehr als einer Stunde hier sein. Bin ich denn nun Königin von England, oder bin ich es nicht? Wurde jemals eine Dame von ihren Dienern schlechter behandelt als ich? Hat man schon jemals mehr Nichtsnutze auf einem Haufen gesehen als in meinem Palast? Bringt mir den Boten, oder ich schwöre, daß er die nächsten paar Jahre im Turm verbringen darf!«

    Ein Page kam herausgelaufen. Er war bleich, und seine Hände zitterten. Er drängte sich an Mrs. Parry vorbei, lief durch das Zimmer und war zur anderen Tür hinaus, fast bevor Andora begriffen hatte, was da vor sich ging.

    Sie hörte, wie eine andere

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