Keine Zeit für etwas Glück?: Der kleine Fürst 176 – Adelsroman
Von Viola Maybach
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Über dieses E-Book
"Der kleine Fürst" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken.
Baron Friedrich von Kant lag auf den Knien in seinem Büro. Die Hilfsangebote sämtlicher Familienmitglieder hatte er abgelehnt, auch Eberhard Hagedorn, dem langjährigen Butler auf Schloss Sternberg, hatte er eine Absage erteilt. »Das Aufräumen muss ich selbst erledigen, vielen Dank, dabei kann ich niemanden gebrauchen, das würde mich nur aufhalten.«
Insgeheim bereute er es längst, nicht wenigstens hier und da eine helfende Hand akzeptiert zu haben. Es war eine anstrengende, zeitraubende und auch langweilige Arbeit, dieses Ausmisten, das er schon viel zu lange vor sich her geschoben hatte. Aber wer räumte auch schon gern auf? Er jedenfalls nicht. Doch jetzt ging es nicht mehr anders, denn das Büro platzte buchstäblich aus allen Nähten, jedes Regal quoll über, nirgends war mehr ein freies Plätzchen zu finden. Natürlich hätte er einfach einen weiteren Raum als Büro belegen können, Platz gab es im Schloss ja wahrhaftig mehr als genug, doch was hätte es ihm genützt? Er hätte nur noch mehr Papiere angesammelt und gewiss keinen besseren Überblick gewonnen.
Als er unten aus einem der Aktenschränke die große Kiste zog, die sich schon seit einer halben Ewigkeit in seinem Besitz befand, die er bis jetzt jedoch nie geöffnet hatte, stieß er einen lang gezogenen Seufzer aus. Es war ihm beinahe gelungen, die Existenz dieser Kiste zu verdrängen, er hatte schon lange nicht mehr an sie gedacht. Sie enthielt alte Familiendokumente, die meisten in Sütterlin-Schrift geschrieben, die er ohnehin nicht entziffern konnte. So weit er wusste, hatte schon sein Vater die Kiste sein Leben lang ungeöffnet gelassen.
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Buchvorschau
Keine Zeit für etwas Glück? - Viola Maybach
Der kleine Fürst
– 176–
Keine Zeit für etwas Glück?
Jetzt musst du eingreifen, Christian!
Viola Maybach
Baron Friedrich von Kant lag auf den Knien in seinem Büro. Die Hilfsangebote sämtlicher Familienmitglieder hatte er abgelehnt, auch Eberhard Hagedorn, dem langjährigen Butler auf Schloss Sternberg, hatte er eine Absage erteilt. »Das Aufräumen muss ich selbst erledigen, vielen Dank, dabei kann ich niemanden gebrauchen, das würde mich nur aufhalten.«
Insgeheim bereute er es längst, nicht wenigstens hier und da eine helfende Hand akzeptiert zu haben. Es war eine anstrengende, zeitraubende und auch langweilige Arbeit, dieses Ausmisten, das er schon viel zu lange vor sich her geschoben hatte. Aber wer räumte auch schon gern auf? Er jedenfalls nicht. Doch jetzt ging es nicht mehr anders, denn das Büro platzte buchstäblich aus allen Nähten, jedes Regal quoll über, nirgends war mehr ein freies Plätzchen zu finden. Natürlich hätte er einfach einen weiteren Raum als Büro belegen können, Platz gab es im Schloss ja wahrhaftig mehr als genug, doch was hätte es ihm genützt? Er hätte nur noch mehr Papiere angesammelt und gewiss keinen besseren Überblick gewonnen.
Als er unten aus einem der Aktenschränke die große Kiste zog, die sich schon seit einer halben Ewigkeit in seinem Besitz befand, die er bis jetzt jedoch nie geöffnet hatte, stieß er einen lang gezogenen Seufzer aus. Es war ihm beinahe gelungen, die Existenz dieser Kiste zu verdrängen, er hatte schon lange nicht mehr an sie gedacht. Sie enthielt alte Familiendokumente, die meisten in Sütterlin-Schrift geschrieben, die er ohnehin nicht entziffern konnte. So weit er wusste, hatte schon sein Vater die Kiste sein Leben lang ungeöffnet gelassen. Sie barg vielleicht Familiengeheimnisse, aber für wen waren die jetzt noch interessant?
Als er vorsichtig den Deckel anhob, musste er husten. Der Staub, natürlich. Im Inneren der Kiste sah es genauso aus, wie er es in Erinnerung hatte: schmale Aktenbündel, ordentlich mit bleich gewordenen Bändern verschnürt; Briefe mit und ohne Umschlag, ein paar Urkunden. Eine erkannte er immerhin wieder, denn er hatte sie schon einmal in Händen gehalten: Es war die Heiratsurkunde seiner Urgroßeltern. Die hatte ihm vor vielen Jahren einmal seine Großmutter gezeigt.
Er stutzte, als ihm beim Durchsehen des Kisteninhalts ein schmales Heft in die Hände fiel. Es hatte einen kartonierten Einband mit einem Etikett, auf dem in verschlungener Schrift Tagebuch stand, was er trotz der altdeutschen Schrift problemlos lesen konnte. Als er es öffnete, stand auf der ersten Seite in Schönschrift: Tagebuch von Emilia von Kant, begonnen am 28. Dezember 1883. Zögernd blätterte er weiter. Emilia von Kant … Er rechnete zurück. Seine Urgroßmutter war ungefähr um diese Zeit auf die Welt gekommen, sie war im Alter von fast hundert Jahren gestorben, er hatte noch recht lebhafte Erinnerungen an sie. Aber sie hatte Agatha geheißen, nicht Emilia. Und wenn diese Emilia 1883 begonnen hatte, ein Tagebuch zu schreiben, war sie doch bestimmt mindestens fünfzehn oder sechzehn gewesen, vielleicht auch noch älter. Sie konnte Agathas Mutter gewesen sein, aber auch eine ihrer älteren Schwestern.
Er blätterte weiter und stellte fest, dass er die Schrift besser lesen konnte als zunächst befürchtet, und am Fuß der ersten Seite erfuhr er bereits, dass Emilia von Kant tatsächlich seine Ururgroßmutter gewesen war, die Großmutter seiner geliebten Oma also.
Ich bin jetzt Ehefrau, schrieb sie. Am ersten Dezember haben Donatus und ich geheiratet, dieses Tagebuch ist sein Weihnachtsgeschenk an mich. Ich habe mich sehr darüber gefreut und werde getreulich alles hineinschreiben, was mir wichtig erscheint.
Baron Friedrich legte das Tagebuch zur Seite. Er würde es lesen, aber erst später. Seine Neugier jedenfalls war geweckt und als er weiter unten in der Kiste noch ein paar Briefe von Emilia fand, legte er sie zu dem Tagebuch. Sie waren, stellte er fest, zwanzig Jahre später geschrieben worden. Diese Tatsache fachte seine Neugier noch stärker an.
Er verstaute das Tagebuch und die Briefe in seinem Schreibtisch und setzte seine Aufräumarbeiten fort. Zuerst war er eher zurückhaltend vorgegangen, doch je länger er arbeitete, desto mehr wanderte in die bereitgestellten Müllsäcke. Als er sah, wie sich die Regale allmählich leerten, erfüllte ihn tiefe Befriedigung.
»Herr Baron, darf ich Ihnen einen Tee servieren?« Eberhard Hagedorn stand an der Tür, er erfasste mit einem Blick den derzeitigen Zustand des Büros.
Friedrich richtete sich stöhnend auf und fuhr sich mit der Hand durch die dichten braunen Haare, in denen sich die ersten Silberfäden zeigten. »Ja, gern, Herr Hagedorn, vielen Dank. Ich kann jetzt wirklich eine Pause gebrauchen.« Er sah das Tablett, das Eberhard Hagedorn trug, und lachte, während er sich mit einem Ärmel seines alten Hemdes den Schweiß von der Stirn wischte. »Sie wussten also schon vorher, dass ich Ihr Angebot nicht ablehnen würde, wie ich sehe.«
»Ich weiß, wie es ist, wenn man aufräumt, Herr Baron. Darf ich außerdem noch einen Vorschlag machen?«
»Natürlich dürfen Sie das.« Friedrich trank einen Schluck Tee und seufzte vor Behagen. »Das kam zur rechten Zeit«, murmelte er.
»Ich weiß, Sie möchten keine Hilfe annehmen, aber ich schlage trotzdem vor, dass Jannik und ich alles, was Sie bereits aussortiert haben, hinausbringen. Danach haben Sie einen besseren Überblick über das, was Sie bereits geschafft haben.«
Jannik Weber war Eberhard Hagedorns Auszubildender. Ein neunzehnjähriger junger Mann, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, nach dem Abitur den Beruf des Butlers zu erlernen und darin so perfekt zu werden wie sein Lehrherr. Seine Eltern waren die Apotheker unten im Ort, und sie haderten noch immer mit dieser Entscheidung ihres begabten und fleißigen Sohnes, der sich jedoch nicht beirren ließ.
»Die Idee ist gut«, gab der Baron zu und wies auf die prall gefüllten Müllsäcke. »Das da kann alles weg. Lauter unwichtiges Zeug, von dem ich nicht weiß, warum ich es überhaupt aufgehoben habe.« Er wies auf einen Stapel, den er neben der Tür aufgeschichtet hatte. »Die Sachen muss ich noch mit Herrn Hagen durchgehen, ich will ja keine Unterlagen vernichten, die wir eventuell noch brauchen.«
Volker Hagen war der Verwalter, mit dem Baron Friedrich eng zusammenarbeitete, wie auch mit dem Stallmeister Robert Wenger. Sternberg war dank Friedrichs intensiver Bemühungen zu einem weltweit bekannten Gestüt geworden, dessen Pferde überall begehrt waren.
Innerhalb einer Viertelstunde hatten Eberhard Hagedorn und Jannik Weber die gefüllten Müllsäcke aus dem Büro geschafft. Der Baron sah sich staunend um. »Wie leer es hier auf einmal aussieht!«
»Es stärkt die Motivation, Herr Baron, wenn man sieht, dass man vorangekommen ist.«
»Sie sind genau zur rechten Zeit gekommen, Herr Hagedorn, ich danke Ihnen. Wenn ich so weitermache, bin ich morgen fertig.«
Noch einmal ließ der alte Butler seinen Blick durch das Büro schweifen. »Die Wände könnten einen neuen Anstrich vertragen«, bemerkte er. »Und das Regal dort drüben ist eigentlich überflüssig. Sie haben es vollständig leer geräumt, und es lässt den Raum kleiner wirken, als er ist. Wenn wir da eins der schönen Bilder aufhängen würden, für