Verschwunden in der Nebelnacht: Gaslicht 66
Von Anne Manek
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Irgendwann, es musste weit nach Mitternacht sein, schrak Silvie entsetzt hoch. Sie wusste im ersten Moment gar nicht, was sie geweckt hatte. Da erklang erneut ein schriller Schrei, der ihr durch Mark und Bein fuhr. Sie lief zu ihrer Cousine hinüber. Birte saß im Bett. Ihre Augen waren aufgerissen, die Hände abwehrend ausgestreckt. Selbst das Licht, das Silvie angeschaltet hatte, riss sie nicht aus der Erstarrung. »Birte! Was ist passiert? Birte, wach auf! Du hattest doch nur einen Albtraum!« Sie schüttelte Birte an der Schulter. Noch immer keine Reaktion. Silvie kroch eine Gänsehaut den Rücken hoch. Wieso nahm ihre Cousine sie nicht wahr? »Du wirst doch deinen Urlaub nicht unbedingt mit deiner kleinen Cousine verbringen wollen! Ich finde das rücksichtslos mir gegenüber!« Silvie seufzte. Jens-Peter war ihr Freund, aber in letzter Zeit hatte sie mehr als einmal überlegt, was sie eigentlich noch miteinander verband. An ihren Urlaubsplänen wurde ihre Krise deutlich.
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Verschwunden in der Nebelnacht - Anne Manek
Gaslicht
– 66 –
Verschwunden in der Nebelnacht
Anne Manek
Irgendwann, es musste weit nach Mitternacht sein, schrak Silvie entsetzt hoch. Sie wusste im ersten Moment gar nicht, was sie geweckt hatte. Da erklang erneut ein schriller Schrei, der ihr durch Mark und Bein fuhr. Sie lief zu ihrer Cousine hinüber. Birte saß im Bett. Ihre Augen waren aufgerissen, die Hände abwehrend ausgestreckt. Selbst das Licht, das Silvie angeschaltet hatte, riss sie nicht aus der Erstarrung. »Birte! Was ist passiert? Birte, wach auf! Du hattest doch nur einen Albtraum!« Sie schüttelte Birte an der Schulter. Noch immer keine Reaktion. Silvie kroch eine Gänsehaut den Rücken hoch. Wieso nahm ihre Cousine sie nicht wahr?
»Du wirst doch deinen Urlaub nicht unbedingt mit deiner kleinen Cousine verbringen wollen! Ich finde das rücksichtslos mir gegenüber!«
Silvie seufzte. Jens-Peter war ihr Freund, aber in letzter Zeit hatte sie mehr als einmal überlegt, was sie eigentlich noch miteinander verband.
An ihren Urlaubsplänen wurde ihre Krise deutlich. Vielleicht war das die Gelegenheit, ein paar grundsätzliche Dinge auszusprechen?
Doch Jens-Peter monologisierte schon weiter. Er erwartete offenbar gar keine Antwort von ihr.
»Wir hatten uns geeinigt, dass wir im Herbst zusammen verreisen. Du weißt, dass mein Angelklub eine Meisterschaft ausrichtet und ich den Urlaub dafür brauche. Wie kannst du also jetzt einfach drei Wochen Island buchen?«
Nun war es aber genug. Silvie unterbrach ihn abrupt. Diese Angel-Geschichte war ihr sowieso ein Dorn im Auge, und zu behaupten, sie wären einig gewesen, war ja wohl die Höhe!
»Du warst dir einig, dass ich mit dir dahin fahre. Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich Angeln langweilig finde.«
»So ist das also! Du hast kein Verständnis für mein Hobby! Das ist ja interessant!«
»Ach, Jens, nun hör doch auf. Du weißt genau, dass mich Angeln nicht interessiert. Da habe ich dir nie etwas vorgemacht!«
»Du erwartest aber, dass ich mich für dich interessiere!«
»Ich interessiere mich ja auch für dich, aber nicht für dieses Hobby.«
»Ich bin aber mal der beste Angler in meinem Klub. Sie brauchen mich, damit wir den Preis gewinnen.«
»Dagegen habe ich ja auch nichts. Aber es ist für uns beide erholsamer, wenn du allein hinfährst. Und meine Cousine habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Ihre Mutter möchte gern, dass ich mir die Familie anschaue, in der sie arbeitet. Sie hält Birte immer noch für ein Kind. Mich kostet diese Reise nicht einmal etwas, weil meine Tante die Flugkosten übernimmt, und ich in dem Haus umsonst wohnen kann.«
Damit hatte sie Jens-Peter ein fast unüberbietbares Argument geliefert. Er war nämlich geizig, eine Eigenschaft, die Silvie ziemlich störte. Allerdings hatte er auch eine Menge gute Eigenschaften, die das aufwogen.
»Dann könntest du ja eine neue Waschmaschine kaufen, wenn du so viel Geld sparst. Ich habe im Moment nicht so viel übrig …«
»Na gut, ich kaufe sie. Aber dann gehört sie auch mir.«
»Das ist doch egal, oder darf ich dann nicht damit waschen?«
»Natürlich darfst du. Ich meine nur, falls wir uns einmal trennen sollten.«
»Trennen? Ich dachte, wir würden nach meiner Meisterschaft endlich heiraten. Im Klub fragen sie schon dauernd, wann ich die große Neugikeit verkünde.«
»Du weißt ja, dass ich noch nicht heiraten will. Wir leben doch auch so ganz gut.«
»Finde ich nicht. Bisher wohnen wir ja nicht einmal zusammen.«
»Nach meinem Urlaub ziehst du doch zu mir. Jetzt hör auf, Jens. Ich habe schon Kopfschmerzen von dieser Diskussion.«
»Ich könnte doch auch schon vorher kommen. Es ist doch wirklich Quatsch, dass wir immer noch zwei Mieten zahlen, wenn ich sowieso die meiste Zeit hier bin.«
»Das ist mir vorher zu stressig. Ich müsste ja erst alles umräumen, damit du Platz hast für deine Sachen. Lass uns jetzt essen gehen, ich mag nicht mehr diskutieren.«
»Äh …, im Moment bin ich nicht so flüssig …«
»Ich lade dich ein«, kürzte Silvie die Diskussion ab.
Jens-Peter nahm dankend an. Sie hatte nichts anderes erwartet. Wenn er wirklich bei ihr einziehen sollte, müsste sie unbedingt darauf achten, dass er für die halbe Miete sofort seinen Dauerauftrag einrichtete. Sie verdiente zwar gut in der Bank, in der sie arbeitete, aber Jens-Peter nagte auch nicht am Hungertuch. Silvie sah keinen Grund, ihn umsonst wohnen zu lassen. Darauf würde es aber hinauslaufen, wenn sie ihm nicht gleich klare Grenzen setzte.
Sie ging ins Badezimmer hinüber, um sich noch ein wenig herzurichten. Ihr rötlich-blondes langes Haar hing offen über ihre Schulter. Silvie überlegte seit geraumer Zeit, ob sie es sich nicht abschneiden lassen sollte. Aber es dauerte ja so lange, bis es wieder gewachsen war, falls sie ihre Entscheidung dann bereute! Eigentlich war sie nicht mehr besonders risikobereit, wenn sie darüber nachdachte. Dabei fing sie mit fünfundzwanzig doch gerade erst an, richtig zu leben!
Früher, als Kind, war sie ganz anders gewesen. Ihre Eltern hatten immer gestöhnt, weil sie so wild und stets zu Streichen aufgelegt war. Wann hatte sie sich eigentlich so verändert?
Es lag Silvie nicht besonders, seelische Nabelschau zu halten. Sie musste immer klare Richtlinien in ihrem Leben haben, die sie sich vorzugsweise selbst setzte. Zum Beispiel ihre berufliche Karriere – da hatte sie mit Disziplin und Fleiß noch einiges vor. Privat – na ja, das würde sich auch finden. Entweder sie raufte sich mit Jens-Peter zusammen, oder ihre Wege würden sich wieder trennen. So etwas wie Torschlusspanik kannte Silvie nicht. Ihre Freundin Andrea war in festen Händen und heilfroh, dass sie sich nicht mehr umsehen musste. Solche Gefühle waren Silvie noch fremd. Falls Jens-Peter doch noch nicht der Richtige sein sollte, würde sich eines Tages vielleicht ein anderer finden. Aber allein lebte es sich auch ganz nett, und genügend Freunde hatte Silvie, mit denen sie etwas unternehmen konnte.
»Bist du bald fertig? Ich habe Hunger!«, rief Jens-Peter aus dem Wohnzimmer.
Silvie legte die Bürste aus der Hand und zog die Lippen mit einem hellroten Stift nach. Ein Hauch Parfüm aus dem Zerstäuber – fertig. Sie wollte sich jetzt einfach nicht ärgern, dass Jens-Peter nun plötzlich drängelte, weil er eingeladen worden war. Hätte er selbst zahlen müssen, wäre das anders gewesen.
Die Pizzeria, die ein paar Straßen weiter lag, war ziemlich gut besucht. Silvie entdeckte Bekannte und steuerte auf deren Tisch zu.
»Hallo, Silvie! Setzt euch doch. N’Abend, Jens!«
Silvie betrachtete neugierig den Mann, der neben Simone saß. Sie hatte ihn noch nie gesehen. Die anderen Gesichter kannte sie alle.
»Kommt, wir rücken zusammen. Na, Jens, spendierst du eine Runde Bier?«
Silvie kicherte. Thomas kannte Jens gut genug, um zu wissen, dass das das Letzte war, was er zu tun beabsichtigte. Wie würde er sich wohl herausreden?
»Ich habe kein Geld dabei. Silvie hat mich eingeladen.«
Die Bekannten lachten, nur der Fremde nicht, bis zu dem sich Jens-Peters Geiz noch nicht herumgesprochen hatte. Dafür bot er jetzt an, eine Runde zu zahlen.
»Nein, Brian, das war nur ein Scherz. Jens sitzt wie Dagobert Duck auf seinem Geld. Ach so, das ist übrigens Brian. Er kommt aus Schottland und ist bei meinem Bruder zu Besuch«, stellte Simone ihn jetzt vor.
»Angenehm. Ich bin Silvie, und das ist Jens.«
Brian nickte ihnen zu. Seine Augen blieben einen Moment länger an Silvie hängen als an Jens. Auch sie fand Brian sehr interessant. Jens merkte nichts davon.
»Oh, Kinder, ich bin froh, dass ich morgen in