Gaslicht 12: Brenda und der Yeti
Von Ira Korona
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Da tauchte vor dem Wagen plötzlich eine dunkle Gestalt auf. Sie war viel größer und massiger als ein Mensch. Gelbe, geschlitzte Augen leuchteten dort auf, wo sich der Kopf befinden mußte. Nur als schemenhafte, zottige Gestalt war das Wesen in dem Schneegestöber zu erkennen.
Da zuckten plötzlich zwei Pranken heran und packten den Jeep an beiden Seiten. Amata schrie auf. Auch der Inder gab einen schrillen Ton des Entsetzens von sich. »Raus hier!« brüllte Daniel und riß im gleichen Moment die Beifahrertür auf. Auch ich machte mich am Türgriff zu schaffen, doch als ich die Tür endlich aufbekommen hatte, hatte die schreckliche Gestalt den Wagen schon in die Höhe gestemmt.
»Mom? Dad? Seid ihr das wirklich?«
Amata Clearent konnte in dem Schneegestöber, das sie umgab, kaum etwas erkennen. Die Flocken waren dick und bauschig. Vom Wind getrieben wirbelten sie schräg zu Boden, wo sie mit der weißen, endlos erscheinenden Schneefläche verschmolzen. Nirgendwo war ein Horizont zu erblicken. Die schneebedeckte Landschaft ging nahtlos in den weißen, wolkenbeladenen Himmel über, so daß es Amata fast vorkam, sie würde sich durch ein weißes, endloses Nichts bewegen.
Obwohl die Sicht miserabel war, erkannte Amata die beiden schemenhaften Gestalten, die sich wenige Meter vor ihr im Schneegestöber bewegten, sehr deutlich.
Diese beiden Menschen hätte sie auch in einem Pulk von unzähligen anderen Schemen sofort wiedererkannt. Bei dem Mann mit der massigen Statur und dem kantigen Schädel handelte es sich um Arnold Clearent, Amatas Vater. Die aufrechte Haltung des Mannes verriet einen starken Charakter und einen unbeugsamen Willen. Amata hatte ihren
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Buchvorschau
Gaslicht 12 - Ira Korona
Gaslicht
– 12 –
Brenda und der Yeti
Nur ein Hirngespinst - oder ein Wesen aus Fleisch und Blut?
Ira Korona
Da tauchte vor dem Wagen plötzlich eine dunkle Gestalt auf. Sie war viel größer und massiger als ein Mensch. Gelbe, geschlitzte Augen leuchteten dort auf, wo sich der Kopf befinden mußte. Nur als schemenhafte, zottige Gestalt war das Wesen in dem Schneegestöber zu erkennen.
Da zuckten plötzlich zwei Pranken heran und packten den Jeep an beiden Seiten. Amata schrie auf. Auch der Inder gab einen schrillen Ton des Entsetzens von sich. »Raus hier!« brüllte Daniel und riß im gleichen Moment die Beifahrertür auf. Auch ich machte mich am Türgriff zu schaffen, doch als ich die Tür endlich aufbekommen hatte, hatte die schreckliche Gestalt den Wagen schon in die Höhe gestemmt.
»Mom? Dad? Seid ihr das wirklich?«
Amata Clearent konnte in dem Schneegestöber, das sie umgab, kaum etwas erkennen. Die Flocken waren dick und bauschig. Vom Wind getrieben wirbelten sie schräg zu Boden, wo sie mit der weißen, endlos erscheinenden Schneefläche verschmolzen. Nirgendwo war ein Horizont zu erblicken. Die schneebedeckte Landschaft ging nahtlos in den weißen, wolkenbeladenen Himmel über, so daß es Amata fast vorkam, sie würde sich durch ein weißes, endloses Nichts bewegen.
Obwohl die Sicht miserabel war, erkannte Amata die beiden schemenhaften Gestalten, die sich wenige Meter vor ihr im Schneegestöber bewegten, sehr deutlich.
Diese beiden Menschen hätte sie auch in einem Pulk von unzähligen anderen Schemen sofort wiedererkannt. Bei dem Mann mit der massigen Statur und dem kantigen Schädel handelte es sich um Arnold Clearent, Amatas Vater. Die aufrechte Haltung des Mannes verriet einen starken Charakter und einen unbeugsamen Willen. Amata hatte ihren Vater immer bewundert. Er war ein Mann mit hochgesteckten Zielen gewesen; und er hatte stets all seine Kraft und Willensstärke eingesetzt, diese Ziele auch zu verwirklichen.
Die zweite Gestalt war zierlich und schlank. Schulter an Schulter stapfte sie mit Arnold Clearent durch den Schnee. Das war Cathrine Clearent, Amatas Mutter. Ihr langes, lockiges Haar bewegte sich im Wind. Auch ihre Haltung war aufrecht und würdevoll. Cathrine war eine geborene Ballynac und adeliger Abstammung. Dies drückte sich nicht nur in ihrem selbstbewußten Auftreten aus, sondern auch in ihrem erlesenen Geschmack, was Kleidung und Einrichtung anbetraf. Außerdem besaß sie einen sehr feinfühligen Geist. Das Leid der Welt hatte sie nie gleichgültig gelassen. Im Gegenteil. Als wohlhabende Frau fühlte sie sich für die Ungerechtigkeiten auf der Welt mit verantwortlich. Sie betrachtete es als ihre Lebensaufgabe, ihr Vermögen dafür einzusetzen, das Leid auf der Welt ein wenig zu lindern.
Amata hatte allen Grund, auf ihre Eltern stolz zu sein. Sie besaß nur schöne Erinnerungen an die beiden. Erinnerungen, von denen die jüngsten nun mittlerweile zwanzig Jahre alt waren. Dazwischen klaffte eine große Lücke, die Amata manchmal wie ein luftleerer Raum vorkam.
Als ihre Eltern noch bei ihr waren und mit ihr auf dem Familiensitz in Irland, Thule Castle, lebten, da war für Amata das Leben noch wie ein einziger, nie enden wollender Frühling gewesen.
Arnold war der Fels in der Brandung gewesen. Sein mächtiges Erscheinungsbild und seine tiefe, sonore Stimme hatten in der kleinen Amata immer das Gefühl von Geborgenheit und Wohlbefinden ausgelöst. Arnold war wie ein Schutzwall gewesen, der die kleine heile Welt, die das Castle für Amata damals noch darstellte, umgab und alle schlechten und bösen Einflüsse abwehrte.
Cathrine hingegen sorgte auf liebevolle und vorsichtige Art dafür, daß die junge Amata ein Gefühl für die Ungerechtigkeiten des Lebens bekam. Sie ging dabei sehr sachte und behutsam vor, so daß Amata die schrecklichen Dinge, von denen sie durch ihre Mutter erfuhr, nie als etwas Übermächtiges, Schicksalgegebenes erlebte, sondern in all dem Leid immer noch eine Chance erblickte, etwas dagegen unternehmen und etwas daran ändern zu können.
Auf diese Weise lebten Arnold und Cathrine Clearent in Aamatas Herzen weiter, obwohl sie ihre Eltern seit nunmehr zwanzig Jahren nicht mehr gesehen hatte. Als sie die Nachricht über das Verschwinden ihrer Eltern erhielt, war sie erst sieben Jahre alt gewesen. Seitdem hatte sie die Hoffnung nicht aufgegeben, ihre Eltern eines Tages wiederzusehen.
Und nun schien dieser Zeitpunkt endlich gekommen zu sein! Denn sie sah Arnold und Cathrine in dieser Schneelandschaft. Kalt und naß schlugen Amata die Schneeflocken ins Gesicht. Sie mußte den Schnee von ihren Wimpern fortblinzeln, da sie drohten, ihr die Sicht zu nehmen.
Amata winkte mit beiden Armen und rief: »Mom! Dad!«
Aber der Sturm fetzte ihr die Worte von den Lippen und trug
sie mit sich fort, ohne daß sie die beiden Gestalten vor ihr erreichten.
»Verdammtes Schneegestöber!« fluchte Amata verzweifelt. »Meine Eltern hören mich nicht. Wenn sie sich doch nur einmal umdrehen würden. Dann könnten sie mich sehen.«
Aber das taten sie nicht. Statt dessen bewegten sie sich von Amata fort. Schulter an Schulter stapften sie durch den Schnee und arbeiteten sich eine steile Anhöhe empor.
Amata hatte Mühe, den beiden zu folgen. Der Sturm schien sich gegen sie verschworen zu haben, denn er kam nun von vorn und drohte Amata den Hang hinunter zu schieben.
Weit lehnte sich die junge Frau vor und stemmte sich verzweifelt gegen den Wind. Wie Hagelkörner peitschten ihr die Schneeflocken ins Gesicht.
Aber das war Amata egal. Sie wollte ihre Eltern einholen. Alles andere war zweitrangig.
Doch es war schier unmöglich, zu den beiden schemenhaften Gestalten aufzuschließen. Es ging steil bergauf und der Untergrund war rutschig. Außerdem lag der Schnee so hoch, daß Amata bei jedem Schritt bis zum Knie in der frostigen weißen Decke versank. Sie glitt mehrmals aus und stürzte hin. Die Schneedecke schien sie dann verschlucken zu wollen. Prustend und nach Atem ringend kämpfte Amata sich jedesmal wieder auf die Beine, nur um entsetzt festzustellen, daß der Abstand zwischen ihr und den Eltern immer größer wurde.
Amata verdoppelte ihre Anstrengungen. Ihre Glieder schmerzten und sie glaubte, jede Faser ihres Körpers zu spüren. Trotzdem biß sie die Zähne fest zusammen und kroch nun auf allen vieren den schneebedeckten Berg empor.
Daß der Berg da war, wußte sie nur, weil die schemenhaften Gestalten vor ihr sich auf dem weißen Nichts aufwärts bewegten und sie selbst die steile Anhöhe unter sich spürte.
Aber sonst war von dem Berg nichts zu sehen.
Oder etwa doch?
Amata kniff die Augen zusammen und starrte zu ihren Eltern empor. Vor ihnen hatte sich plötzlich eine düstere Öffnung aufgetan. Sie gähnte bedrohlich in dem allumfassenden Weiß. Amata nahm an, es würde sich um eine Höhle handeln – und sie konnte fast körperlich spüren, daß von der nachtschwarzen Öffnung eine Gefahr ausging.
Das hinderte ihre Eltern jedoch nicht daran, direkt auf die Öffnung zuzugehen. Es sah ganz so aus, als hätten sie den Berg nur erklommen, um zu dieser unheimlichen Höhle zu gelangen.
»Nein!« schrie Amata gegen den Sturm an. »Ihr dürft nicht in die Höhle gehen!«
Aber natürlich hörten ihre Eltern sie nicht. Ohne zu zögern verschwanden sie in der Öffnung. Kurz darauf hatte die Dunkelheit sie verschluckt.
Amata schluchzte. Sie hätte ihre Eltern daran hindern müssen, die Höhle zu betreten. Aber das war ihr nicht gelungen. Nun war alles zu spät.
Der Wind flaute plötzlich