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Ärger auf den ersten Blick
Ärger auf den ersten Blick
Ärger auf den ersten Blick
eBook229 Seiten3 Stunden

Ärger auf den ersten Blick

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Über dieses E-Book

"Ich will daran glauben, dass es in der Liebe so etwas gibt wie Magie, die Menschen zueinanderführt und für immer bindet." Vielleicht ist Amalie eine Traumtänzerin, vielleicht ist sie auch nur eine unverbesserliche Optimistin. Als eines Nachts der gutaussehende Gustav in ihr Café schneit, glaubt sie jedenfalls an Schicksal, auch dann noch, als sich ihr das erste Hindernis in den Weg stellt: ihre Erzfeindin Marietta.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum5. Okt. 2015
ISBN9783737569057
Ärger auf den ersten Blick

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    Buchvorschau

    Ärger auf den ersten Blick - Katie Volckx

    1

    Pünktlich zur Adventszeit fielen die ersten Schneeflocken im Ort nieder. Auf dem Marktplatz liefen alle Vorbereitungen für den kleinen, aber feinen Weihnachtsmarkt auf Hochtouren. Die Back- und Süßwarenbuden standen schon seit heute Morgen, die beiden Kinderkarussells waren nur halbfertig. Die Laternen, die sich um den Marktplatz säumten, hielten für Tannengirlanden her, an denen man wetterfeste bunte Kugeln befestigt hatte. Dazu verband diesen Kreis eine Lichterkette. Sie schien wie eine Aureole, wenn sie in der Dunkelheit leuchtete.

    Im Mittelpunkt stand allerdings der siebzehn Meter hohe und vier Tonnen schwere Tannenbaum. Er war schon sehr protzig, so, als stünde der Ort in Konkurrenz mit anderen, doch mit dem goldig schimmernden Stern auf der Baumkrone und der tanzenden Lichtflut, die sich wie ein Kreisel um den Baum herunterwand, wirkte es trotzdem sehr beeindruckend.

    Zu dieser Zeit gab es wohl keinen schöneren Ort als diesen, war Oma Minna überzeugt. Ein Lächeln huschte über ihre bleichen, faltigen Lippen, als sie sich das Lichtermeer vom Schlafzimmerfenster aus ansah. Durch Schneefall war es zwar nur noch geisterhaft zu erkennen, dennoch genoss sie den Ausblick.

    Es fiel ihr schwer einzuschlafen, deshalb erhoffte sie sich von dem Treiben schläfrig zu werden. Als ein starker Wind einsetzte und die Flocken durch die Lüfte wirbelte, schnappte sie sich die Wolldecke, die neben ihr auf dem Schaukelstuhl lag, und warf sie sich über die Schultern. Allein der Anblick fröstelte sie, obwohl die Wärme des erloschenen Ofens noch immer angenehm in der Luft hing.

    Das wirre Tanzen der Schneeflocken wirkte beinahe hypnotisierend auf die Oma, so dass sie kaum sicher war, ob die Gestalt, die plötzlich aus dem Nichts erschien, auch real war. Sie kniff die Augen zusammen und fixierte den schwarzen Punkt in der Ferne. Doch je mehr sich dieser näherte, desto erleichterter war sie, dass ihre Augen sie noch nicht ganz im Stich ließen. Sie hatte schon befürchtet, sie könnte seit Neuestem an Halluzinationen leiden. Gleichzeitig fragte sie sich verwundert, welcher geistig gesunde Mensch bei solch einem Wetterverhältnis da draußen unterwegs war und darüber hinaus auch noch versuchte, sich mit einem dieser zusammenfaltbaren, instabilen Regenschirme trocken zu halten! In den Händen des Mannes, der nun endlich als solcher von ihr identifiziert worden war, zuckte der Schirm im Sturm nämlich nur auf und ab und hin und her, statt seine Aufgabe zu erfüllen.

    Dann schlug sie die Hände glückselig zusammen, als sie erkannte, dass der Mann den Kampf mit dem Schirm aufgegeben hatte, indem er ihn auf den Boden schmetterte und wütend von sich trat. Der Schirm war sowieso halbwegs zerfetzt worden von der mörderischen Kraft des Sturmes. Sie beobachtete, wie der Mann vor sich hin fluchte und dabei ab und zu die Faust erhob. Er sah ganz schön snobistisch aus mit dem granitfarbenen Daunenparka, dessen Kapuze einen Fellrand hatte, und wie er ihn offen trug. Offen! Darum konnte Oma Minna den schwarzen Anzug und die weinrote Krawatte erkennen. Vermutlich stellte er gerade den Plan auf, den Erfinder der Regenschirme mithilfe seines Anwalts zur Rechenschaft zu ziehen.

    Oma Minna fühlte sich jedenfalls sehr gut unterhalten von diesem komischen Vogel. Sie dachte an ihre Urenkelin Amalie, mit der sie dieses Ereignis gern gemeinsam erlebt hätte, denn zu erzählen war das nicht. Man musste es mit eigenen Augen gesehen haben!

    Doch ihre Urenkelin hielt sich noch immer im Café Minna auf. Sie ahnte, dass Amalie verrückt genug war, sich wieder die ganze Nacht mit dem Geschäft um die Ohren zu schlagen.

    Amalie hatte eine Devise: Von nichts kommt nichts!

    Sie war nicht der Mensch, der sich nach zehnstündiger Bedienung auf alle vier Buchstaben setzte, um dann vor der Flimmerkiste einzuschlafen. Sie erledigte jede ihrer Aufgaben aufs Gewissenhafteste. Wenn sie es nicht tat, konnte sie des Nachts kein Auge zubekommen und wälzte sich mit tobenden Gedanken im Bett herum.

    Nach der regulären Arbeitszeit übernahm sie obendrein auch noch den Job der Putzfrau. Denn als Amalie den Laden übernommen hatte, kündigte die Putzkraft ihre Stelle mit sofortiger Wirkung. Es war ihr nicht entgangen, dass sich der Grund der Kündigung auf Amalie bezog. Schuldig hatte sie sich deshalb jedoch nicht gefühlt. Warum sollte sie sich auch dafür verantwortlich fühlen, wenn irgendwem ihre Nase nicht gefiel? Abgesehen davon wäre es ohnehin schwierig geworden, die Putzkraft langfristig weiter zu beschäftigen. Aus diesem Grund hatte Amalie erst gar nicht nach einer Nachfolgerin Ausschau gehalten. Es war auch schon so schwer genug, mit den Einnahmen über die Runden zu kommen. Da kam ihr das großzügige Trinkgeld der Gäste sehr gelegen, die im gewissen Maße genauso um die Existenz bangten wie die Inhaber selbst, und um Amalie wussten, die ihre junge, wertvolle Zeit zu Tag und zu Nacht für das Café opferte.

    Amalie war in dem Dorf aufgewachsen. Für viele junge Menschen war das Leben im Örtchen eine Tortur, denn ungefähr hier wuchs der Pfeffer! Doch Amalie liebte ihre Heimat sehr und ließ nichts darauf kommen. Zugegeben, nachdem sie ihr Abitur abgeschlossen hatte, hatte sie nicht lange überlegen müssen, für ein Psychologiestudium dauerhaft nach Augsburg zu gehen, aber auch nur, weil es schon immer ihr Traum gewesen war, Psychologin zu werden. Allerdings hatten die Dorfbewohner keine Rücksicht darauf genommen, wenn sie sich für den allerneuesten Klatsch und Tratsch am Gartenzaun trafen, schließlich hatten auch schon zwei Generationen vor ihr Oma Minna hängen gelassen. Dabei war doch abzusehen, dass die Alte das Café nicht mehr lange weiterführen hätte können. Sie war für ihr hohes Alter zwar noch recht gut zu Fuß und war durchaus Arbeit gewohnt, doch inzwischen war sie achtundachtzig Jahre alt. Irgendwann musste jeder einmal zur Ruhe kommen.

    Dann, vor drei Jahren, hatte das Schicksal hart zugeschlagen: Amalies Eltern und Oma Minnas Gatte Theo waren im Familienkombi auf dem Weg in die nächstgrößere Stadt gewesen, um auf dem Flohmarkt einige Gegenstände aus dessen Haushaltsständen zu verkaufen. Oma Minna war nur zu Hause geblieben, weil ihr Kreislauf sie gänzlich im Stich gelassen hatte. Es war der erste warme, sonnige Tag im Frühling gewesen, als ein entgegenkommender Lkw in einer schwierigen Kurve auf der Bundesstraße ins Schleudern geraten war. Dieser war direkt in den Kombi gerauscht, hatte ihn von der Fahrbahn direkt gegen eine alte Eiche gedrückt und wie ein Akkordion zusammengefaltet. Während der Lkw-Fahrer mit ein paar Prellungen und Schrammen locker davon gekommen war, konnte man Amalies Eltern und Opa Theo nur noch tot bergen.

    Zu jener Zeit hatte Amalie schon drei glückliche Semester in Augsburg verbracht, als sie die Nachricht vom Tod der Eltern und dem Urgroßvater erreicht hatte. Anfangs hatte sie nur eine Unterbrechung ihres Studiums geplant, um in ihre Heimat zurückzukehren und Oma Minna im Café zu unterstützen.

    Nun ja, Amalie war sich heute bewusst, dass sie das Ereignis verarbeiten und das Studium fortsetzen hätte können, doch sie bereute die Entscheidung nicht, es schon nach einem halben Jahr endgültig an den Nagel gehängt zu haben. Oma Minna hatte zwar noch versucht, sie davon abzuhalten, ihre Zukunft so unüberlegt wegzuwerfen, doch diese Entscheidung war unverrückbar gefallen. Denn was sie nicht wusste, war, dass Amalie sehr wohl darüber nachgedacht hatte, so eindringlich, wie sie es noch nie zuvor tun musste. Es war nicht nur der Schmerz, der ihr Herz zu zerreißen drohte, es war auch ihre Uroma, die sie nicht allein lassen konnte ... wollte. Das erste Mal in ihrem Leben war ihr klar geworden, wie wichtig ihr der Familienbetrieb war.

    »Seelenklempner gibt es wie Sand am Meer, aber nicht das Minna, Omili«, hatte sie damals erklärt. Auf einmal wusste sie, was wirklich zählte.

    2

    Verzweifelt hämmerte der junge Mann gegen die Glastür des Cafés. Er ignorierte das abgeschmirgelte Holzschild, auf dem in großen, breiten Lettern stand: »Geschlossen«. Denn im Innern brannte noch Licht, woraus er schlussfolgerte, dass sich dort noch jemand aufhalten musste. Er versuchte sein Glück einfach.

    Amalie hastete an die Tür, im Glauben, dass etwas Schreckliches passiert sein musste. Ihre Gesichtsmuskeln verhärteten sich, als sie erkannte, dass sie durch einen Fremden gestört wurde. Da keine Axt in seinem Schädel steckte und weit und breit kein anderer Schaden erkennbar war, ging sie stark davon aus, dass er wohlauf war und sich bestimmt nur einen nächtlichen Kaffee zum Aufwärmen erhoffte. Frechheit!

    Genervt drehte sie alle vier Schlösser auf, um die Tür zu öffnen. Erst hierbei nahm sie den Schneesturm zur Kenntnis, denn sie hatte seit einer geschlagenen Stunde im Hinterzimmer gesessen und war gerade erst mit den Abrechnungen fertig geworden. Ihr Körper krampfte bei der Kälte. Sie zog den Kragen ihres dicken roten Rollkragenpullovers bis zur Nase hoch.

    »Sagen Sie mal, spinnen Sie? Können Sie denn nicht lesen? Geschlossen! Sind Sie immer so ignorant?«, polterte sie los.

    »Es tut mir wirklich leid«, hetzte der Mann. »Wenn Sie mich kurz hineinlassen, werde ich all Ihre Fragen auch sofort beantworten.«

    Amalie zog eine Augenbraue hoch. »Genauso sehe ich aus, was?« Er machte nicht den Eindruck, als wolle er ihr etwas anhaben, andererseits sah sie den Leuten ja nicht an der Nase an, ob sie gut oder schlecht waren. Und nicht nur zu dieser Uhrzeit, sondern auch zur Weihnachtszeit war sie stets besonders vorsichtig.

    Genau diese Skepsis las er ihrem Blick ab. »Ich heiße Gustav von Gröben«, stellte er sich vor und reichte ihr verträglich die Hand. Und dann lachte er ein wenig arrogant: »Ich besitze genügend eigenes Geld!«

    Doch das Einzige, was weiterhin in ihren Ohren nachklang, war sein Name. »Gustav?« Während sie ihre Hand zögernd in seine schob, begutachtete sie ihn spöttisch von oben bis unten.

    »Ja, Gustav! Haben Sie etwa irgendetwas daran auszusetzen?« Natürlich war es babyleicht zu erraten, worauf Amalie hinaus wollte.

    Das Flehen in seinen Augen hatte sie, nach dem nur kurzen Anflug von Hysterie, zum Nachgeben bewegt. Mit einem Armschwenk bat sie ihn hinein. Und während sie ihn zur Theke führte, um dort auf einem der Barhocker Platz zu nehmen, erklärte sie: »Ich habe eben mit einem Namen wie Finn oder Tim gerechnet. Aber Gustav? Sind Sie nicht etwas zu jung dafür?«

    Vor diesem Schrank von einem Mann wirkte sie wie ein kleines Mädchen, obgleich das nicht nur auf seine stattliche Körpergröße zurückzuführen war. Sie selbst maß gerade einmal bescheidene eins zweiundsechzig und war dabei wirklich zart gebaut. Wenn er jetzt also doch vorhatte, sie zu überfallen, wäre sie dem Drama gänzlich ausgeliefert.

    »Also, entschuldigen Sie mal bitte! Ich konnte mir den Namen ja bei meiner Geburt nicht aussuchen«, verteidigte er sich.

    Amalie registrierte nur allzu spät, wie unsensibel sie sich dem Fremden gegenüber verhielt. Und das auch noch als Cafébetreiberin, die den Umgang mit Menschen eigentlich gewohnt sein musste.

    »Entschuldigen Sie, Herr von Gröben. Ich war nur ein bisschen ... perplex.«

    Gustav war erleichtert. Er befürchtete nämlich schon, Amalie würde ihn zum Standesamt zerren, um eine Namensänderung vornehmen zu lassen.

    »Ich bin Amalie. - Wie kann ich Ihnen helfen?«

    »Ich bin mit dem Auto liegen geblieben.« Die Verzweiflung stand ihm im Gesicht; obwohl Amalies Verhalten das viel größere Übel darstellte für ihn. Eigentlich hatte er mit etwas mehr Gastfreundlichkeit gerechnet. »Um nicht zu sagen, dass ich durch den starken Schneefall leider die Straße nicht mehr erkennen konnte und den Wagen dann versehentlich in einen Graben gelenkt habe.«

    »Und nun?« Heute schien sie besonders auf Krawall gebürstet zu sein.

    »Was, und nun? Es gibt in diesem Kaff kein Hotel; nicht einmal eine klitzekleine Pension! Ich brauche Hilfe«, stellte er sich innerlich schon darauf ein, dass er auch noch einen Kniefall vor ihr machen musste.

    Doch so weit wollte sie es nicht kommen lassen und zerbrach sich dem äußeren Anschein nach den Kopf. Sie knabberte etwas hilflos auf ihrer Unterlippe herum, während ihr Blick wild durch den Raum flog. Sie stellte die eine Hand an die Hüfte und rieb sich mit der anderen die quietschroten Haare am Hinterkopf kraus. Gustav war leicht irritiert, denn er hatte nicht vermutet, dass es einem Menschen so große Schwierigkeiten bereitete, etwas Beherztheit zu zeigen. Er wusste ja nicht, dass das Amalies Art war, nach einer Lösung zu suchen. Doch es war ihm auch nicht zu verdenken, dass er ihr nach allem eher zutraute, ihn viel lieber mit einer Heugabel aus dem Café jagen zu wollen.

    »Okay! Was immer mich auch geritten hat: Sie können im Hinterzimmer auf dem Sofa schlafen. Und morgen kümmern wir uns dann um Ihr Auto.«

    Mit einem Fingerzeig brachte sie ihn in das kleine Hinterzimmer. Akten und Papiere lagen auf dem Schreibtisch verstreut und pflasterten zusätzlich den Boden. Er wankte auf Zehenspitzen über die freien Stellen des Bodens, bis er sich irgendwie und unbeschadet zu dem Sofa durchgekämpft hatte.

    »Ich denke nicht, dass wir heute noch irgendetwas erreichen. Nachher hat der Pannendienst auch noch eine Panne. Das wollen wir ja nicht, oder?«

    Gustav war kaum imstande, so schnell zu denken wie Amalie redete und zugleich handelte. Sie suchte ein Kopfkissen und eine Bettdecke aus einer großen Holztruhe heraus. Offenbar hatte sie auch schon so einige Nächte auf diesem Sofa verbracht.

    Er fuhr sich mit den Händen übers Gesicht, wirkte ein wenig zerknautscht. Er musste ebenso lange auf den Beinen gewesen sein wie sie.

    »Sehen Sie hier eigentlich noch durch?«, fragte er, nachdem er sich wieder gesammelt hatte.

    »Klar doch! Ich habe meine eigene Ordnung.«

    Sie war im Begriff, den Boden freizuräumen, als er sie aufhielt. »Bitte machen Sie sich nicht die ganze Mühe. Ich benötige ausschließlich das Sofa.« Sie starrte ihn nur verwundert an. »Ich habe damit wirklich keine Probleme, auch wenn ich so aussehe.«

    Sie nickte kurz. »Meinetwegen! Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, dass ich nebenan im Café noch etwas Ordnung schaffe?«

    »Selbstverständlich nicht!« Er war außer sich, dass sie jetzt auch noch auf ihn Rücksicht nehmen wollte, obwohl er sie offensichtlich aufgehalten hatte. »Aber brauchen Sie nicht auch etwas Schlaf?«, war er erstaunt.

    »Schlafen kann ich, wenn ich tot bin. Morgen haben wir geschlossen. Da habe ich dann noch genug Zeit, um mich auszuruhen.« Sie ging zur Tür zurück, um ihn allein zu lassen. Doch ehe sie sie hinter sich schloss, fragte sie: »Kann ich Ihnen noch etwas Gutes tun?«

    Er hatte sich auf dem Sofa niedergelassen und seine Hände unsicher in den Schoß gelegt. Ihm wollte nichts einfallen.

    »Etwas zum Trinken?« Sie runzelte die Stirn, als er mit einem Kopfschütteln ablehnte. Vielmehr gab ihr zu denken, dass ihn scheinbar niemand vermisste und er niemanden informieren wollte. Daher wies sie ihn darauf hin: »Ein Telefon?«

    Gustav wirkte keineswegs alarmiert. »Nein, danke!«, erwiderte er nur.

    3

    Entschuldigen Sie, dass ich Sie noch einmal belästige!« Vor Schreck ließ Amalie den Mopp fallen und wirbelte aufgeregt herum. Sie hatte gerade den Boden im Eingangsbereich gewischt.

    Sie fasste sich an die Brust. »Herrgott! Was ist los?«

    Er lächelte kleinlaut: »Ich bekomme kein Auge zu! Könnte ich Ihnen nicht Gesellschaft leisten oder Ihnen ein wenig zur Hand gehen?« Er hatte sich von ihr abgestellt gefühlt und hatte schon eine halbe Stunde lang unschlüssig auf dem Sofa gesessen, bis er sich überwinden konnte, an sie heranzutreten.

    »Ich ... ähm!« Sie blickte nach links und rechts und musste feststellen, dass es nichts mehr zu tun gab. Jedenfalls nichts, wobei er ihr helfen konnte. »Bin so weit, so gut fertig. Aber wir können gern noch etwas zusammen trinken!?«

    Auf einmal war Amalie ganz nett zu dem fremden Mann. Was war passiert?

    Sie musste sich eingestehen, dass er auf dem zweiten Blick ein viel sympathischeren Eindruck machte. Ihr gefiel seine Menschlichkeit, die sie ihm auf dem ersten Blick nicht zugetraut hatte. Er war ihr zunächst wie ein verwöhntes Muttersöhnchen vorgekommen, vielleicht auch wie ein Idealist mit einer gewissen Realitätsferne, der seine Mitmenschen schikanierte und sich Freunde kaufte.

    Den granitfarbenen Daunenparka und das Jackett hatte er indessen abgelegt und im Hinterzimmer auf dem Sofa liegen gelassen. Die weinrote Krawatte hatte er weit gelockert, die ersten beiden Knöpfe des Hemdes geöffnet und die Ärmel bis zu den Ellenbogen aufgekrempelt. Das dunkle, kurze Haar, das zuvor mit ausreichend viel Haargel nach hinten gekämmt war, war nun recht leger aufgewirbelt.

    Er erkannte an ihren Augen, dass sie ihn von oben bis unten inspizierte. Er fand es auch gar nicht unangenehm, denn er wusste sehr wohl, wie er auf andere wirkte. Und dann waren sie zumeist (so, wie auch aktuell Amalie) recht überrascht, dass er nicht der Spießer war, der er in seinem steifen Anzug zu sein schien.

    Er nahm ihren Vorschlag dankend entgegen. »Ich fürchte, ich brauche etwas Stärkeres für die Nerven.«

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