Das Kind vom Herrenhaus: Im Sonnenwinkel – Neue Edition 3 – Familienroman
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Im Sonnenwinkel Nr. Der Schnee rieselte in feinen Flocken auf die Erde und bedeckte die Häuser vom Sonnenwinkel mit einer weißen Schicht. Die alte Felsenburg ragte jetzt bei Weitem nicht mehr so drohend über dem Herrenhaus von Erlenried empor. Der Schnee hatte ihr eine kleine Haube aufgesetzt. So sah sie richtig gemütlich aus und passte viel besser zu dem Dorf, das sich um das Gut herum gebildet hatte. Aus einem hübschen Nebengebäude vom Herrenhaus hörte man das fröhliche Kinderlachen bis auf die Dorfstraße. Das ganze Haus duftete nach dem köstlichen Gebäck, das Teta mit unermüdlichem Enthusiasmus für die bevorstehende Adventszeit fabrizierte, als wolle sie den ganzen Ort damit versorgen. Nun, Abnehmer würden sich genug finden. Selbst Felix Münster schnupperte genüsslich, wenn er abends aus der Fabrik heimkam. Der November mit seinen trüben, nebligen und regnerischen Tagen neigte sich dem Ende entgegen. Die Zeit freudiger Erwartung nahte. »Es schneit, Teta, es schneit!« Mit einem Jubelschrei stürzte der kleine Manuel atemlos in die Küche. »Deswegen brauchst du mich nicht gleich über den Haufen zu rennen«, brummte sie gutmütig. Noch immer musste Teta staunen, wie sehr sich dieser stille scheue Junge in den wenigen Wochen gemausert hatte. Seine Augen blitzten, seine Wangen glühten, und Teta, obgleich so sehr beschäftigt, kam nicht umhin, aus dem Fenster zu schauen. Fedrige weiße Flocken rieselten vom Himmel herab, setzten sich an die Scheiben und wurden zu bizarren Gebilden, bevor die Wärme, die aus der Küche kam, sie hinwegschmolz. »Warum bleiben sie nicht so schön, Teta?«, fragte Manuel bekümmert.
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Buchvorschau
Das Kind vom Herrenhaus - Patricia Vandenberg
Im Sonnenwinkel – Neue Edition
– 3 –
Das Kind vom Herrenhaus
Manuel gibt Anlass zur Sorge
Patricia Vandenberg
Der Schnee rieselte in feinen Flocken auf die Erde und bedeckte die Häuser vom Sonnenwinkel mit einer weißen Schicht. Die alte Felsenburg ragte jetzt bei Weitem nicht mehr so drohend über dem Herrenhaus von Erlenried empor. Der Schnee hatte ihr eine kleine Haube aufgesetzt. So sah sie richtig gemütlich aus und passte viel besser zu dem Dorf, das sich um das Gut herum gebildet hatte. Aus einem hübschen Nebengebäude vom Herrenhaus hörte man das fröhliche Kinderlachen bis auf die Dorfstraße.
Das ganze Haus duftete nach dem köstlichen Gebäck, das Teta mit unermüdlichem Enthusiasmus für die bevorstehende Adventszeit fabrizierte, als wolle sie den ganzen Ort damit versorgen. Nun, Abnehmer würden sich genug finden. Selbst Felix Münster schnupperte genüsslich, wenn er abends aus der Fabrik heimkam. Der November mit seinen trüben, nebligen und regnerischen Tagen neigte sich dem Ende entgegen. Die Zeit freudiger Erwartung nahte.
»Es schneit, Teta, es schneit!« Mit einem Jubelschrei stürzte der kleine Manuel atemlos in die Küche.
»Deswegen brauchst du mich nicht gleich über den Haufen zu rennen«, brummte sie gutmütig. Noch immer musste Teta staunen, wie sehr sich dieser stille scheue Junge in den wenigen Wochen gemausert hatte. Seine Augen blitzten, seine Wangen glühten, und Teta, obgleich so sehr beschäftigt, kam nicht umhin, aus dem Fenster zu schauen.
Fedrige weiße Flocken rieselten vom Himmel herab, setzten sich an die Scheiben und wurden zu bizarren Gebilden, bevor die Wärme, die aus der Küche kam, sie hinwegschmolz.
»Warum bleiben sie nicht so schön, Teta?«, fragte Manuel bekümmert. »Sie sehen so sehr hübsch aus, wenn sie sich ans Fenster setzen. Wie Sternchen! Soll ich dir das Lied von den Schneeflöckchen vorsingen? Mami hat es mir beigebracht. Ich kann es schon ganz richtig.«
»Na, dann sing nur«, sagte Teta, und ein gutes Lächeln legte sich über ihr Gesicht. Manuel und seine Mami – es musste einem ja das Herz aufgehen, wenn der Junge so voller Zärtlichkeit diesen Namen aussprach. Dass er sie vor wenigen Wochen noch Sandra genannt hatte, obgleich nicht weniger zärtlich, hatte Manuel bereits vergessen. Teta war auf ihre alten Tage, wie sie immer sagte, restlos glücklich geworden, dass Felix Münster eine solche Frau gefunden hatte, die nicht nur ihm alles gab, sondern auch diesem Jungen, für den nun doch noch eine unbeschwerte, glückliche Kindheit angebrochen war.
Nur ungern dachte die alte Teta an die letzten Jahre zurück. Seit Felix Münster dieses Haus bezogen hatte, schien endlich ein guter Stern über seinem schweren Leben zu stehen. Seine Frau war vor drei Jahren an einer tückischen Krankheit gestorben. Manuel war damals erst ein Jahr alt. Alle waren glücklich gewesen, dass Ellen Düren, Felix’ Schwägerin, ins Haus kam und Manuel versorgte. Aber Felix Münster merkte schnell, dass es ihr mehr auf eine Heirat und sein Geld ankam. Er zog sich von ihr zurück und ließ sie deutlich seine Abneigung spüren. Ellen wurde immer gereizter und ungerechter gegenüber Manuel. Besonders schlimm aber wurde es, als Felix Münster Sandra von Rieding, die Besitzerin von Erlenried, kennen- und liebenlernte. Teta stöhnte leise auf, als sie an all die hässlichen Anschläge von Ellen dachte, die die beiden mit Gewalt auseinanderbringen wollte. Nur gut, dass Felix so schnell Sandra geheiratet und Ellen davongejagt hatte. Es war eine Freude, nun diese glückliche Familie zu betrachten.
Dass Sandra heute mit ihrem Mann nach Stuttgart gefahren war, machte Manuel gar nicht mehr so viel aus. Manchmal musste die Mami den Papi ja auch für sich haben, das hatten ihm seine Freunde bereits klargemacht.
Seine Freunde – das waren die Auerbach-Kinder, Bambi und Hannes, und natürlich auch Henrike, wenn sie auch schon achtzehn Jahre alt war. Freilich auch Ulla Lamprecht, Henrikes Freundin, die drüben bei Marianne von Rieding wohnte, jetzt Manuels heißgeliebte Omi.
»Ich muss es Omi sagen, dass es schneit«, erklärte er eifrig. »Kann ich rasch mal rüberlaufen, Teta?«
»Das kannst du, aber sehen wird sie es ja selber«, meinte Teta.
»Wenn sie doch wieder über diesen dummen Rechnungen sitzen muss wegen der Steuer«, murmelte er. »Warum muss man Steuern bezahlen, Teta?«
»Das frag lieber die Omi, die weiß es besser«, erwiderte Teta. »Ich verstehe von dem ganzen Zeug nichts.«
»Aber vom Kochen und Backen, da verstehst du etwas«, schmeichelte er. »Darf ich Omi ein paar Plätzchen mitnehmen?«
Immer wollte er ihr etwas bringen. Mit leeren Händen ging er nie, sooft er auch zum Herrenhaus hinüberlief. Wenn er mal gar nichts hatte, malte er ihr rasch ein Bildchen. Unendlich dankbar war Manuel für all die Liebe, die er nun in so reichem Maße empfing, nachdem er fünf Jahre seines kleinen Lebens unter dem tyrannischen Regiment seiner Tante Ellen gestanden hatte, an die er sich nicht mehr erinnern wollte.
Teta packte ihm Gebäck ein. Bevor er ging, schaute er noch einmal zum Fenster hinaus.
»Die Felsenburg sieht richtig schön aus, wenn es schneit«, stellte er fest. »Wie im Märchen. Ob da auch mal ein Dornröschen gewohnt hat, Teta?«
»Mag schon sein.« Von Märchen verstand Teta nichts, besonders redselig war sie auch nicht, wenngleich es sich auch bei ihr in diesen Wochen gebessert hatte und sie lebhafter geworden war.
Omi dagegen konnte wunderschöne Märchen erzählen, und deshalb hielt sich Manuel jetzt nicht mehr länger in der Küche auf. Jauchzend streckte er die Hand aus und freute sich, als die weißen Flocken darauf fielen. In seinen Haaren blieben sie liegen und sogar auf seiner kleinen Nase, die gleich ganz kalt geworden war. Für Manuel war die Welt voller Wunder, seit Sandra seine Mami geworden war, aber ein solcher Tag, wo er zum ersten Mal Schnee genießen konnte, ohne durch eine strenge Stimme ermahnt zu werden, sich nur ja nicht zu erkälten, wie es Ellen immer getan hatte, war besonders schön.
Marianne von Rieding hob den Kopf, als er auf Zehenspitzen in ihr Arbeitszimmer getrippelt kam.
»Guten Morgen, mein Kleiner«, begrüßte sie ihn liebevoll. »Du bist aber schon früh unterwegs.«
»Es schneit, Omi«, freute er sich und umarmte sie stürmisch. »Mami ist doch mit Papi nach Stuttgart gefahren, und ich wollte schnell mal nach dir gucken. Ich hab dir auch Plätzchen mitgebracht.«
»Du brauchst mir nicht immer etwas zu bringen, Manuel. Ich freue mich auch so, wenn du kommst.« Sie streichelte ihm über das Haar. Seine Augen strahlten sie an.
»Auch wenn ich dich bei den Steuern störe?«, fragte er schüchtern. »Muss das denn sein? Kann das nicht jemand anders machen, der nicht so viel dabei stöhnen muss!«
Sie lachte leise. »Eine Beschäftigung muss ich ja auch haben, mein Schatz.«
»Du kannst dich aber mit mir beschäftigen«, erklärte er eifrig.
Sie hatte sich nicht allzu sehr in die junge Familie drängen wollen. Marianne von Rieding war eine vernünftige Frau, obgleich es eine große Umstellung für sie gewesen war, als ihre einzige Tochter den Industriellen Felix Münster heiratete und zugleich die Mutterstelle für Manuel übernahm. Sandra war glücklich, das machte sie froh. Von ihrem Mann wurde sie auf Händen getragen, von dem Kind innig geliebt. So hatte sie sich auch leichten Herzens in die ungewohnte Omi-Rolle hineingefunden. Man musste ihr lassen, dass sie eine sehr attraktive Omi war. Das fand nicht nur Carlo Heimberg, der Architekt, der eben auf das Haus zukam, als sie zum Fenster hinausschaute.
»Onkel Carlo sieht aber nicht froh aus«, stellte Manuel fest. Auch mit ihm war er versöhnt, obgleich er anfangs nahezu allergisch gegen ihn gewesen war, weil er immer fürchtete, dass Carlo ihnen Sandra wegnehmen könnte. Es war eine unnütze Sorge gewesen, und nun wollte Manuel gutmachen, dass er früher immer so abweisend zu ihm gewesen war.
»Onkel Carlo freut sich nicht über den Schnee«, bemerkte Marianne von Rieding lächelnd. »Da geht es mit dem Bau nicht voran.«
Schnee konnte also auch Nachteile bringen. Manuel hatte wieder etwas gelernt. Carlo Heimberg erklärte es ihm dann noch ausführlich, warum man im Winter so schlecht bauen konnte.
»Ich dachte, wir bringen wenigstens die Dächer noch auf die ersten beiden Häuser«, brummte er. »Dann wäre es drinnen vorangegangen. Aber überall fehlt es eben an Arbeitskräften.«
Davon wusste Manuel noch nicht viel, aber er wusste immerhin, dass diese beiden ersten Häuser eigentlich schon im März bezogen werden sollten.
»Und was machen die Leute, wenn sie nicht einziehen können?«, fragte er.
»Das ist ja eben das Dilemma, Manuel«, seufzte Carlo Heimberg. »Beide Familien kommen von weit her.«
»Nun lass nicht gleich den Kopf hängen«, munterte ihn Marianne von Rieding auf. »Der erste Schnee bleibt nicht gleich liegen.«
»Dann freust du dich, Onkel Carlo, und ich bin traurig«, meinte Manuel. »Die Felsenburg sieht so schön aus, wenn alles weiß wird. Für Kinder ist eben vieles