Vati, komm doch zurück: Im Sonnenwinkel – Neue Edition 14 – Familienroman
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»Hättest du ein paar Minuten Zeit für mich, Henrik?« fragte Annette Alden ihren Mann. »Muß das jetzt sein?« »Wann sonst? Du bist doch schon wieder unterwegs«, stellte sie mit herbem Spott fest. »Und ich möchte mit den Kindern auch wegfahren. Die Ferien haben nämlich begonnen, falls dir das entgangen sein sollte.« Er runzelte die Stirn. »Wohin wollt ihr denn fahren?« fragte er. Es ist ihm völlig gleichgültig, ging es ihr durch den Sinn. Warum sage ich ihm nicht gleich, daß es so nicht mehr weitergehen kann, daß ich nicht mehr so dahinleben will? »Nach Erlenried«, erwiderte sie lakonisch. »Erlenried? Wo liegt das denn?« »In der Nähe von Hohenborn. Dort gibt es einen Fohlenhof. Axel und Sissy könnten reiten, und das wird sie wohl davon ablenken, daß ihr Vater keine Zeit für sie hat.«
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Im Sonnenwinkel
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Buchvorschau
Vati, komm doch zurück - Patricia Vandenberg
Im Sonnenwinkel – Neue Edition
– 14 –
Vati, komm doch zurück
Patricia Vandenberg
»Hättest du ein paar Minuten Zeit für mich, Henrik?« fragte Annette Alden ihren Mann.
»Muß das jetzt sein?«
»Wann sonst? Du bist doch schon wieder unterwegs«, stellte sie mit herbem Spott fest. »Und ich möchte mit den Kindern auch wegfahren. Die Ferien haben nämlich begonnen, falls dir das entgangen sein sollte.«
Er runzelte die Stirn.
»Wohin wollt ihr denn fahren?« fragte er.
Es ist ihm völlig gleichgültig, ging es ihr durch den Sinn. Warum sage ich ihm nicht gleich, daß es so nicht mehr weitergehen kann, daß ich nicht mehr so dahinleben will?
»Nach Erlenried«, erwiderte sie lakonisch.
»Erlenried? Wo liegt das denn?«
»In der Nähe von Hohenborn. Dort gibt es einen Fohlenhof. Axel und Sissy könnten reiten, und das wird sie wohl davon ablenken, daß ihr Vater keine Zeit für sie hat.«
Das klang aggressiv. Nun blickte er seine Frau an.
»Warum dieser vorwurfsvolle Ton? Du weißt doch, daß mich die Arbeit an der Neuentwicklung beschäftigt. Man kann sich nicht verzetteln, wenn man dem Erfolg schon so nahe ist.«
Er war mit seinen Gedanken gar nicht richtig da. Er erwartete nur Verständnis. Aber das ging schon seit einem Jahr so, und Annette erwartete auch ein klein wenig Verständnis für sich und die Kinder.
Aber etwas war doch in sein Bewußtsein gedrungen.
»Hohenborn? Du sagtest doch Hohenborn?«
»Ja, ich sagte Hohenborn«, erwiderte sie ungeduldig.
»Dann ist das nur eine Ausrede, das mit diesem Fohlenhof, meine ich. Du willst zu deinen Eltern!«
»Na und? Warum sollte ich sie nicht besuchen. Findest du nicht, daß es Zeit wird, daß sie ihre Enkelkinder kennenlernen?«
»Wer hat denn die Trennung vollzogen?« brauste er auf. »Doch nicht wir! Ihnen war ich doch nicht gut genug für ihre Tochter. Sie wollten doch höher hinaus. Aber mach doch, was du willst.«
Er wurde immer ungerecht, wenn sie ihre Eltem erwähnte, doch auf eine lange Debatte ließ er sich nicht ein.
Er war in Eile. Er wollte wegfahren, doch er hielt es nicht einmal für nötig, sie über das Ziel seiner Reise zu informieren.
»Du erfährst alles, wenn die Sache gelaufen ist.« Das war heute wie schon vorher seine Ausrede.
»Wo sind die Kinder?« fragte er.
»Im Garten.«
»Wollen sie sich nicht wenigstens von mir verabschieden?«
»Willst du dich nicht verabschieden? Du fährst doch weg«, konterte sie.
Nun war die gereizte Stimmung nicht mehr zu überbrücken.
Annette war wieder mutlos geworden, und es konnte sie auch nicht trösten, daß er sich zärtlich von Axel und Sissy verabschiedete.
Dann kam er doch noch einmal zurück und drückte ihr einen flüchtigen Kuß auf die Wange.
»Ich bin ja in drei Tagen wieder da. Dann könnt ihr fahren«, sagte er. »Ich lasse es mir noch einmal durch den Kopf gehen.«
Dazu ist es zu spät, dachte sie, als sie ihm nachblickte. Die Tränen saßen ihr in den Augen, und ihre Kehle war wie zugeschnürt.
Langsam ging sie durch das Haus. Es war ein sehr schönes, modernes Haus mit allem Komfort.
Vor drei Jahren hatten sie es bezogen, als Henrik Alden die ersten Stufen zum Erfolg erklommen hatte. Sie waren stolz und glücklich gewesen.
Ja, sie waren wirklich noch glücklich gewesen bis vor einem Jahr, als er mit der Entwicklung eines neuen Heilserums begonnen hatte, und da hatte Annette auch noch kein Mißtrauen gehegt, daß Tamara Stevens, seine Mitarbeiterin, einmal zwischen ihnen stehen würde.
Natürlich stritt er das ab. Nur seine Arbeit sei ihm wichtig, und diese sollte ihr doch auch wichtig sein. Sein Erfolg würde sie schließlich reich machen. Er konnte seinen Schwiegereltern beweisen, daß sie ihn falsch eingeschätzt hatten.
Wie hatten sie ihn eigentlich eingeschätzt? Annette ließ ihre Gedanken in die Vergangenheit schweifen.
Vor vierzehn Jahren hatte sie Henrik Alden während eines Urlaubs im Gebirge kennengelernt.
Sie war achtzehn gewesen, er vierundzwanzig, gerade mit dem Studium fertig und mit seiner Doktorarbeit beschäftigt.
Er war ein zurückhaltender, höflicher junger Mann, und ihre Eltern hatten nichts dagegen eingewendet, daß sie sich mit ihm unterhielt und Wanderungen mit ihm unternahm.
Ihr Widerstand war erst erwacht, als mehr aus dieser Urlaubsbekanntschaft wurde und ein Jahr später die Rede davon war, daß sie heiraten wollten, sobald er eine aussichtsreiche Stellung in dem Chemie-Konzern angetreten hatte.
Sie nannten ihn einen Träumer, einen Phantasten und hatten schon eine weitaus lukrativere Partie für ihre einzige Tochter im Auge. Dieter von Bernberg, den reichen Erben eines angesehenen Adelsgeschlechtes!
Aber Annette setzte ihren Willen durch. Sie erzwang die Ehe mit Henrik durch ein Kind, durch Axel, der jetzt zwölf Jahre alt war.
Doch das verziehen ihr ihre Eltern nicht. Sie willigten in die Heirat nur ein, um sich die »Schande« zu ersparen.
»Du wirst es einmal bereuen«, hatte Rudolf Stein zu seiner Tochter gesagt.
Sollte er nun, im dreizehnten Jahr dieser Ehe, doch noch recht behalten?
»Wie ist es nun, Mami?« fragte Sissy, die leise ins Wohnzimmer getreten war. »Fahren wir jetzt auf den Fohlenhof, oder hat Papi es nicht erlaubt?«
Annette befand sich wieder in der Wirklichkeit, die eine Entscheidung von ihr forderte.
»Ja, wir fahren gleich morgen«, erwiderte sie.
»Kommt Papi nach?«
»Ach, er hat doch mit seinem Serum zu tun«, mischte sich Axel ein. »Das ist auch wichtig, wenn damit schlimme Krankheiten geheilt werden können.«
Axel hatte Verständnis für seinen Vater, hegte aber auch keinerlei Befürchtung, daß Henrik durch diese Arbeit für seine Familie verloren sein könnte.
»Und wenn auf dem Fohlenhof nun alles besetzt ist?« fragte Sissy.
»Das werden wir gleich erfahren«, stellte Annette Alden fest, alle Gewissensbisse von sich weisend.
Gottfried wird uns schon irgendwie unterbringen, dachte sie. Gottfried Großmann, der Besitzer des Fohlenhofes, war ihr Jugendgespiele gewesen, und ihr Vater, der Tierarzt Dr. Rudolf Stein, betreute auch heute noch die Vierbeiner des Großmannschen Besitzes.
Annette hatte Gottfried angerufen, als sie in der Zeitung von dem Fohlenhof gelesen hatte. Sie hatte ihn gebeten, ihren Eltern nichts davon zu erzählen, und er wußte recht gut, warum sie das nicht wollte.
Ihr heutiger Anruf zerstreute ihre letzten Bedenken. Sie waren auf dem Fohlenhof willkommen, und es wäre gut, daß sie käme, denn ihre Mutter kränkele seit einigen Wochen, hatte Gottfried Großmann verlauten lassen.
»Kleider nehme ich aber nicht mit«, sagte Sissy.
»Eins«, erwiderte Annette geistesabwesend.
Sissy zog einen Flunsch. Mit Kleidern hatte sie es gar nicht.
Als sie ihre Koffer packten, waren die Kinder völlig ahnungslos, daß ihre Mutter entschlossen war, dieses Haus nicht wieder zu betreten.
*
Henrik Alden fuhr nicht allein nach Norden. Neben ihm saß eine sehr attraktive Frau.
Er hatte Tamara Stevens von ihrer Wohnung abgeholt. Sehr schick sah sie aus in der schmalen grünen Hose und dem bunten ärmellosen Pulli.
Er hatte es jedoch nicht zur Kenntnis genommen. Sein Kopf war vollgestopft mit Formeln und Berechnungen.
»Ob wir es in zwei Tagen schaffen können, Tamara?« fragte er plötzlich.
»Das bezweifele ich. Unsere Verhandlungspartner sind sehr schwierig. Was ist denn?«
»Meine Frau will mit den Kindern verreisen«, erwiderte er mürrisch.
»Kommt es da auf einen Tag an?« fragte sie leichthin. »Sie können jetzt doch nicht weg, Henrik.«
»Will ich auch gar nicht!«
Tamara warf ihm einen verwunderten Blick zu.
»Gibt es Probleme mit Annette?«
»Von mir aus doch nicht. Sie hat kein Verständnis für meinen Beruf«, sagte er gereizt.
»Sie ist Hausfrau und Mutter. Das ist auch eine Aufgabe«, erklärte Tamara. Es klang nicht eine Spur ironisch, eher gedankenvoll. »Sie hatten ja wirklich nicht viel Zeit für Ihre Familie, Henrik. Aber das wird in ein paar Wochen anders sein.«
Er warf ihr einen raschen Blick zu.
»Sie sind die verständnisvollste Frau, die ich kenne, Tam.«
»Kennen Sie denn so viele?« fragte sie ironisch.
»Sie wissen doch genau, wie ich bin. Für mich gibt es nur meine Arbeit und meine Familie.«
Was ist ihm nun eigentlich wichtiger, fragte sich Tamara, der große Durchbruch mit der Selbstbestätigung oder seine Frau und seine Familie?
Sie kannte ihn sehr genau. In den anderthalb Jahren enger Zusammenarbeit war sie manchmal selbst erschrocken gewesen über den Fanatismus, mit dem er sich seiner Forschungsarbeit widmete, alles vergessend, was um ihn herum war. Aber war sie ihm nicht sehr ähnlich?
Nun, sie war ungebunden, sie hatte keine privaten Verpflichtungen. Doch ganz plötzlich kam ihr der Gedanke, daß Annette ihre Beziehungen zu Henrik anders auslegen könnte.
»Ist Annette böse, weil wir zusammen fahren?« fragte sie.