Ein Tag, der so schön begann: Im Sonnenwinkel – Neue Edition 20 – Familienroman
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Der Bus kam angefahren. Bambi, die Jüngste der Auerbachs, beobachtete es vom Küchenfenster aus. »Beeil dich, Hannes!«, sagte sie zu dem großen Bruder. »Hab ja noch fünf Minuten Zeit«, erwiderte dieser kauend. Jonny, der Collie, stand an der Tür und bellte. »Willst wohl hinaus?«, fragte Bambi und öffnete ihm die Tür. Jonny war schon sehr manierlich. Er stürmte nicht mehr los, sondern wartete ab, bis Bambi selbst vor das Haus ging. Es war noch dämmerig. Der Himmel war wolkenverhangen. Am Vortag hatte es getaut, aber heute war es wieder sehr kalt. Der Atem des Kindes wurde als Hauchfahne sichtbar. »Puh!«, machte Bambi, lief aber doch noch ein paar Schritte durch den Garten. Und schon lag sie auf dem Bauch. Der Boden war ihr förmlich unter den Füßen weggeglitten. Es tat weh, aber Bambi verbiss sich den Schmerz.
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Buchvorschau
Ein Tag, der so schön begann - Patricia Vandenberg
Im Sonnenwinkel – Neue Edition
– 20 –
Ein Tag, der so schön begann
Patricia Vandenberg
Der Bus kam angefahren. Bambi, die Jüngste der Auerbachs, beobachtete es vom Küchenfenster aus.
»Beeil dich, Hannes!«, sagte sie zu dem großen Bruder.
»Hab ja noch fünf Minuten Zeit«, erwiderte dieser kauend.
Jonny, der Collie, stand an der Tür und bellte. »Willst wohl hinaus?«, fragte Bambi und öffnete ihm die Tür.
Jonny war schon sehr manierlich. Er stürmte nicht mehr los, sondern wartete ab, bis Bambi selbst vor das Haus ging.
Es war noch dämmerig. Der Himmel war wolkenverhangen. Am Vortag hatte es getaut, aber heute war es wieder sehr kalt. Der Atem des Kindes wurde als Hauchfahne sichtbar.
»Puh!«, machte Bambi, lief aber doch noch ein paar Schritte durch den Garten. Und schon lag sie auf dem Bauch. Der Boden war ihr förmlich unter den Füßen weggeglitten.
Es tat weh, aber Bambi verbiss sich den Schmerz. Jonny leckte ihr die Wange, was wohl Ausdruck seines Mitgefühls bedeuten sollte.
»Bambi!«, schrie Hannes, der in der offenen Tür stand.
»Geh bloß langsam, es ist so glatt!«, sagte Bambi warnend, um sich dann aufzurappeln.
Aber Hannes wollte ihr zu Hilfe eilen, und auch er rutschte. Aber er konnte sich fangen und streckte ihr hilfreich die Hände entgegen.
»Hast du dir wehgetan?«, fragte er besorgt.
»Bloß ein bisschen«, erwiderte Bambi tapfer. »Hoffentlich rutscht der Bus nicht auch.«
Für Hannes war es höchste Zeit. Auf ihn wartete der Bus nicht extra, und er musste ja zur Schule, während die Kleine daheim bleiben konnte.
Als Hannes winkend verschwunden war, kullerten ihr doch ein paar Tränen über die Wangen. Inge Auerbach war erschrocken und hob Bambi empor.
»Du hast dir doch wehgetan!«, sagte sie bekümmert.
»Ist nicht so schlimm, Mami, aber wir müssen gleich streuen, sonst fallen noch mehr hin.«
Inge Auerbach meinte, dass es mit dem Streuen noch ein bisschen Zeit hätte.
Sie schaute sich erst Bambis Arme und Beine an, salbte diese gleich mit einem Universalmittel ein und verordnete ihr Ruhe.
»Wenn bloß nichts passiert bei dem Glatteis«, äußerte Bambi besorgt. »Auf der Straße ist es bestimmt auch so glatt.«
»Der Bus fährt schon vorsichtig«, tröstete Inge,
»Ruf Omi lieber gleich an, dass sie nicht auch rausgeht und ausrutscht«, erklärte Bambi fürsorglich.
Und das tat Inge Auerbach denn auch. Danach streute sie Sand auf den Gartenweg.
Ihr Vater tat im Nebenhaus das Gleiche. Auf der Straße trafen sie sich und warfen den Sand auf die Fahrbahn.
»Da wird heute wieder allerhand passieren«, sagte Magnus von Roth zu seiner Tochter. »Wohl dem, der nicht aus dem Haus braucht.«
*
So dachten die sechsundzwanzig Schulkinder nicht, die zur gleichen Zeit, zwanzig Kilometer von Hohenborn, in einen Bus stiegen, um ihren Schulausflug zu machen. In Schwarzenberg war allerdings auch kein Glatteis.
Hanna Ebel, die junge Lehrerin, hatte ihre Mühe, die lebhaften Trabanten in Zaum zu halten, denn alle freuten sich sehr auf den Ausflug und waren kaum zu bändigen.
Eine schlanke dunkelhaarige Frau unterhielt sich mit Hanna Ebel. An ihrer Hand hielt sie ein zierliches Mädchen.
Es war Annette Werlin mit ihrer Tochter Renate.
Sie waren wohl die angesehenste Familie in Schwarzenberg, denn der Fabrikant Werlin hatte ungemein viel für die kleine Gemeinde getan.
Renate war das einzige Kind des Ehepaars und trotz des Reichtums ihrer Eltern ein liebenswertes Geschöpf.
»Sie werden doch ein Auge auf Renate haben«, sagte Annette Werlin bittend zu Hanna Ebel.
»Sie können ganz beruhigt sein«, kam die Erwiderung. »Christine und Renate sind sehr lieb und umsichtig.«
Christine war die Tochter von Hanna Ebel und im gleichen Alter wie die kleine Fabrikantentochter, mit der sie befreundet war. Auch sie war zierlich und ein besonders anmutiges Kind.
»Ich passe auch auf Renate auf, Frau Werlin«, versicherte Christine eifrig. »Wir bleiben ja immer zusammen.« Annette Werlin drückte Hanna Ebel die Hand.
»Ich bin so froh, dass unsere Kinder sich so gut verstehen, Frau Ebel«, erklärte sie herzlich. »Es würde mich freuen, wenn Sie mich auch öfter einmal besuchten.«
Das allerdings würde Hanna Ebel in eine Zwickmühe bringen, denn in einem kleinen Ort, in dem jeder den anderen kannte, konnte ihr als Lehrerin das leicht falsch ausgelegt werden.
Man würde schnell sagen, dass sie Renate bevorzugte, weil diese eben eine Fabrikantentochter war, und einfach hatte es die geschiedene Hanna Ebel ohnehin nicht; denn in Schwarzenberg war man noch sehr konservativ, und eine geschiedene Lehrerin war manchen ein Dorn im Auge.
»Nun steigt ein«, sagte sie zu den beiden kleinen Mädchen.
Annette Werlin drückte ihr Töchterchen noch einmal an sich.
Komm gesund zurück, dachte sie, aber sie sprach es nicht aus. Das Kind freute sich so sehr, dass es mit den anderen fahren durfte, und sie wollte Renate nicht das Herz schwer machen.
Die Kinder lachten und tobten noch, aber Hanna Ebel brachte sie mit ein paar energischen Worten zur Räson.
»Herr Naumann muss fahren und hat eine große Verantwortung«, sagte sie. »Also macht ihn nicht konfus.«
Heinrich Naumann war ein biederer Mann in mittleren Jahren. Auch seine drei Kinder nahmen an diesem Ausflug teil, obgleich Georg, der Älteste, schon in eine höhere Klasse ging.
Aber Heinrich Naumann war alleinstehend und musste die drei Kinder versorgen. Weil der Ausflug den ganzen Tag dauern sollte, hatte Hanna Ebel die Erlaubnis des Rektors erwirkt, Georg, der Schorsch gerufen wurde, daran teilnehmen zu lassen.
Heinrich Naumann hatte sein gutes Auskommen mit seinem Bus, dem einzigen in der Gemeinde, mit dem er die Arbeiter und Angestellten zu ihren Arbeitsplätzen beförderte, Ausflüge machte und auch die Kinder zur Schule brachte und von dort abholte.
Er hatte alles gut eingeteilt, war zuverlässig und auf die Minute pünktlich. Seine Kinder waren überall beliebt, und obgleich ihnen die mütterliche Fürsorge fehlte, waren sie immer ordentlich beisammen.
Schorsch passte auf die kleineren Geschwister Frieder und Marilli auf, wenn der Vater unterwegs war. Er war es auch, der Hanna Ebel jetzt unterstützte, als ein paar besonders Lebhafte keine Ruhe geben wollten.
Als Erstes wollten sie die Felsenburg besichtigen, über die nun auch im weiten Umkreis von Erlenried viel gesprochen wurde.
Hanna Ebel hatte sich eingehend informiert über die Geschichte dieser Burg, die zum Besitz der Riedings gehörte, und ihren Schulkindern auch schon davon erzählt.
Eine alte Ritterburg interessierte alle, und so wurden sie in der spannungsvollen Erwartung auf dieses Erlebnis ruhiger.
*
Dr. Nicolas Allard, neben der jungen Gräfin Sabine von Jostin Erbe des Besitzes der verstorbenen Josette von Jostin, hatte für diesen Morgen eine Verabredung mit dem Notar Dr. Rückert in Hohenborn getroffen.
Als er seinen Wagen aus der Garage holte, kam der Verwalter Leo Thewald aus seinem Haus.
»Es ist verflixt glatt heute, Herr Doktor«, warnte er den Arzt. »Fahren Sie bloß vorsichtig!«
»Es ist ja nur ein kleines Stück«, bemerkte Dr. Allard. »Hat Ihre Frau aufgeschrieben, was ich mitbringen soll?«
Leo Thewald reichte ihm einen Zettel.
»Wenn Sie so freundlich sein wollen?«, sagte er höflich.
»Ist doch selbstverständlich, Herr Thewald.«
Nicolas Allard drehte sich um und sah Sabine von Jostin kommen.
»Guten Morgen«, erwiderte sie seinen Gruß verlegen. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, mich mitzunehmen, wenn Sie in die Stadt fahren, Nicolas?
Was will sie bei diesem Wetter in der Stadt, dachte er, aber eine diesbezügliche Frage hätte er nicht gestellt.
Es war immer noch eine unterschwellige Spannung zwischen ihnen, die aber mehr durch Sabines Unsicherheit als durch ihn hervorgerufen wurde.
Obgleich ihre Verlobung mit Hasso von Sillberg gelöst war, der so üble Intrigen gegen Dr. Allard gesponnen hatte, fühlte sie sich schuldbewusst, es überhaupt geduldet zu haben, dass Hasso widerwärtige falsche Anschuldigungen gegen Nicolas vorgebracht und dazu Vorurteile gegen den Miterben in ihr geweckt hatte.
Nicolas war alles andere als ein Erbschleicher. Sabine wusste längst, dass er selbst sehr vermögend war und nur das Vermächtnis Josette von Jostins erfüllen wollte, die er sehr verehrt hatte.
Nicolas war ein interessanter, kluger Mann mit nobler Gesinnung, die auch darin deutlich zum Ausdruck kam, wie freundlich er mit den Thewalds sprach.
Aber etwas beunruhigte Sabine ungemein. Es bezog sich auf jenes Mädchen, das jetzt aus dem Haus der Thewalds gelaufen kam.
Das Mädchen war blond und zierlich, bildhübsch, mit großen, ausdrucksvollen violetten Augen. Lisa Thewald! Sie war stumm. Kein Laut kam über ihre schönen, weichen Lippen, aber ihre sprechenden Gebärden drückten alles aus, was sie fühlte.
Jetzt hatte sie Angst, und diese Angst galt Nicolas. Selbst Sabine, die Lisa bisher nur selten gesehen hatte, spürte es, und ein eigentümliches Gefühl schnürte ihr die Kehle zusammen.
»Ich fahre schon vorsichtig, Lisa«, sagte Nicolas mit