Ein neues Leben mit Dorothee: Im Sonnenwinkel – Neue Edition 4 – Familienroman
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Wie schon oft während der letzten Wochen studierte Dorothee Kilian aufmerksam die Stellenangebote in der großen Tageszeitung. Ab und zu kam ein Seufzer über ihre Lippen. Ja, Angebote gab es zur Genüge, aber immer wurden besondere Fachkenntnisse verlangt, die sie nicht besaß. Sie war gar nicht dazu gekommen, etwas zu lernen. Mit knapp zwanzig Jahren hatte sie den Piloten Peter Kilian geheiratet, ein Jahr später war Beate geboren worden, und nach fünfjähriger glücklicher Ehe wurde sie Witwe. Ein Jahr war sie nun schon allein mit ihrem Kind. Es war ein entsetzlicher Schicksalsschlag gewesen, als Peter mit seiner Maschine auf einem Transportflug nach Afrika abstürzte. Ein weiterer folgte, als seine Mutter, Beates geliebte Omi, durch einen Schlaganfall halbseitig gelähmt wurde. Der Krankenhausaufenthalt hatte einen beträchtlichen Teil der Lebensversicherung verschlungen, die Dorothee ausbezahlt bekam, aber die junge Frau hatte von ihrer Schwiegermutter so viel Liebe erfahren, dass sie zu jedem Opfer bereit war. Nun hatte Frau Kilian vor zwei Wochen ihre Augen für immer geschlossen, und was Dorothee von dem Geld noch geblieben war, wollte sie für ihr Töchterchen Beate anlegen. Sie musste einfach eine Stellung finden, um über die Runden zu kommen. Deprimiert schlug sie die letzte Seite der Zeitung auf. Zwei Kinder, ein und vier Jahre alt, suchen eine liebevolle, gewissenhafte und heitere Betreuerin, der es nichts ausmachen würde, in einer abgeschiedenen Gegend zu leben. Der Vater, Kunstmaler und Werbegraphiker, legt Wert auf eine gepflegte Häuslichkeit. Heirat jedoch ausgeschlossen. Beste Honorierung wird zugesichert. Das klang recht vielversprechend. Mit Kindern konnte sie umgehen, einen Haushalt ordentlich zu führen, hatte sie gelernt. Heiter? Ihr Gesicht überschattete sich.
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Buchvorschau
Ein neues Leben mit Dorothee - Patricia Vandenberg
Im Sonnenwinkel – Neue Edition
– 4 –
Ein neues Leben mit Dorothee
Patricia Vandenberg
Wie schon oft während der letzten Wochen studierte Dorothee Kilian aufmerksam die Stellenangebote in der großen Tageszeitung. Ab und zu kam ein Seufzer über ihre Lippen. Ja, Angebote gab es zur Genüge, aber immer wurden besondere Fachkenntnisse verlangt, die sie nicht besaß.
Sie war gar nicht dazu gekommen, etwas zu lernen. Mit knapp zwanzig Jahren hatte sie den Piloten Peter Kilian geheiratet, ein Jahr später war Beate geboren worden, und nach fünfjähriger glücklicher Ehe wurde sie Witwe. Ein Jahr war sie nun schon allein mit ihrem Kind.
Es war ein entsetzlicher Schicksalsschlag gewesen, als Peter mit seiner Maschine auf einem Transportflug nach Afrika abstürzte. Ein weiterer folgte, als seine Mutter, Beates geliebte Omi, durch einen Schlaganfall halbseitig gelähmt wurde. Der Krankenhausaufenthalt hatte einen beträchtlichen Teil der Lebensversicherung verschlungen, die Dorothee ausbezahlt bekam, aber die junge Frau hatte von ihrer Schwiegermutter so viel Liebe erfahren, dass sie zu jedem Opfer bereit war. Nun hatte Frau Kilian vor zwei Wochen ihre Augen für immer geschlossen, und was Dorothee von dem Geld noch geblieben war, wollte sie für ihr Töchterchen Beate anlegen.
Sie musste einfach eine Stellung finden, um über die Runden zu kommen. Deprimiert schlug sie die letzte Seite der Zeitung auf. Da fiel ihr Blick auf eine fettgedruckte Annonce:
Zwei Kinder, ein und vier Jahre alt, suchen eine liebevolle, gewissenhafte und heitere Betreuerin, der es nichts ausmachen würde, in einer abgeschiedenen Gegend zu leben. Der Vater, Kunstmaler und Werbegraphiker, legt Wert auf eine gepflegte Häuslichkeit. Heirat jedoch ausgeschlossen. Beste Honorierung wird zugesichert.
Das klang recht vielversprechend. Mit Kindern konnte sie umgehen, einen Haushalt ordentlich zu führen, hatte sie gelernt. Heiter? Ihr Gesicht überschattete sich. Nein, heiter war sie jetzt nicht mehr, und der Gedanke, was mit Beate geschehen sollte, bedrückte sie augenblicklich sehr.
Der Gedanke, dass ein alleinstehender Vater mit zwei Kindern auch noch ein drittes unter seinem Dach dulden würde, war absurd. Trennung von Beate? Sie durfte gar nicht daran denken. Aber auch in jeder anderen Stellung hätte sie kaum eine Möglichkeit, ihr Kind um sich zu haben.
Beate war mit ihren fünf Jahren ein vernünftiges Kind. Sie wirkte etwas zu ernst für ihr Alter, aber ihr kleines Herz hatte ja schon so viel Schmerz ertragen müssen. Sie konnte noch immer nicht begreifen, dass ihr geliebter Papi nicht mehr zurückkam und dass nun auch noch die gute Großmama für immer von ihnen gegangen war.
»Beate«, rief Dorothee leise. Das Kind kam sofort. »Ja, Mami?«, tönte es fragend an Dorothees Ohr.
Liebevoll zog sie das Kind an sich. Zart streichelte sie das seidige Blondhaar. »Du bist doch mein verständiges kleines Mädchen«, sagte sie leise.
Beate nickte eifrig. Zärtlich schmiegte sie sich an ihre Mutter. »Ich habe dich so lieb, Mami«, flüsterte sie. »Ich bin froh, dass ich dich noch habe.«
Aller Kummer dieser kindlichen Seele klang zwischen den Worten, und Dorothee musste mühsam die Tränen unterdrücken.
»Deswegen würde es mir auch sehr, sehr schwerfallen, wenn wir uns für eine Zeit trennen müssten«, begann sie stockend. »Aber ich muss mir eine Arbeit suchen, Liebling. Ich kann die hohe Miete nicht mehr bezahlen.«
Beate schluckte ein paarmal. »Es ist schlimm«, flüsterte sie. »Muss ich in ein Heim?«
»Wir wollen es gemeinsam überlegen. Ich würde dich nur in ein sehr schönes Heim geben, wo es dir gefällt. Wenn ich die Wohnung aufgebe und Geld verdiene, ist das möglich. Und natürlich müsstest du ganz in der Nähe sein, damit ich dich besuchen kann. Freilich muss ich erst mal eine Stellung finden«, fügte sie mit schmerzlichem Lächeln hinzu.
»Aber vor Weihnachten muss ich nicht weg?«, fragte Beate mit bebendem Stimmchen.
»Nein, mein Kleines«, versprach Dorothee. Weihnachten sollte für das Kind ein schönes Fest werden. Ihr junges Leben sollte nicht nur von Wehmut überschattet sein.
Am Abend, nachdem Beate eingeschlafen war, schrieb sie das erste Bewerbungsschreiben ihres Lebens. Ihr Kind erwähnte sie darin nicht, wenngleich ihr das Herz wehtat.
*
Im Sonnenwinkel weihnachtete es.
Inge Auerbach buk Christstollen. Bambi sah ihr dabei zu. Natürlich durfte sie auch von dem Teig kosten, was sie ausgiebig genoss.
»Schmeckt prima, Mami«, meinte sie anerkennend. »Omi wird staunen, dass du es genauso gut kannst wie sie.«
»Beschrei es nicht, Bambi, noch sind sie nicht gebacken«, meinte Inge skeptisch. »Und wie ich Omi kenne, wird sie auch auf meine Backkunst nicht vertrauen und selbst gebackene Stollen mitbringen.«
»Wir sind ja auch genug Esser«, meinte die fünfjährige Bambi etwas altklug. »Ricky und Hannes kommen«, rief sie dann aus.
»Dann sind sie heute aber früh«, meinte Inge.
»War ja auch der letzte Schultag«, stellte Bambi fest. »Hannes freut sich.«
Er kam schon zur Tür hereingepoltert. »Große Neuigkeit«, verkündete er. »Anfang Januar kommen Neue. Ein Kunstmaler. Was sagt ihr nun?«
»In welches Haus denn?«, erkundigte sich Bambi sogleich.
»In Nummer drei, wo noch keiner war. Stella hat es uns erzählt. Ein Mann und zwei Kinder. Ohne Frau.« Sein Tonfall drückte gelinde Empörung aus.
Ricky, die ihren Wagen erst in die Garage gefahren hatte, kam nun auch. »Unser wandelndes Tagesblatt kann die Neuigkeit wohl nicht schnell genug anbringen«, meinte sie. »Was kann denn der arme Mann dafür, dass seine Frau gestorben ist.«
»Ich meine doch nur – was will er denn mit zwei kleinen Kindern hier allein«, überlegte Hannes.
»Ich kann ja mit ihnen spielen«, erklärte Bambi sofort.
»Dass ihr euch immer anderer Leute Köpfe zerbrechen müsst«, warf Inge ein. »Er wird schon eine Haushälterin haben.«
»Er ist ein ganz bekannter Maler«, fuhr Ricky fort. »Rolf Lindemann.«
»Rolf Lindemann?«, wiederholte Inge Auerbach überrascht. »Das wird Papi interessieren. Er wollte schon mal ein Bild von ihm kaufen. Die Seelandschaft im Herbst. Damals war es unerschwinglich für uns – heute wird es nicht mehr zu haben sein.«
»Hier kann der Maler ja viele Seebilder malen«, ließ Bambi sich vernehmen. »Ricky kann auch schön malen. Kann man damit viel Geld verdienen?«
»Ich kann’s ja mal probieren«, lachte Ricky. »Ich fürchte nur, dass meine Bilder nicht jedermanns Geschmack sind.«
»Man weiß ja nie, was es sein soll«, äußerte sich Hannes.
»Das ist eben Expressionismus«, wurde er von seiner Schwester belehrt.
»Blödes Zeug«, knurrte der dreizehnjährige. »Kriegen wir heute eigentlich nichts zu essen?«
Inge Auerbach war durch das Backen ein wenig ins Gedränge gekommen, aber eine Viertelstunde später konnte sie ihre hungrige Familie zufriedenstellen. Inzwischen hatten Ricky und Hannes auch ihrem Vater, dem Professor, haarklein berichtet, was sie über Rolf Lindemann von Stella erfahren hatten.
Stellas Vater, Dr. Rückert, der in weniger als einem Jahr auch Rickys Schwiegervater werden sollte, Rechtsanwalt und Notar in Hohenborn und selbst Besitzer eines Hauses im Sonnenwinkel, in dem später einmal Ricky und Fabian wohnen würden, hatte die Verwaltung dieser Häuser unter sich. Er erfuhr immer als Erster, wenn der Besitzer wechselte oder ein Haus vermietet wurde. Also konnte man überzeugt sein, dass diese Nachricht den Tatsachen entsprach.
Hannes war recht zufrieden darüber. Bis die neue Siedlung Erlenried unter der Felsenburg einzugsbereit war, würden doch noch ein paar Monate vergehen, und darum freute man sich, wenn sich sonst etwas tat.
Bambi stellte tiefsinnige Betrachtungen über die armen kleinen Kinder an, die keine Mami mehr hatten. Ihr mitleidvolles Herzchen bedauerte das zutiefst. Sie wusste ja nicht, dass sie selbst einmal ein bedauernswertes Waisenkind gewesen war. Bereits seit ihrem ersten Lebensjahr war sie das geliebte Nesthäkchen im Haus Auerbach und war aus der Familie nicht mehr wegzudenken. Bambi war ein bezauberndes Kind, das nicht nur einen umwerfenden Charme besaß, sondern auch überaus gescheit war und unglaublich verträglich dazu.
»Warum tut der liebe Gott das, Mami?«, fragte sie, »dass er kleinen Kindern die Mutter wegnimmt? Teta sagt, was Gott tut, ist wohlgefallen, aber so was kann ich nicht verstehen.«
»Man sagt auch: Nach Gottes unerforschlichem Ratschluss«, bemerkte Inge gedankenvoll. »Aber man kann vieles nicht verstehen, Bambilein. Wir wollen nicht über traurige Dinge reden, wenn Omi und Opi kommen.«
»Bestimmt nicht, Mamilein. Ich bin ja so froh, dass ich sie endlich wiedersehen kann«, versicherte Bambi.
Sie war auch die Erste, die den Wagen kommen hörte, und sie flitzte schon hinaus, bevor ihr Jubelruf die andern erreichte.
Fast siebzig Jahre alt war Magnus von Roth, Inges Vater, und seine Frau Theresa war fünfundsechzig. Aber man konnte es nicht glauben, wenn man sie so sah, wie sie frisch und munter nach der langen Fahrt dem Auto entstiegen. Ihre Augenpaare lachten, als Bambi hereingestürmt kam.
»Omilein, Opileinchen«, sie wusste gar nicht, wie zärtlich sie sich ausdrücken sollte.
»Gut schaut unser Schätzchen aus«, sagte Theresa von Roth, »und da sind ja schon alle unsere Lieben.«
Nun wurden ihre Augen doch feucht, als sie ihre Tochter in die Arme schloss, und es dauerte lange, bis die herzliche Begrüßung mit allen anderen vorüber war.
Hannes und Ricky trugen das Gepäck ins Haus. Werner Auerbach hatte schon einen Willkommenstrunk eingeschenkt. Er