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Tödliches Ostfriesenherz. Ostfrieslandkrimi
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eBook210 Seiten2 Stunden

Tödliches Ostfriesenherz. Ostfrieslandkrimi

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Über dieses E-Book

Eine Vermisstenmeldung versetzt das ostfriesische Rysum in Aufruhr! Der alleinerziehenden Mutter des sechsjährigen Finn bricht es fast das Herz. Wie immer hat sich ihr Sohn an diesem Montag auf den Schulweg gemacht, aber diesmal ist er nicht in der Grundschule in Loquard angekommen. Als auch noch Finns geliebter Rucksack in einem Busch hinter der Bushaltestelle gefunden wird, scheinen die schlimmsten Befürchtungen wahr zu werden. Doch es gibt auch eine harmlose Erklärung für Finns Verschwinden: Der Junge könnte sich heimlich auf die Suche nach seinem Vater begeben haben, den er seit Jahren nicht mehr gesehen hat. Taucht Finn bald wieder auf und alles wird gut? Obwohl niemand etwas Genaues weiß, brodelt in Rysum die Gerüchteküche. Ein schrecklicher Verdacht verbreitet sich. Die Spekulationen schaukeln sich hoch. Für die Kommissare Richard Faber und Rike Waatstedt ist es der Beginn eines emotionalen Mordfalls, denn wenig später gibt es tatsächlich einen Leichenfund...

SpracheDeutsch
HerausgeberKlarant
Erscheinungsdatum7. Juni 2022
ISBN9783965866010
Tödliches Ostfriesenherz. Ostfrieslandkrimi
Autor

Elke Nansen

Elke Nansen ist das Pseudonym einer Autorin, die den Norden und Ostfriesland liebt. Die Nordsee, die unendliche friesische Weite, das platte Land mit seinen ganz speziellen Charakteren – diese Region hat ihren eigenen rauen Charme, hier kann Elke Nansen ihrer Fantasie freien Lauf lassen. Und so schreiben sich die spannendsten Geschichten manchmal wie von selbst … Besonders angetan haben es der Autorin die ostfriesischen Inseln, die sie alle schon besucht hat. Als leidenschaftliche Taucherin liebt Elke Nansen die See und das Wasser. 8 Jahre hat sie im niedersächsischen Städtchen Verden an der Aller gelebt.

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    Buchvorschau

    Tödliches Ostfriesenherz. Ostfrieslandkrimi - Elke Nansen

    Prolog

    Dienstag, 15. März, gegen 16:00 Uhr; Auszug aus den Einträgen eines sozialen Netzwerks unter dem Hashtag #Finn. Später von der Kriminalpolizei Emden als Beweis sichergestellt.

    Harald/Rysum

    #Finn

    Hey alle, ich habe gehört der Älteste von den Bleekers wurde Montagmorgen mit Finn gesehen. Dieser Kerl steckt doch bestimmt hinter seiner Entführung. Bei der Familie.

    Elvira

    #Finn

    Ja, das habe ich auch schon gehört. Der Junge ist doch krank, sich an einem kleinen Jungen zu vergreifen. Asoziales Pack allesamt die Bleekers.

    Oostfreesenhart

    #Finn

    Maarten Bleeker ist ein Krimineller. Der stiehlt doch wie ein Rabe. Kein Wunder, dass er sich an kleinen Jungen vergeht.

    Lolita

    #Finn

    Echt jetzt, der steht auf Kiddis. Ey is der bekloppt, hat der'n Reh gesehn?

    Dragonheart

    #Finn

    Wie, der Bleeker macht mit Kiddis rum. Sonne perverse Wildsau!

    Elvira

    #Finn

    Dann stimmt das also, ich habe es ja immer gewusst. Haben die schon eine Leiche gefunden. Missbrauch?

    Heimat Rysum

    #Finn

    Scheint so. Man hat ihn mit Finn gesehen. Der wurde am Montag von einer Zivilstreife verhaftet. Anzünden, müsste man diese perverse Familie.

    Oostfreesenhart

    #Finn

    Warum eigentlich nicht?

    Hotwheels

    #Finn

    braucht ihr hilfe dabei? wir wissen wie man leute mit fackeln aus dem haus treibt. kinderschänder schlägt man tod.

    Harald/Rysum

    #Finn

    Ich organisiere noch ein paar Kumpels. Macht das auch, wir treffen uns mit Fackeln am Bauernhof der Bleekers in Rysum. Wir treiben den Perversen aus dem Haus.

    Hotwheels

    #Finn

    genau mann! um 20:00 vor dem hof. wir kommen und bringen verstärkung mit. heut fliest blut mann.

    Lolita

    #Finn

    Cool, endlich mal action. Bringe Freunde mit! Besorge Fackeln, die haben ne Scheune, die brennt bestimmt gut. J

    Avatar

    #Finn

    Leute macht keinen Scheiß! Das muss die Polizei regeln. Da ist doch noch gar nichts bewiesen.

    Hotwheels

    #Finn

    piss off du spießer! leute, wir sehen uns heute abend zur grillparty!!! C

    Kapitel 1

    Montag, 14. März, einen Tag zuvor

    »Benny, bitte iss jetzt dein Nutellabrot«, flehte Rike den Kleinen regelrecht an. Dabei sah sie immer wieder auf die Uhr. Wo bleibt Faber bloß, dachte sie. Er hatte den Kleinen fertig gemacht und das Frühstück vorbereitet, danach war er unter die Dusche gesprungen. Mittlerweile konnte sie sich nur schwerlich daran erinnern, wann sie mit ihrem Mann das letzte Mal an einem Wochentag zusammen gefrühstückt hatte. Es gab ein Leben vor Benny, an das sie sich kaum noch erinnerte. Und es gab das Chaos im Hier und Jetzt. Dabei war es momentan ihre einzige Aufgabe, den Jungen zum Essen zu bewegen. Etwas, das sich einfach anhörte, doch für Rike eine Sisyphusarbeit war.

    »Nein«, erwiderte der fast vierjährige Sohn ihres Mannes. Dabei hatte er trotzig die Arme vor der Brust verschränkt und zog eine Schnute. Als sie ihn ansah, seufzte sie zwar, musste sich aber ein Grinsen regelrecht verkneifen. Er war einfach der süßeste kleine Bengel, den sie je in ihrem Leben gesehen hatte. Das lag wahrschein­lich daran, dass er ihrem Mann, Hauptkommissar Richard Faber, wie aus dem Gesicht geschnitten war. Auch wenn der Kleine bockiger war als ein Osterlamm, das im ersten Sonnenschein herumtollte, konnte man ihm seine Eskapaden einfach nicht übel nehmen. Der Junge hatte erst vor ein paar Monaten seine Mutter verloren und ebenfalls den Mann, den er für seinen Vater hielt. Richard Faber, sein biologischer Vater, war ein Fremder für ihn gewesen. Und Rike war nur irgendeine Frau, die ständig wollte, dass er aß oder schlief oder aufhörte zu weinen. Wahrscheinlich war es nicht sehr förderlich, dass Rike nie richtig einen Draht zu Kindern gehabt hatte. Eigentlich hatte sie sich nie eigene Kinder gewünscht, jetzt jedoch hatten sie ein Kind, ob sie wollte oder nicht.

    »Bitte, mien Lüttje, du musst etwas essen, bevor wir in die Kita fahren«, versuchte sie es erneut. Rike hatte das Gefühl, völlig zu schwimmen. Egal was sie sagte, es war falsch. Sie wusste einfach nicht, was sie machen sollte. »Du warst doch schon in einer Kita. Es ist toll, mit all den anderen Kindern zu spielen.«

    »Nein! Ich will Opa. Mein Opa: Knut, Knut, Knut«, sagte er, schob den Teller von sich und leider auch die Unterlippe sichtbar nach vorn. Oh nein, nicht weinen, dachte Rike und streichelte ihm über den Kopf. Der einzige Mensch, den Benjamin bereits bedingungslos liebte, war Knut Waatstedt. Knut war der Großvater von Kommissa­rin Rike Waatstedt und ein echtes ostfriesisches Original. Er wohnte direkt neben der Alten Schule, die Faber vor etwa vier Jahren gekauft und renoviert hatte. So hatte er seine jetzige Frau und Kollegin Rike Waatstedt kennengelernt. Damals war er vor seinem alten Leben in Frankfurt und vor allem seiner schwangeren Ex-Verlobten geflüch­tet. Er hatte sich nach Ostfriesland versetzen lassen, nachdem er seinen Partner bei der Kripo in Frankfurt zusammengeschlagen hatte. Denn Beatrice, seine Verlobte, hatte Richard Faber kurzerhand eröffnet, dass er nicht der Vater ihres Kindes sei, sondern sein Freund und Partner Frank Kreiger. Diese Frau war Gift und hatte nicht nur ihn ins Unglück gestürzt. Auch Frank Kreiger musste hart für seine Liebe zu ihr bezahlen. Denn als sie sich nach fast vier Jahren von ihm scheiden ließ, stellte sich raus, dass er doch nicht der Vater des kleinen Benjamin war.

    »Nicht weinen, mien Tüütje, Faber kommt gleich«, sagte Rike und hockte sich vor den Hochstuhl. Beim Essen mussten sie ihn immer noch in den Kinderstuhl verfrachten, weil er sonst keine Sekunde still sitzen blieb.

    Rike hatte bereits die Erfahrung gemacht, dass, wenn sie ihn jetzt auf den Arm nahm, das Geschrei erst richtig losging. Er mochte nicht, wenn Rike versuchte ihm körperlich näher zu kommen. Dafür vermisste er seine Mutter zu sehr. Er verstand nicht, warum sie nicht wiederkam. Als die Ehe zwischen Frank Kreiger und Benjamins Mutter in die Brüche ging, war Frank so fair gewesen und hatte Faber aufgesucht. Mit einer Haarlocke, die er von Benjamin mitgebracht hatte, konnte Faber ohne Zweifel feststellen lassen, dass er der leibliche Vater war. Zwar war Beatrice einverstanden gewesen, Faber als Benjamins Vater eintragen zu lassen, wünschte jedoch keinen Kontakt. Und dann war kurz vor Weihnachten das Unaus­sprechliche passiert.

    »Faba, Faba«, jammerte Benny jetzt. Leider konnte Rike sich nicht abgewöhnen, ihren Mann bei seinem Nachnamen anzusprechen. Das hatte sie von Anfang an getan, wie alle Kollegen im Emder Polizei­kommissariat. Mittlerweile war es zu spät, denn Benny nannte ihn nicht Papa und auch nicht Richard, sondern nur Faba. Und das vor allen Dingen, wenn er weinte und unglücklich war.

    Der Kleine hielt Frank Kreiger für seinen Vater und vermisste ihn ebenfalls, obwohl der Mann schon viel früher bei Beatrice Kander­rath ausgezogen war. Kreiger hatte vor Gericht wie ein Löwe um den Kleinen gekämpft, doch da er noch nicht einmal mit ihm verwandt war, bekam er kein Besuchsrecht. Bea hatte ihm das verweigert, mit der fragwürdigen Begründung, dass es besser für den Jungen wäre. In dem Moment brannte bei dem Mann eine Sicherung durch, denn er liebte Benjamin viel zu sehr. Der Erste Hauptkommissar der Frankfurter Kripo suchte am Abend der Scheidung seine Ex-Frau auf und erschoss erst sie und dann sich selbst mit seinem Dienstrevolver. Der Junge hatte von dem allem nichts mitbekommen, da er bei einem Kita-Freund übernachtet hatte. Faber war sofort runter nach Frank­furt gefahren und hatte seinen Sohn zu sich geholt. Und seitdem herrschte in dem sonst so organisierten Haushalt der beiden Kommissare ein mittelstarkes Chaos. Ein Chaos, an das sich Rike und vor allem Benjamin noch gewöhnen mussten. Nur Opa Knut nahm es wie immer mit einer erfahrenen und liebevollen Gelassen­heit. Er liebte Benjamin, und die Liebe wurde, dem Himmel sei Dank, auch von dem kleinen Kerl erwidert. ›Und mehr können Sie nicht machen‹, hatte die Polizeipsychologin ihnen gesagt, als sie sich Rat geholt hatten. ›Lieben Sie ihn einfach und haben Sie Geduld, das braucht seine Zeit.‹

    »Tüütje«, meinte Rike wieder sanft, was auf Hochdeutsch so viel wie Schätzchen bedeutete. Sie schluckte, denn immer wenn sie den kleinen Jungen herzzerreißend weinen sah, hätte sie am liebsten mitgeheult. »Opa Knut ist heute Morgen unterwegs und er kann doch nicht mit dir in die Kita gehen«, sagte sie und schon rollten dicke Krokodilstränen über Bennys mittlerweile rot leuchtende Kinder­wangen.

    »Na, was ist denn schon wieder? Auweia, du bist ja eine Heulboje, oder vielleicht eine kleine Robbe, die nennt man auch Heuler«, meinte Faber lachend, als er die Treppe runterkam. Augenblicklich streckte Benny seine Händchen aus und Faber nahm ihn auf den Arm. Der Kleine schlang die Arme um seinen Hals und drückte sein nasses Gesicht an den Kragen seines Oberhemds. Rike war in dem Moment froh, dass er nicht von seinem Nutellabrot abgebissen hatte. Denn die Situation hatten sie bereits einige Male am Morgen, und wenn Faber sich dann erneut umziehen musste, fing das Kind noch ärger an zu weinen. »Na, was ist los?«, fragte Faber und gab seinem Sohn einen Kuss auf die Wange.

    »Faba, ich will Knut«, schniefte das Kind.

    Faber seufzte und meinte: »Also gut, keine Kita heute?«

    Der Kleine schüttelte den Kopf und Richard lächelte ihn an. »Na gut, wir essen jetzt dein Schokobrot und gehen anschließend zu Opa. Einverstanden?« Sofort erschien ein Strahlen auf Bennys Gesicht. Faber setzte ihn wieder in den Hochstuhl und schnitt das Nutellabrot in kleine Stücke. Er begann mit einem lauten Brummen ein Stück nach dem anderen durch die Luft fliegen zu lassen, um es dann in Bennys Mund zu parken. Währenddessen wischte Rike dem Kind kurz mit einem feuchten Tuch durchs Gesicht. Sie sah Faber strafend an.

    »Kita wäre gut«, meinte sie kaum hörbar. Doch Benny war zu sehr mit den fliegenden Brotstücken beschäftigt, um das mitzubekom­men.

    »Wenn nicht heute, klappt es beim nächsten Mal«, meinte Faber salopp. Der Hauptkommissar schien der geborene Vater zu sein. Er konnte genau wie Knut mit jeder Herausforderung, die Benny ihnen stellte, umgehen. Dabei blieb er gelassen. Rike musste feststellen, dass ihr Mann trotz des Mangels an Schlaf und der zusätzlichen Organisation ein gehöriges Stückchen glücklicher geworden war. Dabei sah ihr Haus selbst aus wie eine Kita. Jeden Morgen stieß sie sich die Zehen an Holzeisenbahnen, Bauklötzen oder kickte unge­wollt Stofftiere durch die Gegend. Vor allem, wenn sie die Augen noch nicht richtig aufhatte.

    »Dann hol ich mal Knut rüber. Der wird genauso happy sein, dass heute wieder keine Kita stattfindet. Wenn wir so weitermachen, ist der Kleine irgendwann reif für die Schule«, merkte sie an, hatte aber längst klein beigegeben. In dem Moment klingelte Fabers Handy und sie fischte es aus seiner Hemdtasche, weil er mit seinen von Schoko­laden verklebten Händen weiterhin Brotstücke kreisen ließ, nach denen Benny enthusiastisch schnappte.

    »Moin Faber«, hörte sie Kommissar Tamme Hehler am anderen Ende. Er war einer ihrer Kollegen auf dem Revier Emden, das Haupt­kommissar Richard Faber leitete. Tamme Hehler wurde von allen im Team Wikinger genannt. Den Spitznamen hatte er sich durch seine Größe von fast zwei Metern und seine gut und gerne einhundert­zwanzig Kilo eingefangen. Außerdem hatte er erdbeerrotes längeres Haar, das er immer zu einem Zopf gebunden trug. Diese Attribute und sein verwegenes, wenn auch attraktives Gesicht erinnerten stark an die wenigen Beschreibungen, die sich von Klaus Störtebeker erhalten hatten. Wie der Seeräuber Störtebeker ein Wahrzeichen für Ostfriesland war, so war ihm Tamme Hehler auf dem Revier Emden ebenbürtig. Denn jeder erinnerte sich an den Kommissar, wenn er erst einmal seinen Bariton erklingen ließ. Dann klirrte nicht nur das Fensterglas, sondern alle Kriminellen standen erst einmal stramm vor dem großen Mann.

    »Faber lässt Nutella-Flugzeuge fliegen«, meinte Rike trocken. »Ich bin’s nur!«

    »Wat deit he?«

    »Er füttert Benny mit Nutellabrotstückchen, die mit einem lautstar­ken Gebrumm in seinen Mund fliegen«, erklärte sie und hielt das Smartphone in die Richtung der beiden.

    »Wie jetzt? Der ist doch fast vier, muss man die da noch füttern?«, fragte der Wikinger entsetzt. Er selbst erwartete bald sein erstes Kind und beobachtete Rike und Fabers neue Situation mit Argusaugen.

    »Gotts verdori, was willst du denn?«, fragte die Kommissarin ungeduldig, weil sie es mittlerweile leid war, seine nervigen Fragen zur Kindeserziehung zu beantworten. »Du weißt doch, dass wir heute erst zur Kita müssen«, fügte sie an und sah auf die Uhr. Es war bereits Viertel nach neun und sie wären für die Kita sowieso schon zu spät gewesen.

    Es war kurz still am anderen Ende, dann sagte Tamme ganz profes­sionell: »Ihr müsst sofort nach Rysum kommen, ich simse die Adresse gleich. Es ist ein Kind verschwunden. Finn Hoflander, er ist sechs Jahre alt und verließ heute Morgen um sieben Uhr wie immer das Elternhaus. Er geht auf die Grundschule in Loquard. Dort kam er aber nicht an.«

    »Deine Antje ist dort Lehrerin, richtig?«, bemerkte Rike eher, als dass sie fragte.

    »Ja, das ist auch der Grund, warum sie gleich Alarm geschlagen hat. Sie rief die Mutter an, als Finn nicht zur ersten Stunde erschien. Die anderen Kinder aus Rysum sagten Antje, dass er nicht mit dem Bus mitgefahren ist. Die Mutter hat uns völlig aufgelöst angerufen. Also, kommt ihr jetzt oder fahrt ihr erst in die Kita? Denn in dem Fall sollte Faber sich melden und Anweisungen geben!«

    »Nein, nein, schon gut, wir kommen. Ich hole nur schnell Knut und dann sind wir im Auto«, erwiderte sie und drückte das Gespräch weg. Rike rannte zur Terrassentür, um durch den Garten zu Opa zu gehen. Dabei rief sie ihrem Mann zu: »Schluss mit Flugzeugen. Mach dir ein Brot zum Mitnehmen, wir müssen sofort los. Ein verschwunde­nes Kind, ich hole nur schnell Knut rüber.«

    Keine fünf Minuten später saßen die beiden Polizeibeamten im Auto, Benny hingegen überglücklich auf dem Schoß von Opa, der mit den von Nutella beschmierten grauen Bartstoppeln ebenso grinste wie sein neuer Urenkel.

    Die Krummhörn war besonders im Frühling eine der schönsten Landschaften Deutschlands. Die saftigen Weiden mit den wilden Blumen wurden heute von einem mit weißen Schäfchenwolken bekleckerten blauen Himmel überzogen. Eine erste wärmende Frühlingssonne schien heiter auf das Land. Auch wenn immer noch ein frischer Wind von der Küste wehte, erahnte man das neue Leben, das überall aus dem Boden kroch. Früher hätte Rike wohl geseufzt und gemeint, es wäre ein Wetter, um Helden zu zeugen. Gerade dachte sie jedoch eher daran, dass sie die Küche und das Wohnzim­mer zurückgelassen hatten, als wäre dort eine Bombe eingeschlagen. Opa liebte es, den ganzen Tag mit Benny zu verbringen. Auch sorgte er fast täglich für das kulinarische Wohl seiner mittlerweile drei Kinder. Fürs Aufräumen allerdings fehlte ihm mit dem quirligen Kerlchen einfach die Zeit. Meistens holten sich Opa und sein Urenkel zwei, drei Spielsachen aus der Alten Schule und verbrachten dann die Zeit in Knuts Haus oder an der frischen Luft.

    »Wow, willst du uns umbringen?«, fragte der Hauptkommissar, als Rike viel zu schnell an der Kreuzung hinter der Osterburg in der Nähe von Pewsum nach rechts abbog. Zwar waren alle Autofahrer wegen des Blaulichts im Kühlergrill und vor allem bei dem Lärm des Martinshorns rechts an den Straßenrand gefahren, aber es war nichts­destotrotz Berufsverkehr. Wer von Greetsiel und den umliegenden Dörfern der oberen Krummhörn nach Emden oder auf die Autobahn wollte, musste die Neu-Etumer Straße nehmen, die sie gerade verlassen hatten. Fast hätte er sich bei Rikes waghalsiger Aktion

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