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Vergraben und Vergessen
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eBook157 Seiten2 Stunden

Vergraben und Vergessen

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Über dieses E-Book

Als 1988 ein Mann vermisst gemeldet wurde, suchten die Beamten des Sacramento Police Department seine letzte bekannte Adresse auf – eine Pension für ältere, obdachlose und psychisch kranke Menschen. Die Besitzerin, Dorothea Puente, war eine liebenswerte alte Dame, die sich um streunende Katzen und Menschen kümmerte, die am Rande der Gesellschaft lebten. Sie genoss ein hohes Ansehen in der Gemeinde und wurde für ihre selbstlose karitative Arbeit gefeiert.

Die Suche der Polizei ergab nichts Ungewöhnliches, bis sich ein Pensionsgast an einige ungewöhnliche Vorfälle erinnerte, die dem Verschwinden vorausgegangen waren. Er erzählte von Löchern, die im Garten gegraben und über Nacht zugeschüttet worden waren, von Gästen, die erkrankt und über Nacht verschwunden waren, und von den vielen Ausreden, warum man sie nicht kontaktieren könnte. Diese Aussage genügte, um weitere Ermittlungen anzustellen und so kehrte die Polizei von Sacramento am 11. November 1988 mit Schaufeln bewaffnet zur Pension zurück.

Verschwendeten sie nur ihre Zeit damit, eine charmante und wohltätige alte Dame zu belästigen, oder waren sie einer Mörderin auf der Spur, die die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft ausnutzte? Die Ermittlungen beschäftigten die ganze Nation und die Antworten lagen unter der Pension begraben.

Ryan Green präsentiert in diesem Band einen dramatischen und erschütternden Bericht über eine der bizarrsten wahren Kriminalgeschichten der amerikanischen Geschichte. Seine fesselnde Erzählung zieht den Leser in das reale Grauen hinein, das die Opfer erlebt haben, und besitzt gleichzeitig alle Elemente eines klassischen Thrillers.

Achtung: Dieses Buch enthält anschauliche Berichte über Missbrauch und Gewalt. Wenn Sie besonders empfindlich auf dieses Material reagieren, sollten Sie dieses Buch möglicherweise nicht lesen.

SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum10. Okt. 2022
ISBN9798223852919
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    Buchvorschau

    Vergraben und Vergessen - Ryan Green

    Mama weiß es am besten

    Als Peggy das Haus in der F Street zum ersten Mal betrat, wusste sie nicht, was sie erwarten würde. Normalerweise standen jene Unterkünfte in Sacramento, die Obdachlose und Süchtige aufnahmen, kurz vor dem Abriss und sollten dem Vermieter noch ein paar letzte Dollar bringen, bevor sie einem Einkaufszentrum Platz machen mussten.

    Doch die F Street war eine ruhige Vorstadtstraße. Kinder spielten auf der Straße, fuhren mit den Fahrrädern über den Bürgersteig und verkauften an den Straßenecken nichts Berauschenderes als Limonade. Als Peggy am Straßenrand anhielt, neben sich nur ein mit Aktenordnern überquellender Beifahrersitz, überprüfte sie daher zunächst, ob sie wirklich vor der richtigen Adresse stand.

    Das Haus in der F Street 1426 war ein zweistöckiges viktorianisches Gebäude, das hoch und stolz hinter einem gepflegten Garten aufragte. Sein Außenanstrich war ebenso makellos wie der Rasen – so makellos, dass Peggy ein schlechtes Gewissen bekam, weil ihr eigenes Haus nicht so gut in Schuss war.

    Doch irgendetwas stimmte an diesem Bild nicht – es lag keine Verzweiflung in der Luft, kein Anzeichen dafür, dass dies die letzte Station vor dem Friedhof war. In einer solch gepflegten Pension konnte man weit mehr verlangen als die erbärmliche Summe, die der Staat für die Unterbringung der Armen und Ausgestoßenen zahlte. Es könnte vielmehr als privates Pflegeheim, Hotel oder Ähnliches dienen. Erst als Peggy näher kam, ergab die Szene allmählich einen Sinn.

    Im Garten stand ein großer, stark tätowierter Mann, der mehr als nur ein wenig einschüchternd wirkte, während er sich zwischen den Blumenbeeten hin und her bewegte und seine Muskeln spielen ließ. Es gab nur einen Ort, an dem sich ein Mann eine solche Wirkung aneignen konnte – einem Gefängnis. Daher mutete es seltsam an, ihm zuzusehen, wie er mit diesen großen und vernarbten Händen vorsichtig zarte Blumen einpflanzte. Er hielt in seiner Arbeit inne und nickte Peggy zu, als sie an ihm vorbeiging, achtete aber darauf, selbst dann nicht auf ihre Beine zu starren, als sie direkt an seinem Gesicht vorbeiliefen. Ein ehemaliger Sträfling also, der auf freiem Fuß bleiben wollte; noch jemand, der vom Pech verfolgt wurde und dem die Wirtin dieser Pension eine zweite Chance bot.

    Die Tür öffnete sich, noch bevor Peggy überhaupt klopfen konnte. Prompt schreckte sie vor dem Alkoholgeruch zurück, der von dem Mann ausging, der sich ihr entgegenstellte. Er war kleiner als sie, trug saubere, aber abgetragene Kleidung und das Weiß seiner Augen zeigte den gelben Schimmer einer kranken Leber. Beide erstarrten vor Überraschung, bevor er über die Schulter rief: „Mrs D. Hier will Sie jemand sprechen!"

    Als Peggy eintrat, nahm sie alles, was sie sah und hörte, mit einer gewissen Ehrfurcht auf. Das Haus war voller Musik. In der Ecke des Wohnzimmers lief ein Plattenspieler und durch die offene Haustür drang spanischer Gesang nach draußen. Im Hauptraum herrschte Partystimmung und obwohl keiner der Bewohner etwas zu trinken schien, genossen sie die Gesellschaft. Manche spielten Karten am Couchtisch, zwei ältere Frauen saßen im Erker und unterhielten sich. Ein Mann hockte allein auf dem geblümten Sofa und starrte ins Leere, aber selbst sein Fuß wippte im Takt der Melodie. Gleichzeitig gaben alle Anwesenden in irgendeiner Form einen Hinweis auf ihre wahre Natur: Von den krampfhaften Zuckungen einer alten Frau bis zum leisen Gemurmel des Mannes in der Ecke deutete jeder von ihnen auf ein tief verwurzeltes Problem hin, das sie nach dem ersten Ausbruch aus jedem „anständigen Etablissement" vertreiben würde. Doch hier schienen sie aufzublühen. Das Innere des Hauses war in gutem Zustand, wenn auch ein wenig veraltet, und aus der Küche duftete es unverkennbar nach mexikanischem Essen. Die Gäste wirkten eher wie eine lose zusammengewürfelte Familie als eine Gruppe von Süchtigen, Geisteskranken und Aussteigern, die in einem Gebäude zusammengepfercht waren. Dieser Ort fühlte sich tatsächlich wie ein Zuhause an.

    Das war schon mehr als ein Jahr her, aber als Dorothea ihr nun mit einem breiten, zahnlosen Lächeln die Tür öffnete, hatte Peggy das Gefühl, es wäre erst gestern gewesen.

    „Miss Peggy! Kommen Sie rein, kommen Sie rein. Ich hole Ihnen einen Kaffee. Es ist schon viel zu lange her. Wollen Sie zu Bert?"

    Dorothea Puente strahlte etwas Großmütterliches aus und Peggy konnte gut verstehen, warum es der Frau so leicht fiel, sämtliche Spannungen zwischen ihren Gästen zu kontrollieren. Allein ihre Anwesenheit wirkte bereits beruhigend. Dabei schenkte sie jedem, den sie traf, so viel Vertrauen, dass es sich wie ein Verbrechen anfühlte, sie zu enttäuschen. Selbst wenn man nur eine Kleinigkeit an ihr kritisierte, kam man sich irgendwie schäbig vor. „Ähm, nein, heute nicht. Ich soll einen Mister Alvaro Montoya besuchen."

    „Ja, Alvaro ist Bert. Ich weiß auch nicht, warum. Kommen Sie mit in die Küche. Er hilft mir heute beim Kochen."

    Bert saß auf einem Küchenstuhl, schälte Erbsen und murmelte etwas auf Spanisch vor sich hin. Er hätte eine imposante Figur abgeben müssen, aber genau wie Dorothea strahlte er Ruhe aus. Peggy wusste, dass das Gemurmel ein Symptom seiner Schizophrenie war – die Stimmen, die nur er hören konnte und auf die er sich aus falscher Höflichkeit gezwungen sah zu antworten. Doch das war nicht Berts einziges Problem. Er war geistig behindert – nach außen hin ein erwachsener Mann, aber hinter seinen tief liegenden Augen kaum mehr als ein Kind. Seine Schizophrenie hatte das Pflegepersonal nervös gemacht und in ihren Augen war er zu unberechenbar, um sicher mit anderen entwicklungsverzögerten Erwachsenen untergebracht zu werden. Damals war er aufgrund seiner Behinderung nicht mehr in der Lage gewesen, sich in der allzu komplexen und gefährlichen Welt der psychiatrischen Kliniken und des Medikamentenausgleichs zurechtzufinden. Zwischen diesen beiden Säulen der Sozialfürsorge gefangen, war er durch das Netz gefallen und schließlich auf der Straße gelandet, bis ihn jemand aufgegriffen und wieder ins System integriert hatte.

    An diesem Tag traf Peggy den Mann zum ersten Mal persönlich. Alles, was sie von ihm wusste, stammte aus Berichten und Gesprächen mit Kollegen. Er schien tatsächlich der sanfte Riese zu sein, den alle beschrieben hatten, aber es war natürlich nur allzu gut möglich, dass er sich einzig wegen der Anwesenheit einer Autoritätsperson zurückhielt.

    „Alvaro?"

    Er schaute nicht von seiner Schüssel auf und schimpfte immer noch wütend auf Spanisch mit puertoricanischem Akzent, wobei er so schnell sprach, dass niemand ihn verstehen konnte.

    Peggy versuchte es erneut. „Bert?"

    Der Mann riss den Kopf hoch und sie erstarrte fast, als sein Blick sie allmählich erfasste. Einen Moment später verzog sich sein Gesicht zu einem seligen Lächeln und sie atmete erleichtert aus. „Hallo."

    Peggy ließ sich auf einem Stuhl neben Bert nieder, wobei sie darauf achtete, sich langsam und vorhersehbar zu bewegen. „Wie geht es Ihnen, Bert?"

    Selbst während des Gesprächs bewegten sich seine Hände und schälten mit mechanischer Effizienz Erbsen. „Ich helfe Mama heute in der Küche."

    „So ein netter Junge. Dorotheas übertrieben breites Grinsen trübte ihr eigentlich hübsches Gesicht. „Er hilft so viel im Haus. Ich wüsste nicht, was ich tun sollte, falls er uns jemals verlässt.

    Peggy stellte ihm lediglich einige Routinefragen, aber Berts Antworten waren dennoch überraschend. Er schien sich seiner Einschränkungen wirklich bewusst zu sein – etwas, was ihm vor Dorotheas liebevoller Pflege nie gelungen war. Sie kümmerte sich nicht nur um ihn, sondern sorgte auch für eine sinnvolle Beschäftigung und eine gute Ernährung. Seine Sozialversicherungsanträge waren umgeschrieben worden, um sicherzustellen, dass er die ihm zustehende Unterstützung auch erhielt. Dorothea verwaltete sein gesamtes Geld für ihn und gab ihm ein ausreichendes Taschengeld, während sie ihn gleichzeitig davon abhielt, es für allzu frivole oder zerstörerische Dinge zu verwenden. Alkohol war für die Bewohner der F Street offiziell verboten und ohne den Schnaps, von dem Peggy annahm, dass er ihn regelmäßig auf der Straße konsumiert hatte, schienen sämtliche Symptome seiner Schizophrenie beherrschbarer zu sein. Er war so ruhig und gefasst, dass Peggy sich fragte, ob sie ihm nicht wieder Medikamente verabreichen sollten, um die flüsternden Stimmen in seinem Kopf vollständig unter Kontrolle zu bringen.

    Am Ende ihres Besuchs konnte Peggy ihre Begeisterung nicht mehr zurückhalten. Am liebsten hätte sie Dorothea umarmt für das, was sie getan hatte – etwas, das ein ganzes knarrendes Netz von Sozialarbeitern und Betreuern jahrelang, wenn nicht jahrzehntelang, versäumt hatte.

    Nach der Unterhaltung mit Bert zogen sich die beiden Frauen ins Wohnzimmer zurück, wo wieder einmal der Plattenspieler lief. Peggy machte ihrer Begeisterung ein wenig Luft. „Ich kann nicht glauben, welche Veränderung Sie im Leben dieses Mannes bewirkt haben. Das geht weit über die karitative Arbeit hinaus, die Sie bisher geleistet haben … Sie haben ihn nicht nur aufgenommen, sondern zeigen ihm, wie man in der Welt lebt. Er nennt Sie nicht ‚Mama‘, weil er Sie irrtümlicherweise für seine Mutter hält - Sie haben diesen Mann regelrecht adoptiert!"

    Dorothea tat so, als wäre es ihr peinlich. „Oh, er macht überhaupt keinen Ärger. Ich kümmere mich um alle meine Freunde in diesem Haus. Er braucht nur ein bisschen mehr Aufmerksamkeit als der eine oder andere."

    Peggy schaute sich in dem leeren Raum um und runzelte die Stirn. „Wo sind eigentlich die anderen Bewohner? Bei meinen früheren Besuchen habe ich sie immer in diesen Gemeinschaftsräumen angetroffen."

    „Es ist wirklich traurig, aber viele von ihnen sind inzwischen weitergezogen. Dorothea seufzte. „Einige gehen wortlos weg, zurück auf die Straße. Manche ziehen in eine neue Stadt, finden einen neuen Job, haben neue Träume. Natürlich freue ich mich für sie, dass sie in ihrem Leben vorankommen, aber ich vermisse sie.

    „Dass so viele von ihnen wieder Fuß fassen und ihr Leben weiterleben, ist ein weiterer Beweis für die großartige Arbeit, die Sie hier leisten. Sie können wirklich sehr stolz auf sich sein." Peggy beugte sich vor und drückte Dorotheas schwielige Hand, was nicht sonderlich professionell wirkte.

    „Oh, nein. Das ist überhaupt kein Problem. Ich wünschte nur, ich könnte mehr tun, um all den Menschen in dieser Stadt zu helfen, die in Schwierigkeiten sind. Vielleicht …" Sie brach ab.

    „Ja?"

    Hinter der dicken Brille wirkten Dorotheas Augen riesig. „Wenn es nicht zu viel Mühe macht, könnten Sie vielleicht mehr Leute zu mir schicken, die meine Hilfe brauchen. Ich habe so viele leere Betten in diesem Haus und es gibt so viele Menschen auf der Straße, die nirgendwo schlafen können."

    Peggy konnte ihr Glück nicht fassen. Diese Frau wollte nichts anderes, als in ihrem Haus Obdachlose, psychisch Kranke und Süchtige aufzunehmen. Also diejenigen, die der Rest der Welt dem Tod überließ. „Oh, ich verspreche Ihnen, nachdem ich Ihnen berichtet habe, wie gut sich Alvaro hier eingelebt hat, werden Sie mehr Bewerbungen bekommen, als Ihnen lieb ist. Ich werde dieses Haus persönlich all meinen Kollegen empfehlen."

    Dorothea lächelte wieder und sah genauso alt aus, wie sie es mit ihren siebzig Jahren war, als die Falten um ihre Augen das ganze Gesicht zu verschlingen drohten. „Vielen Dank. Sie sind zu freundlich."

    Anschließend wurden noch ein paar Höflichkeiten ausgetauscht und einige Papiere abgezeichnet. Doch ehe Peggy sich versah, war sie schon wieder auf dem Weg zur Tür und bereit, sich in die dunkle und düstere Welt zu stürzen, die sie dazu berufen hatte, den Menschen zu helfen.

    Der Garten hatte sich seit ihrem letzten Besuch noch einmal verändert. Die ehemaligen Sträflinge, die Dorothea freundlicherweise engagiert hatte, hatten alles umgestaltet und einen neuen Baum in der Nähe des Briefkastens gepflanzt. Wohin Peggy auch blickte, sah sie Hügel mit frischer Erde. Ihr hatte der Garten so gefallen, wie

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