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Unwiederbringlich: Agenten, Legenden und Tragödien der Arbeit Teil 1
Unwiederbringlich: Agenten, Legenden und Tragödien der Arbeit Teil 1
Unwiederbringlich: Agenten, Legenden und Tragödien der Arbeit Teil 1
eBook236 Seiten3 Stunden

Unwiederbringlich: Agenten, Legenden und Tragödien der Arbeit Teil 1

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Über dieses E-Book

Die Agentur für Arbeit. Ein Koloß, aber auch ein Moloch. Menschen, die von ihr abhängig sind, andere Leute, die für sie arbeiten. Aber es geht auch um andere Personen, mit ihren Verrücktheiten und Obsessionen. Zwei Frauen und ein Philosoph spielen ebenfalls mit und sorgen für Wirbel.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum3. Nov. 2015
ISBN9783738045789
Unwiederbringlich: Agenten, Legenden und Tragödien der Arbeit Teil 1
Autor

Thomas Häring

Schreibt seit 20 Jahren alles Mögliche und noch viel mehr.

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    Buchvorschau

    Unwiederbringlich - Thomas Häring

    Die Protagonisten

    Nein, man sollte so etwas wie das hier nicht mit Worten beginnen. Gernot stand vor dem Spiegel seiner Seele und spürte, daß er wieder einmal das für sich empfand, das für ihn am vertrautesten war: Nämlich nichts. Reich ins Heim, so lautete seit jeher sein Lebensziel. Er fühlte sich wie ein schwarzfahrender Afrikaner in der Dunkelheit, aber ihm war auch klar, daß das Leben weitergehen mußte. Im alten Griechenland wären Leute wie er ganz normal und gesellschaftlich anerkannt gewesen, doch 2500 Jahre später sah es ganz anders aus. Als Kinderschänder wurden er und seinesgleichen gebrandmarkt, man schaute voller Verachtung, Abscheu und Ekel auf sie herab, ja, selbst in den Gefängnissen waren sie der Bodensatz in der Hierarchie. War das gerecht oder handelte es sich beim Kindesmißbrauch um das letzte Tabuthema einer Gesellschaft, die keine Regeln, Gesetze und Grenzen mehr kannte? Gernot arbeitete als Fallmanager in der Agentur für Arbeit und er liebte seinen Beruf. Womöglich beruhte das sogar auf Gegenseitigkeit; wenn man sich allerdings vor Augen führte, daß jemandem wie ihm das Schicksal vieler, überwiegend junger, Menschen anvertraut wurde, dann konnte man schon zweifeln, ob das alles so in Ordnung war. Aber wer verfolgte eigentlich nicht auch immer seine eigenen Interessen? Klar, Pädophilie war kein Kavaliersdelikt, dennoch blieb festzuhalten, daß Gernot bereits als Elfjähriger auf Kinder stand, es sich bei ihm also um ein Kind handelte, welches auf Kinder abfuhr. Problematisch an der ganzen Angelegenheit war halt nur, daß er immer älter wurde, die Objekte seiner Begierde jedoch minderjährig blieben und daraus ergaben sich mit der Zeit nicht unerhebliche Probleme. War in seiner Kindheit etwas schief gelaufen, das seine angeblich abnormale Neigung erklären konnte? Eher nicht und genau das machte einen wirklich stutzig, denn woher nahm man sich das Recht, über die Vorlieben von Leuten zu urteilen? Daß es im Kinderschutzbund vor Pädophilen nur so wimmelte, war ein offenes Geheimnis, mit dem sich nur die allerwenigsten Zeitgenossen intensiver auseinandersetzen wollten. „Kinder sind unsere Zukunft, jenen Slogan nahm Gernot immer ganz persönlich und er fühlte sich durchaus des Öfteren diskriminiert, denn die Anderen durften rumvögeln, zur Domina gehen, Sado-Maso-Spiele durchführen oder auch Dinge, eventuell sogar Tiere ficken, das wurde alles irgendwie toleriert, er dagegen stand mit seiner Neigung am Pranger und seine Mitmenschen wandten sich angewidert von ihm ab. „Kinder statt Inder, auch der Slogan fand seine vollste Zustimmung, obwohl er im Grunde auch gegen indische Kinder nichts einzuwenden hatte, da die Abwechslung natürlich erfreute. Er war ein guter Onkel und seine beiden Neffen sowie seine Nichte liebten ihn abgöttisch. Doch er achtete peinlich genau darauf, daß er mit ihnen nicht zu lange unbeobachtet alleine war, denn er kannte sich selbst gut genug um zu wissen, daß es dann gefährlich werden würde. Seine Vorgesetzten hielten große Stücke auf ihn, denn Gernot zählte zu den erfolgreichsten und kompetentesten Fallmanagern seiner Zunft. Daß er das Vertrauen seiner Klienten und seine Macht manchmal mißbrauchte, steht auf einem anderen Blatt, ganz fest versprochen. Er lebte in einer Stadt, in der er nicht weiter auffiel, da es dort vor Menschen nur so wimmelte und wenn er seinen Abendspaziergang machte, dann ging er oft an Turnhallen vorbei und beobachtete dort die Kinder beim Sport. Hin und wieder hatte er sogar eine Freundin oder einen Freund gehabt, aber sobald die über 18 waren, interessierten sie ihn nicht mehr und er trennte sich von ihnen. Der Reiz der Unschuld, das Reine reizte ihn und er versuchte, sich vorzustellen, wie es denn eigentlich wäre, in einer Gesellschaft zu leben, in der seine Lebensform akzeptiert wurde. Es war schließlich wirklich nicht so, daß er die Kinder zu etwas zwang, das die nicht wollten, im Gegenteil. Oft verführten sie ihn und das machte es ihm natürlich leichter, zumindest war das seine Sicht der Dinge.

    Jessica war eine Frau, die wollte was sie wußte. Sie mochte es nicht, wenn man sie bei ihrer Tätigkeit beobachtete, denn sie arbeitete als selbständige Freiberuflerin. Was sie genau machte, das wußte sie oft selber nicht, jedenfalls hatte sie keinen Chef und konnte sich ihre Zeit frei einteilen, was sie auch voller Leidenschaft tat. Daß sie nicht gerade kompetent war, was die ganze finanzielle Seite der Selbständigkeit betraf, störte sie nicht weiter, denn sie hatte einen kleinen Plattenladen, in den sich hin und wieder sogar ein Kunde verirrte. Musik war schon immer ihr großes Hobby gewesen und da sie mit einem Mann verheiratet war, der gut verdiente, konnte sie ihrer Leidenschaft frönen, ohne sich Gedanken darüber machen zu müssen, wie sie über die Runden kam. Früher hatte ihr Vater ihr Leben finanziert, später dann Vater Staat, mittlerweile war es Vater Abraham, wie sie ihren Gatten manchmal scherzhaft nannte, da er 15 Jahre älter war als sie und irgendwann würde Gevatter Tod sie abholen. Sie war also gefangen in einer patriarchalischen Gesellschaft, doch das störte sie nicht weiter, denn auch wenn es sich bei ihr um einen hübschen Vogel in einem goldenen Käfig handelte, so war sie sich doch darüber im Klaren, daß sie es eigentlich ganz gut erwischt hatte. Aber hin und wieder war genug zu wenig und besser löste gut ab, weshalb sie sich alle paar Wochen einen jungen Kerl angelte, den sie meistens in ihrem Plattenladen aufgegabelt hatte. Wer die ganze Angelegenheit aus der Ferne betrachtete, konnte zu dem Schluß kommen, daß Jessica ihren Plattenladen nur betrieb, um an männliches Frischfleisch zu kommen, welches sie im Stile einer Gottesanbeterin nach dem Akt tötete und verspeiste. Das war natürlich nicht wörtlich zu verstehen, auch wenn die Musikliebhaberin ihre Bettgefährten und Gespielen hin und wieder biß und an deren Ohrläppchen knabberte. Aber sollte und konnte das ewig so weitergehen? Jessica hatte schon öfter versucht gehabt, mit ihrem Mann über ihre Sexsucht zu reden, doch dem war das alles egal gewesen und von ihren Abenteuern wollte er nichts hören, denn er war genug mit sich beschäftigt. Sie hatte den Zenit ihres Lebens bereits fast überschritten und wußte deshalb, daß sie etwas ändern mußte, um nicht zu stagnieren oder gar zu regredieren. Blöd an der Sache war halt nur, daß sie finanziell abhängig war und eigentlich auch nicht wußte, was sie im Leben erreichen wollte. So war es ohnehin meistens bei den Menschen: Ihnen war oft nur klar, daß es so wie bisher nicht weitergehen konnte, doch wenn man sie fragte, was sie denn für Ziele, Wünsche und Vorstellungen hatten, dann kam da nicht viel. Jessica hatte jedenfalls eine Entscheidung getroffen und versuchte nun, einen Geldgeber für ihr neues Leben zu finden. Ihr Vater winkte desinteressiert ab, er wollte seinen Lebensabend auf der Aida verbringen, dort stellte er es sich wesentlich schöner als in einem Altenheim vor und preislich war es auch nicht teurer. Ihr Mann erklärte kategorisch, daß sie von ihm nichts zu erwarten hätte, sobald sie sich von ihm trennte und so blieb im Dreieck der männlichen Versorger nur Vater Staat übrig, der zwar auch nicht sonderlich begeistert war, als Jessica bei ihm auftauchte und um Unterstützung bat, aber er war gesetzlich dazu verpflichtet, ihr zu helfen und so begann sie ein neues Leben in einer alten Stadt, in welcher sie aber wenigstens in der Neustadt wohnte. Lieber unsicheres Glück als sicheres Unglück, lautete ihr neues Lebensmotto, doch schon recht schnell sehnte sie sich in ihren goldenen Käfig zurück, wo sie sich keine Gedanken darüber machen mußte, wie sie ihren hohen Lebensstandard finanzieren konnte. Nichtsdestotrotz gab sie nicht auf und versuchte alles, um ihren alten Mustern zu entfliehen, doch das war gar nicht so leicht, weshalb sie sich an einen Psychologen wandte, der ihr dabei helfen sollte, Automatismen ihres Lebens aufzudecken und dagegen etwas zu unternehmen. Daß es sich dabei wieder um einen älteren Mann handelte und sie so vom Regen in die Traufe kam, war eine andere Geschichte, wenigstens versuchte sie, ihr Leben neu zu ordnen.

    Die Sonne hatte mal wieder ihr Erscheinen angekündigt und der Wind erfreute die Passanten mit seiner Kraft, doch in der Vermeidung der Naturgewalten waren die Leute schon immer sehr gut gewesen. Riesige Regenschirme trugen sie über ihren Köpfen spazieren, sobald es zu tröpfeln begann und wenn sie eine Möglichkeit gesehen hätten, das Wetter zu beeinflussen oder gar abzuschaffen, dann hätten sie das sicherlich getan. „Nachhilfe für jedermann - günstig, gut und gelungen, solche Sprüche konnte man in der Fußgängerzone lesen und wer sich davon angesprochen fühlte, kam mit Senta ins Gespräch, welche da mit einem fröhlichen Grinsen im Gesicht den Menschen entgegentrat, die sich für ihr Angebot in irgendeiner Art und Weise zu interessieren schienen. Sie selbst gehörte zu Weintolligy und da ihr Verein begriffen hatte, daß es die Kinder waren, um deren Gunst man sich am allermeisten bemühen mußte, um langfristig Erfolg zu haben, gab es solche Nachhilfeangebote im ganzen Land. Früher hatten die Sektenjünger versucht, die Erwachsenen von ihren obskuren Gedankengängen zu überzeugen, doch nachdem jenes Experiment mehr oder weniger grandios gescheitert war, hatte man die Strategie geändert und kümmerte sich seitdem verstärkt um den Nachwuchs der Ungläubigen. „Was wir machen, hat Hand und Fuß. Ihr Sohn wird nicht nur wesentlich bessere Schulnoten haben, sondern sich auch in seiner Persönlichkeit weiterentwickeln, versprach Senta einem Mann, der an ihrem Stand Halt gemacht hatte, um sich über das Nachhilfeangebot zu informieren. „Das interessiert mich nicht. Der soll einfach nicht mehr durchfallen, sonst macht seine Mutter wieder Streß, ließ er verlauten. „Das ist für uns überhaupt kein Problem, denn wir haben eine Methode entwickelt, mit deren Hilfe es gelingt, daß die Schüler den Lernstoff in ihrem Kopf behalten und jederzeit abrufen können. „Hören Sie mal, wenn Sie aus meinem Zappelphilipp einen Roboter oder Zombie machen wollen, dann finde ich das nicht so prickelnd. „Nein, das haben Sie ganz falsch verstanden, wir machen nur etwas gegen seinen Gehirndurchfall, damit er nicht mehr durchfällt. „Ach so, na gut, dann versuchen wir es halt mal. Einen Augenblick noch, was ist denn dieses andere Blatt hier, auf dem irgendetwas von Klirring und Gauditing steht? Also wenn Sie nicht deutsch reden können und wollen, dann lassen Sie es meinetwegen bleiben, aber belästigen Sie uns nicht mit Ihrer komischen Sprache! Der Starrazzia hat wirklich Recht, überall nur noch Ausländer! schimpfte der Mann und zog kopfschüttelnd von dannen. Senta schaute ihm überrascht nach und wurde gleich danach von einer älteren Frau angesprochen: „Also, ich war früher ja Lehrerin und die Kinder waren wirklich auch oft nicht die Hellsten und die Schnellsten, aber bei der Masse an Nachhilfeangeboten heutzutage hat man wirklich das Gefühl, wir hätten nur noch Vollidioten in unseren Schulen, sowohl vor als auch hinter dem Pult. Senta stutzte. Was wollte ihr die Frau damit sagen? War das eine Kritikerin, eine Sympathisantin oder einfach nur eine alte Schachtel, die Aufmerksamkeit wollte? Sollte sie mit der Frau ein Gespräch beginnen oder war das Energieverschwendung, da jene vielleicht eher eine Konkurrentin oder eine Gegnerin war? So viele Fragen, die Senta nicht beantworten konnte und die Verwirrung in ihren Gehirnwindungen nahm immer groteskere Formen an. Was würde Al Don Plappert dazu sagen? Manchmal hatte Senta das Gefühl, sie wäre in der Psychiatrie am besten aufgehoben, doch dann fiel ihr jedes Mal wieder ein, daß ihr großer Meister jene verabscheut hatte und abschaffen hatte wollen. Was für ein Dilemma! Sie war schon länger bei Weintolligy, aber mittlerweile glaubte sie nicht mehr alles, was man ihr dort erzählte. Klar, sie war noch lange nicht soweit, sich von der Glaubensgemeinschaft zu lösen, denn alle ihre sozialen Kontakte lebten dort, aber sie spürte, daß sie das, was sie suchte, nicht in der Weintolligy Church finden würde. Deshalb schloß sie ihre Augen, meditierte kurz und versuchte danach zu denken.

    Der Philosoph hatte wieder einmal die ganze Nacht durchgedacht und war zu der für ihn Bahn brechenden Erkenntnis gelangt, daß die Erde keine Scheide war. Geistige Höhenflüge gehörten zu seinem täglichen Geschäft, er liebte nicht das Leben und er lebte auch nicht das Lieben, doch wenn es darum ging, den Gedanken der Weisheit auf die Schliche zu kommen, dann war er ein Meister darin, Unverständliches in Allgemeinplätzen derart geschickt zu verpacken, daß die, mit denen er kommunizierte, das Gefühl hatten, sie verstünden was er meinte, obwohl er selber meistens überhaupt nicht wußte, was er da eigentlich laberte. Seine Vergangenheit hatte keine Zukunft mehr, früher war er mal Werkzeugmacher gewesen, doch irgendwie hatte ihn jene Tätigkeit nicht ausgefüllt, so daß er an der unvermeidbaren Sinnleere der Arbeit beinahe zugrunde gegangen wäre. Die Welt meinte es nicht gut mit Menschen seines Schlages, denn sie stellte ihn tagtäglich vor neue Rätsel und wenn er sich wieder einmal in das Schneckenhaus seines Elfenbeinturms zurückgezogen hatte, dann verlor er jede Bindung an die Synchronizität der Ereignisse. Grundsätzlich war der Philosoph relativ menschenscheu, lediglich seine polnische Putzfrau traf ihn zweimal pro Woche in seiner Wohnung an und wenn sie wieder einmal laut darüber schimpfte, daß er ein Messi sei, dann fühlte er sich einerseits sehr geschmeichelt, mit dem argentinischen Fußballstar verglichen zu werden, doch da er andererseits wußte, daß er im Sport immer ein Versager gewesen war, war ihm zugleich klar, daß sie damit wohl etwas Anderes meinte. In seinen jungen Jahren hatte der Mann für einiges Aufsehen und mächtig Wirbel gesorgt, als er seinerzeit die These aufgestellt hatte, die Menschheit müsse, um sich weiterzuentwickeln und als Gesamtheit zu wachsen, die Spreu vom Weizen trennen und das Unkraut radikal entfernen, damit die Leistung in der Gruppe nicht länger durch das schwächste Mitglied nach unten gezogen werden konnte. Damals hatte es einen großen Aufschrei gegeben, er war über Nacht berühmt geworden, doch das war nicht unbedingt eine angenehme Erfahrung gewesen, denn man unterstellte ihm nationalsozialistisches Gedankengut und hielt ihn für einen Menschenfeind. Dabei hatte er nur das zum Ausdruck gebracht, was eigentlich viele Leute dachten, vielleicht war genau das der Grund dafür gewesen, warum die Empörung gar so extrem war. Klar, in Deutschland gab es noch einige Tabuthemen, über die man nicht reden durfte. Wer zum Beispiel den Holocaust leugnete oder die Euthanasie ins Gespräch brachte, wurde sofort in die Zange genommen, beschimpft und ausgegrenzt. Dabei ging es oft nicht nur um die Lust an der Provokation als solcher, sondern auch um eine paradoxe Intervention mit dem Ziel, die Menschen im Land einfach nur zum Nachdenken zu bringen. Schließlich war es zum Beispiel völlig unsinnig, 90jährige Sterbenskranke mit Maschinen noch wochenlang am Leben zu erhalten, einem Leben, das fast nur noch aus Schmerzen und Dahinvegetieren bestand. Es ging dabei nicht nur um die enormen Kosten der ganzen Geschichte, sondern auch um die Frage nach dem tatsächlichen Sinn einer solchen Maßnahme. Ein Gärtner schnitt seine Bäume und Rosensträuche ja auch, damit sie sich besser entwickeln konnten, die Menschen dagegen ließen jeglichen Wildwuchs zu und regten sich dann darüber auf, daß es in ihren Städten vor Proleten und vermeintlich Asozialen nur so wimmelte. Aber das war doch alles selbst verursacht und verschuldet, daran bestand überhaupt keinen Zweifel; wenn man diese Wahrheit und banale Erkenntnis jedoch ans Tageslicht brachte, dann wurde man als Misanthrop bezeichnet und auf das Heftigste beschimpft. Wohin sollte das noch führen, wenn alle halbwegs sinnvollen Gedanken im Keim erstickt und zensiert wurden, nur damit alle in der Konsenssoße weiter schwimmen konnten, ohne darüber nachzudenken, in welcher Brühe sie sich da bewegten? Der Tag hatte sich auf den Weg gemacht, aber der Philosoph war noch in seiner Gedankenwelt versunken.

    „Würde es Sie stören, wenn ich mich zu Ihnen setze? „Kommt ganz darauf an, was Sie von mir wollen. „Ach, nur ein bißchen plaudern. Wie ich sehe, lesen Sie gerade ein Hochglanzmagazin. Interessieren Sie sich etwa für Prominente? „Oh ja und wie! Das Leben der Anderen finde ich ganz spannend. Wußten Sie zum Beispiel schon, daß die zu Guttenbergs ganz großartig sind und sich selber auch total toll finden? „Also damit hätte ich nun wirklich nicht gerechnet. Aber wenn es da drin steht, dann wird es schon stimmen. „Ganz bestimmt. Und die Frau von der Leine, die ist ja auch so ein Multitalent. Diese Adeligen sind wirklich große Klasse. „Wie schön! Dann freue ich mich ja schon darauf, bald wieder vom Adel regiert zu werden. Vielleicht wird dann ja wieder der Frondienst eingeführt und das ius primus noctis. „Reden Sie gefälligst Deutsch mit mir, wir sind doch hier nicht in Bayern! Ja und das Mädchen vom Maurice Mecker, das ist dem Vater ja wie aus dem Gesicht geschnitten. „In der Tat, das sehe ich genauso. Aber Schönheit liegt halt auch immer im Auge des Betrachters. „Die arme Marlene Kischer. Hoffentlich klappt das dann mit dem Kind beim nächsten Mal. „Entschuldigen Sie bitte, aber ich würde mich mit Ihnen gerne über wesentlich unwichtigere Dinge unterhalten. „Ach so. Schade. Worüber denn zum Beispiel? „Über den Sinn des Lebens. „Nein, mit mir nicht. Ich bin keine von diesen Tratschtanten, die immer nur über diesen Quatsch labern. Ich habe Nivea, äh, Niveau und ich lege Wert auf eine gepflegte Konversation, genauso wie meine adeligen Vorbilder. „Aber das ist doch alles nur oberflächliches Getue ohne Substanz und Inhalt. „Genau das, was wir heute brauchen. Die Zeit der ideologischen Grabenkämpfe ist vorbei. Heutzutage geht es um Lösungen und nicht um Weltanschauungen. „Das hat doch bestimmt auch Ihr Liebling Marek Neothor gesagt, oder etwa nicht? „Und wenn schon? Die Menschen brauchen Vorbilder, sonst geht das alles in die Binsen. Wir müssen uns an Leuten orientieren, die Anstand, Verstand und Wohlstand verkörpern. „Was für ein beeindruckender Dreiklang! Wissen Sie, ich finde es ja grundsätzlich lobenswert, daß Sie sich so für andere Personen interessieren und deshalb nicht ständig um sich selbst kreisen, aber ich werde das Gefühl nicht los, daß Sie sich nur ablenken und berieseln lassen, um sich nicht mit Ihrer eigenen Existenz auseinandersetzen zu müssen. „Das ist nicht wahr! Ich kann sehr gut mit mir alleine sein. „Aber darum geht es doch überhaupt nicht. „Doch! Das tut es sehr wohl! Sie wollen mich nur in die Enge treiben, mit Ihren an den Haaren herbeigezogenen Unterstellungen! „Nein, ich möchte doch nur ein vernünftiges Gespräch mit Ihnen führen. „Frechheit! Was erlauben Sie sich eigentlich, Sie Schnösel! „Also jetzt reicht es mir langsam. Wenn, dann ist Ihr Kutti ein Schnösel, aber doch nicht ich. „Natürlich! Sie hacken schließlich die ganze Zeit auf ihm, mir und meinen Interessen herum. „Das stimmt doch überhaupt nicht. Ich versuche lediglich, eine einigermaßen sinnvolle Konversation mit Ihnen auf die Beine zu stellen, Sie dagegen verstecken sich hinter irgendwelchen Prominenten, über die von den Medien nur Zerrbilder gezeichnet werden. „Na und? Die Wahrheit als solche gibt es nicht und Objektivität hatte in der Presse- und Medienlandschaft schon seit jeher einen schweren Stand. „Donnerwetter, das waren ja jetzt richtig kluge Sätze. Wo nehmen Sie die nur her? „Aus der Tunten natürlich. Wir leben halt mal im Zeitalter der Massenmedien, deshalb sollten wir uns nicht darüber beschweren, daß sich die Medien in allererster Linie darauf konzentrieren, die Massen zu unterhalten und wenn die Leute immer blöder werden, dann verflacht natürlich auch das Niveau der Printmedien. Schließlich müssen sich die an die Kunden anpassen und das schreiben, was jene lesen wollen, weil sie sonst ihren Laden dichtmachen können. „Sehr interessant. Wir leben also im Land der Dichtmacher und Querdenker. „Eben nicht. Aber wen interessiert das schon? „Wer weiß, vielleicht die/den Leser/in hier."

    Nur wer sich zeigt, wird auch wahrgenommen; ist das der Grund dafür, daß Exhibitionisten ihre Pracht zur Schau stellen? Wer weiß, es geht oft um

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