Nur dir gehört mein Herz: Im Sonnenwinkel – Neue Edition 19 – Familienroman
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Mit klirrendem Frost war das neue Jahr gekommen. Spiegelglatt war die Eisfläche des Sternsees, und die Kinder konnten nun unbesorgt Schlittschuh laufen. Die Buben jagten sich gegenseitig, als gelte es, Geschwindigkeitsrekorde aufzustellen. Nahe dem Ufer zog eine zierliche junge Frau voller Grazie ihre Kreise, und ein kleines Mädchen versuchte es ihr gleichzutun. Es waren Henrike Rückert, genannt Ricky, und ihre Schwester Bambi. Am Ufer standen Inge und Werner Auerbach, die Eltern der beiden, und schauten ihnen entzückt zu. »Bambi ist ein Naturtalent«, bemerkte Werner Auerbach. »Jetzt sag nur nicht, dass sie trainiert werden müsste«, protestierte Inge sofort. »Zu ihrem Vergnügen kann sie laufen, so viel sie mag, aber dressieren lasse ich sie nicht.« »Habe ich doch gar nicht gesagt, Ingelein. Es wäre ja noch schöner, wenn unser Sonnenschein um seine Kindheit betrogen würde. Wir sind doch froh, wenn wir sie noch recht lange bei uns behalten können.« Bambi war gerade jetzt ein rechter Trost für Inge Auerbach, denn Jörg, der Älteste, war nun mit seiner jungen Frau Stella auf dem Weg nach Kanada, und ein langes Jahr der Trennung lag vor ihnen. Wie ein Wirbel drehte Bambi eine Pirouette, die ihr schon ganz ausgezeichnet gelang. Ricky klatschte Beifall, und das bezaubernde kleine Mädchen strahlte. »Jetzt kannst du es schon besser als ich«, anerkannte die bildhübsche Ricky neidlos die Leistung der Kleinen. »Aber ich muss jetzt aufhören.
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Nur dir gehört mein Herz - Patricia Vandenberg
Im Sonnenwinkel – Neue Edition
– 19 –
Nur dir gehört mein Herz
Patricia Vandenberg
Mit klirrendem Frost war das neue Jahr gekommen. Spiegelglatt war die Eisfläche des Sternsees, und die Kinder konnten nun unbesorgt Schlittschuh laufen. Die Buben jagten sich gegenseitig, als gelte es, Geschwindigkeitsrekorde aufzustellen.
Nahe dem Ufer zog eine zierliche junge Frau voller Grazie ihre Kreise, und ein kleines Mädchen versuchte es ihr gleichzutun.
Es waren Henrike Rückert, genannt Ricky, und ihre Schwester Bambi. Am Ufer standen Inge und Werner Auerbach, die Eltern der beiden, und schauten ihnen entzückt zu.
»Bambi ist ein Naturtalent«, bemerkte Werner Auerbach.
»Jetzt sag nur nicht, dass sie trainiert werden müsste«, protestierte Inge sofort. »Zu ihrem Vergnügen kann sie laufen, so viel sie mag, aber dressieren lasse ich sie nicht.«
»Habe ich doch gar nicht gesagt, Ingelein. Es wäre ja noch schöner, wenn unser Sonnenschein um seine Kindheit betrogen würde. Wir sind doch froh, wenn wir sie noch recht lange bei uns behalten können.«
Bambi war gerade jetzt ein rechter Trost für Inge Auerbach, denn Jörg, der Älteste, war nun mit seiner jungen Frau Stella auf dem Weg nach Kanada, und ein langes Jahr der Trennung lag vor ihnen.
Wie ein Wirbel drehte Bambi eine Pirouette, die ihr schon ganz ausgezeichnet gelang.
Ricky klatschte Beifall, und das bezaubernde kleine Mädchen strahlte.
»Jetzt kannst du es schon besser als ich«, anerkannte die bildhübsche Ricky neidlos die Leistung der Kleinen. »Aber ich muss jetzt aufhören. Mein Göttergatte wird einen Bärenhunger mit nach Hause bringen, und unser Spatz will auch gefüttert werden.«
»Der Spatz« war der kleine Sohn von Ricky und Fabian Rückert, gerade drei Monate alt und jetzt in der liebevollen Obhut der Urgroßeltern Magnus und Teresa von Roth, die glücklich waren, wenn sie Babysitter bei dem jüngsten Spross der großen Familie spielen konnten.
Die Auerbachs mit den Roths und Rückerts waren der größte Familienclan im Sonnenwinkel und hier einfach nicht mehr wegzudenken.
Ricky und Bambi verließen die Eisfläche, und sogleich kam der vierzehnjährige Hannes auch angebraust.
»Kann ich noch ein bisschen bleiben?«, fragte er.
»Wenn es dir nicht zu kalt wird«, meinte Inge Auerbach.
Bei solch wilder Jagd konnte er kaum frieren, aber er war halt ein richtiger Junge mit viel überschüssiger Kraft. Er spurtete schon wieder davon.
Bambi war abgelenkt. Ihr Blick wanderte zu einem kleinen Jungen, der ein ganzes Stück entfernt am Ufer stand; aber sofort davonlief, als er bemerkte, dass nun auch die anderen zu ihm herüberschauten.
Bambi schüttelte gedankenvoll ihr Köpfchen.
»Das ist schon ein komischer Bub«, stellte sie fest. »Er rennt immer weg.«
Im Sonnenwinkel und in Erlenried war man solches nicht gewohnt, denn besonders Bambi in ihrer herzerwärmenden Natürlichkeit wurde schnell mit allen Kindern vertraut, die neu zuzogen. Doch der kleine Ulrich Lienau bildete eine Ausnahme.
Allerdings war er erst kurz vor dem Weihnachtsfest mit seinem Vater nach Erlenried gezogen, in einen von den kleinen Bungalows, die auf der anderen Seite des Sonnenhügels erbaut wurden.
Klaus Lienau, sein Vater, war Redakteur beim »Hohenborner Tageblatt«. So viel wusste auch Bambi. Doch auch ihn bekam man nur zu Gesicht, wenn er mit seinem Wagen zu seiner Arbeitsstätte fuhr oder heimkehrte.
»Nun möchtest du ihn wohl gar zu gern näher kennenlernen«, wurde Bambi von Ricky geneckt, während sie heimgingen.
»Ich möchte nur wissen, warum er immer allein ist und dann auch noch fortläuft, wenn jemand kommt«, bemerkte Bambi sinnend. »Er braucht doch keine Angst vor uns zu haben.«
Der kleine Ulli hatte keine Angst, er war nur scheu. Jetzt kam er, erhitzt vom schnellen Lauf, daheim an.
Eine hagere ältliche Frau öffnete ihm die Tür und schüttelte missbilligend den Kopf.
»Du bist ja schon wieder da«, äußerte sie mürrisch. »Und wie du dich wieder abgejagt hast!«
»Mir ist so heiß«, sagte Ulli, »ich habe Halsweh.«
Misstrauisch sah sie ihn an.
»Alle naselang fehlt dir was anderes«, stellte sie fest. »Willst du schon wieder zum Doktor?«
Das wollte Ulli allerdings, aber es war nicht Dr. Riedel selbst, zu dem es ihn zog, sondern es war Katrin Henschel, seine Sprechstundenhilfe. Aber das band er Nelli nicht auf die Nase.
Ulli hatte nichts gegen Nelli einzuwenden, die schon lange Klaus Lienaus Haushalt versorgte. Unter ihrer rauen Schale verbarg sich ein gutes Herz.
Sie tat ihr Möglichstes, damit Ulli die Mutter nicht zu sehr vermisste. Sie hätte es nur lieber gesehen, wenn er auch mal mit anderen Kindern, deren es genug in Erlenried gab, gespielt hätte.
Es bereitete ihr Sorgen, dass er sich dauernd etwas ausdachte, um zu Dr. Riedel in die Praxis zu kommen.
Es hatte gleich am ersten Tag beim Umzug angefangen. Da hatte er sich die Hand eingeklemmt, und sein besorgter Vater war sofort mit ihm in die Arztpraxis gefahren.
Und da war es geschehen, dass der kleine Ulli zum ersten Mal Interesse für einen anderen Menschen zeigte. Eben für diese Katrin Henschel, die Nelli nun auch schon kannte.
Nachdenklich betrachtete sie den Jungen.
»Wenn du Halsweh hast, werde ich Dr. Riedel kommen lassen«, sagte sie.
»Ich möchte aber lieber hingehen«, erklärte Ulli verwirrt. »Ich schaue mich gern bei ihm um. Und meine Hand wollte er auch noch mal angucken. Die Halsschmerzen sind nicht so schlimm, Nelli. Die Hand tut aber immer noch weh.«
Er hätte wohl lieber gleich die Hand als Grund angeben sollen, überlegte er. Hoffentlich kam Nelli nun nicht auf den Gedanken, Dr. Riedel doch zu rufen.
»Na schön«, erwiderte sie, »nach dem Essen gehen wir dann zu ihm.«
Er haschte nach ihrer verarbeiteten Hand und drückte sie an seine Wange.
»Bist ja meine liebe Nelli«, sagte er leise.
Sie schluckte die aufsteigende Rührung hinunter. Sie musste sich schon arg zusammennehmen, um nicht zu nachgiebig zu erscheinen.
*
Sie dachte sechs Jahre zurück, während er zu Mittag aß.
Es war auch ein solch kalter Winter gewesen wie dieser, und fast auf den Tag genau war das Baby zu den Lienaus gekommen.
Ursula Lienau, die vergeblich auf ein eigenes Kind gehofft hatte, bekam endlich ihren größten Wunsch erfüllt.
Nelli war skeptischer gewesen, als die zarte, ewig kränkelnde junge Frau das Baby nach Hause brachte. Erst knapp vierzehn Tage alt war es gewesen, und sie hatte ihm den Namen Ulli gegeben.
Sie hatte das Kind verwöhnt und abgöttisch geliebt. Niemand durfte ein Wort darüber verlieren, dass es nicht ihr eigenes Kind war.
Es war gewiss nicht so, dass Klaus Lienau es seiner jungen Frau missgönnte, nun ein Kind zu haben; denn er tat alles, um ihr jeden Wunsch zu erfüllen, als ahnte er schon damals, dass ihr Leben so kurz sein würde. Aber Nelli wusste nur zu gut, dass Klaus von jenem Tag an nur noch eine nebensächliche Rolle in Ursulas Leben spielte.
Das Kind war ihr Ein und Alles. Mit niemandem wollte sie die Zuneigung des Kleinen teilen. So wuchs Ulli in einer abgeschirmten Umgebung auf, kam nie mit anderen Kindern zusammen, und nur seine Mutti, die immer elender und schwächer wurde, spielte mit ihm.
Nelli wagte nicht zu revoltieren. Sie wusste, dass dieses Leben bald verlöschen würde. Sie wusste es besser als Klaus Lienau, der nichts unversucht ließ, Ursulas Leben zu erhalten.
Zwei Jahre war Ursula nun schon tot; aber der kleine Ulli war zu sehr in die Enge einer Gefühlswelt gefangen, um sich nach kindlicher Gesellschaft zu sehnen.
Nelli war es manchmal unheimlich, weil sie das Gefühl nicht loswurde, als beherrsche Ursulas Geist das Kind noch immer.
»Gehen wir jetzt, Nelli?«, fragte Ulli, kaum dass er den letzten Bissen hinuntergeschluckt hatte.
»Es ist noch ein bisschen früh«, entgegnete sie.
»Zu Dr. Riedel kann man immer kommen«, erklärte er. »Und Katrin ist auch immer da.«
Nelli sagte nichts. Insgeheim hegte sie die leise Hoffnung, dass diese ihr anfangs unbegreifliche Zuneigung Ullis zu Dr. Riedels junger Sprechstundenhilfe für die Entwicklung des Kindes nützlich sein könnte.
Sie nahm sich sogar vor, einmal mit Katrin Henschel zu sprechen.
*
Fast ein halbes Jahr war Katrin Henschel Sprechstundenhilfe bei Dr. Riedel.
Das stille, zurückhaltende Mädchen hatte sich seinen Platz bei den Riedels schon erobert. Sie wohnte im Haus und lebte mit der Familie.
Für Amelie Riedel war sie eine ebenso große Hilfe wie für Dr. Riedel in der Praxis.
Der kleine Jerry und das Baby Daniela hatten in ihr eine liebevolle Betreuerin, denn ein Eigenleben schien Katrin nicht zu beanspruchen.
Sie war überall da, wo man sie brauchte, und dennoch spürte man sie kaum. Niemals drängte sie sich in den Vordergrund, und sie war so bescheiden, dass Amelie oftmals nur den Kopf schütteln konnte.
Es war Mittwochnachmittag, und es war keine Sprechstunde. Die Familie Riedel war nach Hohenborn gefahren,