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Schöne Erbin auf der Flucht
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eBook266 Seiten3 Stunden

Schöne Erbin auf der Flucht

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Über dieses E-Book

Durchnässt vom Regen, rettet sich Amelia auf ein verlassenes Anwesen. Doch als sie sich vor dem Kaminfeuer entkleidet, wird sie von dem attraktiven Baron Gray überrascht. Instinktiv wirft sie sich in seine starken Arme. Doch ihr Glück wird sie dort nicht finden – der Baron darf nie von ihrer Vergangenheit erfahren …

SpracheDeutsch
HerausgeberCORA Verlag
Erscheinungsdatum21. Aug. 2021
ISBN9783751512855
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    Buchvorschau

    Schöne Erbin auf der Flucht - Laura Martin

    IMPRESSUM

    Schöne Erbin auf der Flucht erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

    © 2017 by Laura Martin

    Originaltitel: „Heiress On The Run"

    erschienen bei: Harlequin Enterprises, Toronto

    Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

    © Deutsche Erstausgabe in der Reihe Historical Saison, Band 58

    Übersetzung: Eleni Nikolina

    Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A., LiuSol, HbrH, seamartini/GettyImages

    Veröffentlicht im ePub Format in 08/2021

    E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

    ISBN 9783751512855

    Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

    CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

    Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:

    BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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    1. KAPITEL

    Amelia lief keuchend zwischen den Bäumen hindurch und achtete nicht auf die Zweige, die ihr ins Gesicht schlugen, oder auf das Gestrüpp, das sich in ihrem Rock verfing. Sie war erschöpft, ihre Lungen brannten, jeder Schritt war eine Qual, doch sie lief weiter. Als sie einen Blick über die Schulter wagte, stolperte sie, ihr Fuß knickte zur Seite, aber sie fing sich im letzten Moment und blieb auf den Beinen.

    Ein lauter Donnerschlag grollte scheinbar genau über ihr, und kurz darauf zuckte ein blendend weißer Blitz über den Himmel. Amelia fühlte sich allen Blicken ausgeliefert, obwohl die Bäume sie verbargen, und war glücklich, als sich die Dunkelheit wieder über alles legte. Der Regen wurde stärker, große Tropfen klatschten Amelia auf die Haut, und nach nur wenigen Minuten war sie vollkommen durchnässt. Das Kleid hing schwer an ihr herab und fühlte sich bei jeder Bewegung an wie Sandpapier. Ganz gegen ihre Art wünschte Amelia sich diesmal, sie würde etwas Praktischeres, weniger Hübsches tragen, das sie aber in diesem fürchterlichen Klima wenigstens etwas gewärmt hätte.

    Einen Augenblick lang hielt sie inne, um zu Atem zu kommen, und lauschte aufmerksam. Seit zwei Tagen irrte sie durch dieses gottverlassene Hügelland, ohne zu wissen, wo sie sicher sein und Unterschlupf finden könnte. Es war schon übel genug gewesen, als sie es lediglich mit Kälte und Wind zu tun gehabt hatte, doch inzwischen fürchtete Amelia, sie könnte hier in den Hügeln sterben.

    Wenigstens lag das Dorf weit hinter ihr – das Dorf, von dem sie gehofft hatte, es würde ihr in dieser kalten Nacht Schutz bieten. Doch es war kein guter Einfall gewesen. Die erste Frau, die ihr blutbeflecktes Kleid und das wirre Haar gesehen hatte, hatte ihr zugerufen, sie solle sich fernhalten, und gleich darauf fast das ganze Dorf alarmiert. Amelia war nach einem letzten sehnsüchtigen Blick auf das gastfreundlich wirkende Wirtshaus hastig zu den verregneten Hügeln weitergeflohen.

    Sie befürchtete, dass die Dorfbewohner ihr jemanden nachgeschickt hatten. Wahrscheinlich hatte man überall eine Zeichnung von ihrem Gesicht verteilt und ihr Verbrechen war inzwischen weit über die Grenzen des Kurorts Brighton hinaus bekannt, wo es verübt worden war. Ihr entfuhr ein Schluchzen, und sie fragte sich, wann alles angefangen hatte, so fürchterlich schiefzugehen. Einen Moment lang erlaubte sie sich, in Selbstmitleid zu schwelgen. So hatte ihr Leben nicht verlaufen sollen. Vor nur vier Tagen hatte sie viel gehabt, auf das sie sich freuen konnte – eine neues Leben in England, die Wiedervereinigung mit dem Mann, den sie liebte, und eine Saison in London, wirbelnde Tänze durch die Ballsäle in ihren hübschen neuen Kleidern. Sie hatte sich vorgestellt, wie man ihr Komplimente machen und sie umwerben würde. Nie wäre ihr der Gedanke gekommen, man könnte sie jemals verurteilen und verfolgen wie einen Verbrecher.

    In diesem Moment bemerkte Amelia eine Mauer zu ihrer Linken und etwas weiter eine schmiedeeiserne Pforte, die man leicht übersehen konnte, weil sie fast völlig von Efeu und sonstigen Schlingpflanzen verdeckt wurde. Sofort wusste Amelia, was sie tun würde. Die Füße schmerzten ihr, sie zitterte am ganzen Leib und hatte seit zwei Tagen nicht mehr geschlafen. Die Pforte sah aus, als gehörte sie zu einem verlassenen Gut. Mit ein wenig Glück würde sie vielleicht eine Scheune oder ein anderes Gebäude finden, das noch nicht zusammengefallen war und wo sie vor den Elementen Zuflucht suchen und sich ausruhen konnte.

    Vorsichtig stieß Amelia die Pforte auf und schlüpfte hindurch. Während sie die Auffahrt hinaufging, erfasste eine seltsame Unruhe sie. Den Ort umgab eine gespensterhafte Atmosphäre, und hätte Amelia nicht so verzweifelt einen Platz zum Verschnaufen gebraucht, wäre sie vielleicht doch noch umgekehrt.

    Das Haus war auf eine finstere, schauerliche Art überwältigend. Gruselige Wasserspeier hingen drohend von den Mauervorsprüngen, und die Fenster liefen wie in der gotischen Architektur oben spitz zu. Statuen und Steinreliefs schmückten die Fläche zwischen Fenstern und Türen, und im hinteren Teil des Hauses ragten zwei imposante Türme in den Himmel.

    Das Gut war verlassen, das erkannte Amelia sofort. Das Haus wirkte verwahrlost, und die Ostseite war rußgeschwärzt wie von einem Brand. Amelia fragte sich, wann es verlassen worden war und ob sie wohl noch ein weiches Bett darin vorfinden mochte. Zaghaft näherte sie sich der Vordertür und öffnete sie. Zu ihrer Überraschung schwang sie ohne Knarren auf und gab den Blick auf eine leere Halle frei.

    „Hallo?, rief Amelia, bevor sie über die Schwelle trat. „Ist jemand hier?

    Sie wartete einen Moment, und als sie nur das Heulen des Windes vor dem Haus vernahm, schalt sie sich für ihr Unbehagen, das dafür verantwortlich war, dass sie die Haustür hinter sich noch nicht geschlossen hatte.

    Noch eine Minute verstrich, ohne dass Amelia etwas hörte, also schloss sie die Tür und machte einen Schritt weiter in die Halle hinein. Nachdem sie sich an die Dunkelheit gewöhnt hatte, nahm sie allen Mut zusammen, setzte ihren Weg fort, wählte eine der Türen, die von der Halle abgingen, und öffnete sie.

    Dieses Zimmer musste früher einmal ein Salon gewesen sein. Ein gemütlich aussehender Sessel verlockte sie dazu, einzutreten und sich den Rest anzusehen. Die meisten Möbel waren mit weißen Tüchern verdeckt, um den Staub von ihnen fernzuhalten. Auf dem Boden lag ein schwerer, kostbarer Teppich auf den Holzdielen.

    Amelias Blick huschte weiter, bis er auf dem großen Kamin haften blieb. Leise Hoffnung erwachte in ihr, als sie den Korb voller Holzscheite gleich daneben entdeckte. Die Vorstellung eines prasselnden Feuers, das ihre halb erfrorenen Glieder wärmen würde, war in diesem Moment das höchste Glück. Sie weinte fast vor Erleichterung, als sie auf dem Kaminsims eine Zunderbüchse sah. Endlich schien ihr Schicksal sich zu wenden.

    Doch wie man ein Feuer anzündete, erwies sich als ein Problem. Amelia hatte oft dabei zugesehen – selbst in Indien hatte man in der Küche Feuer machen müssen, und während der Monsunzeit entzündete man welche, um die Kleidung trocknen zu können. Aber Amelia hatte nie wirklich darauf geachtet, was die Diener getan hatten. Zögernd stapelte sie einige Holzscheite auf den Kaminrost, wobei sie die kleineren Stücke oben auflegte, und nahm schließlich die Zunderbüchse zur Hand.

    Fünfzehn Minuten später war sie kurz davor, die verflixte kleine Büchse durch den Raum zu schleudern. Die Finger taten ihr weh von ihren erfolglosen Versuchen, einen Funken zu schlagen, und sie hatte angefangen, am ganzen Leib zu zittern vor Kälte. Was ihr auch nicht gerade half bei ihrem heiklen Unterfangen. Mit einem verzweifelten Stöhnen schlug sie ein letztes Mal gegen den Zündstein und hätte fast geweint vor Erleichterung, als einige wenige Funken aufflogen und den Zunder entfachten. Vorsichtig fächelte sie den kleinen Flammen Luft zu, blies leicht, entzündete das Streichholz am Feuer und hielt es schließlich an das Anmachholz. Langsam sank sie vor dem Kamin in die Knie und machte sich daran, das Holz richtig zum Brennen zu bringen. Nie gekannte Zufriedenheit erfüllte sie, als das Holz allmählich schwarz wurde und die Flammen größer und heller.

    Amelia wäre fast auf den Boden gesunken vor Erschöpfung. Die letzten Tage hatten ihr nicht nur körperlich viel abgefordert, sondern vor allem emotional. Sie wollte nichts weiter, als sich irgendwo zusammenzukauern und zu schlafen, doch sie wusste, dass sie ein Fieber riskieren würde, wenn sie nicht vorher die nassen Sachen auszog. Mit müden Fingern kämpfte sie mit den Verschlüssen ihres Kleides und wand und streckte sich, um die Knöpfe auf dem Rücken zu erreichen. Endlich spürte sie, wie der schwere Stoff zu Boden glitt, und sie in langer Chemise, Unterrock und den schlammverkrusteten Strümpfen an den Beinen dastand.

    Erschrocken keuchend sah sie an sich herab. Das Blut, das ihr Kleid beschmutzt hatte, war bis zu ihrer Unterwäsche durchgedrungen. Abscheuliche rostrote Flecken bedeckten ihre Chemise und Unterröcke. Einen Moment lang wurde ihr übel, und sie musste sich am Kaminsims festhalten, um sich zu stützen. In diesem Moment war sie wieder in Captain McNairs Arbeitszimmer und griff nach dem Brieföffner, der so leicht in sein weiches Fleisch gedrungen war. Amelia hörte sich schluchzen bei dem Gedanken daran, was sie getan hatte, bei der Erinnerung an das grellrote Blut, das durch sein Hemd gesickert war, und der Erkenntnis, dass sie die schlimmste aller Sünden begangen hatte. Tagelang war sie gelaufen in einem verzweifelten Versuch, aus diesem verfluchten Zimmer zu fliehen, und sie hatte keinen Moment innegehalten, um zu überlegen. Bis jetzt. Hier, während das Kaminfeuer ihre Haut langsam erwärmte, machte Amelia sich zum ersten Mal klar, dass ihr Leben nie wieder so sein würde wie vorher.

    Edward erwachte alarmiert. Er hatte schon immer einen leichten Schlaf gehabt. Jedes Geräusch, selbst der Ruf eines Tieres eine halbe Meile entfernt, genügte, um ihn aus seinen Träumen zu reißen. Einen Moment lang blieb er reglos liegen, rührte keinen Muskel, doch dann wusste er: Es war jemand im Haus. Er konnte die Person unten sich bewegen hören – ihre leisen Schritte, das Rascheln von Stoff. Augenblicklich war er auf den Beinen und knurrte gereizt bei dem Gedanken, dass es einen Eindringling in seinem Haus gab. Die kühle Nachtluft ließ ihn schaudern, und er fühlte Zorn in sich aufwallen.

    Schnell durchquerte er den Raum, warf sich den Morgenmantel über und packte den Feuerhaken vom Kamin statt einer konventionelleren Waffe. Trotz all der Jahre, da Edward allein lebte, zweifelte er nicht an seiner Fähigkeit, jeden Einbrecher besiegen zu können, selbst wenn es mehrere waren und bewaffnet. Zwar war er kein gewalttätiger Mensch und zog bei Weitem seine Bücher und Zeichnungen vor, doch mit seiner Größe von über einem Meter achtzig verfügte er über das nötige eindrucksvolle Auftreten.

    Er ging auf Zehenspitzen, um zu überraschen, wer immer in sein Haus eingebrochen war. So erreichte er den Fuß der großen Treppe und hielt vor dem Salon inne.

    Der Anblick, der sich ihm bot, als er die Tür aufstieß, war völlig unerwartet. Vor dem Kamin stand eine junge Frau, die gerade dabei war, sich auszuziehen. Edward musste schlucken. Sie hatte bereits Kleid und Unterrock abgelegt und trug nur noch ihre Chemise und Strümpfe am Leib. Beides war vom Regen völlig durchnässt, schmiegte sich auf entschieden skandalöse Art an ihren Körper und enthüllte sehr viel mehr, als sonst der Fall gewesen wäre.

    Während er sie noch anstarrte, rutschte ihr die Chemise von der Schulter und entblößte die cremeweiße Haut darunter. Die junge Frau bückte sich und begann, ihre Strümpfe herunterzurollen. Ein tiefer Seufzer entfuhr ihr, während sie sich den nassen Stoff von den Beinen schälen.

    Edward war sich bewusst, dass er schon viel zu lange still zusah, was einem Gentleman nicht zur Ehre gereichte, aber später rechtfertigte er sich damit, dass er sich in einem Ausnahmezustand befunden hatte, weil er eine halbnackte Frau in seinem Salon vorgefunden hatte. Lange vergessene Gefühle erwachten in ihm, während er beobachtete, wie die geheimnisvolle Frau sich reckte und den Kopf in den Nacken sinken ließ. Am liebsten hätte er sie in die Arme gerissen, ihr die restliche nasse Kleidung ausgezogen und sie vor dem Feuer auf den Boden gelegt.

    Augenblicklich bekam er ein schlechtes Gewissen. Er liebte seine Frau, und sie fehlte ihm jeden Tag, aber es war sehr lange her, seit er Kontakt mit einem Menschen gehabt hatte.

    Gerade als er sich räuspern wollte, hielt er inne und runzelte die Stirn. Bisher hatte er nicht auf den Zustand ihrer Kleidung geachtet, weil die Tatsache, dass die fremde Frau fast nackt war, ihn abgelenkt hatte. Doch jetzt bemerkte er die rostroten Flecken auf der Chemise und dem Kleid, das sie über einen Sessel gelegt hatte. Wenn er sich nicht irrte, waren sie mit Blut bedeckt, und es sah nicht so aus, als wäre es ihr eigenes.

    Edward räusperte sich. Die junge Frau wirbelte herum, machte große Augen und schrie entsetzt auf. Es war ein so durchdringendes Geräusch, dass es Edwards Schädel zu durchbohren schien und ihn unerträglich reizte.

    „Wollen Sie gefälligst still sein?", brüllte er.

    Sofort presste die junge Frau die Lippen zusammen. Sie wich verängstigt vor ihm zurück, und Edward seufzte. Er wünschte, er läge wieder oben in seinem Bett, statt dieses Melodrama mitzumachen.

    Er wollte diese junge Person aus seinem Haus weisen, sie und ihre Probleme sozusagen aus der Tür hinausschieben und vergessen, dass sie je hier gewesen war.

    „Was machen Sie hier?", fragte er und verzog leicht das Gesicht, als seine Worte eher wie ein Knurren klangen als wie eine Frage.

    „B…bitte tun Sie mir nichts", stammelte sie.

    „Ich werde Ihnen nichts tun", erwiderte er mit der freundlichsten Stimme, die er aufbringen konnte. Er versuchte sogar zu lächeln, doch das Entblößen seiner Zähne veranlasste die Fremde nur dazu, noch weiter vor ihm zurückzuweichen und voller Angst zu wimmern.

    Er ging einige Schritte auf sie zu. Sie musste bei Bewusstsein bleiben, wenn er seine geliebte Einsamkeit so bald wie möglich wiedergewinnen wollte. Während er sich ihr näherte, sah Edward sie kurz schwanken. Einen schrecklichen Moment lang fürchtete er, sie könnte in Ohnmacht fallen und ihm damit ein noch größeres Problem aufbürden. Doch sie schaffte es, sich zu fangen.

    „Was tun Sie hier?", wiederholte er, diesmal etwas sanfter. Er versuchte, sich zu erinnern, wie er sich früher mit den Menschen verständigt hatte, als er noch ein erfolgreiches, florierendes Gut geführt hatte, öffnete langsam die Hände, um ihr zu zeigen, dass er keine Bedrohung darstellte, und sah der bebenden jungen Frau in die Augen.

    Sie schien sich ein wenig zu entspannen, und Edward wurde neugierig. Jetzt war er näher gekommen und sah den Zustand, in dem sie sich befand – ihre Chemise war blutbedeckt, aber auch ihr ganzer Körper war schmutz- und schlammverkrustet. Unzählige Kratzer und blaue Flecken verunzierten ihre Beine, und unwillkürlich fragte Edward sich, vor welchen Schwierigkeiten sie davonlief.

    „Ich musste irgendwo die Nacht verbringen und Schutz vor dem Gewitter suchen", antwortete sie leise.

    Edward spürte, dass es mehr sein musste als das. Eine vornehme junge Dame wanderte nicht mutterseelenallein durch die Hügel von Sussex, mit Blut bedeckt und bis auf die Knochen durchnässt. Er öffnete den Mund, um sie weiter zu bedrängen, änderte aber seine Meinung. Worin sie auch verwickelt sein mochte, wovor sie auch davonlief – er wollte es gar nicht wissen. Er wollte sein Haus wieder für sich allein haben, und er wollte, dass sie von hier verschwand.

    Einen Moment später fuhr sie stockend fort: „I…ich dachte, das Haus ist verlassen." Während sie sprach, schlugen ihre Zähne aufeinander.

    „Das sieht nur so aus, meinte er etwas schroff. „Sie gehen besser nach Hause.

    Hastig sah sie zu ihm auf, und er las Verzweiflung in ihren Augen. „Ich kann nicht nach Hause gehen."

    „Dann zu einem Freund, einem Verwandten. Irgendjemanden muss es doch geben, der Sie aufnehmen wird."

    Doch sie schüttelte den Kopf. Edwards erster Impuls war, sich einzureden, dass sie nicht sein Problem war und er sie in die Nacht hinausschicken und vergessen sollte, dass sie jemals hier gewesen war.

    „Sie könnten im Wirtshaus im Dorf übernachten."

    „Nein", sagte sie und schüttelte den Kopf.

    „Wie heißen Sie?", fragte er.

    „Amelia."

    „Nun, Amelia, hier können Sie jedenfalls nicht bleiben." Er gab sich Mühe, die Worte freundlich auszusprechen, aber sie klangen dennoch barsch, fast wie ein Befehl. Also war es nicht verwunderlich, dass sie zusammenzuckte, als hätte er sie geschlagen, und Edward bekam sofort wieder ein schlechtes Gewissen.

    Schweigen breitete sich aus, während er auf ihre Antwort wartete, und dabei fiel ihm auf, dass Amelia am ganzen Körper zitterte. Sie war sehr blass geworden, und plötzlich sah er, dass ihr Blick ein wenig gläsern geworden war. Offenbar war sein Eindringling kurz davor zusammenzubrechen.

    Mit schnellen, entschlossenen Schritten war Edward bei ihr, packte sie bei den Schultern und zwang sie sanft, aber entschieden, sich in einen Sessel zu setzen. Er redete sich ein, dass er nichts davon hatte, wenn sie sich jetzt zu allem Überfluss auch noch den Kopf verletzte. Aber in Wirklichkeit konnte er das Mitgefühl nicht verleugnen, das sich tief in ihm regte und in solchen Momenten dafür sorgte, dass er sich wie ein anständiger Mensch verhielt. Als er ihre nackten Arme berührte, war er erstaunt darüber, wie kalt sie sich anfühlten. Zwar war er kein Arzt, doch Edward zweifelte nicht daran, dass sie sich eine Erkältung zuziehen würde oder gar Schlimmeres, wenn er ihr nicht bald half, trocken und warm zu werden. Er erinnerte sich an einen Tag, als er und seine Frau von einem Gewitter überrascht worden waren. Bevor sie das Haus erreicht hatten, waren sie bis auf die Haut durchnässt. Edward hatte die Kälte schnell abgeschüttelt, doch Jane hatte eine Woche lang mit Fieber im Bett gelegen.

    „Sie können nicht hierbleiben", wiederholte Edward leise, wie zu sich selbst. In Wirklichkeit wusste er, dass Amelia wahrscheinlich sterben würde, wenn er sie in diesem Zustand in das Unwetter hinausschickte.

    Mit einem gereizten Laut warf er ein Kissen vom Sofa vor das Kaminfeuer. Es landete mit einem dumpfen Laut auf dem Boden. Edward wollte nicht in eine solche Lage gezwungen werden, eine Geisel seines eigenen Gewissens. Er wollte sich wieder in sein Bett legen in einem Haus, das er allein bewohnte, ohne sich deswegen schuldig zu fühlen.

    Amelia sah ihn mit ihren großen dunklen Augen an, und er kapitulierte. „Eine Nacht, sagte er schließlich. „Sie können eine Nacht hierbleiben. Aber morgen ganz früh gehen Sie.

    Die Erleichterung in ihrem Gesicht hätte ihn erfreuen sollen – vor Jahren hätte es das getan. Edward erinnerte sich noch, dass er ein Mann gewesen war, der sich um andere Menschen sorgte, der keine Mühen gescheut hätte, um jemandem in Not zu helfen. Doch dieser Teil seiner Persönlichkeit schien mit so vielen anderen seiner Eigenschaften verdorrt und gestorben

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