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Die Halbwahrheitsgeschichte über den Hund des Botschafters: Ein ernsthaft-erheiternder Roman
Die Halbwahrheitsgeschichte über den Hund des Botschafters: Ein ernsthaft-erheiternder Roman
Die Halbwahrheitsgeschichte über den Hund des Botschafters: Ein ernsthaft-erheiternder Roman
eBook325 Seiten4 Stunden

Die Halbwahrheitsgeschichte über den Hund des Botschafters: Ein ernsthaft-erheiternder Roman

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Über dieses E-Book

"Kann man sich selbst verlieren?" Solche und andere Fragen beschäftigen die sozialkritische Marilena, die sich im Leben blockiert fühlt, aber niemals aufgibt. Sie lebt mit ihren beiden Hunden zurückgezogen auf einem heruntergekommenen Gehöft und hält sich mit Nebenjobs einigermaßen über Wasser, als plötzlich aus dem Nichts ein geheimnisvoller Mann in ihr Leben tritt, der ihr die Erfüllung all ihrer Träume verspricht. Skeptisch aber einsam, erliegt sie bald den verlockenden Worten des Fremden - dann geschieht etwas sehr Merkwürdiges…
Ein leise zwinkernder, spannender Thriller über tiefste Sehnsüchte und finsterste Machenschaften, über große Enttäuschungen und großartige Visionen, über das Leben und die Liebe, "sprechende" Hunde, eine geheimnisvolle Kiste und den Mut, das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.
Hochinteressant, berührend und fesselnd: Lesen!
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum28. Feb. 2018
ISBN9783746900421
Die Halbwahrheitsgeschichte über den Hund des Botschafters: Ein ernsthaft-erheiternder Roman

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    Buchvorschau

    Die Halbwahrheitsgeschichte über den Hund des Botschafters - Daria Reiter

    Vorspann

    Marilena lehnte sich zurück, der wunderbare Autositz gab feinen Duft nach Ledergerbemittel ab. Brandneu war das ganze Gefährt,

    dessen Motorenklang eine ungeheure Potenz erahnen ließ. Trotzdem schienen sie fast lautlos durch die Nacht zu fliegen. Metallisiert silbrig strahlend und mit flimmernden Felgen. Auf dem Rücksitz lag, unter einer ebenfalls neuen Decke, der Koffer voller Geld. Es war so viel, dass sie es gar nicht hatte zu Ende zählen können.

    Kleine, blaue Orientierungslichter zogen perspektivische Leitlinien bis zu den dunklen Berg-Silhouetten am Horizont der kahlen Gegend, durch welche sie auf einer leeren Autobahn fuhren. Links in weiter Ferne ließ eine Ansammlung von Lichtersmog eine Stadt vermuten. In absehbarer Zeit

    würden sie im Hafen sein, wo die Fähre wartete.

    „Inmunidad, Befreiung, Unverletzlichkeit, taufte Marilena in Gedanken die neue Klinik, ihr „Heilshaus und stellte sich vor, wie ein großes Schild mit diesem Namen über dem Steinbogen der Einfahrt in das verwaiste Dorf auf der Insel angebracht wurde. Endlich würde sich ihr Traum realisieren lassen, immer mehr freie Menschen würden dort wohnen.

    Sie vermisste jetzt nur ihre Hunde, aber die würden auch bald wieder bei ihr sein. Lächelnd schaute sie zu Eutimio, der mit verklärtem Gesicht am Steuer saß. Noch nie hatte er ein solches Auto fahren dürfen! Liebevoll umfassten seine Hände das stattliche Lenkrad. Er genoss es sichtlich, das perfekt reagierende Gefährt zu steuern.

    Wie und wann hatte das alles eigentlich begonnen?

    Eutimio tippte auf geheimnisvolle Knöpfe – aus den eingebauten Boxen ertönte langsam lauter werdende Musik, in klarstem Ton.

    Träumte sie? Nein! Sie öffnete die Augen. Ein leichter Regen schien auf die Windschutzscheibe aufzutreffen, der sogleich von Scheibenwischern entfernt wurde. Es regnete nicht, Eutimio hatte auf weitere Knöpfe gedrückt. Marilena sah jetzt durch die klare Scheibe die Sterne, die funkelnd und plastisch im Himmel hingen. Sie griff an der Seite des Sitzes hinunter und stellte die Sitzlehne zurück. Jetzt konnte sie sich entspannen.

    Es hatte vielleicht an jenem Abend begonnen, als es so richtig regnete …

    1. Kapitel

    Es geschah aber zu der Zeit, als Obama Statthalter in den vereinigten Staaten von Amerika war.

    Wenn es nach mir ginge, sollte man das Wetter per Knopfdruck ändern können, dachte Marilena und stampfte auf das Eisengitter vor der Haustür eines alten, schmucklosen, vierstöckigen Wohnhauses, um ihre Schuhe von ein paar Erdklumpen zu befreien. Sie hatte ihren Lieferwagen auf eine Wiese hinter das Haus gestellt und war beim Aussteigen auch noch in eine Pfütze getreten. Das Gitter schepperte, doch das ging im Geräusch des starken Regens unter, der auf ein Blechdach prasselte. Die Dämmerung war schon fortgeschritten.

    „Buh!" schimpfte sie, strich den lehmigen Dreck an dem speziell dafür in der Hauswand eingelassenen Eisen ab und schüttelte den Kopf. Viel halblanges, braunes, heute eher gekraustes Haar und Wassertropfen flogen herum. Jeans und Jacke waren einfach, doch in den Kleidern steckte eine schöne Gestalt. Jetzt aber nass! Es geht eben meistens nicht nach mir, dachte sie weiter, sie musste das Leben einfach wieder einmal aushalten, wie es war.

    In keinem der vier leer stehenden Gebäude des alten, stillgelegten Bauernguts brannte Licht. Auch das große Wohnhaus, vor dem sie stand, war dunkel. Eigentlich war es ein Wunder, dass sie und der alte Knerzi, der sein Leben lang hier wohnte, noch darin bleiben durften. Eine lange Geschichte verband Marilena mit diesem mehr als hundertfünfzig Jahre alten, nie renovierten Hof und Haus, in welchem sie sich diesmal eingemietet hatte. Das Ganze gehörte jetzt einer Gesellschaft, auch stand alles unter irgendeinem Schutz. Aber niemand gab Geld zur Erhaltung der Gebäude aus. Vor langer Zeit war es der stolze, blühende Besitz ihrer Großeltern gewesen! Vielleicht hatte sie ja auch schon im letzten Leben hier gewohnt, dachte Marilena. Sie hatte manchmal eigenartige Visionen …

    Sie zog die hölzerne, lose in den Angeln hängende Tür des seltsamen, angebauten Treppenhauses mit eingeübtem Trick und Schwung auf und griff nach dem wackeligen Drehschalter für das Licht. Die Sparlampe flackerte langsam auf. Dann sah Marilena sich nach ihren Vierbeinern um, die nach dem Sprung aus dem Auto und über die Pfütze mit einem raschen Spurt in die Tenne oberhalb des Stalles verschwunden waren. Zwei Hündinnen, nicht sehr, doch fast gleich groß, aber völlig unterschiedlich in Aussehen und Charakter. Sibi, vermutlich Nackthund x Pudel, zierlich und empfindlich, mit feinen, dünnen, beigen, unendlich wachsenden Härchen. Die Arme musste immer wieder geschoren werden. Jögge hingegen sah aus wie ein Miniatur-Bordercollie, robust und gesund, schwarz und weiß, getupft und gefleckt und leicht gelockt im immer gleich schönen Fell. Sie hetzten wohl gerade wieder einmal die schwarze Nachbarskatze, die sich in die Scheune verzogen hatte. Eigentlich durften die Hunde hier gar nicht frei herumrennen. Aber Schluckser, wie Knerzi und Marilena den pingeligen Verwalter mit den Frettchenzähnen nannten, war mit doppelter Sicherheit nicht hier – einmal die Zeit und dann noch dieses Wetter – und schließlich hatten die Hunde sich lange im Wagen stillhalten müssen. Ihnen tat ein bisschen rennen also sicher gut. Und in der Tenne wurden sie nicht nass.

    Durch Marilenas Sinn streifte einen Moment die gleichzeitig kriecherische und unverschämte Art dieses Verwalters. Sie schnitt eine Grimasse.

    „Sibi, Jögge!" Marilenas Ruf war nicht sehr laut – sie ließ die Tür einen Spalt offen. Die Hunde würden bestimmt bald kommen, denn es war Futterzeit. Jetzt war sie endlich im Trockenen! Immerhin!

    Sie stieg in dem kargen Licht die knarrende Treppe hoch.

    Das Dorf, in welchem dieser alte Hof wie ein vergessenes Relikt aus vergangenen Zeiten stand, war unterdessen schon eher ein Vorort der nahen Stadt, mit vielen modernen Bauten.

    Auf halber Höhe kam aus Knerzis Wohnung ein eigenartiger Duft. Er verkaufte Sammlungen und alte Nippes aller Art. Außerdem balancierten bei ihm, schon fast zahm, immer ein paar Mäuse auf den Gas- und Wasserleitungen den Wänden entlang, denn er warf ihnen Essensreste hinter den Herd, auf welchem auch meistens in schmutzigen Töpfen Beutelsuppe und alter Kaffee vor sich hin brodelte. Er schlief wohl schon, stand mit den Hühnern auf – aber solche hatte es auch keine mehr auf dem Hof. Knerzi trauerte seit 30 Jahren seiner Ex nach, die ihn nach kurzer Ehe verlassen hatte.

    Marilena wohnte eine Etage höher. Während sie am Holzlager vorbei weiter die steile Treppe bezwang, dachte sie über Schmarotzer und das menschliche Unterscheidungsvermögen nach. Schädlinge im eigenen Heim füttern. War das Tierliebe?

    Nun kamen auch schon – Trapp, Trapp, Trapp – Sibi und Jögge hinter ihr die Treppe hoch. Wie lange schafften die das noch schadlos, fragte sich Marilena, denn Treppensteigen tat deren Physiologie nicht gut, hatte sie sagen hören.

    Sie wohnte schon etwas trist, fand sie, aber in der Wohnung drinnen war es gemütlich, dort gefiel es ihr. Und der Mietzins war erfreulich niedrig. Eigentlich war doch das alte Bauerngut wie eine Oase in moderner Betonwüste, tröstete sich Marilena selbst. Und ihre Wohnung erst recht. Da gab es in der holzgetäferten Stube einen schwedischen Kaminofen; ein bequemes Sofa mit Kissen und Decken; einen Clubtisch mit viel Platz für allerlei Krimskram und am Boden weiche Teppiche. Ihre Topfpflanzen gediehen prächtig und auf einem Regal standen neben alten Büchern ein paar geerbte, künstlerische Unikate, die von ihrem Vater stammten und von denen sie sich nie getrennt hatte. Sie hatte auch noch ein geräumiges Schlafzimmer und ein Büro. Die Sonne schien fast den ganzen Tag hinein – wenn es nicht regnete. Sie heizte den Ofen ein – bald würde es heimelig und warm werden.

    Aus der Küche klapperte es, die Hunde leckten ihre Blechteller leer. Marilena hatte sich der nassen Kleider entledigt und einen kuscheligen Hausanzug angezogen. Sie schaute zum Fenster hinaus und erinnerte sich, wie es in ihrer Kindheit hier war. Gegenüber, auf der früheren Rinderweide, standen jetzt Reihenhäuser und auf der Kuhweide waren riesige Bauten erstellt worden, mit unzähligen Wohnungen. Ihre Großmutter, die Bäuerin, würde sich im Grab umdrehen, wenn sie es erführe! Und ihre Mutter hatte einen Künstler geheiratet! Nichts lief mehr danach. Die Blütezeit des landwirtschaftlichen Gutes war einfach zu einem Ende gekommen. Niemand hätte das aufhalten können.

    Als die Bebauung begann, war Marilena weit weggezogen, auf eine Insel, wo sie einem spirituellen Lehrer begegnete und begann, dessen Anweisungen zu befolgen. Dort blieb sie ein paar Jahre. Man hatte sie mit ein bisschen Geld abgespeist. Ihre Mutter hatte das Gut aber schon verkauft, als es noch kein Bauland war. Andere hatten das große Geld gemacht damit.

    Schlecht waren die Jahre auf der Insel nicht gewesen, doch schließlich kehrte sie wieder in ihre Heimat zurück, denn sie wollte arbeiten, besser gesagt, sie musste ihren Lebensunterhalt verdienen!

    Unterdessen ertrug Marilena den Anblick der Neubauten, ja es war ihr sogar recht wohl dort, wieder in dem alten Haus. Die Nachbarn schauten sie zwar manchmal etwas schräg und von oben herab an, weil sie nicht nach dem nun rundum geltenden Standard lebte. Aber dafür hatte sie keine Schulden, wie viele von denen. Sie fühlte sich mit ihrer Lebensart unabhängig – das war ihr die Hauptsache.

    Geld verdiente sie jetzt gerade vorwiegend mit Kurierfahrten. Das machte sie gerne – aber es lohnte sich nicht so recht.

    Eigentlich hatte sie ja ein gutes Diplom in Krankenpflege. Marilena legte sich auf das Sofa und zappte durch ein paar Programme am Fernseher. Es lief nichts Interessantes.

    Wie könnte sie nur mehr verdienen, fragte sie sich. Bevor sie auswanderte, hatte sie Vollzeit in psychiatrischen Anstalten gearbeitet. Sie hatte dies nach ihrer Rückkehr auch wieder versucht, sich jedoch nicht mehr zurechtgefunden in dieser Welt voll von spitzfindigen Intrigen, Machtspielen und dem Missbrauch der Patienten durch die Pillenindustrie. Sie hatte es schon früher bemängelt, aber gedacht, es sei vielleicht unterdessen besser geworden – doch es war alles noch schlimmer als damals. Ja, das Gesundheitswesen selbst empfand sie unterdessen als krank, gelinde gesagt. Vor allem diejenigen, die dort arbeiteten …

    Ach, sie sollte nicht so denken, sie selbst arbeitete ja auch immer noch dort – manchmal – und es gab auch nette Arbeitskolleginnen und -kollegen, aber der Moloch der Hierarchie und des Profites … Eigentlich wollte sie damit wirklich nichts mehr zu tun haben, half aber aus, wenn jemand nächtliche Einzelbetreuung brauchte. Das ging gerade noch – und nirgends sonst verdiente sie so viel. Wegen all dem arbeitete sie auch noch bei einem Verein, der Hilfe suchende Menschen telefonisch beriet. Das konnte sie wenigstens zu Hause am Computer machen, und so kam gerade genug zum Überleben zusammen.

    Dieser Verein stellte Menschen, welche sich als zu Unrecht in eine psychiatrische Klinik eingewiesen empfanden, rechtliche Hilfe zur Verfügung, damit sie wieder heraus kamen. Dies funktionierte mit Unterstützung eines Anwaltes auch meist erstaunlich schnell. Aber sehr oft waren dieselben Menschen nach kurzer Zeit schon wieder drin. So war auch dieser Verein eine etwas abgedriftete Sache, fand Marilena. Die Psychiatrie sollte man in Frage stellen, ja. Aber es gab da doch auch berechtigte Aspekte. Das sah der Chef dieses Vereins, der sich „Anarchist" nannte, nicht so. Aber Politik interessierte Marilena wirklich nicht. Sie war auch von dieser Arbeit enttäuscht, denn sie hatte gehofft, den betroffenen Opfern telefonisch Trost bieten zu können – doch dazu blieb kaum Zeit.

    Der Verein lebte von Spenden und bezahlte einen bescheidenen Lohn. Genug Geld zum Überleben zu haben, war aber einfach nicht genug! Und ihr scheinbar so sinnloses Dasein langweilte sie.

    „Ich möchte so gerne irgendetwas richtig Interessantes erleben!", sagte sie zu ihren Hunden, die jetzt mit ihr auf dem Sofa lagen. Die wedelten zur Antwort mit den Ruten und rutschten näher zu ihr.

    Am nächsten Morgen hatte der Missmut sie ziemlich im Griff! Zum Glück hatte sie ihre Hunde! Wenn diese sie mit ihren Näschen sanft anstupsten, um sie daran zu erinnern, dass sie den Wecker schon abgestellt hatte, rappelte sie sich hoch.

    „Ihr seid doch in Wahrheit Katzen!", stöhnte sie. Sie amüsierte sich manchmal über diese Trickfilme, wo Katzen alles Mögliche und Unmögliche erfanden, damit sie gefüttert wurden. Essen und schlafen, essen und schlafen. Wo war die gute Zukunft, an die sie glauben wollte?

    Sie lebte schon lange als Single. In jüngeren Jahren hatte sie ganz normal nach dem richtigen Mann gesucht – ihn aber nicht gefunden. Beziehungen arteten einfach in Dramen und Abhängigkeiten aus, fand sie nach ein paar missglückten Versuchen.

    Sie hatte auf der Insel bei dem Lehrer nach dem wahren Sinn des Lebens gesucht – und ein paar Antworten gefunden. Aber auch nicht sonderlich befriedigende – oder sie hatte nicht wirklich verstanden, worum es ging. Sie hatte, weil sie einfach nicht mehr daran glaubte, etwas verändern zu können, nach Gott gesucht – und ein bisschen sich selbst entdeckt dabei. Na immerhin, dachte sie. Aber was sie um sich herum und auf der Welt sah, gefiel ihr immer noch nicht, sie wollte es gar nicht mehr sehen – oder es stimmte sie missmutig, weil sie erneut zu dem Schluss gekommen war, dass sie es nicht ändern konnte. Immer wieder holte sie dann so ein Gefühl der Leere und Sinnlosigkeit ein. Sie war ja wohl schon eine etwas frustrierte, gelangweilte Jungfer geworden, dachte sie.

    Beim Kaffeekochen kam ihr wieder die verlockende Idee, dass ihr mit viel Geld wirklich nicht langweilig wäre, sie bremste aber gleich wieder. Denn sie fand solche Gedanken nicht bescheiden, nicht spirituell. Sie wollte eben doch den hohen Idealen entsprechen.

    Das Wetter würde heute besser werden, hörte sie aus dem Radio. Sie wollte auch noch Nachrichten am TV sehen und begab sich mit der Kaffeetasse in die Stube. Es wurden gerade die Aktien-, Goldund Silberkurse angezeigt.

    Eigentlich mochte sie Geld nicht. Bei Geld ging es doch immer gleich um Angst und um Macht, genauso wie bei Waffen, da waren die Menschen sich offensichtlich einig: Wer die Pistole in der Hand hält, befiehlt. Wer das Geld hat und zahlt, befiehlt. Letzteres einfach eine Stufe subtiler. Und diejenigen die Geld hatten, befürchteten es zu verlieren. Geldkrieg! Manchmal hörte sie sich online Beiträge der Anti-Zensur-Gilde oder anderer ausgefallener Sender an. Nachrichten am Fernsehen oder auch Zeitungsberichte fand sie auch schon immer öfters subtil manipulativ und massenhypnotisch. War sie vielleicht eine komische „Alternative geworden, fragte sie sich? „Normal konnte man sie wohl kaum nennen. Ach, sie versuchte ja ganz brav und normal zu sein – nur gelang ihr das ziemlich schlecht. Sie stöhnte. Beruhten die allgemeinen Annahmen über Geld möglicherweise auf Denkfehlern? Wie könnte man Geld machtlos anwenden, sozusagen diesem sicherlich notwendigen Tauschmittel die Macht entziehen?

    Wer die Liebe hat, hat die höchste Macht, hörte sie innerlich den spirituellen Lehrer sagen. Aber … die Liebe? Zu wem? Zu was? Sie liebte ihre Hunde!

    Theoretisch meinte sie schon zu wissen, worum es ging: Um die unpersönliche Liebe. Handeln ohne Ego. Wie langweilig! Keine persönlichen Wünsche mehr haben, auf alles verzichten – inklusive aller Genüsse und Emotionen. So, hatte sie verstanden, erlange man Egolosigkeit und Erleuchtung. Aber sie hatte doch schon auf so vieles verzichtet – und verzichten müssen! Erleuchtet fühlte sie sich jedoch ganz und gar nicht.

    Erleuchtung erlangen wäre schon gut, was das auch immer war. Aber mit viel Geld würde sie eine Klinik kaufen und gewisse Ärzte entlassen und andere anstellen, die einen hippokratischen Eid noch ernst nahmen und für das Wohl der Menschheit handelten und nicht für das Wohl des Wirtschaftswachstums!

    Und weiter würde sie sich ein Wohnmobil kaufen und mit ihren Hunden herumreisen. Jawohl! Und ein Haus hätte sie, mit schönen Treppen, nicht zu steil, wegen der Hunde – und mit einem großen Garten, wo Sibi und Jögge frei herumtollen könnten. Diese Gedanken heiterten sie sofort auf. Aber wenn sie an ihren Kontostand dachte, fiel ihre Laune gleich wieder ab. Morgen würde sie sich einen Lottoschein kaufen!

    Am nächsten Tag kam Marilena in der Buchhandlung, wo sie den Lottoschein kaufte, ein Buch in die Hand, das sie interessiert zu lesen begann. Es handelte von Quantenphysik und der wissenschaftlichen Wahrheit über Energie und Materie. E=mc² habe schon Einstein gewusst. Das bedeute, dass eigentlich auch Materie Energie sei, es gebe da gar keinen Unterschied zu geistiger Energie, nur in der Dichte und Schwingung. Und weiter stand da, der innerste Kern jedes Energieteilchens, ob fest oder in ätherischer Form, reagiere auf Gedanken! Wasser erst recht. Und der Mensch und die meisten Materialien seien vorwiegend aus Wasser – und es sei deshalb alles von Gedanken von beseelten Wesen beeinflusst – ein Gedanken-Spiel, das wir als Menschen hier auf der materiellen Erde spielen. Aber leider heiße dieses Spiel für die meisten kurz zusammengefasst: „Beschränkung"!

    Die Wahrheit aber sei, dass wir vollkommen freie, unlimitierte, geistige Wesen seien. Und alles, was das Gegenteil zu bestätigen scheine, sei einfach eine perfekte Täuschung, entstanden aus falschem Denken. Genau darauf war Marilena ja auch schon gekommen!

    Sie hatte heute keine Verpflichtungen und las fasziniert weiter: Im zweiten Teil dieses „Leben-Beschränken-Spiels, hieß es im Buch, wenn man bereit sei, aufzuwachen, müsse man sich dauernd dieser Seins-Wahrheit bewusst sein, um unbeschränkt und unlimitiert leben zu können. Man solle tun, was einem gefällt und tiefe Entschlüsse fassen – und alles Notwendige sei schon getan! Geld sei mit freundlicher Wertschätzung und dankbarer Anerkennung für erhaltene Leistungen wegzugeben. Das sei der ganze Schlüssel zu unendlichem Reichtum. Ja, sogar zu totaler Gesundheit! Nichts mehr und nichts weniger! Ein seiner Spiritualität stets bewusster Mensch habe für seine tief gefassten Vorhaben immer genügend Energie und Geld, ohne dass der alte Weg des mühsamen Abrackerns und Geldverdienens nötig wäre. Ein Umstand, der für den menschlichen Verstand nicht nachvollziehbar sei, weil er anders, und meistens nur auf „überleben trainiert sei. „Geld bewusst, fröhlich und dankbar weggeben" sei ein Gedankengang, eine Handlung, ein Gefühl, das trainiert und somit gesteigert werde, je mehr man es ausübe, genauso wie andere Gedankenmuster, Fertigkeiten und Gewohnheiten. Das Geld-Ventil soll freudig geöffnet werden. Das habe dann zur Folge, dass die notwendigen Mittel zum Ausgeben im gegebenen Moment einfach in immer noch größeren Mengen und mit Freude nachfließen können – so wie die Lebensenergie, die allem innewohne, ja auch einfach da sei und fließe, wenn sie nicht vom menschlichen Denken gestoppt werde. Oder wie eine Fertigkeit, die man immer besser ausüben könne.

    Die Überzeugung, wenn man weggebe, habe man anschließend weniger, sei kurzsichtig, einseitig, ja falsch. Sie bestätige sich vermeintlich, weil die Menschen, die daran glauben, nur diese Seite wahrnähmen und schlechte Gefühle mit Geld ausgeben verknüpften. Diese würden so den Lebensfluss verstopfen, mit anderen Worten richtiggehend verhindern, dass mehr als genug zum Überleben herein kommen könnte.

    Ein Mensch aber, der das begriffen habe, sei immer im Besitze der notwendigen Energie und Summe, wenn er sich zu etwas tief entschlossen habe. Nicht vorher und nicht nachher. Aber es brauche Vertrauen und Wissen, dass Freude immer vorhanden sein kann!

    Eine praktische Anleitung, sich verrückt zu benehmen! Aber Marilena fand das nun wirklich auch sehr interessant, und die Idee, dass möglicherweise rundum alles, was sie nicht mochte, nur auf Denkfehlern beruhte, ließ sie nicht mehr los. Sie wollte es ausprobieren! Da konnte sie sich als erstes fortan schon einmal auf die Rechnungen im Briefkasten freuen!

    „Ein Koffer voller Geld kommt her zu mir!, rief sie in die Küche, wo Sibi und Jögge neben ihren Fresstöpfen saßen und sie zuerst erstaunt und dann nachdenklich anschauten. Das hatten sie so noch nie gehört! Keine fühlte sich betroffen, sie waren ja schon da, und „Fastentag! schien es auch nicht zu bedeuten, denn Marilena verteilte Futter in die Näpfe. „Ihr macht doch meistens, was ihr wollt", sagte sie sinnierend zu den schmatzenden Tieren. Ihre Hunde müssten also nach diesen Theorien eigentlich sehr reich und glücklich sein, dachte sie weiter. Die waren das ja auch, bekamen immer alles, was sie brauchten, aber die gaben kein Geld aus. Darum hatten sie auch keines. Und sie selbst gab auch so wenig wie möglich aus. Sie begann, über ihre eigenen Gedanken zu lachen. Wenn es so einfach wäre …!

    Tags darauf hatte Marilena Dienst für den Antipsychiatrischen Verein am Computertelefon. Sie nahm sich Kaffee mit in ihr kleines Büro und startete die Apparate. Manchmal wusste sie mit den Fragen, welche die Anrufer stellten, weder ein noch aus. Sie war über ein Chat-Sofortnachrichtenprogramm mit anderen von derselben Organisation verbunden, so konnte sie diese um juristischen Rat fragen, wenn sie nicht weiter wusste. Es hatten schon drei Personen angerufen. Jede Eingabe an das Gericht musste unterschiedlich, je nach Bezirk, durchgeführt werden und gab viel zu tun. Sie empfand es als schikanös. Nun kam auch noch auf dem speziellen Chat-Programm eine neue Meldung herein: Ein Fremder, der darum bat, in ihre Kontaktliste aufgenommen zu werden. Sie beachtete es zunächst gar nicht. Dann schaute sie aber doch hin, denn es irritierte sie, dass der neue Kontakt sich als „Botschafter" betitelte: Luis C. Sussman, Botschafter – und dass er ein ziemlich hohes Alter hatte. Der war ja schon fast so alt wie ihr Papa jetzt wäre. Schmerzlich erinnerte sie sich für einen Moment an dessen frühes Hinscheiden.

    Aber was wollte dieser Mann von ihr? Hatte das vielleicht mit dem anarchistischen Verein zu tun? Oder wollte sich dieser Betagte mit „Botschafter wichtigmachen? Aber auf diesem speziellen Programm war es eigentlich nicht üblich, dass Anfragen von irgendwelchen Fremden einfach so hereinkamen. Der telepathische Aspekt der Kontakte über Chat-Programme ohne Webcam faszinierte Marilena aber schon. Da sprach man ohne Ton mit einem Menschen, der, egal wo auf der Welt, mit einem in Verbindung stand. Durch das Wegfallen aller sonst zur Verfügung stehenden Sinne wie Augen, Ohren oder Nase, musste man sich hier voll auf die geistigen Antennen verlassen und nicht nachweisbare, feine Energien aufnehmen. Sie hatte jeweils sehr rasch ein Gefühl dafür, ob ihr eine Verbindung passte oder nicht. Außerdem kannte sie wenige Gesprächspartner, mit denen sie sich wirklich verstand. Vielleicht könnte der „Botschafter einer werden.

    Nachdem die Meldung eine Weile auf dem Bildschirm sichtbar war, klickte sie daher auf „Ja und das Fenster verschwand. Das Gefühl war angenehm – und das Wort „Botschafter… Es versprach, dass dahinter ein gebildeter, vielgereister Mann stand – und – vielleicht brachte er in ihr eher langweiliges Leben neues Potential mit einer interessanten „Botschaft"?

    Es existierte ein solcher Botschafter, laut einer flüchtigen Recherche, die sie startete. Schon kam wieder ein Anruf eines Hilfebedürftigen auf dem Antipsychiatrischen Vereinstelefon. Sie dachte nicht mehr weiter übers Chatten und diesen Botschafter nach.

    Ein paar Tage später, als sie wieder am Computer arbeitete, meldete er sich.

    SUSSMAN: Hallo meine Liebe.

    So vertraulich? Sie betrachtete die Meldung.

    Wieder fragte sie sich, was es mit diesem Profil auf sich hatte. Sie fühlte tatsächlich etwas auf sich zukommen, sie fand es interessant. In seinem Profil zeigte er sich auf einem wirklich guten Foto, er lachte selbstsicher, gutaussehend und freundlich in die Kamera. Sie antwortete:

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