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Das Haus Zamis 13 - Geschwisterblut
Das Haus Zamis 13 - Geschwisterblut
Das Haus Zamis 13 - Geschwisterblut
eBook365 Seiten4 Stunden

Das Haus Zamis 13 - Geschwisterblut

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Über dieses E-Book

Coco Zamis befindet sich auf dem Weg von Kalkutta nach Frankreich. Im Gepäck hat sie nichts weiter als ein Blatt Papier - eine Einladung zu einem mysteriösen "Familientreffen". Nur dass sie sich nicht daran erinnern kann, jemals eine Familie gehabt zu haben. Wer sind ihre Geschwister? Wer ihre Eltern? Langsam dämmert ihr, dass jemand ihr Gedächtnis manipuliert haben muss. Derselbe Dämon, der sie und ihre Geschwister nach Port Blanc zu locken versucht! Coco beschließt, das Spiel mitzuspielen, obwohl sich unter den Gästen in Frankreich der Betrüger verbergen muss, den es nach frischem Blut gelüstet ... nach Geschwisterblut!

Der 13. Band von "Das Haus Zamis".

"Okkultismus, Historie und B-Movie-Charme - ›Dorian Hunter‹ und sein Spin-Off ›Das Haus Zamis‹ vermischen all das so schamlos ambitioniert wie kein anderer Vertreter deutschsprachiger pulp fiction." Kai Meyer

enthält die Romane:
38: "Geschwisterblut"
39: "Das Labyrinth des Schicksals"
40: "Die lauernde Bibliothek"
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum1. Jan. 2013
ISBN9783955722135
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    Buchvorschau

    Das Haus Zamis 13 - Geschwisterblut - Uwe Voehl

    Geschwisterblut

    Band 13

    Geschwisterblut

    von Uwe Voehl, Rüdiger Silber und Dario Vandis

    nach einem Handlungsexposé von Uwe Voehl

    © Zaubermond Verlag 2012

    © Das Haus Zamis – Dämonenkiller

    by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

    Titelbild: Mark Freier

    eBook-Erstellung: story2go

    http://www.zaubermond.de

    Alle Rechte vorbehalten

    Was bisher geschah:

    Die junge Hexe Coco Zamis ist das weiße Schaf ihrer Familie. Die grausamen Rituale der Dämonen verabscheuend, versucht sie den Menschen, die in die Fänge der Schwarzen Familie geraten, zu helfen. Auf einem Sabbat soll Coco endlich zur echten Hexe geweiht werden. Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie der Dämonen, hält um Cocos Hand an. Doch sie lehnt ab. Asmodi kocht vor Wut, und das Verhältnis zwischen ihm und der Zamis-Sippe ist fortan von Hass geprägt.

    Coco allerdings interessieren die Intrigen ihrer Familie wenig. Sie würde sich aus den Angelegenheiten der Schwarzen Familie am liebsten vollständig heraushalten. Und der Lauf der Ereignisse gibt ihr Recht. Als ihr Vater Michael Zamis den Aufstand gegen Asmodi probt, gerät die Zamis-Sippe prompt in große Schwierigkeiten, aus denen nur Coco sie wieder befreien kann. Trotzdem willigt ihr Vater Michael Zamis ein, Coco auf unbestimmte Zeit zu verbannen – ein Bauernopfer, um den Ruf der Sippe nach dem gescheiterten Putsch zu retten …

    Voller Verbitterung tritt Coco ihre Reise nach Südamerika an – und stößt prompt auf Hinweise, dass auch Skarabäus Toth, der scheinbar ehrenwerte Schiedsrichter der Schwarzen Familie, gegen Asmodi intrigiert. Sein Versuch, eine Armee der Toten gegen das Oberhaupt zu entsenden, scheitert jedoch, weil Coco das Komplott im letzten Moment aufdeckt.

    Asmodi und Skarabäus Toth, die beiden Gegner, schließen einen Pakt, um die gemeinsame Erzfeindin Coco zu vernichten. Sie verwandeln Wien in eine Geisterstadt. Cocos Erinnerung an ihre eigene Sippe, die von Toth und Asmodi in Geiselhaft genommen wurde, ist auf einmal nur noch verschwommen vorhanden. Da erhält sie während eines Abenteuers in Indien eine Einladung zu einem »Familientreffen« in Frankreich.

    Welche Familie? Und wer ist der Absender? Coco macht sich auf den Weg, fest entschlossen, das Rätsel zu lösen ...

    Erstes Buch: Geschwisterblut

    Geschwisterblut

    von Dario Vandis

    1. Kapitel

    Port Blanc, 1832

    Danielle erwachte.

    Holte Luft.

    Und schrie.

    Sie schrie ihre Angst hinaus, die Angst, die sich mit eisigen Fingern in ihre Brust krallte, die in ihre Lunge stach, ihr Herz umkrampfte. Und die jeden Muskel unterhalb ihres Bauchnabels lähmte. Ihre Füße – wie tot. Ihre Oberschenkel – ohne Gefühl. Ja, selbst ihre Hände konnte sie nicht einen Zentimeter bewegen. Sie lag da wie festgenagelt. Nur das Gesicht und die Brust schienen zu existieren. Atme. Atme! Aber das war kein Trost, denn um sie herum herrschte Finsternis. Sie spürte, dass sie nicht in einem Bett lag. Keine Matratze, sondern hartes Holz bohrte sich in ihren Rücken. Bretter. Nicht ein einziger Lichtpunkt in der Finsternis. Nur dunkel. Dunkel. Dunkel.

    Es ist Nacht, sagte sie sich. Ich bin zu Hause, liege in der Scheune. Die Fenster sind hoch. Wenn man auf dem Boden liegt, kann man die Gaslaternen in der Ferne nicht sehen. Aber warum liege ich in der Scheune?

    Sie merkte, dass sie noch nicht ganz klar im Kopf war. Sie war nicht zu Hause. Sie war auf Reisen gewesen. Allein. Das war gefährlich für ein Mädchen von 16 Jahren, aber wenigstens nicht so gefährlich, wie sich daheim von dem Alten grün und blau schlagen zu lassen. Freiheit! Es gab kein erhabeneres Gefühl, wenn man die letzten fünf Monate in Angst zugebracht hatte – Angst davor, dass der Vater von der Liebe zu einem einfachen Bauernjungen erfuhr. Und von dem Kind, das bereits unter ihrem Herzen wuchs.

    Sie war zusammen mit Pierre geflohen und zunächst ziellos die Küste hinaufgewandert. Hier und da hatte ihnen eine freundliche Bauersfrau Unterschlupf gewährt – als Gegenleistung dafür, dass Pierre ein paar Klafter Holz hackte. Danielle sah ihm dabei zu, während ihr Bauch Tag um Tag weiter anschwoll. Sie war so glücklich wie nie zuvor in ihrem Leben.

    Dann waren sie nach Port Blanc gekommen, einem kleinen Städtchen mit einem alten Leuchtturm, an den eine Herberge angeschlossen war. Danielle war jetzt im neunten Monat, und Pierre beschloss, dass es Zeit wurde, die Strohballen der Bauernhöfe gegen ein richtiges Bett einzutauschen. Danielle protestierte, aber bevor sie Pierre daran hindern konnte, hatte er die »Herberge zum Leuchtturm« betreten und seine letzten Münzen auf den Tresen gelegt. Der Herbergsvater, ein hagerer Mann, dessen Gesicht von tiefen Sorgenfalten durchzogen war, hatte sie nach längerem Zögern eingesteckt und ihnen ein Zimmer zugewiesen. Danielle konnte nicht verstehen, weshalb er sich zunächst so abweisend gezeigt hatte. Es waren doch genug Zimmer frei.

    So hatte sie zum ersten Mal in ihrem Leben in einem Daunenbett gelegen und sich wie ein Engel gefühlt. Sie hatten sich geliebt – unbeholfen in ihrer Sorge, dem Ungeborenen nicht zu schaden, und dann war Danielle in Pierres Armen eingeschlafen.

    Und hier erwacht. Allein. Auf einem Untergrund, der viel härter war als eine Daunenmatratze.

    Wie war sie hierher gekommen? Und wo war Pierre?

    Sie hörte ihren Atem lauter als gewöhnlich, wie durch einen Trichter. Der Raum, in dem sie sich befand, musste klein sein. Sehr klein.

    Sie versuchte, den Kopf zu bewegen. Nach rechts. Nach links. Sie blinzelte in die Finsternis. Keine Orientierung.

    Neben ihr konnte eine Wand aufragen oder endlose Leere herrschen – sie konnte es nicht sehen. Sie konzentrierte sich auf ihre Finger. Da war ein Kribbeln, das sie spürte, irgendwo in der Ferne. Sie versuchte ihre Fingerspitzen zu bewegen. Ging nicht. Ein Kribbeln. Wenigstens. Plötzlich konnte sie den Boden unter ihren Fingern fühlen. Es war tatsächlich Holz. Ein Splitter saß in ihrem Zeigefinger, schmerzte. Sie lachte über den Schmerz, Tränen liefen über ihre Wangen. Sie lachte, weil sie ihre Finger spürte.

    Sie ballte die Hände zu Fäusten. Sie ließ die Füße kreisen, vernahm das Knacken der Knöchel, mit dem das Vakuum aus den Gelenkkapseln entwich. Ihre Freude darüber, dass die Taubheit aus ihren Gliedern schwand, verwandelte sich in bange Erwartung. Wo war sie? In einem fremden, engen Zimmer?

    Sie hob den Arm. Zentimeterweise. Du schaffst es, raunte sie sich zu. Und sie schaffte es. Der Arm schwebte über ihrem Körper. Mit unmenschlicher Anstrengung gelang es ihr, ihn dort zu halten. Abwarten. Mit jeder Sekunde wurde sie stärker. Mit jeder Sekunde wurde sie sicherer. Sie strich mit der Hand über ihren Bauch. Sie wollte fühlen, dass alles in Ordnung war. Dass das Kind lebte. Mach dich nicht verrückt, sagte sie sich. Dann tastete sie über ihre Beine. Auch dort war das Gefühl zurückgekehrt. Sie hätte jauchzen können vor Glück.

    Aufstehen. Ein Fenster öffnen. Nachsehen, wo sie sich befand. Das war eine gute Idee.

    Sie zog die Beine an und streckte die Ellenbogen aus, um sich abzustützen.

    Die Knie trafen im selben Augenblick auf Widerstand wie ihre Ellenbogen. Sie konnte die Beine nicht vollständig anziehen. Sie konnte die Ellbogen nicht ausstrecken.

    Eine Panikwelle raste durch ihren Körper. Holz. Es war rechts von ihr und links von ihr. Es war oben und unten. Sie tastete die Bretter ab. Es gab keine Lücke. Kein Fenster, keinen Spalt.

    Die Erkenntnis war so bizarr, dass ihr Verstand sich weigerte, sie zu akzeptieren. Niemand wird lebendig begraben. Schon gar nicht jemand, der so weit vom Tod entfernt war wie sie. Sie lebte doch.

    Und doch war sie lebendig eingesperrt.

    In einem Sarg …

    »Hilfe! Hört mich jemand?«

    Sie schrie, so laut sie konnte. Ihre Trommelfelle kippten über. Sie schrie wieder und wieder.

    Und hätte es fast überhört. Das Geräusch zu ihrer Linken. Erde, die bewegt wurde. Rettung! Jemand kratzte an der Sargwand.

    »Hier bin ich!«, rief Danielle. »Hier drinnen!«

    Das Kratzen wurde stärker. Irgendwie … gieriger. Etwas drückte gegen die Sargwand. Gleichzeitig drang durch die Ritzen zwischen den Brettern ein süßlicher Geruch, der Danielle fast den Atem raubte.

    Leichengeruch.

    »Helft mir …«, stöhnte sie. »Wo bin ich?«

    Ihre Worte wurden verschluckt von einem krachenden Geräusch. Die Sargwand barst, und eine stinkende, glitschig feuchte Hand legte sich auf Danielles Bauch.

    Jahre später

    »Johan!«

    Die Stimme schnitt scharf wie eine Sense durch die Herberge. Die Flamme der Öllampe in Johans rechter Hand flackerte, als er in der Eingangshalle kehrtmachte und sich die Treppe hinaufschleppte. Seine Muskeln heulten empört auf und hielten ihm jedes seiner fünfundvierzig Jahre vor. Aber er durfte sie nicht im Stich lassen. Er hatte versprochen, bei ihr zu sein, wenn es geschah.

    »Johan …!«

    Schwer atmend erreichte er die Tür am Ende des Flurs und öffnete sie. Mechanisch hatte er bereits die Luft angehalten. Trotzdem drang ihm der Gestank von Kot, Urin, Erbrochenem und etwas noch viel Schlimmerem wie der Atem der Hölle in die Nase.

    Die schweren Vorhänge waren zugezogen. Im Halbdunkel lag eine abgemagerte Gestalt im Bett. Spindeldürre Arme zitterten auf einem Berg von Decken aus bester Gänsefeder. Ein übergroßer, von strohigen Haaren umrahmter Kopf drehte sich langsam auf die Seite. Ein sanft geschwungener Mund und hoch angesetzte Wangenknochen verrieten, um welche Schönheit es sich bei dieser Frau einmal gehandelt hatte. Jetzt waren die Augen tief eingesunken, und ein fieberglühender Blick traf Johan, der sich auf die Bettkante setzte.

    »Wo warst du nur so lange, Johan?«

    Er hob die bauchige Emaillekanne in seiner Linken. »Ich habe Wasser geholt. Ich war sicher, du könntest eine Kühlung vertragen …«

    Mit einer ansatzlosen Bewegung, die er ihrem ausgemergelten Körper nicht mehr zugetraut hatte, stieß sie die Kanne fort. Der Deckel flog durch die Luft, Wasser spritzte über Johans Kleider.

    »Du weißt, was ich brauche, Johan! Bring es mir.«

    »Aber Estelle«, versuchte er zu widersprechen. »Es ist zu spät. Du hast nicht mehr die Kraft …« Er hielt inne, als er etwas Feuchtes, Glitschiges auf seinem Knie spürte. Ein unförmiges, schwarzes Ding schlängelte sich unter der Bettdecke hervor, kroch über seine Beine. Der Gestank nach Blut und Verwesung wurde übermächtig. Fast hätte er sich übergeben.

    »Sieh aus dem Fenster, Johan. Sieh hinaus!«

    Er gehorchte. Sein Blick fiel auf den Friedhof vor dem Haus. Im rechten Augenwinkel erblickte er den Leuchtturm, der der Herberge ihren Namen gab. Die meisten Gräber auf dem Friedhof waren verrottet, die Grabsteine halb eingesunken, weil sich vor ihnen tiefe Risse und Mulden aufgetan hatten – als wären die Särge in den Gräbern zusammengebrochen und die Erde in den entstehenden Hohlraum gestürzt.

    »Ich will leben«, krächzte Estelle, die sich halb aufgerichtet hatte. Sie versuchte einen Blick auf den Friedhof zu erhaschen. Wieder schlängelte etwas Schwarzes, Unförmiges unter der Decke hervor, züngelte auf das Fenster zu. »Das kann er nicht gemeint haben, als er mir versprach, dass er über mich wachen würde!«

    Johan schauderte, als sie ihn erwähnte. Er dachte ungern zurück an jenen Besucher, der eines Abends in einer schwarzen Kutsche vor der Herberge aufgetaucht war. Und sich eine Nacht lang mit Estelle vergnügt hatte. Johan hatte es geduldet. Wie er alles erduldet hatte, was Estelle das Leben angenehmer machte. Vor jener Nacht und seitdem.

    »Dafür ist es zu spät, Estelle«, sagte Johan rau. »Du kannst nicht mehr hinaus.«

    »Dann bring sie mir. Bring sie mir hier ans Bett!«

    Er überlegte, wie er sie überzeugen konnte, dass es besser war, Frieden zu schließen. Das Schicksal zu akzeptieren – und Gott dafür zu danken, dass die Qualen ein Ende hatten. Stets war er der Einzige gewesen, dem sie vertraute. Doch jetzt, da ihre Kräfte nachließen, schien sie in ihm einen Feind zu sehen. Dabei wollte er ihr nur helfen. Damit nicht noch mehr Menschen sterben mussten.

    »Hörst du das, Johan?« Das längliche Ding am Bett peitschte. »Rettung naht!«

    Er zuckte zusammen, als er die Kutsche erblickte, die soeben auf dem Kopfsteinpflaster vor dem Gebäude einfuhr. Der Kutscher war in schwarzes Tuch gehüllt, sein Kopf von einer Kapuze verdeckt. Der Schein zweier Öllampen tauchte die schweißnassen Rücken der Rapphengste in glänzendes Licht.

    »Wer ist es?«, krächzte Estelle.

    Eine Gänsehaut kroch über Johans Nacken. »Nur ein Reisender. Er wird vorüberziehen, wenn er sieht, dass die Herberge geschlossen ist.«

    »Er ist es! Ich spüre es!«

    »Estelle …«

    »Ich will, dass du ihm ein Zimmer gibst.«

    Johan schloss die Augen. Öffnete sie wieder. Er suchte nach einer Ausrede, mit der er Estelle beschwichtigen konnte. Sie war seit zwei Wochen ans Bett gefesselt und ganz wahnsinnig vor Hunger. Aber jedes Opfer würde ihr Leiden nur hinauszögern.

    Er sah, wie der Kutscher vom Bock sprang und die Tür öffnete. Eine edel gekleidete Gestalt stieg aus. Sie trug einen schwarzen Anzug und einen Zylinderhut. Johan erkannte sie wieder.

    »Geh schon! Öffne die Tür!«

    Er musste ihr gehorchen, hatte ihr immer gehorcht.

    Die Stufen knarrten unter seinem Gesicht. Draußen stand die Gestalt mit dem Zylinderhut vor der Glastür und wartete.

    Johan schloss die Tür auf. Stockte.

    Die Gestalt lächelte ihn an. Es war ein Mann, schlank, in den besten Jahren. Aber etwas Unheimliches ging von ihm aus. Das Lächeln erreichte seine Augen nicht – diese Augen waren so kalt, als ob sie den tiefsten Gründen der Hölle entstammten.

    Wir haben geschlossen, wollte Johan sagen, aber er bekam kein Wort heraus.

    »Wie geht es ihr?«, fragte der Mann.

    »Sie stirbt«, sagte Johan traurig.

    »Nein«, sagte der Fremde, und seine kohlschwarzen Augen blitzten. »Sie wird noch sehr lange leben.«

    2. Kapitel

    Gegenwart

    Welch ein Lichtermeer!

    Ich saß verträumt auf meinem Fensterplatz in der Boing 747, die mich von Istanbul nach Frankreich brachte, und starrte auf den ausgefransten, weißen Fleck unter mir, als der sich Paris uns Ankömmlingen darstellte. Ein riesiger Lichterhaufen, umgeben von schwarzer Nacht, das war wie ein Zeichen angesichts der inneren Unruhe, die mich antrieb und die ich in Frankreich, genauer gesagt, in der Bretagne, abzustellen versuchte.

    Ich kramte noch einmal den Zettel hervor, den mir jemand in mein Hotelpostfach in Istanbul gesteckt hatte.

    Liebe Coco, zu unserem Familientreffen laden wir dich herzlich ein! Ort und Zeitpunkt: Port Blanc, Hôtel au Phare, 21. August.

    Nicht besonders wortreich, aber er enthielt alle notwendigen Informationen. Obwohl ich weder den Grund für die Einladung kannte noch denjenigen, der sie ausgesprochen hatte, wollte ich das Treffen nicht versäumen. Immer wenn ich mich an meine Familie zu erinnern versuchte, war da nur ein seltsamer Fleck, der alle Erinnerungen überdeckte. Woher stammte ich? Wer waren meine Eltern? Waren das nicht Fragen, die jeden von uns bewegen? Ich hatte mich bisher nicht darum gekümmert. Ich hatte mich noch nie darum gekümmert, wie es schien. Und jetzt diese Einladung, die alles geändert hatte. So leicht würde man es mir vermutlich nie wieder machen, etwas über meine Wurzeln zu erfahren.

    Ich fragte mich nur, wie die Einladung in mein Postfach in Kalkutta gelangt war. Woher wusste meine Familie, in welchem Hotel ich dort residierte? Und warum verlangte sie jetzt, mich zu sehen, nachdem sie jahrelang offenbar kein Verlangen danach verspürt hatte? Sie ist eben deine Familie, versuchte ich mich zu beruhigen. Es war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, Fragen zu stellen. Noch nicht.

    Ein Ruck ging durch den Rumpf der Maschine, als das Fahrgestell auf der Landebahn des Charles-de-Gaulle-Flughafens aufsetzte. In der Flughafenhalle angekommen, wartete ich über eine Viertelstunde auf meinen Koffer. Neben mir stand ein Kerl vor dem Laufband, dessen Nähe mir ein seltsames Kribbeln verursachte. Er besaß keine dämonische Aura – die hätte an einem belebten Ort wie diesem nicht mal automatisch eine Bedrohung bedeuten müssen. Es war etwas anderes, Unbeschreibliches in seiner Haltung, an seinem Äußeren.

    Ich musterte ihn aus dem Augenwinkel. Sein Haar war schwarz und glatt. Er hatte es am Hinterkopf zu einem Zopf zusammengebunden. Dadurch wirkte sein herbes Gesicht noch markanter: eine scharfrückige, gerade Nase, ein schmaler Mund und Augen, die schwarz wie Kohlen waren. Er war schlank und besaß breite Schultern. Ein Typ, auf den viele Frauen flogen. Ich tat es nicht, allein schon wegen seiner Kleidung. Er trug ein hautenges T-Shirt mit einer offenen Lederjacke darüber. Seine Füße steckten in langen, schwarzen Stiefeln. Um seinen Hals hing ein Lederband mit einem Talisman aus billigem Silber. Er hatte etwas Missionarisches an sich – wie diese alternativen Popsänger, die in dem Wahn lebten, ihre Lieder würden helfen, die Abholzung der Regenwälder zu stoppen.

    Da endlich kam mein Gepäck. Ich atmete auf und streckte die Hand aus. Aber Mr. Womanizer war schneller.

    »Dieser Koffer ist doch viel zu schwer für Sie.« Sein Grinsen entblößte zwei Reihen makelloser Zähne. »Darf ich Sie zu Ihrem Wagen begleiten?«

    Ich fühlte mich angewidert von seiner Aufdringlichkeit, doch bei dem Versuch, ihn zu hypnotisieren, erlebte ich eine unangenehme Überraschung – es ging nicht. Ich machte einen erneuten Versuch, diesmal mit aller Konzentration, zu der ich nach dem langen Flug fähig war.

    Aber seine schwarzen Augen funkelten mich weiter quicklebendig an. »Sie haben doch einen Wagen auf dem Parkplatz stehen, nicht wahr?«

    »Ich … nein«, murmelte ich und ärgerte mich über meine Hilflosigkeit.

    Er wechselte anstandslos ins Deutsche. »Dann biete ich Ihnen selbstverständlich an, Sie zu fahren. Ich habe noch eine lange Reise vor mir, da macht es mir nichts aus, Sie ein Stück mitzunehmen.«

    Er sprach mit einem lustigen französischen Akzent, der ihn mir eine Spur sympathischer machte.

    Fieberhaft suchte ich nach einer Ausrede, aber mein Gehirn war wie leer gesaugt. Meine Güte, er wird dir doch nicht etwa den Kopf verdreht haben? Bevor ich etwas erwidern konnte, lief er schon mit meinem Koffer zum Ausgang. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.

    »Sie haben mir noch gar nicht Ihren Namen verraten«, sagte er, als ich zu ihm aufgeschlossen hatte.

    »Coco«, erwiderte ich mit rauer Stimme.

    »Sind Sie zum ersten Mal in Paris, Coco?«

    Ich zögerte. »Soweit ich mich erinnern kann, ja.«

    Er grinste wieder. »Sie sind sich also nicht sicher?«

    Ich griff mir an den Kopf. Irgendetwas stimmte nicht mit mir. Es war wie mit den Erinnerungen an meine Familie – das seltsame Gefühl, etwas zu wissen und sich dennoch nicht entsinnen zu können. Als ob irgendjemand mein Gedächtnis manipuliert hatte. Unmöglich. Innerhalb der Schwarzen Familie gab es höchstens eine Hand voll Dämonen, die fähig gewesen wären, eine talentierte Hexe wie mich zu beeinflussen.

    Wir waren bei einem grünen Ford Fiesta angekommen. Nicht gerade das neuste Modell. Die Karosserie war dreckig und zerkratzt, an den Kotflügeln kroch der Rost unter dem Lack hervor.

    Der Schwarzhaarige öffnete die Beifahrertür. »Steigen Sie ein, Coco.«

    Ich ließ mich auf den Sessel sinken. In dem Auto roch es nach kaltem Zigarettenqualm. Der Aschenbecher quoll vor Kippen über. Ich bereute bereits, dass ich kein Taxi genommen hatte.

    »Wohin darf ich Sie bringen?«

    »Gare du Nord.«

    Er hob die Augenbrauen. »Sie wollen mit dem Zug weiterfahren? Wie lautet Ihr richtiges Ziel?« Wieder dieses Grinsen. Es wirkte abstoßend – und gleichzeitig zog es mich an. Er seufzte. »Schon gut, ich verstehe. Sie gehören zu den Frauen, die nicht so leicht Vertrauen fassen. Das ist auch richtig so. Ich heiße übrigens Pierre. Pierre Latroux.«

    »Pierre, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich jetzt zum Gare du Nord fahren würden.«

    Er hob die Hände. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Coco. Sie nennen mir Ihr Ziel, und ich sage Ihnen, ob es auf meiner Route liegt.« Als ich schwieg, rutschten seine Mundwinkel nach unten. »Sie halten mich für einen Casanova«, sagte er beleidigt. »Dabei habe ich keine bösen Absichten. Ich wollte Ihnen nur einen Gefallen tun. Ich werde es Ihnen beweisen.« Er zückte zwei Fetzen Papier und einen Stift. »Ich schreibe mein Ziel auf. Dann gebe ich Ihnen den Stift, und Sie schreiben Ihres auf. Danach decken wir die Papiere auf. So kann niemand betrügen.«

    Ich fand das kindisch. Aber ich hätte inzwischen auch einen Handstand gemacht, damit er endlich losfuhr. Also seufzte ich ergeben und wartete, bis er seinen Zettel voll gekritzelt hatte.

    »So, jetzt Sie, Coco.«

    Ich notierte es. »Und jetzt?«

    »Zeigen Sie mir, was Sie aufgeschrieben haben.« Gleichzeitig drehte er sein Blatt Papier um.

    Mich durchfuhr es eiskalt.

    »Gewonnen«, kicherte er.

    Auf beiden Blättern stand »Port Blanc«.

    »Diese verdammte alte Schrottkiste! Wenn du mich fragst, hätten wir niemals nach Port Blanc fahren sollen!«

    Nicole Hülsmann verschränkte die Hände vor der Brust und ließ sich in den Beifahrersessel sinken. Ihre Brust hob und senkte sich hektisch. Ihre Wangen waren fleckig, wie immer, wenn sie wütend war.

    »Was hat das eine denn mit dem anderen zu tun?«, fragte Olaf Lambeck, der die Hände um das Lenkrad krampfte und sich mit verkniffenen Augen bemühte, zwischen den Nebelschwaden die Fahrbahn auszumachen. In diesem Augenblick ratterte der Renault Twingo durch ein Schlagloch, und der schwere Atlas, der aufgeschlagen auf dem Armaturenbrett gelegen hatte, flog gegen Nicoles Knie.

    »Aua, verdammte Scheiße. Pass doch auf!«

    Er drehte sich um. »Was kann ich denn dafür, wenn die Straße seit Jahren nicht ausgebessert worden ist?«

    »Dann hättest du eben einen anderen Weg suchen müssen.« Sie hob den Atlas auf. »Ich war ja von Anfang an dagegen, hierher zu fahren. Dieser verfluchte Nebel! Es ist drei Uhr nachmittags. Im August. Und man kann nicht mal die Hand vor Augen sehen.« Der Twingo schaukelte durch ein weiteres Schlagloch. Der Atlas flog gegen Nicoles Brust. Sie schrie wutentbrannt auf. »Halt sofort an, Olaf!«

    Sie kurbelte das Fenster herunter und warf den Atlas hinaus.

    »Reg dich doch nicht so auf«, klagte er. »Ohne Karte werden wir nie …«

    Sie warf ihre langen Haare zurück und funkelte ihn an. »Meine Knie und meine Rippen sind schon blau. Willst du etwa so lange warten, bis dieses Ding mich totgeschlagen hat?«

    Er blickte unwillkürlich auf ihre Brust und verkniff sich die Bemerkung, dass ihre Rippen so gut gepolstert waren, dass sie sogar eine Abrissbirne abgefedert hätten. In der Tat hatte Nicole die größten Brüste, die er jemals gesehen hatte. Schwer wie Sandsäcke wogten sie unter ihrem Kinn. Ein Anblick, der es verschmerzen ließ, dass der Rest von Nicoles Körper allenfalls unterer Durchschnitt war. Ungelenk und knochig. Von dem Mondgesicht mit der breiten Nase und den riesigen Sommersprossen ganz zu schweigen.

    Olaf, selbst gut aussehend und mit dem Körper eines Olympiaschwimmers ausgestattet, war nämlich nicht der Typ, der sich mit Durchschnitt abgab. Er nahm nur das Beste. Die Bräute standen Schlange, um bei ihm zu landen. Aber für Nicole hatte er mal eine Ausnahme gemacht. Nicht nur, weil sie eine Menge Holz vor der Hütte hatte, sondern auch, weil sie so scharf war wie kein anderes Mädchen, das ihm in den letzten zehn Jahren begegnet war. Mindestens zwei Mal täglich wollte sie es mit ihm treiben, und das ununterbrochen in den gesamten drei Wochen, die sie jetzt zusammen waren. Es war eine Tragödie: Wenn sie doch bloß nicht so zickig gewesen wäre, sobald sie ihren Schlüpfer wieder angezogen hatte.

    Mürrisch stieß er die Tür auf und stiefelte an der Motorhaube vorbei zu den Farngräsern, die abseits der Fahrbahn aufragten. Der Atlas lag zwischen einem Hauch von Brennnesselstängeln, direkt neben dem Netz einer fetten Kreuzspinne, die ihn misstrauisch taxierte. Er trat die Brennnesseln platt, hob den Atlas auf, stapfte zum Auto zurück und warf ihn auf den Rücksitz.

    »Bist du jetzt zufrieden?«, raunzte er und schlug die Autotür zu.

    Nicole beugte sich vor und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Er spürte, wie ihre Brustwarzen sich an seiner Schulter rieben, und das Gefühl elektrisierte ihn.

    »Danke, mein Schatz!«, flötete sie und schob ihre Hand zwischen seine Beine. »Falls du übrigens Heißhunger hast, können wir gerne …«

    »Nicht jetzt«, seufzte er. »Es sind noch zehn Minuten bis Port Blanc. Dort wartet ein hübsches Hotelzimmer auf uns.«

    »Ich würde es mir aber viel lieber im Freien von dir besorgen lassen!«

    Gerade hatte sie ihm noch die Ohren voll gejammert, wie abstoßend der Nebel und die Kälte in diesem Abschnitt der Bretagne waren! »Wart's ab, bis du die Betten gesehen hast, okay? Im Prospekt stand alles drin. Diese ›Herberge am Leuchtturm‹ ist wirklich der Hammer. Uraltes Gebäude, aber top renoviert. Die Wände sind schalldicht. Das Frühstück kann man sich aufs Zimmer bringen lassen. Glaub mir, das wird der geilste Urlaub deines Lebens, mein Schatz!«

    Nicole schmiegte sich an ihn, so dass wieder ein Stromstoß durch seinen Unterkörper raste.

    Sie spitzte die Lippen. »Ich kann's kaum erwarten, mein scharfer Hengst!«

    Ich hatte mich geirrt.

    Pierre war viel angenehmer und zuvorkommender, als ich anfangs gedacht hatte. Als wir Paris Richtung Norden verlassen hatten und Richtung Bretagne brausten, verstanden wir uns bereits so gut, dass wir ohne

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