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Das Haus Zamis 5 - Des Teufels Günstling
Das Haus Zamis 5 - Des Teufels Günstling
Das Haus Zamis 5 - Des Teufels Günstling
eBook486 Seiten6 Stunden

Das Haus Zamis 5 - Des Teufels Günstling

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Über dieses E-Book

Der Weg ins centro terrae, zum Mittelpunkt der Erde, ist frei. Doch im Zentrum selbst warten Schrecken auf Coco, wie sie noch nie ein Mensch oder Dämon erblickte. Wird es der jungen Hexe gelingen, den Magier Merlin zu befreien? Oder wird sie ein Opfer der Intrige, die hinter ihrem Rücken auf der Erdoberfläche gesponnen wird? Die Schwarze Familie beabsichtigt, sich Cocos Abwesenheit zunutze zu machen ...

Der 5. Band von "Das Haus Zamis".

"Okkultismus, Historie und B-Movie-Charme - ›Dorian Hunter‹ und sein Spin-Off ›Das Haus Zamis‹ vermischen all das so schamlos ambitioniert wie kein anderer Vertreter deutschsprachiger pulp fiction." Kai Meyer

enthält die Romane:
14: "Flucht aus dem centro terrae"
15: "Schwesterherz"
16: "Des Teufels Günstling"
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum1. Jan. 2013
ISBN9783955722050
Das Haus Zamis 5 - Des Teufels Günstling

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    Buchvorschau

    Das Haus Zamis 5 - Des Teufels Günstling - Uwe Voehl

    Des Teufels Günstling

    Band 5

    Des Teufels Günstling

    von Ralf Schuder, Uwe Voehl und Susan Schwartz

    © Zaubermond Verlag 2012

    © Das Haus Zamis – Dämonenkiller

    by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

    Titelbild: Mark Freier

    eBook-Erstellung: story2go

    http://www.zaubermond.de

    Alle Rechte vorbehalten

    Was bisher geschah:

    Die junge Hexe Coco Zamis ist das weiße Schaf ihrer Familie. Die grausamen Rituale der Dämonen verabscheuend, versucht sie den Menschen, die in die Fänge der Schwarzen Familie geraten, zu helfen.

    Ihr Vater sieht mit Entsetzen, wie sie den Ruf der Zamis-Sippe zu ruinieren droht. Er veranstaltet einen Sabbat, auf dem Coco zur echten Hexe geweiht werden soll. Auf dem Höhepunkt erscheint Asmodi, der Fürst der Finsternis, und hält um Cocos Hand an. Doch sie lehnt ab. Asmodi kocht vor Wut, und das Verhältnis zwischen ihm und der Zamis-Sippe, die selbst Ambitionen hegt, über die Schwarze Familie zu herrschen, ist fortan von Hass geprägt.

    Coco interessieren die Intrigen ihrer Familie wenig. Auf einer Reise nach England lernt sie den Weißmagier Merlin kennen, der sie aus der Hand eines bösartigen Dämons befreit. Aber Merlin benötigt selbst Hilfe – seit Jahrhunderten befindet er sich im centro terrae, dem Mittelpunkt der Erde, wo er von den Zentrumsdämonen in einer magischen Flamme gefangen gehalten wird.

    Coco macht sich auf den Weg, den Magier zu befreien. Merlins Gehilfe Oirbsen erklärt ihr den Sinn der Sieben Siegel, die sie benötigt, um den Gefahren im Innern des centro terrae zu trotzen. Sechs davon befinden sich bereits in ihrem Besitz: der Signatstern, der Armreif, der goldene Ring aus dem Venedig des sechzehnten Jahrhunderts sowie das magische Vlies, das orphische Ei und der Aton-Stern. Doch das letzte Siegel stellt die größte Herausforderung dar. Coco bleibt keine Zeit mehr, weitere Vorbereitungen zu treffen, denn die Angriffe der Zentrumsdämonen auf Merlins Flammengefängnis werden immer ungestümer ...

    Erstes Buch: Flucht aus dem centro terrae

    Flucht aus dem centro terrae

    von Ralf Schuder

    1. Kapitel

    Hospitale di Capuano, Catania, Sizilien

    Es war Viertel nach zehn. Hinter der Milchglasscheibe des Fensters war es stockfinster. Massimo Franco stand allein in der Halle und betrachtete den gedeckten Tisch: Kaviar, Baguette, Champagner; zwei Gläser, eine schlanke Kerze und eine langstielige, lilafarbene Orchidee.

    Gar nicht mal so übel, dachte er. Er hatte, gemessen an seinem Einkommen, viel investiert. Doch Lydia war es ihm wert: eine bildhübsche junge Frau, deren feingeschnittenes Gesicht von langen, hellblonden Haaren umrahmt wurde. Massimos Hände begannen vor Erregung leicht zu zittern, als er an ihre sinnlichen Lippen und an ihre verführerischen Augen dachte. Sie war seit fünfzehn Minuten überfällig – aber das beunruhigte ihn nicht ... er hielt es für das gute Recht einer so schönen Frau, zu spät zu einer Verabredung zu erscheinen.

    Es war ein seltsamer Ort für ein Rendezvous: Der Tisch stand in einer großen, nach Desinfektionsmitteln riechenden Totenhalle. In die Wände waren vierzig Kühlfächer eingelassen, in jedem davon lag ein Leichnam. Inmitten der Halle befand sich ein Obduktionstisch, durch dessen Abguss noch vor wenigen Stunden das kalte, träge Blut eines Verstorbenen gesickert war.

    Massimo Franco war ein spindeldürrer Mittvierziger, der unpassenderweise einen Bauch mit sich herumtrug, der weit über die Gürtellinie hing. Eine krankhafte Schwäche des Bindegewebes, wie ihm die Ärzte diagnostiziert hatten. Überhaupt war er ein schlaffer, kraftloser Mensch, der jede sportliche Betätigung mied, der jeder Anstrengung aus dem Weg ging. Der Job als Nachtwächter war ihm auf den Leib geschrieben. Die Schicht begann um zehn Uhr Abends und endete um sieben Uhr morgens. Die Zeit dazwischen verbrachte er in seinem Bürokabuff vor einem Fernseher.

    Die Pathologie lag einhundert Meter vom Hauptgebäude des Hospitale di Capuano entfernt, und Massimo wurde nur zwei, drei Mal pro Nacht gestört, wenn ein Leichnam herüber gebracht wurde.

    Nach Dienstschluss ging er regelmäßig in ein nahes Bistro, in dem ein recht ordentliches Frühstück angeboten wurde. Dort hatte er auch Lydia kennen gelernt. Sie war Feuer und Flamme gewesen, als sie erfuhr, dass er in der Pathologie beschäftigt war. Sie machte ihm schöne Augen und gab ihm zu verstehen, dass sie zu mehr als einer Unterhaltung bereit wäre ... wenn er sie in die Leichenhalle einladen würde. Massimo war Junggeselle, und er wäre ein Narr gewesen, wenn er nicht zugestimmt hätte.

    Mit einem Ruck brachte ihn die Türklingel in die Gegenwart zurück. Er ging ins Büro und sah auf den Monitor, der den Bereich vor dem Haupteingang zeigte. Dort stand sie – Lydia! Sie trug eine modische Bluse und einen kurzen Rock, beides brachte ihre Figur hervorragend zur Geltung.

    Ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen beugte er sich nach vorn. Auf dem unpersönlichen Metallschreibtisch befand sich eine Schaltkonsole – er drückte den Türöffner, ohne hinzusehen.

    Dann lief er in die Halle und öffnete die Tür zum Korridor.

    Sekunden später stand Lydia vor ihm.

    »Hallo!«

    Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange und trat ein. Langsam fiel die Tür hinter ihr ins Schloss.

    Noch immer konnte er nicht glauben, dass sie wirklich gekommen war. Sie wirkte noch hübscher als an dem Tag, an dem er sie kennen gelernt hatte. Er geleitete sie zum Tisch und zog einen der Stühle zurecht, so dass sie sich setzen konnte. Dann öffnete er die Champagnerflasche und füllte die Gläser. Er bot Lydia eine Zigarette an, die sie dankend annahm. Während er ihr Feuer gab, blickte sie ihm tief in die Augen.

    »Es ist nicht jedermanns Sache, Nacht für Nacht allein zu sein, so nah bei den Toten. Wie hältst du das nur aus?«

    »Das ist eine Frage der Nerven.« Massimo setzte sich mit einem selbstgefälligen Gesichtsausdruck. Er gefiel sich in der Pose des furchtlosen Mannes. »Ich könnte dir Geschichten erzählen, die du mir niemals glauben würdest.«

    Sie lächelte ihn kokett an. »Hast du mich nur eingeladen, um mir Geschichten zu erzählen?«

    Massimo spürte, wie er errötete ... Er war es nicht gewohnt, dass eine Frau so mit ihm sprach.

    Sie nahm ihr Glas. »Auf uns ... und auf die Toten!«

    Seine Miene verriet Verwunderung. Dennoch hob er sein Glas, um in den Toast einzustimmen. Für einen Augenblick glaubte er, Lydias Augen hätten sich unabhängig voneinander bewegt. Doch das konnte nicht sein – er musste sich geirrt haben.

    Seine Verblüffung wuchs, als sie ihm eine sonderbare Frage stellte: »All diese Leichen ... glaubst du, dass ihnen irgendeine Form von Leben innewohnt? Dass sie womöglich alles registrieren, was um sie herum geschieht? Dass sie sich ihrer grausigen Lage bewusst sind, unfähig, sich uns mitzuteilen?«

    »Meinst du, dass es so ist?«, hörte er sich sagen.

    »Mein Glas ist leer.« Sie lehnte sich zurück. Erst nachdem er ihr von dem Champagner nachgefüllt hatte, sprach sie weiter. »Es ist durchaus möglich, einen Toten ins Leben zurück zu holen. Doch er ist dann nicht mehr die Person, die er vorher war. Untote sind unglückliche Geschöpfe – erfüllt von Hass ... und einer regelrechten Mordgier.«

    »Untote?«, stotterte Massimo. Er sah seine Chancen auf ein Liebesabenteuer rapide schwinden. Wollte Lydia ihn verspotten oder war es ihr Ernst mit diesem Unsinn? Nervös drückte er seine Zigarette im Aschenbecher aus. »Wollen wir uns nicht über etwas anderes unterhalten ... über uns?«

    Sie antwortete nicht, sondern sah ihm tief in die Augen. Massimo spürte, wie ihm die Sinne schwanden. Er fühlte sich unendlich müde, und schließlich konnte er seine Augen nicht mehr offen halten. Schlaff fiel er nach vorn, sein Gesicht knallte auf den Tisch. Eines der Gläser stürzte um, rollte von der Tischkante und zersplitterte auf dem Boden. Dann war es still. Massimo verharrte regungslos in seiner Position.

    Lydia warf ihm einen verächtlichen Blick zu, sie schnippte ihre Zigarette fort und erhob sich.

    Rechts befand sich der Durchgang zum Büroraum. Sie trat vor die Überwachungsmonitore. Der erste Bildschirm zeigte den Bereich vor dem Haupteingang – niemand war zu sehen, alles schien vollkommen ruhig zu sein. Der zweite Monitor zeigte den Parkplatz. Ein Lieferwagen schoss heran, sein Scheinwerferlicht brach sich im Objektiv der Kamera, dann stoppte er mit quietschenden Reifen. Die Wagentüren schwangen auf und zwei Männer stiegen aus.

    Nach kurzem Suchen fand Lydia den Knopf, mit dem der Gebäudezugang entriegelt wurde. Sie verließ das Büro, ging an Massimo vorbei und öffnete die Tür zur Leichenhalle. Das Geräusch herannahender Schritte war zu hören, und wenige Augenblicke später standen ihr Bruder Adalmar und ihr Onkel Ingvar vor ihr.

    Adalmar war ein stets düster dreinblickender Mann. Er trug einen Vollbart, was sein tückisches Aussehen noch verstärkte. Wortlos schob er sich an seiner Schwester vorbei.

    Ingvar hatte einen dunklen Teint, sein Haar war lang und schlohweiß.

    »Hat der Nachtwächter Schwierigkeiten gemacht?«, fragte er.

    Lydia verneinte. »Ich habe den Trottel hypnotisiert. Er wird uns nicht stören.«

    Ingvar nickte ihr anerkennend zu und trat in die Halle. Vor dem gedeckten Tisch blieb er stehen.«Champagner? Kaviar? Der Kerl hat sich ja ganz schön ins Zeug gelegt.«

    Er nahm die Flasche in die Hände und betrachtete das Etikett.

    »Wir sind nicht zum Vergnügen hier,« sagte Adalmar, der sich suchend umblickte.

    Ingvar gab ein unwilliges Grunzen von sich, stellte die Flasche aber zurück. Er folgte Adalmar und Lydia ins Büro.

    Lydia stand vor einem Schrank, der ihr bis zu den Schultern reichte. Sie zog die oberste Lade auf und holte einen Schwung Karteikarten hervor.

    »Volltreffer«, lächelte sie. »Die Einlieferungen der letzen Tage!«

    Adalmar nahm ihr einen Teil der Karten aus der Hand. Bald fand er etwas, das ihn zu interessieren schien.

    »In Fach Nummer Dreizehn liegt eine Frau, die vergiftet wurde – man hat ihr mehrere Kubikzentimeter Autobenzin injiziert.«

    »Das hier ist ebenfalls interessant«, sagte Lydia. »Dieser Mann wurde erdrosselt. Fach Acht.«

    Adalmar sah Ingvar mit gehobenen Augenbrauen an. »Worauf wartest du? Schaff die Toten ins Auto!«

    Ingvar passte es nicht, von dem Jüngeren herumkommandiert zu werden. Adalmar benahm sich, als sei er der Patriarch der Sippe und nicht Michael Zamis. Widerwillig ging er in die Leichenhalle hinüber und öffnete die Lade, die mit der Zahl Dreizehn beschriftet war. Die Tote, die er zu sehen bekam, war eine spindeldürre, mit aschgrauer Haut überzogene Mumie. Alle Haare waren ihr ausgefallen. Er packte den Leichnam, der leicht wie eine Strohpuppe war, und warf ihn sich über die Schulter.

    Der Mann in Fach Acht war das genaue Gegenteil. Seine Haut wirkte rosig, fast lebendig. Er war unglaublich fett, und selbst Ingvar mit seinen dämonischen Kräften hatte Schwierigkeiten, ihn davonzutragen.

    Keuchend brachte er die Toten zum Lieferwagen.

    Lydia und Adalmar holten indes weitere Karteikarten hervor.

    »Du hattest Recht, Schwesterherz – diese Leichenhalle ist eine wahre Fundgrube«, sagte Adalmar zufrieden.

    »Wir sind in Sizilien«, erwiderte sie grinsend.

    Die beiden wählten noch sechs weitere Männer und Frauen aus, die auf unterschiedlichste Weise ums Leben gekommen waren. Ingvar brachte auch diese Toten zum Lieferwagen.

    »Was soll mit dem Nachtwächter geschehen?«, fragte Lydia.

    »Er kommt mit uns«, erwiderte Adalmar.

    »Steh auf, Massimo!«

    Ruckartig erhob sich der Nachtwächter. Seine Augen waren glanzlos und blickten ins Leere – er stand unter Lydias hypnotischem Befehl. Mit roboterhaften Schritten stakste er ihr und Adalmar hinterher. Auf dem Parkplatz wies sie ihn an, auf die Ladefläche des Lieferwagens zu steigen. Widerspruchslos hockte er sich neben die Toten, die Ingvar achtlos über- und nebeneinander geworfen hatte.

    Lydia schlug die Tür hinter ihm zu, dann ging sie nach vorn und stieg zu Ingvar und Adalmar in die Kabine. Nur wenige Autos standen auf dem Parkplatz ... keiner der Mitarbeiter des nahen Krankenhauses schien das seltsame Treiben bemerkt zu haben. Mit quietschenden Reifen raste der Lieferwagen davon.

    Die Dämonen der Erde hatten sich bereits vor Jahrhunderten zur Schwarzen Familie zusammengeschlossen. Ihr erklärtes Ziel war es, die Menschheit zu unterjochen und zu versklaven. Doch über die Jahre degenerierten die Schwarzblütigen – sie führten ein Schattendasein, stets darauf bedacht, unerkannt zu bleiben. Nur im Verborgenen gingen sie ihren grausamen Neigungen nach.

    Das Oberhaupt der Schwarzen Familie agierte unter dem Namen Asmodi II. – er war der Fürst der Finsternis. Er befand sich auf der Teufelsinsel, seinem Hauptquartier. Es gab eine Halle, die tief unter dem Meeresspiegel lag und die er nur ungern aufsuchte. Doch an diesem Tag musste es sein. Asmodi hastete eine steinerne Treppe hinab, die durch einen bedrückend engen Schacht führte. Die Wände bestanden aus braunem, feuchtem Naturstein, und aus der Tiefe kam ihm der Gestank der Fäulnis entgegen.

    Ein zweiter Dämon folgte ihm in respektvollem Abstand. Es war Zakum, der dunkle Archivar. Manche meinten, dass er in Wirklichkeit mächtiger sei als Asmodi – aber das mochte daran liegen, dass Zakum das Archiv der Schwarzen Familie verwaltete. Er besaß von vielen Dämonen Pfänder, mittels derer er sie unter Druck setzen konnte.

    Asmodi hatte das Ende der Treppe erreicht. Er trat einige Schritte in die Halle und blieb stehen. Sein Blick wanderte zu einer Wand, vor der Dutzende lebloser Körper aufgeschichtet waren – dämonische Kadaver.

    »Was hat das zu bedeuten?« Zakum war lautlos neben Asmodi getreten. Fassungslos blickte er auf die toten Dämonen.

    »Nichts, was dich beunruhigen müsste«, antwortete Asmodi lapidar. »Komm mit, ich will dir etwas zeigen!«

    Er ging an dem Leichenberg vorbei und kam in einen weiteren Raum, der von wuchtigen, säurezerfressenen Holztischen beherrscht wurde.

    Auf einem davon lag ein mächtiger Körper, schneeweiß und geschlechtslos. Der Torso und die Extremitäten waren menschlich, aber das Gesicht wirkte völlig fremdartig. Die Nase und der Mund waren kaum wahrnehmbare Linien, die mandelförmigen Augen funkelten unheimlich. Das Wesen besaß keinen Bauchnabel, und kein Haar wuchs aus seinem Leib.

    »Was ist das? Ein Homunkulus?«, fragte Zakum. Ein unüberhörbarer Widerwille lag in seiner Stimme.

    »Ein künstlicher Dämon, ja«, erwiderte Asmodi. »Sein Name ist Axinum, ein Wesen, wie es noch nie zuvor gelebt hat. Es ist mit Kräften ausgestattet, die selbst für einen Schwarzblütigen ungewöhnlich sind. Und ich werde Axinum eine Schar von Luftgeistern zur Seite stellen, die er nach eigenem Ermessen befehligen kann.«

    »Er ist deine Schöpfung?«

    »Das nicht, aber die begabtesten Hexer und Magier haben ihn nach meinen Vorstellungen geformt. Ich gab ihnen die Leiber von drei Schwarzblütigen, und sie schufen daraus ein nahezu perfektes dämonisches Wesen.«

    »Drei Schwarzblütige – zusammengefügt zu einer Kreatur? Hattest du ihr Einverständnis?«

    »Das tut nichts zur Sache«, zischte Asmodi. »Von Bedeutung ist nur, dass ein neuer Dämon entstanden ist. Ein Dämon, der mir ein treuer und zuverlässiger Diener sein wird.«

    Diese Auffassung konnte Zakum nicht teilen. Er wollte lieber nicht wissen, wie viele Dämonen Asmodis Versuchen zum Opfer gefallen waren. Wenn die Mitglieder der Schwarzen Familie von den grausamen Experimenten erfuhren, konnte das fatale Folgen haben.

    »Aber wozu das alles?«, fragte er. »Die Zamis-Sippe beabsichtigt, dir die Herrschaft über die Dämonen streitig zu machen! Wäre es nicht vorrangig, diesen Aufstand im Keim zu ersticken?«

    Asmodis Gesicht war eine weiße, konturlose Fläche, und die roten Punkte, die darin glühten, richteten sich nun auf Zakum. Der dunkle Archivar hielt dem Blick stand; er hatte keinen Grund, sich vor dem Fürsten der Finsternis zu fürchten.

    »Verzeih mir, Zakum!« Asmodi sprach leise und mit einem spöttischen Unterton in der Stimme. »Ich hatte angenommen, dass dir der Grund unseres Hierseins bewusst ist. Es lag nie in meiner Absicht, mir selbst die Hände schmutzig zu machen. Ich wäre wohl kaum seit Jahrhunderten an der Macht, wenn ich mich jedem Herausforderer selbst stellen würde. Axinum wird es sein, der die Zamis-Sippe auslöscht.«

    »Selbst wenn dieser Plan aufgeht ... es wird deinem Ansehen abträglich sein, wenn du dich hinter Axinum versteckst. Man wird dir sogar Feigheit unterstellen!«

    »Und wenn schon ... Ich werde siegen, und darauf kommt es an.« Asmodi trat einen Schritt nach hinten. »Erhebe dich, Axinum! Ich will dir meinen ersten Befehl erteilen.«

    Zakum erwartete, dass sich der Homunkulus ruckartig und ungeschickt bewegen würde, doch zu seinem Erstaunen erhob sich Axinum mit der Eleganz einer Katze. Federnd kam er auf die Beine und sah Asmodi mit melancholischem Blick an.

    »Was befiehlst du, Herr?« Eine gewisse Traurigkeit klang in seiner Stimme mit.

    Sie fuhren auf einer einsamen Landstraße in Richtung Norditalien, und es war noch nicht einmal eine Stunde vergangen, als der Vollmond von dunklen Gewitterwolken verdeckt wurde. Der Sturm kam rasch und heftig, das Fahrzeug wurde von Windböen geschüttelt. Ingvar drosselte die Geschwindigkeit immer weiter. Es regnete nicht, aber hellblaue, gabelförmige Blitze zuckten aus den Wolken. Vor ihnen, auf der linken Fahrbahnseite, tauchte ein verlassen wirkendes Landhaus auf.

    »Soll ich halten?«, fragte Ingvar.

    »Wozu?« Adalmar sah seinen Onkel verständnislos an. »Fürchtest du dich vor dem Gewitter?«

    Ingvar zuckte mit den Schultern und fuhr vorsichtig weiter. Die Straße war vollkommen leer, niemand sonst war unterwegs. Der Mond, der hin und wieder hinter den Wolken auftauchte, leuchtete giftgrün – ein Phänomen, das keine natürliche Ursache haben konnte.

    Lydia blickte aus dem Seitenfenster. Ohne das Gesicht abzuwenden, zupfte sie an Adalmars Ärmel. Er drehte sich zu ihr und stellte erstaunt fest, dass ihr Gesicht papierweiß war. Ihre Augen waren weit aufgerissen.

    »Luftgeister!«, schrie sie. »Hunderte von Luftgeistern – sie rasen auf uns zu!«

    Bevor Adalmar reagieren konnte, riss Ingvar das Steuer nach rechts und trat die Bremse durch. Quietschend kam das Fahrzeug am Straßenrand zum Stehen. Ingvar und Lydia rissen die Türen auf und stürzten ins Freie. Als hätten sie sich verabredet, rannten sie auf das leerstehende Haus zu.

    Adalmar konnte die Ursache ihrer Hysterie nicht erkennen. Ohne Eile stieg er aus und suchte den Himmel ab. Der Mond leuchtete noch immer unheimlich, aber von Luftgeistern war nichts zu sehen. Offensichtlich war Lydia übergeschnappt ... und Onkel Ingvar ebenso. Das Haus war zwanzig Meter entfernt, und eben sah er, wie die beiden im Inneren verschwanden. Sie haben vor Angst ihr letztes bisschen Verstand verloren, dachte er.

    Adalmar ging um das Fahrzeug herum und schlug die Fahrertür zu, die Ingvar offen gelassen hatte. Dann ging er ärgerlich in Richtung des verlassenen Hauses. Dennoch ... ein wenig unbehaglich fühlte er sich, und er richtete seinen Blick nochmals zum Himmel. Als er sah, was sich von Westen her näherte, blieb er wie erstarrt stehen.

    Finstere Flecken rasten heran. Unzählige Körper, die sich zu einer unheilvollen Wolke ballten. Eine abstoßende Ausstrahlung ging von dieser Erscheinung aus ... unerklärlich und widerwärtig. Noch war sie mehrere hundert Meter entfernt, aber bei der Geschwindigkeit, mit der sie sich näherte, würde sie Adalmar in wenigen Sekunden erreichen.

    Während er noch immer wie gebannt war, formierten sich die dunklen Gestalten neu. Es mochten zweihundert oder dreihundert sein, er konnte es nicht sagen. Sie erreichten den Boden und kamen als breite Front auf ihn zu. Extremitäten waren nicht auszumachen, aber unförmige Köpfe, in denen untertassengroße, schneeweiße Augen leuchteten. Eine Welle des Hasses und der Grausamkeit eilte ihnen voraus. Adalmar spürte die Ausstrahlung körperlich, und kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn.

    Dies war der Augenblick, in dem er endlich schaltete. Wie alle Mitglieder seiner Familie war er in der Lage, die Zeit zu manipulieren. Er versetzte sich in den schnelleren Zeitablauf, so dass alle Bewegungen um ihn herum erstarrten. Ohne zu Zögern lief er auf das verlassene Haus zu. Die Tür stand offen, und er kam in einen völlig kahlen Raum – von seinen Begleitern war nichts zu sehen. Er hob das Zeitfeld auf und wurde im gleichen Moment an der Schulter gepackt. Als er herumwirbelte, erblickte er Ingvar.

    »Komm nach unten! Rasch!«

    Während er Ingvar zu der Treppe folgte, die in den Keller führte, spürte er wiederum eine enorme magische Ausstrahlung. Sie schien seinen Körper zu überfluten und drang wie eine eisige Kraft in sein Bewusstsein. Er drehte sich noch einmal um und blickte zum Eingang des Hauses. Dort stand eine Kreatur, wie er sie noch nie zuvor gesehen hatte. Ihr nackter Körper war schneeweiß und schien von innen heraus zu leuchten; Geschlechtsmerkmale waren nicht zu erkennen. Der Kopf war unförmig, das Gesicht androgyn. Adalmar blickte in mandelförmige Augen und hatte das Gefühl, in einen gewaltigen Strudel zu geraten ... Er musste auf den Fremden zugehen.

    Dann wurde er buchstäblich von den Füßen gerissen und die Treppe hinuntergezerrt. Er drehte sich zu Ingvar um und war einen Moment verblüfft, ihn zu sehen. Er war in den Bann des seltsamen Wesens geraten und hatte vergessen, dass sein Onkel überhaupt existierte.

    »Weiter! Schnell!«, keuchte Ingvar.

    Ein wütender Schrei gellte ihnen hinterher. Offenbar explodierte der Fremde vor Wut darüber, dass ihm ein sicher geglaubtes Opfer entkommen war. Es krachte ohrenbetäubend – eine Wand stürzte ein ... vielleicht das ganze Haus.

    Während Adalmar durch einen nur schwach vom Mondlicht erhellten Gang stolperte, spürte er, wie der Boden unter seinen Füßen vibrierte. Dann riss Ingvar eine schwere Holztür auf und stieß ihn hinein. Adalmar roch Schimmel und Fäulnis. Für eine Sekunde sah er Lydias aufgeschrecktes Gesicht. Die Tür schlug zu, und es herrschte völlige Finsternis.

    Ein metallenes Kratzen ertönte – offenbar hatte Ingvar den Eingang mit einem Riegel gesichert.

    Der Lärm verstummte ... Dennoch war Adalmar sich sicher, dass der Unheimliche und die Luftgeister längst in das Haus eingedrungen waren.

    »Asmodi hat uns diese Horde auf den Hals gehetzt«, flüsterte Lydia. »Wir sollten uns mit Vater in Verbindung setzen. Er muss Verstärkung schicken.«

    Bevor jemand antworten konnte, brach vor der Tür ein Höllenlärm los. Es klang, als würde das ganze Haus niedergerissen. Ein merkwürdiges Summen – wie von riesigen, mutierten Insekten – mischte sich in das Gepolter.

    Die Tür wurde von gewaltigen Schlägen erschüttert. Von der anderen Seite schien man sie mit einem Rammbock zu bearbeiten. Adalmar malte mit den Händen einige Zeichen in die Dunkelheit und zitierte einen Bannzauber. Draußen erklang ein wütendes Zischen – aber das Klopfen hörte auf.

    Es wurde ruhiger. Irgendwo zerbarst eine Scheibe, dann war es wieder still.

    »Sie sind fort«, meinte Ingvar erleichtert. »Ich spüre keine dämonische Ausstrahlung mehr.«

    »Vielleicht tarnen sie sich«, wandte Lydia ein.

    »Das werden wir schnell feststellen. Kommt – reicht mir eure Hände!«, erwiderte Adalmar.

    Trotz der Dunkelheit fanden die Drei zusammen; sie bildeten einen geschlossenen Kreis. Adalmar absorbierte die magischen Kräfte der beiden anderen ... Mit Hilfe ihrer Energien gelang es ihm, einen Lichtleib zu bilden, mit dem er die geschlossene Tür durchdrang und die Umgebung erkundete. Adalmars Augenlider flatterten, sein Gesicht verzerrte sich – wenige Augenblicke später gab er Lydia und Ingvar frei.

    »Ich weiß nicht, was es zu bedeuten hat, aber die Angreifer sind tatsächlich verschwunden.«

    Lydia atmete erleichtert aus. »Vermutlich wollte Asmodi uns nur in Angst und Schrecken versetzen. Er wollte uns seine Macht demonstrieren.«

    »Was ihm ja auch gelungen ist«, sagte Ingvar.

    Adalmar tastete die Tür ab und entriegelte sie. Als er sie aufzog, bot sich ihm ein Bild der Verwüstung. Steine waren aus Boden, Decke und Wänden gerissen. Das Mauerwerk wies tiefe Kratzspuren auf – gewaltige Krallen hatten hier gewütet.

    Und noch immer spürte er die Ausstrahlung des unheimlichen, weißhäutigen Wesens. Auch wenn er es nirgendwo hatte sehen können ... in irgendeiner Form war es noch immer anwesend und beobachtete sie alle.

    Ingvar und Lydia schienen das ebenfalls wahrzunehmen. Die beiden wirkten bedrückt, als sie die Treppe hinauf stiegen. Als sie oben ankamen, waren sie nicht wirklich überrascht. Ein Teil des Daches war abgetragen, und sie konnten den Himmel sehen, der jetzt sternenklar war und an dem ein hellweißer Vollmond leuchtete. Zwei Wände wiesen gewaltige Löcher auf, so als wäre von außen ein Bulldozer dagegen gerammt.

    Trägerbalken waren umgekippt und Tapeten in Fetzen zerrissen. Auch hier hatten die dunklen Wesen überall tiefe, langgezogene Kratzspuren hinterlassen.

    Sie liefen zum Lieferwagen zurück, den die Luftgeister aus einer seltsamen Laune heraus unversehrt gelassen hatten. Jedoch standen die Türen zur Ladefläche weit offen, und als Adalmar näher trat, sah er, dass von Massimo Franco nicht viel übriggeblieben war.

    Der Nachtwächter hatte sich in Trance befunden und keinen Fluchtversuch unternommen. Das war ihm zum Verhängnis geworden. Die Luftgeister hatten ihn bis zu Unkenntlichkeit massakriert – seine Überreste waren über die Ladefläche und über die anderen Toten verstreut. Blut tropfte vom Wagen und fiel lautlos ins hohe Gras.

    Adalmar schloss die Türen des Laderaums. »Lasst uns von hier verschwinden!«

    2. Kapitel

    Meine Familie hat versagt. Asmodi hat meine Eltern und meine Geschwister getötet. Nur Georg lebt noch. Er kommt auf mich zugerannt. Aufgeregt und außer Atem berichtet er mir, dass ihre Leichen in einem seltsamen Labyrinth zu finden seien. Zusammen steigen wir in Georgs Auto, fahren an einen Ort, den ich nie zuvor gesehen habe. Ich blicke auf riesige Mauern, die meterhoch in den Himmel ragen. Überall liegen Gesteinsbrocken herum, ich trete auf vergilbte Knochen und in schlammige Pfützen. Georg zeigt nach vorn – ich sehe eine Kathedrale, sie ist schwärzer als die Nacht. Nachdem wir das schwere Eisentor aufgestoßen haben, blicken wir in eine verschmutzte und modrige Halle. Mir wird schwindelig vor Ekel, und ich denke mit Entsetzen daran, wie die Leichen aussehen könnten: schwammig, verfault und vom Ungeziefer zerfressen! Georg betritt die Halle, nur zögernd folge ich ihm ...

    Wir hasten eine brüchige Treppe hinab, kommen in ein Gewölbe, das einer mittelalterlichen Folterkammer gleicht. Jetzt sehe ich sie: Vater, Mutter, meine Geschwister ... gefesselt, an Stahlgestellen oder Holzpritschen. Sie sind nicht tot. Sie werden auf das Furchtbarste gepeinigt. Nicht Asmodi ist es, der ihnen das antut – er hat einen Stellvertreter geschickt, der ihm an Boshaftigkeit und Grausamkeit in nichts nachsteht. Er sieht absonderlich aus, ist nackt und geschlechtslos.

    Georg und ich müssen hilflos mitansehen, wie er die Gefesselten misshandelt. Asmodis Stellvertreter malträtiert Adalmar mit einem Skalpell. Mein Bruder fleht, fleht um sein Leben. Aber das Wesen macht eiskalt und gefühllos weiter. Es berührt mit dem funkelnden Skalpell Adalmars Haut, schneidet tief in das Fleisch, löst das Gewebe vom Knochen. Mir ist es unerträglich, diesem Tun zuzusehen, aber mein Blick bleibt starr auf der Szenerie haften – es ist mir unmöglich, mich abzuwenden oder einzugreifen. Adalmar windet sich, stöhnt und schreit hilflos unter der endlosen Folter. Sein markerschütterndes Gebrüll wird unerträglich, und es verstummt erst im Moment seines Todes. Adalmars Körper ist zerstückelt; was bleibt, sind die leblosen Überreste des teuflischen Werkes.

    Asmodis Stellvertreter hält einen Berg Muskelfleisch in den Händen – er starrt mich mit seinen dunklen, gefühllosen Augen an. Plötzlich streckt er die Hände nach vorn und hält mir den blutigen, dampfenden Haufen entgegen.

    »Siehst du, Coco Zamis«, sagt er mit einer traurigen Stimme, die so schauderhaft ist wie sein Tun, »das ist alles, was das Leben ausmacht.«

    Ich kann mich wieder bewegen – ich fliehe. Ich laufe, bis mich die Kraft verlässt und ich erschöpft stehen bleibe, mich an eine Häuserwand lehne und zu weinen beginne.

    Ich erwachte schwitzend und mit rasendem Herzen. Mit den Händen berührte ich mein Gesicht. Es gab keine Tränen ... natürlich nicht. Ich bin eine Hexe, unfähig zu weinen. Nichts von dem, was mir der grässliche Traum gezeigt hatte, entsprach der Realität.

    Ich kam mit dem Oberkörper hoch und blickte mich um. Ich lag in einem großen, prunkvoll eingerichteten Schlafzimmer. Die Vorhänge vor den Fenstern waren nicht verschlossen, und ich sah, dass der Morgen dämmerte. Es dauerte einige Momente, bis mir bewusst wurde, wo ich mich befand. Im Castello della Malizia, in den Abruzzen.

    Die wichtigsten Mitglieder meiner Sippe hatten sich hier versammelt, einige von ihnen waren aus den entlegensten Teilen der Welt angereist. Mein Vater hatte sie zusammenrufen lassen ... er herrschte wie ein Patriarch über unsere Familie, und niemandem wäre es eingefallen, ihm den Gehorsam zu verweigern. Michael Zamis war ein typischer Dämon der Schwarzen Familie: grausam und voller teuflischer Ideen. Sein Plan war es, den Fürsten der Finsternis vom Thron zu stoßen, und dafür benötigte er die Unterstützung seiner Verwandten.

    Die Intrigen und Machtkämpfe meines Vaters hatten mich nie sonderlich interessiert. Auch die sadistischen und grausamen Neigungen meiner dämonischen Verwandten teilte ich nicht – ich war eine Außenseiterin, das weiße Schaf in einer Familie, die aus lauter pechschwarzen Wölfen bestand.

    Dennoch war ich eine überaus begabte Hexe, und mein Vater gedachte mich als Geheimwaffe einzusetzen. Ich war erst vor wenigen Tagen in den Abruzzen eingetroffen und wurde seitdem behandelt wie eine Gefangene. Es war mir untersagt, das Kastell zu verlassen. Man wachte mit Argusaugen über mich ... sogar die Umgebung war mit magischen Fallen gesichert. Ein Entkommen schien unmöglich.

    Eine Verbindungstür führte zu einem chromglänzenden Badezimmer. Ich ging hinüber, um mich frisch zu machen. Über dem Marmorwaschbecken hing ein großer goldumrandeter Spiegel, in dem ich mich betrachtete; ich sah eine junge, gutaussehende Frau, mit hochstehenden Wangenknochen und langen, tiefschwarzen Haaren.

    Die Anstrengungen der letzten Tage und Wochen waren ohne Spuren an mir vorübergegangen. Ich schob das auf den Signatstern, den ich – befestigt an einer uralten Kupferkette – um den Hals trug. Es handelte sich dabei um einen ungeschliffenen Kristall, der in seinem Innern geädert war und verschiedene Unreinheiten aufwies. Aus einer bestimmten Perspektive betrachtet, zeigte sich auf seiner Oberflächenstruktur ein funkelnder Stern. Der Signatstern wird auch gestirnter König, Stern der Weisen und stella antimonii genannt. Seine genaue Zusammensetzung kannten noch nicht einmal die alten Magier und Alchemisten, obgleich sie wussten, dass metaphysische Kräfte in ihm schlummern. Der Signatstern verstärkte meine magischen Fähigkeiten und bewirkte, dass ich jede erdenkliche Sprache verstehen und sprechen konnte.

    Er war eines der sieben Siegel, die nötig waren, um den mächtigen Zauberer Merlin aus seinem Flammengefängnis im centro terrae zu befreien. Das centro terrae war eine Hölle, tief im Inneren der Erde, bevölkert von bizarren und grausamen Geschöpfen. Diese Kreaturen strebten danach, die Erdoberfläche zu erobern. Mein Vorhaben, Merlin zu befreien, erschien in diesem Licht umso bedeutender. Nur er besaß das Wissen und die Macht, die Höllenhunde aufzuhalten. Ich hatte große Fortschritte gemacht – sechs Siegel befanden sich bereits in meinem Besitz: das magische Vlies und das orphische Ei machten mich unverwundbar; Signatstern und Ring verstärkten meine magischen Fähigkeiten; und an der Rechten trug ich einen Goldreif, der mich die Zeitschächte beherrschen ließ. Der Aton-Stern wiederum, den ich im Inneren eines Ledergurts aufbewahrte, würde die magische Flamme löschen, in der Merlin gefangen war.

    Es fehlte nur noch ein Siegel, das ich mit Hilfe des Gnoms Oirbsen an mich bringen wollte.

    Als ich frisch geduscht und angekleidet wieder im Zimmer erschien, hörte ich draußen Motorenlärm. Neugierig trat ich an eines der bis zur Zimmerdecke reichenden Fenster. Zehn Meter unter mir lag der Vorhof des Kastells, das eiserne Tor war geöffnet und ein Lieferwagen fuhr herein. Hinter dem Fahrzeug schwang das Tor automatisch wieder zu; keine Magie, sondern schlichtweg das Werk moderner Technik.

    Der Wagen hielt, die Türen wurden aufgestoßen. Meine Geschwister Adalmar und Lydia stiegen aus, außerdem mein Onkel Ingvar; ihm gehörte das Kastell. Adalmar ging zur Rückseite des Wagens und öffnete die Tür zum Laderaum. Von meiner Position aus konnte ich direkt auf die Ladefläche sehen, und als ich die zahllosen Leichen erblickte, lief mir ein Schauer des Entsetzens über den Rücken.

    Was hatten sie mit den Toten vor? Mich überkam ein Verdacht, den ich lieber nicht zu Ende denken wollte. Ich sah noch, wie einige Diener aus dem Haus gelaufen kamen, vermutlich, um die Toten in Adalmars Labor zu schaffen. Angewidert von diesem schändlichen Treiben wandte ich mich ab.

    Es klopfte an der Tür, und als ich öffnete, erblickte ich Magdalena, ein hübsches junges Mädchen, das mir als persönliche Dienerin zugeteilt worden war. Sie hatte ein freundliches, offenes Gesicht, ihre großen braunen Augen glänzten fröhlich. Meine Sippe hatte sie nicht beeinflusst, sie war aus freien Stücken im Kastell.

    »Das Frühstück steht bereit, Coco. Du kommst doch, oder?«

    Sie war ein nettes Ding, nicht viel jünger als ich, und ich hatte ihr bei unserem ersten Aufeinandertreffen spontan das Du angeboten. Gewiss erhielt sie von meinem Onkel ein fürstliches Gehalt, aber es war fraglich, ob sie es jemals würde ausgeben können. Ich hatte sie mehrmals angefleht, sie möge doch ihre Siebensachen nehmen und möglichst weit fortgehen, aber sie hatte mich nur ausgelacht. Der Aufenthalt im Kastell war für sie ein einziges Abenteuer ... und dem Geld meines Onkels konnte sie schon gar nicht wiederstehen.

    Dabei war es nicht Ingvar Zamis, der eine Gefahr für Magdalena darstellte. Ich dachte mit Unbehagen an meinen Bruder Adalmar, der häufig Menschen für seine abartigen Experimente missbrauchte ... und an die zahlreichen Dämonen im Hause, die sich liebend gern über ein junges Mädchen hergemacht hätten.

    »Ja, natürlich komme ich«, erwiderte ich.

    Sie nickte mir zu und zog sich zurück.

    Insgeheim hatte ich längst beschlossen, sie mittels meiner hypnotischen Fähigkeiten zur Vernunft zu bringen. Magdalena nahm das Leben einfach zu sehr auf die leichte Schulter, eine Haltung, die ihr schnell zum Verhängnis werden konnte.

    Ich rauchte noch hastig eine Zigarette, dann verließ ich das Zimmer. Der Korridor schien kein Ende zu nehmen, an den Wänden hingen Portraits mir unbekannter Dämonen: potthässliche Fratzen, die mich feindselig anstarrten. Es hätte mich nicht gewundert, wenn manche der Ölbilder als magische Augen gedient hätten.

    Mein Vater misstraute mir seit langem, und er war bemüht, jeden meiner Schritte zu überwachen. Vermutlich hatte er seine Ohren und Augen überall, denn er wollte verhindern, dass ich das alte Gemäuer gegen seinen Willen verließ. Ich wusste immer noch nicht, welche Rolle er mir im Kampf gegen Asmodi zugedacht hatte. Er behandelte mich wie ein unmündiges Kind, und er würde mich vermutlich erst im letzten Moment in seine Pläne einweihen.

    Endlich erreichte ich die breite, gewundene Treppe, die ins Erdgeschoss hinabführte. An den Wänden hingen monströse Wandteppiche. Sie zeigten ebenfalls schauerliche Fratzen, aber auch verschlungene Symbole aus der Dämonologie.

    Die Vorhalle wurde von einem Dutzend Säulen aus dunklem Marmor gestützt. Sie waren mit mittelalterlichen Waffen verziert, mit Streitäxten, Speeren und Morgensternen. Der Zugang zum Speisezimmer wurde von zwei leeren Ritterrüstungen bewacht.

    Ich ging zwischen ihnen hindurch und öffnete die Tür. Fast zwanzig Personen saßen an einer langgezogenen, üppig gedeckten Tafel, und als ich eintrat, verstummten die Gespräche. Alle Augen waren auf mich gerichtet, und erst nachdem ich einen freien Platz ausgemacht und mich gesetzt hatte, wurden die Unterhaltungen

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