Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Das Haus Zamis 15 - Die Totenmesse
Das Haus Zamis 15 - Die Totenmesse
Das Haus Zamis 15 - Die Totenmesse
eBook334 Seiten4 Stunden

Das Haus Zamis 15 - Die Totenmesse

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Coco Zamis ist zurück in der Gegenwart - und mit ihr hat es Dorghai Zamis, ihren Großvater, dorthin verschlagen. Damit hat sie sich ein gewaltiges Problem aufgehalst, denn der grausame Dämon erweist sich als alles andere als pflegeleicht. Andererseits verspricht er Coco Hilfe im Kampf gegen Asmodi, der von Coco ein fast unannehmbares Opfer verlangt. Damit ihre versteinerte Sippe ins Leben zurückgerufen werden kann, soll Coco sich auf einer Mitternachtsmesse im Wiener Stephansdom dem Oberhaupt der Schwarzen Familie hingeben ...!

Der 15. Band von "Das Haus Zamis".

"Okkultismus, Historie und B-Movie-Charme - ›Dorian Hunter‹ und sein Spin-Off ›Das Haus Zamis‹ vermischen all das so schamlos ambitioniert wie kein anderer Vertreter deutschsprachiger pulp fiction." Kai Meyer

enthält die Romane:
44: "Der Seelenfresser"
45: "... und erlöse uns von dem Fluch"
46: "Die Totenmesse"
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum1. Jan. 2013
ISBN9783955722159
Das Haus Zamis 15 - Die Totenmesse

Mehr von Uwe Voehl lesen

Ähnlich wie Das Haus Zamis 15 - Die Totenmesse

Titel in dieser Serie (68)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Horrorfiktion für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Das Haus Zamis 15 - Die Totenmesse

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Das Haus Zamis 15 - Die Totenmesse - Uwe Voehl

    Die Totenmesse

    Band 15

    Die Totenmesse

    von Uwe Voehl

    © Zaubermond Verlag 2012

    © Das Haus Zamis – Dämonenkiller

    by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

    Titelbild: Mark Freier

    eBook-Erstellung: story2go

    http://www.zaubermond.de

    Alle Rechte vorbehalten

    Was bisher geschah:

    Die junge Hexe Coco Zamis ist das weiße Schaf ihrer Familie. Die grausamen Rituale der Dämonen verabscheuend, versucht sie den Menschen, die in die Fänge der Schwarzen Familie geraten, zu helfen.

    Ihr Vater sieht mit Entsetzen, wie sie den Ruf der Zamis-Sippe zu ruinieren droht. Auf einem Sabbat soll Coco zur echten Hexe geweiht werden. Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie der Dämonen, hält um Cocos Hand an. Doch sie lehnt ab. Asmodi kocht vor Wut, und das Verhältnis zwischen ihm und der Zamis-Sippe ist fortan von Hass geprägt.

    Erst kürzlich schickte Asmodi den Dämon Gorgon vor, der Wien und alle seine Bewohner zu Stein erstarren ließ – und Wien komplett aus dem Gedächtnis der Menschheit löschte. Nur Coco konnte im letzten Augenblick entkommen. Allerdings schwindet mit der Entfernung zu Wien auch jegliche Erinnerung an die Geschehnisse.

    In einem geheimnisvolles Labyrinth in Norddeutschland wird Coco schließlich mit Teilen ihrer Erinnerungen konfrontiert. In einer Vision findet sie sich in Wien wieder und steht für einen kurzen Moment ihrer versteinerten Familie gegenüber – ihrem Vater, ihrer Mutter, ihrem Bruder Georg und ihrem Onkel Enrico. Mehr denn je fühlt sie sich nun verpflichtet, ihre Verwandten zu retten. Doch wie soll sie Gorgons Fluch aufheben?

    Ein erster Hinweis führt sie zum Schloss Laubach, wo sich eine uralte Dämonenbibliothek befindet. In Tausenden Büchern ist die Geschichte der Schwarzen Familie aufgezeichnet. Auch über die Zamis-Familie gibt es Informationen. Coco stößt auf die Dämonenvita ihres Vaters, ein magisches Buch, das von einem affenartigen Wesen – dem »Bibliografen« – unter Verschluss gehalten wird.

    Coco gelingt es, das Buch an sich zu bringen, von dem sie sich weiteren Aufschluss über ihre Familienverhältnisse erhofft. Woher stammen die Zamis? Bisher weiß Coco nur, dass ihr Vater einst aus Russland nach Wien emigrierte und dort rasch eine beherrschende Rolle innerhalb der Schwarzen Familie einnahm. Je länger Coco in der Zamis-Biografie liest, desto klarer wird ihr, dass die Ereignisse von damals mit ihren heutigen Problemen in Zusammenhang stehen. Dementsprechend setzt auch Asmodi alles daran, in den Besitz der Dämonenvita zu gelangen. Zu diesem Zweck beauftragt er den Frankfurter Antiquar Ambrosius Seth, der ebenfalls ein Mitglied der Schwarzen Familie ist, Coco das Buch zu stehlen.

    Doch Seths Anschlag schlägt fehl. Coco wird vorübergehend in die Vergangenheit geschleudert – in genau jene Zeit, von der die Dämonenvita ihres Vaters erzählt. Dort begegnet sie in der Gestalt eines fremden Mädchens nicht nur dem jungen Michael Zamis, sondern auch dessen Vater Dorghai, der sich mit der Erforschung eines magischen Meteoriten beschäftigt. Genau dieser Meteorit ebnet Coco schließlich den Weg zurück in die Gegenwart. Der magische Stein eröffnet Coco darüber hinaus noch weitere Möglichkeiten – mi seiner Hilfe könnte sie den Versteinerungszauber Gorgons aufheben ... Zuvor allerdings muss sie überhaupt erst einmal nach Wien gelangen – und sich mit dem blinden Passagier arrangieren, den sie aus der Vergangenheit mitbrachte – ihren Großvater Dorghai Zamis ...

    Erstes Buch: Der Seelenfresser

    Der Seelenfresser

    1. Kapitel

    Aus der Dämonenvita des Michael Zamis

    Die Einsamkeit, die ich gesucht habe, habe ich hier gefunden. Sibirien ist wie ein langer, kalter Mantel, den man sich überstreift und der jegliche Gefühle zum Erfrieren bringt.

    Wie oft steht dieses Bild vor meinen Augen? Die Zeit vergeht so langsam wie eine sibirische Winternacht. Ich habe es längst aufgegeben, auf die Rückkehr meines Vaters, Dorghai Zamis, zu hoffen. Er muss mit Tanja ums Leben gekommen sein – und vielleicht ist das gut so. Zwar habe ich keinen endgültigen Beweis, denn die Leichen der beiden sind unauffindbar, doch ist dies wiederum kein Grund, anzunehmen, dass sie noch leben. Bei den gewaltigen Energien, die frei wurden, als mein Vater versucht haben muss, den Kometen mitsamt Tanja zurück in eine andere Zeit zu schleudern, ist es eher wahrscheinlich, dass sein Leib pulverisiert worden ist.

    Je mehr Zeit vergeht, umso weniger vermisse ich ihn. Und schließlich bin ich sogar froh, dass er nicht mehr auftaucht. Ich hoffe, für immer!

    So habe ich genügend Zeit, ungehindert meine selbst gewählte Festung der Einsamkeit zu durchstreifen und meinen Studien nachzugehen.

    Zwei Jahre habe ich jetzt schon hier verbracht. Die Vorratskammern sind gefüllt, zudem brauche ich nicht viel an Nahrung. Eher giere ich nach geistiger Kost. Die weitverzweigten Bibliotheken meines Vaters sind angefüllt mit schwarzmagischer Literatur aus aller Welt. Das legendäre Dragon Rouge ist ebenso darunter zu finden wie Das Buch der Phänomene, Agrippa von Nettesheims De occulta philosophia oder die mittelalterliche Scientia ceremonialis des angeblichen Arztes Georg Pictorius.

    Nicht immer verstehe ich alles, und manches Experiment misslingt. In den unterirdischen Verliesen der Festung hausen die Kreaturen, die davon zeugen können. Manchen Geist, den ich beschwor, wurde ich nicht mehr los. Aber solange ich sie unter Kontrolle weiß, bin ich beruhigt.

    So begann ich ein Experiment unmittelbar nach einem Ausritt, den ich drei Monate, nachdem mein Vater verschwunden war, unternommen hatte. Es zog mich erneut in das Gebiet um Tunguska. Dort hatte sich nichts verändert. Der Boden glühte noch immer, sodass ich nicht weit kam. Zurück in meiner Festung suchte ich in den Büchern nach einer Lösung, selbst extremste Temperaturen auszuhalten.

    Tatsächlich stieß ich im Buch der Phänomene auf Fälle plötzlicher menschlicher Selbstentzündung. So wurde der Fall eines jungen Pariser Schauspielers geschildert, der in seiner Garderobe zu einer fast unidentifizierbaren Masse verkohlte, während nicht die geringsten Brandspuren auf die Ursache des Feuers hinwiesen. Er war von innen heraus verbrannt. Um es kurz zu machen: Das Buch der Phänomene listete eine komplizierte magische Handlung auf, um den Körper seines Widersachers so aufzuheizen, dass dieser sich entzündete. Meine Idee war es, ein Wesen zu erschaffen, das selbst derartig hohe Temperaturen ausstrahlte, dass ihm die Hitze um Tunguska nichts ausmachte. Also beschwor ich einen Dämon und vollzog an ihm das Ritual. Zum Glück war die Kreatur nicht größer als eine Katze, denn das Experiment ging schief. Der Dämon setzte nicht nur alles in Brand, womit er in Berührung kam, unter anderem auch den gesamten westlichen Bibliotheksflügel, sondern war darüber hinaus einfach nicht unter Kontrolle zu bekommen. Mit Müh und Not gelang es mir, ihn in eines der Kellerverliese zu locken, wo er seitdem schmort. Ich habe keinen weiteren Versuch mehr unternommen, ein derartiges Wesen zu erschaffen, damit es nach meinem Vater oder dessen Überresten suchen kann.

    Ich selbst mied fortan das Gebiet um Tunguska.

    Wir schreiben mittlerweile das Jahr 1912. In den letzten Tagen habe ich immer wieder an Rasputin denken müssen. Mehrmals sind wir aneinandergeraten, er hat mir schlimme Wunden beigebracht – vor allen Dingen die psychischen werde ich ihm niemals vergeben.

    Die zwei Jahre haben aus mir – trotz der erwähnten Fehlschläge – einen talentierten Magier werden lassen. Wie habe ich nur in all den Jahren, bevor ich die Festung erreichte, glauben können, ich wäre gut gewesen? Wie töricht: Ich hatte mich allein auf mein Talent verlassen. Heute vergleiche ich mein altes Selbst mit einem jungen Boxer, der zwar eifrig ist, doch dem jegliche fundierte Ausbildung fehlt.

    Die Ausbildung habe ich nun nachgeholt und mir das nötige Wissen angeeignet. Damit dürfte ich Rasputin nun gefährlicher werden können, ihm vielleicht sogar ebenbürtig sein. Im Gegensatz zu mir, der ich bei einem menschlichen Stiefvater aufwuchs, hat Rasputin während der ersten sechs Jahre seines Lebens eine schwarzmagische Erziehung genossen.

    Was mir noch immer fehlt, das ist die Praxis. Darüber hinaus gibt es nur eine Möglichkeit, den Beweis meiner neuen Macht zu erbringen: Ich werde Rasputin töten.

    Der Entschluss fällt mir nicht leicht, denn immerhin sind wir Halbbrüder. Außerdem haben wir einen Wimpernschlag unseres Lebens lang Seite an Seite gekämpft. Doch der Gedanke hat sich nach und nach wie Gift in mir festgesetzt. Er oder ich. Ich oder er …

    Wie mag es ihm ergangen sein? Während ich in der Festung zurückblieb, zog es ihn wieder nach St. Petersburg. Hat er inzwischen vielleicht den Zarenthron erobert? Ich lebe derart abgeschieden, dass politische Nachrichten nicht zu mir durchdringen. Und bis vor Kurzem hat es mich auch nicht interessiert.

    Ich ziehe eine magische Kugel zurate, vollziehe die nötigen Beschwörungsrituale, bis ein verschwommenes Bild darin erscheint. Es ist nicht Rasputin, den ich erblicke, sondern ein Kind. Aus meiner Petersburger Zeit erkenne ich sofort, dass es sich um den jungen Zarewitsch handelt. Er war schon immer ein Problemfall. Doch über ihn gelang es Rasputin damals, sich Einfluss bei Hofe zu verschaffen.

    Ich konzentriere mich wieder auf das Bild in der Kugel. Der Junge wälzt sich im Bett, er schreit vor Schmerzen. Die Verbände und Laken sind blutverschmiert. Ich frage mich, was passiert ist. Abermals reibe ich über die gewölbte Oberfläche und schaue in die Vergangenheit. Das Bild wechselt. Es zeigt den jungen Zarewitsch fröhlich inmitten seiner Familie in einem Park. Plötzlich, ohne einen äußeren Grund, stürzt er zu Boden. Sofort eilen Diener herbei, heben ihn hoch und tragen ihn auf sein Zimmer …

    Abermals ändern sich die Bilder in der Kugel: Ärzte beugen sich über den Jungen, scheinen ratlos und am Ende ihrer Weisheit. Niemand vermag die Blutungen des Zarewitschs zu stillen. Neue Szenen legen sich über die alten, etliche Wochen scheinen vergangen. Ein Geistlicher der orthodoxen Kirche erteilt dem Dahinsiechenden die Sterbesakramente … Da endlich kommt mein Halbbruder Rasputin ins Spiel. Ich sehe ihn einen Brief in den Händen halten. Er trägt als Absender den Namen der Hofdame Mara Wyrobova. Der Inhalt lautet: »Ärzte hoffnungslos. Unsere einzige Hoffnung sind Ihre Gebete.«

    Ich sehe ihn grinsen, und auch ich muss lächeln. Wie naiv diese Menschen doch sind. Sie begreifen nie! Sie ahnen nicht, dass Rasputin einen anderen Gott anbetet. Einen schwarzen Gott. Den Herrn der Finsternis.

    Nun will ich es genau wissen. Ich versenke mich in eine Art Trance, tauche ein in die Magie der gläsernen Kugel und verschmelze mit ihr. Immer deutlicher sehe ich meinen Halbbruder vor mir. Ich höre sein Lachen. Seine Stimme …

    »Sie ist gekommen?«

    Es fällt Rasputin schwer, den Triumph zu unterdrücken. Er ist wieder daheim in Pokrowskoje, seinem Zeugungsort, wie er ihn in Gedanken nennt. Hier hat ihn Dorghai Zamis gezeugt. Das Landgut, das er von seinen Eltern geerbt hat, ist verfallen. Die Ställe sind ebenso verwaist wie die Gebäude für die Dienstboten. Seitdem der Zar ihn aus Petersburg verbannt hat, fristet er hier sein Dasein. Kurz hat er darüber nachgedacht, zurück in die Festung seines Vaters zu wandern, aber allein der Gedanke, dort auf seinen verhassten Halbbruder Mikhail zu stoßen, verursachte ihm Übelkeit.

    Also ist er zurück nach Pokrowskoje gewandert, um hier seine Wunden zu lecken.

    Und seinen Hass am Lodern zu halten.

    Die Ereignisse haben ihm gezeigt, dass er vorsichtiger agieren muss. Allzu offen darf er seine dämonischen Triebe nicht ausleben. Die Öffentlichkeit in Petersburg hat sich gegen ihn gestellt. Er muss es raffinierter anfangen, um endlich dort zu stehen, wo er hingehört: an der Seite der Zarin.

    Zugegeben, er hat den Sturz des Zarewitsch herbeigeführt. Sein Hass, als er, über seine Glaskugel gebeugt, die Zarenfamilie im Park von Bialowieza spazieren sah, war grenzenlos gewesen. Ihre Zufriedenheit und ihr scheinbares kleines Glück haben ihn angewidert.

    Dass der Zarewitsch so unglücklich stürzte, dass seine Blutungen, die er mit zunehmendem Alter längst überwunden zu haben schien, ihn wieder in einen besorgniserregenden Zustand brachten, war Glück. Natürlich hat Rasputin aus der Ferne veranlasst, dass die Blutungen am Bein nicht aufhörten. Er hat laut gelacht, als er sah, dass selbst die aus Russland herbeigeholten Koryphäen wie der Chirurg Ostrowskij oder der berühmte Kinderarzt Rauchfuss nur die Köpfe schütteln konnten. Er sorgte dafür, dass Fieber und Puls stiegen und dass das Bein immer weiter anschwoll. Sollte sich der Bengel ruhig quälen!

    Und jetzt war sie gekommen! Mara Wyrobova. Sie hatte ihn aufgesucht, nachdem er ihren Brief ignoriert und ins Feuer geworfen hatte. Nun gut, lieber hätte er den Zaren gesehen oder die Zarin. Aber die Hofdame ist immerhin die direkte Gesandte der Zarin.

    Er schickt den Diener, den einzigen, den er hat, hinunter und lässt sie bitten. Er selbst hält es nicht für nötig, sich aus dem verwahrlosten Bett, in dem er liegt, zu erheben. Auch sein heruntergekommener Zustand stört ihn nicht.

    Sie tritt ein. Mara Wyrobova ist eine schöne, stolze Frau. Unter normalen Umständen würde er ihren Willen brechen und ihren Leib schänden. Doch nicht heute. Er reißt sich zusammen, schließlich hat er auf diesen Moment lange gewartet.

    »Treten Sie ein«, begrüßt er sie. An ihrem Blick erkennt er, dass sie entsetzt über den verwahrlosten Zustand ist. Er grinst. »Ich kann Ihnen leider nichts anbieten, noch nicht einmal einen Stuhl. Ich habe ihn zu Feuerholz verarbeitet.«

    »Sie sollten nicht so hausen!«, sagt die Wyrobova streng. »Ein Mann mit ihren Fähigkeiten hat eine bessere Umgebung verdient.«

    »Die bessere Umgebung ist mir genommen worden«, entgegnet er kühl. »Außerdem bin ich hier gezeugt worden. Wollen Sie etwa mein Elternhaus beleidigen?«

    »Und wenn es die kleinste Hütte wäre, so könnte diese doch mehr Sauberkeit verlangen«, sagt sie. »Dies aber ist ein großes Gut, und es so herunterkommen zu lassen, ist eine Schande.«

    »Dann passen mein Heim und ich wenigstens zueinander«, erwidert er und muss an sich halten, um seine Besucherin nicht doch noch zu manipulieren und zu erniedrigen. Nicht jetzt, sagt er sich. Sie ist aus einem bestimmten Grund hier. Alles andere wird sich fügen.

    »Ich bin nicht hergekommen, um mich mit Ihnen über Ihre Maßstäbe von Ordnung zu unterhalten«, sagt sie. »Sie haben sehr wohl meinen Brief bekommen …?«

    »… und mit Vergnügen damit das Feuer entzündet!«, platzt er heraus. »Sie wissen sehr wohl, dass der Zar mich aus Petersburg hinausgeworfen hat. Ich habe mit dem Hof nichts mehr zu schaffen.«

    »Er ist zu stolz, um selbst um Verzeihung zu bitten, aber ich weiß sehr wohl, dass es ihm leid tut. Er braucht sie an seiner Seite, und vor allem braucht Sie – die Zarin!«

    Rasputin grinst. »Was haben Sie mir anzubieten, Verehrteste?«

    Ihre Züge werden hart. »Falls Sie glauben, dass ich mit Ihnen in Ihr verlottertes, vor Wanzen starrendes Bett steige, irren Sie! Wenn Ihnen der Einfluss bei Hofe nicht genug ist, dann ist Ihnen nicht zu helfen!«

    »Werden Sie konkret, Wyrobova!«, fordert er, während er sich endgültig schwört, sie für ihre Beleidigung büßen zu lassen.

    »Heilen Sie den Zarewitsch – und der Zar wird Sie wieder mit allen Ehren bei Hof empfangen.«

    Er reibt sich das bartüberwucherte Kinn. »Das ist nicht so einfach. Ich brauche dafür Ihre Hilfe.« Er schlägt die Bettdecke zurück, darunter ist er nackt. Sein großes Glied hängt schlaff hinab.

    Unter ihrer Pudermaske wird sie noch blasser. »Das können Sie nicht von mir verlangen!«

    Er lacht und ruft nach seinem Diener, befiehlt ihm, einige Dinge herbeizuschaffen. Dann wendet er sich wieder der Hofdame zu: »Ich werde versuchen, den schwierigsten und gefährlichsten aller magischen Riten durchzuführen! Helfen Sie mir!«

    Nun nickt sie – ergeben. Der Diener stürzt wieder ins Zimmer. Er bringt schwarze Kerzen, Kreide und eine abscheuliche Teufelsstatue mit einem riesigen, schwarzen Phallus herbei. Und eine kleine schwarze Holzkiste. Rasputin reißt es ihm aus den Händen, zeichnet wie im Wahn schwarzmagische Zeichen auf den Boden, zündet die Kerzen an, sodass augenblicklich ein beißender Rauch das winzige Zimmer verhüllt. Dann kniet er vor der Teufelsstatue nieder.

    »Auch Sie sollten knien!«, befiehlt er der Wyrobova. »Wenn Sie es schon nicht für sich tun – so denken Sie an den armen Zarewitsch.« Seine Stimme trieft vor Hohn.

    Zögernd gehorcht sie.

    Dann beginnt er den Fürsten der Finsternis anzurufen: »Herr, heile deinen Sohn Alexej, wenn es dein Wille ist. Verleih ihm meine Kraft, auf dass sie seiner Genesung diene …«

    Der Rauch scheint sich weiter zu verdichten, während die Worte Rasputins in eine magische Sprache wechseln.

    Doch nicht genug: Nun wendet er sich dem schwarzen Holzkästchen zu. Er öffnet es und entnimmt ihm einen grünlich leuchtenden Stein. Der Stein beginnt zu pochen – fast wie ein lebendes Herz.

    Eine große, schwarze Gestalt füllt plötzlich das Zimmer aus. Rot glühende Augen sind zu erkennen. Der Rest des Gesichts ist eine verwaschene Fläche. Die Wyrobova schreit entsetzt auf.

    Im nächsten Moment ist die furchtbare Manifestation verschwunden. Aber Rasputin weiß jetzt, dass er die Unterstützung Asmodis, des Oberhauptes der Schwarzen Familie besitzt. Die Augen der Statue glühen rot auf. Rasputin stößt weiter jene magischen Laute aus. Sein Gesicht ist kalkweiß und vor Anstrengung entstellt. Kalter Schweiß rinnt ihm über die Stirn.

    Ganz anders die Wyrobova. Ein ekstatisches Lächeln leuchtet plötzlich auf ihrem Gesicht. Ihr Atem geht stoßweise, doch klingt er eindeutig erregt. Sie springt auf, reißt sich die Kleider vom Leibe und reibt ihre großen Brüste. Dann geht sie wieder auf die Teufelsstatue zu. Sie spreizt die Beine und setzt sich auf den riesigen Phallus. Sofort geht ihr Stöhnen in lustvolle Schreie über, während sie auf dem Phallus reitet.

    Rasputin stürzt zu Boden, das linke Bein angewinkelt. Er zuckt, als wehre er sich gegen einen Todeskrampf. Der Diener eilt herbei, aber Rasputin schickt ihn mit Schlägen fort.

    Die Wyrobova schreit ihren Orgasmus hinaus, fällt erschöpft vornüber. Der Rauch ist plötzlich verschwunden. Ebenso wie die teuflische Statue.

    Rasputin erhebt sich. Er wirkt wie neugeboren. Sein vormals ausgemergelter Körper zeigt stählerne Muskeln. Der Stein pulsiert nicht mehr. Aber er scheint kleiner geworden zu sein. Rasch befördert Rasputin ihn wieder in die Holzkiste.

    »Es ist vollbracht«, sagt er und hilft der Wyrobova auf die Beine. »Mit Ihrer Hilfe. Sie können stolz auf sich sein!«.

    Erst jetzt begreift sie, was über sie gekommen ist. Sie kann kaum laufen, so schmerzt ihr Unterleib. Blut rinnt zwischen ihren Beinen herab. Beschämt und vor Schmerzen wimmernd, rafft sie ihre Kleider zusammen. Sie will nur noch fort. Fort von diesem Grauen. Während sie schluchzend aus dem Zimmer läuft, verfolgt sie das schallende Lachen Rasputins.

    »Der Zarewitsch ist geheilt. Erinnern Sie das Zarenehepaar an sein Versprechen. Sonst werde ich mich rächen!«

    Ich habe genug gesehen. Ich weiß nun, dass Rasputin nach wie vor Einfluss bei Hofe anstrebt. Er ist gerissener geworden – aber sicherlich nicht mächtiger. Während er sich in den letzten zwei Jahren herumgetrieben hat, habe ich studiert. Was er mir an Praxis voraushat, mache ich durch mein magisches Wissen wett.

    So kommt es, dass ich am Heiligen Abend des Jahres 1912 endgültig meine Festung verlasse. Ich verschließe sie mit einem magischen Siegel, das nur ich oder mein Vater – sollte er eines Tages doch zurückkehren – zu brechen imstande sind.

    Es schneit dicke Flocken. Ich gehe, wie ich gekommen bin – mit nichts außer meiner Kleidung und einem Rucksack mit ein paar Habseligkeiten auf dem Rücken. Ich sehe es als Prüfung an, auf die gleiche Weise nach Petersburg zurückzukehren – zu Fuß. Ich stemme mich gegen den eisigen Wind und stiefle los.

    Der Dorfflecken Brsk ist nur wenige Stunden entfernt. Wenn auch nichts anderes mich hier noch bindet, so doch die Neugier, was aus der Schenke geworden ist, in der ich einst auf Tanja stieß. Ich sehe das Ortsschild vor mir auftauchen. Es ist völlig verrottet, die Schrift darauf kaum noch zu entziffern. Wahrscheinlich lebt hier kein Mensch mehr! Ich schätze, dass sie alle die grüne Pest geholt hat – damals vor zwei Jahren. Langsam gehe ich an den verfallenen Häusern vorbei. Sie scheinen verwaist. Ich würde Leben spüren, wenn es darin welches gäbe.

    Schließlich stoße ich auf die Dorfkneipe, in der mir einst Tanja über den Weg lief. Ich stoße die Tür auf und erblicke auch hier nur Leere.

    Brsk ist eine Totenstadt. Ich streife meine menschliche Vergangenheit endgültig ab, während ich entschlossen Richtung Süden marschiere.

    2. Kapitel

    Gegenwart

    Ich legte das Buch beiseite. Die Buchstaben begannen bereits vor meinen Augen zu verschwimmen. Ein Zeichen, dass ich für heute genug darin gelesen hatte.

    Ich verstaute das Buch in meiner Tasche und warf einen Blick aus dem Fenster.

    Frankfurt war ein Moloch. Die Metropole wirkte auf mich wie ein graues Ungeheuer, das noch immer am Wachsen war – so lange, bis es alles mit seinen Wucherungen überdeckt haben würde. Selten hatte ich mich fremder gefühlt als hier.

    Ich traute niemandem mehr. Am liebsten hätte ich mich nur in meinem Zimmer im Holiday Inn verschanzt, in der Dämonenvita meines Vaters gelesen und über meine weiteren Pläne nachgegrübelt. Wenn da nicht Dorghai Zamis gewesen wäre.

    Es war eine komplizierte Geschichte mit uns. Eigentlich war er mein Großvater. Dorghai Zamis hatte als mächtiger Magier in Sibirien gewirkt und war durch ein Versehen mit mir aus der Vergangenheit in die Gegenwart katapultiert worden.

    Ich musste daran denken, was alles geschehen war. Wie sehr mein Leben sich in den letzten Monaten verändert hatte. Der Dämon Gorgon hatte Wien mitsamt meiner Familie zu Stein erstarren lassen. Gleichzeitig war die gesamte Stadt aus der Erinnerung der Menschen und von allen Landkarten dieser Welt gelöscht worden. Ich wusste mittlerweile, dass Asmodi dahintersteckte. Mir selbst war im letzten Moment die Flucht aus Wien gelungen – dank eines riesigen steinernen Gargoyles, den mir eine Verbündete gesandt hatte, eine Nachfahrin der sagenhaften Kassandra. Ihre Bestimmung war es, Gorgon zu bekämpfen, doch sie hatte es nicht geschafft. Ich wusste nicht, ob sie mitsamt den anderen Opfern zu Stein geworden oder gestorben war. Über einige Irrwege war ich schließlich an die Dämonenvita meines Vaters, Michael Zamis, gelangt.

    So erfuhr ich zum ersten Mal etwas über seine Jugendjahre, über die er nie zu mir gesprochen hatte. In dem Buch war beschrieben, wie er, gezeugt von Dorghai Zamis, immer wieder mit seinem Halbbruder, dem berüchtigten Rasputin, aneinandergeraten war.

    Mein Verderben war es, dass ich an einen gerissenen Dämon, Ambrosius Seth, geriet, der mir eine Falle stellte. Auch dahinter vermutete ich Asmodi. Jedenfalls war ich in die Vergangenheit meines Vaters katapultiert worden und hatte mich schließlich im Körper einer Wirtstochter wiedergefunden. Mein Vater war in seiner Gegenwart – meiner Vergangenheit – geblieben, während Dorghai bei dem Versuch, mich wieder in meine eigene Zeit zu bringen, mitgezogen worden war. Gleichzeitig war Seths Haus in Flammen aufgegangen. Dorghai Zamis beherrschte die Kunst, Stein in Leben und umgekehrt, Leben in Stein zu verwandeln. Es war mir wie die Gunst des Schicksals vorgekommen – ich klammerte mich an den Strohhalm, dass es ihm gelingen würde, meine Familie zurückzuverwandeln. In diesem speziellen Falle benötigte Dorghai jedoch einen Splitter des Tunguska-Meteoriten. Nur hatte sich gerade dieser während unserer »Zeitreise« zurück in die Gegenwart in Luft aufgelöst. Ein neuer Meteorit musste also her!

    Inzwischen hatte ich es geschafft, ihm unser nicht ganz einfaches Verwandtschaftsverhältnis begreiflich zu machen, und ihm erzählt, was mir seit der Versteinerung meiner Familie widerfahren war.

    Das Problem war, dass Dorghai anscheinend Schwierigkeiten hatte, zu akzeptieren, dass ich seine Enkelin und kein Flittchen war, über das er jederzeit verfügen konnte. An seine unverhohlen begehrlichen Blicke auf meine Brüste hatte ich mich inzwischen gewöhnt, an seine ewig grabschenden Hände, die ich stets beiseite schlug, weniger. Inzucht war in der schwarzen Familie weitverbreitet, insofern hatte er sicherlich kein Problem damit.

    Ich schon.

    Noch etwas

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1