Das Haus Zamis 19 - Hexenwahn
Von Uwe Voehl und Catalina Corvo
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Über dieses E-Book
Der 19. Band von "Das Haus Zamis".
"Okkultismus, Historie und B-Movie-Charme - ›Dorian Hunter‹ und sein Spin-Off ›Das Haus Zamis‹ vermischen all das so schamlos ambitioniert wie kein anderer Vertreter deutschsprachiger pulp fiction." Kai Meyer
enthält die Romane:
55: "Hexenwahn"
56: "Die 13 ist dein Tod"
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Das Haus Zamis 19 - Hexenwahn - Uwe Voehl
Hexenwahn
Band 19
Hexenwahn
von Catalina Corvo und Logan Dee
nach einer Story von Uwe Voehl
© Zaubermond Verlag 2013
© Das Haus Zamis – Dämonenkiller
by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt
Lektorat: Dario Vandis
Titelbild: Mark Freier
eBook-Erstellung: story2go
http://www.zaubermond.de
Alle Rechte vorbehalten
Was bisher geschah:
Die junge Hexe Coco Zamis ist das weiße Schaf ihrer Familie. Die grausamen Rituale der Dämonen verabscheuend, versucht sie den Menschen, die in die Fänge der schwarzen Familie geraten, zu helfen. Auf einem Sabbat soll Coco endlich zur echten Hexe geweiht werden. Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie der Dämonen, hält um Cocos Hand an. Doch sie lehnt ab. Asmodi kocht vor Wut – umso mehr, da Cocos Vater Michael Zamis ohnehin mehr oder minder unverhohlen Ansprüche auf den Thron der Schwarzen Familie erhebt. Auch von anderer Seite droht Asmodi Ungemach. Unzufrieden mit seiner Herrschaft, hat sich ein Geheimbund oppositioneller Dämonen gebildet, dessen Mitglieder maskiert in der Öffentlichkeit auftreten und Asmodi zum Rückzug auffordern. Da der Fürst dies strikt ablehnt, scheint ein offener Krieg unter den Dämonen unausweichlich.
In dieser Situation tötet Cocos Mutter Thekla Zamis unter dem Einfluss Asmodis die Dämonin Traudel Medusa – die nicht nur Michael Zamis' Geliebte war, sondern auch ein hohes Mitglied der Oppositionsdämonen. Die Oppositionellen rufen zum Rachefeldzug ... aber mit Cocos Hilfe gelingt es Michael Zamis, seine Unschuld zu beweisen. Dennoch sind die Oppositionellen nicht länger an seiner Unterstützung interessiert. Stattdessen ist es plötzlich Coco, die von ihnen hofiert wird. Als sie dem maskierten Anführer der Oppositionsdämonen bei einem Treffen in Rumänien klarmacht, dass sie kein Interesse an den politischen Intrigen der Dämonen hat, verpasst er ihr ungefragt ein »Permit« – ein magisches Tattoo in Form eines zweiköpfigen Adlers. Einst, wenn die Oppositionellen die Macht in der Schwarzen Familie übernommen hätten, werde ihr dieses Permit Schutz gewähren ...
Erstes Buch: Hexenwahn
Hexenwahn
von Catalina Corvo
nach einer Story von Uwe Voehl
1. Kapitel
Wie eine träge Matrone starrte die weiße Witwe auf die zuckenden Leiber hinab. Das Schwarzlicht in den Innenräumen des Clubs, dem die dünnbeinige, große Spinnenplastik mit dem aufgeblähten Hinterleib ihren Namen geliehen hatte, ließ die Figur in milchigem Weiß erstrahlen. Sie thronte in einem künstlichen Spinnennetz über der Tanzfläche, als wolle sie sich jeden Moment auf ein Opfer herablassen. Eine Herrscherin, eine dunkle Göttin, die ihre Jünger für sich zappeln ließ.
Lucy sah den Tänzern mehr gelangweilt als amüsiert zu. Sie hatte ihre langen, wohlgeformten Beine übereinandergeschlagen und strich sich die dunkelroten Locken immer wieder mit einer lässigen Handbewegung aus dem Gesicht. In der linken Hand balancierte sie einen Wodka Martini. Dabei genoss sie die bewundernden, manchmal geradezu gierigen Blicke der Kerle.
Aber Lucy war nicht interessiert. Ihre Aufmerksamkeit galt dem ungekrönten Partykönig Heiko Edlich. Der gutgebaute Mittzwanziger startete gerade eine vielversprechende Karriere als Leichtathlet. Kein Wunder, dass er die Frauen anzog wie die Leuchtreklame die Falter.
Lucy fing seinen Blick ein. Obwohl er noch glaubte, sie habe nur Augen für ihren Drink, war er ihr schon in die Falle gegangen. Heute war er die Motte. Sie dagegen … Lucy zwinkerte der weißen Witwe zu. Abwartend. Beobachtend. Und tatsächlich, genau wie Lucy es wollte, steuerte ihre Beute scheinbar zufällig auf die Bar zu und schob sich im Gedränge am Tresen neben sie.
»Hallo, Schönheit«, begann Edlich. »Darf ich dich zu einem Drink einladen?«
Dabei fiel er ihr fast in das nicht gerade keusche Dekolletee. Lucy stand auf dem Standpunkt, dass man seine Reize durchaus vorzeigen sollte. Heiko stimmte ihr da zu, wie sie an seinem Blick bemerkte. Ihre Finger streiften flüchtig seinen Oberschenkel. Sofort rückte er näher und legte die Hand um ihre Schulter.
Aus den Augenwinkeln sah Lucy Heikos Freundin Carla, ein hübsches, kaum volljähriges Model, deren größter Hit ein Shooting für einen Möbelhauskatalog war. Darauf bildete sich die Kleine angeblich einiges ein. Zeit, die mittelmäßige Dorfschönheit von ihrem hohen Ross zu zerren. Noch dazu, weil sie ein rotes Gucci-Kleid aus der letzten Saison trug. Niemand, der ein bisschen Sinn für Klasse hatte, trug Kleider aus der letzten Saison.
»Das ist komisch«, fing Heiko an. »Obwohl ich dich noch nie getroffen habe, kommt es mir vor, als wäre diese Begegnung Schicksal.«
»Nichts passiert zufällig«, kicherte Lucy. Dabei zwinkerte sie einladend.
Lucy beobachtete aus den Augenwinkeln, wie Heikos Freundin blass wurde. Die dumme Kleine tapste von einem Fuß auf den anderen. Wahrscheinlich überlegte sie, ob sie beleidigt abrauschen oder eine Szene machen sollte. Als Heiko für sich und Lucy eine weitere Runde Wodka Martini orderte, konnte die Hexe den Zorn des Mädchens fast körperlich spüren. Das Model sandte ihr Todesblicke zu. Das elektrisierte Lucy fast noch mehr als Heikos Brunst. Sie überlegte, ob sie die Kleine zusehen lassen sollte, wenn sie mit Heiko ihren Spaß hatte. Ganz hässlich war das Ding ja nicht, und so hatten Lucys Brüder auch noch etwas davon. Niemand sollte sagen, Lucy wäre kein Familienmensch. Die Zwillinge Stefan und Alex warteten vor dem Club nämlich schon darauf, dass ihre große Schwester das Opfer aussuchte. Wahrscheinlich waren sie schon äußerst ungeduldig, immerhin hatte Lucy bereits eine halbe Stunde in der weißen Witwe verbracht. Wer wusste schon, was die beiden Halbwüchsigen in der Zwischenzeit ausheckten. Teenager. Die hatten einfach keine Geduld.
Lucy hauchte ihrem kleinen, dummen Sportler einen Kuss auf die Lippen.
»Lass uns gehen, Süßer.«
»Mit dir überallhin.«
Nur zu willig folgte er Lucy. Ein paar Meter hinter ihnen drängte sich Heikos Freundin durch die Massen. Es hatte Lucy kaum mehr als einen Gedanken gekostet, sie entsprechend zu beeinflussen. Eigentlich passte Carla schon zu Heiko, die beiden waren gleichermaßen willensschwach.
Vor dem Club schlug ihnen die Nachtluft entgegen. Heiko schlug vor, zu seinem Auto zu gehen und irgendwohin zu fahren, wo sie es sich ungestört gemütlich machen konnten. Dieser Vorschlag war ganz in Lucys Sinne, auch wenn seine und ihre Vorstellungen eines gemütlichen Abends vermutlich stark auseinandergingen.
Seine Karre war nicht schlecht; flach und elegant wie ein stadttauglicher Kampfjet. Alex würde es lieben, sie später zu Schrott zu fahren. Wenigstens hatten sich die Zwillinge diesmal nützlich gemacht und alle Lampen zerschlagen. Der Parkplatz war dunkel und verlassen. Perfekt. Während Heiko Lucy die Autotür aufhielt, entdeckte sie ihre beiden sechzehnjährigen Brüder auf der Motorhaube eines Audi, den sie schon kräftig demoliert hatten. Mit einem unauffälligen Nicken forderte die Hexe sie zum Einsteigen auf. Das ließen die beiden sich nicht zweimal sagen. Lautlos huschten sie heran. Ehe Heiko begriffen hatte, was geschah, saßen sie auf seiner Rückbank.
Lucys zarte Finger auf seinen Lippen erstickten Heikos Protest. Sie kicherte boshaft.
»Aber, aber, Schatz. Du wirst doch nicht unhöflich zu meinen Brüdern sein, das mag ich gar nicht«, säuselte sie und grub ihre Fingernägel in seine Wange. Er schrie auf, blieb aber vor Entsetzen gelähmt. Lucy leckte sich genüsslich das erste Blut von den Fingernägeln. Dabei sah sie beiläufig in den Rückspiegel. Stefan und Alex untersuchten gerade, wie Lederpolster auf Butterflymesser reagierten. Diese Protzerwaffen waren ihr neuster Tick. Heikos Augen wurden groß, als er sah, wie die beiden seine Rücksitze traktierten.
Stefan grinste ihn an. »Mir dir mache ich gleich weiter.«
Heiko schrie.
Aber weniger wegen des Messers, mit dem Stefan vor seinem Gesicht herumwedelte, sondern weil Lucy sich über ihn lehnte und ihre Fingernägel in die empfindlichen Stellen unter seinen Achseln grub. Dabei ließ sie ihre Brüste über seine Lippen gleiten. Sie kletterte auf seinen Schoß und genoss dabei die Enge des Sportwagens. »Jungs, lasst den Unsinn. Kümmert euch lieber um die kleine Schlampe in dem roten Fetzen, die gerade auf uns zukommt. Heiko und ich wollen eine Weile allein sein.«
Stefan und Alex grinsten sich begeistert an.
»Aber seht zu, dass sie nicht so rumschreit und uns zu früh den Spaß verdirbt. Ich will nicht schon wieder Ärger mit den Bullen«, rief sie ihnen noch hinterher, da klappten schon die Autotüren und die beiden waren verschwunden. Sie hob entschuldigend die Achseln. »Kinder. Und total hormongesteuert.« Sie lächelte sanft. »Was hältst du davon, mein Lieber, wenn wir's richtig versaut treiben, während ich deine Pulsadern aufschlitze?«
Heiko wollte sie fortstoßen, aber Lucys Finger hatten die Form von Klauen angenommen und nagelten seinen Hals an die Kopfstütze. Er röchelte.
»Du liebst es ja flott, nicht wahr? Stimmt es, dass Sprinter auch im Bett immer zuerst ankommen?« Seine Antwort war wieder nur ein verängstigtes Röcheln. Während Lucy dem Sportler langsam die Luft abdrückte, ließ sie ihr Becken aufreizend über seinen Lenden kreisen. »Das werden wir jetzt mal überprüfen, mein flinker Hengst.«
Langsam und genussvoll ließ sie ihre freie Hand über seine Brust gleiten. Gleichzeitig hörte sie, wie ihre Brüder draußen Carla ein paar Zoten an den Kopf warfen, bevor sie sie hinter dem Wagen auf den Asphalt zerrten. Aus Heikos Kratzwunden drang Blut auf sein geweißtes Hemd. Der Geruch von Blut und Angstschweiß erregte Lucy wie kaum etwas anderes. So bearbeitete sie Heiko weiter mit ihren Nägeln und verlor sich in seinem Stöhnen.
Sie merkte erst, dass etwas nicht stimmte, als es draußen still wurde. Wenn Stefan und Alex so schnell mit dem Mädchen fertig geworden waren, musste etwas passiert sein. Genervt sah Lucy sich um. Was war jetzt wieder los? Aber sie konnte ihre Brüder nicht sehen.
Stattdessen klopfte es plötzlich an der Fahrertür. Lucy schrie leise auf, denn vor dem Fenster erschein ein bleiches Gesicht, eingefallen wie ein Mumienschädel. Nachdem der erste Schreck verraucht war, kochte in Lucy die Wut hoch. Was bildete sich diese Witzfigur eigentlich ein? Wahrscheinlich war das irgendein bescheuerter Freak, der betteln wollte. Lucy beschloss, ihn sich vorzuknöpfen, bevor sie mit ihrem Opfer weitermachte. Heiko brauchte ohnehin eine Pause, er war vor Schmerz ohnmächtig geworden.
Lucy stieg aus und stemmte die Hände in die Hüften. Eine Hand war noch immer zur Klaue umgeformt.
Der abgezehrte Kopf gehörte zu einer hageren, über zwei Meter großen Gestalt, die genauso dürr und ausgemergelt war wie das Gesicht. Ein langer, schwarzer, altmodischer Umhang verbarg den Körper des Fremden, ein dazu passender Zylinder presste sich auf seinen knochigen Schädel. Der Kerl sah fast so aus wie Skarabäus Toth, der bekannte Schiedsrichter der Schwarzen Familie, der hier in Wien residierte und vor dem die meisten Dämonen einen Heidenrespekt hatten. Aber Toth wusste deswegen auch, was er sich schuldig war, und hätte nicht so einen stillosen Auftritt hingelegt. Außerdem war Toth viel kleiner und trug keinen Zylinder.
Stefan und Alex standen neben Heikos Sportwagen, zwischen ihnen lag Carla blutverschmiert und reglos auf dem Boden. So gefiel sie Lucy schon viel besser. Trotz ihrer Genugtuung konzentrierte sich die Hexe jedoch wieder auf den Fremden. Er hatte bis jetzt noch nichts gesagt, sondern starrte sie nur aus tiefliegenden, düsteren Augen an.
»Was bist du für ein verdammter Freak?«, fuhr sie ihn an. »Kriech zurück in die Gosse, aus der du gekommen bist, du blutleerer Droschkenkutscher.«
Lucys Brüder, die den Fremden bisher verunsichert gemustert hatten, lachten auf.
»Ja, was willst du hier, Alterchen?«, stimme Stefan ein.
»Das ist 'ne Privatparty. Schlitz lieber die Ratten in der Kanalisation auf«, fügte Alex hinzu. »Da kommst du doch her, du Freak, oder etwa nicht?«
»Und wie siehst du überhaupt aus?«, übernahm Lucy wieder das Ruder. Sie liebte es, wenn sie und ihre Geschwister sich gegenseitig die Bälle zuwarfen, während sie ihre Opfer fertigmachten. »Hast du deine Klamotten bei einer Beerdigung abgestaubt?«
»Friedhofskriecher!«, rief Alex.
»Leichenscharrer«, krakeelte Stefan. »Freakfresse!«
Der Fremde schlug ohne Vorwarnung zu. Er bewegte sich kaum, eine einzelne Geste genügte, und keins der drei Dämonengeschwister konnte noch Luft holen, geschweige denn sich bewegen. Wie eingefroren standen sie da und mussten hilflos erleben, wie eine unwirkliche, eisige Kälte in ihren Füßen aufstieg und sich in ihren Körpern ausbreitete. Sie langsam aber sicher abtötete. Der Fremde sagte nicht ein Wort, als eisige Lava die Adern der jungen Dämonen füllte und mit jedem Herzschlag tiefer in ihre Blutbahnen kroch.
Und dann begannen die Schatten, sich zu bewegen. Sie krochen heran wie Ungeziefer und ritten auf einer Wolke süßlichen Gestanks.
Ghoule!, begriff Lucy. Ihre Gedanken rasten, doch ihr Körper rührte sich nicht einen Millimeter. Sie wollte schreien, aber ihre Lippen blieben vereist und leblos. Bald schon sah sie die widerwärtigen Leichenzehrer nur noch durch einen bläulichen Schleier. Hinter ihnen verschwamm die hochgewachsene Gestalt mit dem Zylinder. Durch den betäubenden Schleier der Kälte spürte Lucy, wie knochige Finger über ihre Hüften strichen. Gierige Zähne schnitten in ihr zartes Fleisch wie kleine Nadeln und obwohl die Bisse dank der Kälte kaum schmerzten, machte das Schmatzen und Zupfen Lucy fast wahnsinnig. Sie nahm all ihre Hexenkraft, ihren ganzen Willen zusammen, um den teuflischen Bann abzuschütteln, doch ihre Gedanken prallten gegen einen Eisberg. Hinter ihr, auf einem schmalen Grünstreifen knackte Holz. Eifrige, stinkende Hände rissen mit roher Gewalt einen Stamm aus der Erde und zertrümmerten ihn auf dem Asphalt. Das musste doch weithin zu hören sein! Jemand musste kommen! Sie waren doch mitten in Wien!
Doch die Hilfe blieb aus, der Bann des Fremden hielt sie fern. Stattdessen nahm das Schmatzen zu. Längst war Lucys Kleid zerfetzt. In ihrem Blickfeld erschien das Gesicht eines Ghouls. Geifer triefte aus seinen Mundwinkeln. Grinsend beugte er sich über ihr Schlüsselbein. Als er sich wieder aufrichtete, wälzte er einen blutigen Fetzen Fleisch zwischen den vertrockneten Lippen.
Lucy begriff erst, dass es ihr eigenes war, als Schraubstockhände ihren Knöchel umfassten und ihr den Boden unter den Füßen wegzogen. Mit einer seltsamen, unwirklichen Faszination verfolgte Lucy ihre eigene Blutspur, als die Ghoule sie fortschleiften. Sie sah ihre Brüder, die, von den Berührungen der Leichenfresser entstellt, ebenso wehrlos wie sie zusehen mussten. Erst als knochige Hände sie auf einen kleinen Holzberg hievten, erkannte Lucy den Scheiterhaufen, den die Ghoule aus zwei kleinen, zersplitterten Ahornbäumchen errichtet hatten.
Noch einmal bäumte sich alles in der jungen Hexe auf. Und wieder schmetterte die unüberwindliche Eiswand sie zurück. Lucy erkannte, dass das hier ihr Ende war. Sie war erledigt. Lucy war über ihren eigenen Mangel an Emotion erstaunt. Vielleicht war es die fremdartige Kälte, die nun auch von ihren Gefühlen Besitz ergriffen hatte und sie für jeden Schrecken taub machte?
Die höhnenden Rufe der Ghoule, als sie verächtlich grinsend den Scheiterhaufen umringten, erklangen wie aus weiter Ferne, strömten von ihr fort wie das Blut aus ihren Wunden. Nicht einmal der Gedanke an ihre Brüder, die jetzt den Tod ihrer Schwester hilflos erleben mussten und vielleicht bald ihr Schicksal teilten, entlockte ihr noch Bedauern. Sie gab sich endgültig auf.
Der unheimliche Fremde bewegte die Hand, und Flammen züngelten aus dem Scheiterhaufen.
Lucy schrie. Ein hämisches Zischen aus dem Mund der Mumiengestalt begleitete sie in die Dunkelheit.
»Brenn, Hexe. Brenn!«
Der Ärger über den Empfang durch meinen Vater steckte mir immer noch in den Knochen.
Ich hatte die Nacht kaum geschlafen. Immer wieder stand mir sein Bild vor Augen, wie er mich nach meiner Ankunft zur Rede gestellt hatte und regelrecht ausgerastet war, als ich ihm von meinen Treffen mit dem Anführer der Oppositionsdämonen in Rumänien erzählt hatte.
»Das ist ein Affront!«, hatte er gebrüllt.
Dabei war er nur so erbost, weil die Oppositionsdämonen mir im Kampf gegen Asmodi einen Pakt angeboten hatten – genau das Angebot, das Vater sich selbst von ihnen erhofft hatte und um dessentwillen er mich nach Rumänien geschickt hatte. Aber der Anführer der Oppositionsdämonen – dessen Identität ich nicht kannte, weil er sich stets hinter einer Maske verbarg – schien nicht an Michael Zamis als Partner interessiert zu sein.¹
Nicht mehr jedenfalls.
Es gab eine Zeit, da hatte mein Vater mit den Oppositionsdämonen zusammengearbeitet. Aber Asmodi hatte davon Wind bekommen und einen Keil zwischen die Parteien getrieben. Das Ergebnis war, dass niemand mehr irgendjemandem traute. Mein Vater traute den Oppositionellen nicht, die Oppositionellen trauten meinem Vater nicht. Und Asmodi hatte sowieso noch nie jemandem vertraut.
Mich interessierten diese albernen politischen Spielchen nicht im Geringsten. Deshalb hatte ich auch das Angebot ausgeschlagen. Ich wollte nichts mit dem Krieg, der angeblich bevorstand, zu tun haben. Mir war es egal, ob Asmodi oder irgendein anderer Dämon den Thron der Schwarzen Familie erklomm. Etwas Grundlegendes würde sich ja doch nicht ändern.
Nachdem ich in der zweiten Nacht endlich meinen Frust über das ach so herzliche Willkommen weggeschlafen hatte, überlegte ich, welche Möglichkeiten es gab, das Permit in meiner Armbeuge loszuwerden. Es handelte sich um ein Tattoo, das mir der Anführer der Oppositionellen verpasst hatte und von dem er behauptete, dass es mir einst von großem Nutzen sein würde.
Im Moment bereitete es mir eher einen Haufen Probleme, da alle meine Versuche, es loszuwerden, fehlgeschlagen waren. Weder Wasser und Seife noch Terpentin oder reine Magie konnten helfen. Auch der Besitzer eines Tattoostudios in der Innenstadt hatte mich ratlos wieder weggeschickt. Also beschloss ich, es vorläufig mit Creme und Puder abzudecken, damit meine Familie nicht davon erfuhr.
Aber es war buchstäblich wie verhext. Schon wenige Minuten nach dem Einreiben wurde das Mal wieder sichtbar. Mir blieb also vorläufig nichts anderes übrig, als Pullis oder langärmelige Blusen anzuziehen.
Während der nächsten Woche ging ich meiner Familie so weit wie möglich aus dem Weg. Ich schob die Strapazen der Reise vor und behauptete,