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Das Haus Zamis 11 - Asche zu Asche, Stein zu Stein
Das Haus Zamis 11 - Asche zu Asche, Stein zu Stein
Das Haus Zamis 11 - Asche zu Asche, Stein zu Stein
eBook340 Seiten4 Stunden

Das Haus Zamis 11 - Asche zu Asche, Stein zu Stein

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Über dieses E-Book

Das Grauen geht um in Wien: Menschen versteinern auf offener Straße, steinerne Denkmäler erwachen zu unheiligem Leben. Gleichzeitig sagt ein Dämon der Zamis-Sippe den Kampf an. Während Cocos Sippe nach Verbündeten sucht, erhält Coco selbst eine Einladung auf das Schloss ihres Onkels Cyrano von Behemoth. Hier, wo sie vor vielen Jahren ihre Ausbildung zur Hexe erhielt, trifft sie prompt einen alten Bekannten, und gleichzeitig beginnt ein unheimlicher Mörder sein Treiben auf Schloss Behemoth ...

Der 11. Band von "Das Haus Zamis".

"Okkultismus, Historie und B-Movie-Charme - ›Dorian Hunter‹ und sein Spin-Off ›Das Haus Zamis‹ vermischen all das so schamlos ambitioniert wie kein anderer Vertreter deutschsprachiger pulp fiction." Kai Meyer

enthält die Romane:
32: "Blutige Zusammenkunft"
33: "Mittsommer-Albtraum"
34: "Asche zu Asche, Stein zu Stein"
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum1. Jan. 2013
ISBN9783955722111
Das Haus Zamis 11 - Asche zu Asche, Stein zu Stein

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    Buchvorschau

    Das Haus Zamis 11 - Asche zu Asche, Stein zu Stein - Ernst Vlcek

    Asche zu Asche, Stein zu Stein

    Band 11

    Asche zu Asche, Stein zu Stein

    von Christian Montillon und Uwe Voehl

    © Zaubermond Verlag 2012

    © Das Haus Zamis – Dämonenkiller

    by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

    Titelbild: Mark Freier

    eBook-Erstellung: story2go

    http://www.zaubermond.de

    Alle Rechte vorbehalten

    Prolog

    Michael Zamis kochte vor Wut.

    Skarabäus Toth, der Schiedsrichter der Schwarzen Familie, ließ ihn vor der Tür warten, als sei er ein nutzloser Freak. Das Oberhaupt der Zamis-Sippe starrte die Tür zu Toths Büro an, als könnten seine Blicke sie durchdringen. Was mochte dahinter vor sich gehen? Hatte der Schiedsrichter tatsächlich unaufschiebbare Angelegenheiten zu erledigen, wie er es behauptete, oder wollte er Michael Zamis lediglich weiterhin provozieren?

    »Bleib ruhig«, versuchte Georg seinen Vater zu besänftigen. »Gönne Toth nicht den Triumph, dich …«

    »Schweig!«, zischte Michael Zamis. »Diesmal ist er zu weit gegangen! Ich bin nicht bereit, das auf mir sitzen zu lassen.«

    »Bedenke, wo wir uns befinden, Vater.« Georg ließ seinen Blick umherwandern. Skarabäus Toth führte eine Tarnexistenz als Anwalt; auch menschliche Kunden suchten ihn hier in seinen Wiener Büroräumen auf. Er hatte noch keinem von ihnen geholfen, ganz im Gegenteil – und doch nahm sein Ruf offenbar keinen Schaden. Die meiste Zeit verbrachte der uralte Dämon allerdings mit seiner eigentlichen Aufgabe: als Schiedsrichter der Schwarzen Familie Zwistigkeiten zwischen verschiedenen Dämonensippen zu schlichten oder als Vermittler aufzutreten. Dass er nebenbei seit geraumer Zeit eigene Interessen verfolgte, die er vor jedermann und offensichtlich auch vor Asmodi selbst geheim halten wollte, war immer deutlicher geworden.

    »Es ist mir egal«, fuhr Michael Zamis in normaler Lautstärke fort. »Er soll hören, was ich zu sagen habe. Haben Sie verstanden, Toth?«, rief er in den Raum hinein. »Wenn Sie hier magische Spione platziert haben, die Ihnen jedes meiner Worte übertragen – ich zweifele Ihre Neutralität an! Als Schiedsrichter sind Sie verpflichtet, für keine der Sippen und Dämonen, zwischen denen Sie vermitteln, Partei zu ergreifen. Doch Sie behandeln die Zamis' – Sie behandeln mich nicht …«

    Die Tür zu Toths Büro öffnete sich quietschend, und Zamis brach seine Anklage ab. Die ausgemergelte Gestalt Skarabäus Toths erschien. »Bitte treten Sie ein«, sagte er mit einer Stimme, die raschelte wie uraltes Laub, das der Wind über eine trostlose Gasse fegt. »Oh, wie ich sehe, haben Sie Ihren Sohn mitgebracht.«

    »Haben Sie gehört, was ich sagte, Toth?«

    Der Schiedsrichter blickte Michael Zamis ausdruckslos an. »Ich befand mich in meinem Büro und ging wichtigen Geschäften nach, wie ich Ihnen bereits mitteilte, als ich Sie zu warten bat. Ich habe Besseres zu tun, als zu hören, was vor der Tür meines Büros geredet wird.«

    »Spielen Sie nicht den Unschuldigen, Toth! Oder wollen Sie mir weismachen, dass Sie nicht über jede Bewegung, die ich durchgeführt habe, seitdem ich Ihr Haus betreten habe, informiert sind? Dass Sie nicht jedes Wort hörten, das mein Sohn und ich wechselten?«

    Der uralte Schiedsrichter drehte sich langsam um und betrat seinen Büroraum. Zuerst schien es, als wolle er auf die Fragen Michael Zamis' nicht einmal eingehen, doch dann sagte er gefährlich leise und in unüberhörbar drohendem Tonfall: »Sie sollten mir niemals ins Wort fallen, Herr Zamis. Niemals.« Er ließ sich hinter seinem Schreibtisch nieder. »Was kann ich für Sie tun?« Es war, als hätte der Wortwechsel der letzten Minute niemals stattgefunden.

    Michael Zamis unterdrückte seinen Zorn und beschloss, die Fakten auf den Tisch zu legen. »Sie haben über eine Glaskugel Kontakt mit meinem Sohn Georg aufgenommen und ließen mir ausrichten, dass Sie …«

    »Verzeihen Sie dieses Vorgehen«, sagte Toth rasch. »Ich höre Ihrem Tonfall an, dass es Ihnen lieber gewesen wäre, ich hätte mich direkt an Sie gewandt. Nun, das plante ich ursprünglich, doch Sie befanden sich im Gespräch mit einem anderen Dämon, und deshalb wandte ich mich an Ihren Sohn. Ich ahnte ja nicht, dass Sie das derart brüskieren würde.«

    Jetzt war Michael Zamis an der Reihe, einen Augenblick zu schweigen. Dann wiederholte er die Worte, die der Schiedsrichter vorhin zu ihm gesprochen hatte. »Sie sollten mir niemals ins Wort fallen, Herr Toth. Niemals.«

    Die Aggressivität und Kälte, die zwischen den beiden Dämonen herrschte, war beinahe körperlich zu spüren. Ohne die festen Regeln innerhalb der Schwarzen Familie und ohne das Wissen um die große Macht des jeweils anderen, wären sie übereinander hergefallen, um sich gegenseitig zu zerfleischen. Doch man pflegte seine Differenzen auf anderem, kultivierterem Weg beizulegen. Heutzutage zählten nicht nur körperliche Kraft und magische Begabung, sondern auch die Fähigkeit, Intrigen zu spinnen, in denen sich der Feind verfing.

    »Wie dem auch sei«, winkte Zamis ab, als stehe er über derlei Dingen. »Sie ließen mir ausrichten, dass die Frist, die unserem unbekannten Herausforderer bleibt, bis er uns eine offizielle Kampfansage stellen muss, verlängert wurde!«

    »In der Tat«, bestätigte Skarabäus Toth, als handele es sich um eine Selbstverständlichkeit.

    »Unser Herausforderer muss sich zu erkennen geben, damit wir Gegenmaßnahen ergreifen können!«, ereiferte sich Michael Zamis. »So sehen es die Regeln der Schwarzen Familie vor.«

    »Regeln, die ich beherzige, Herr Zamis. Sie vergessen wohl, dass ich der Schiedsrichter bin und dieses Amt schon sehr lange ausübe. Ich kenne die Regeln und würde sie niemals brechen. Asmodi, unser Herr, würde mir sein Vertrauen entziehen. Ihr Herausforderer wird sich zu erkennen geben und eine offizielle Kampfansage stellen – sobald die Frist abgelaufen ist.«

    »Die Frist läuft heute ab!«

    »Sie irren sich, Herr Zamis«, sagte Toth, »sie wäre heute abgelaufen, wenn sie nicht verlängert worden wäre … das ist ein gewaltiger Unterschied. Sie sehen, die Regel wurde nicht gebrochen.«

    »Aber sie wurde gebeugt … weiter gebeugt, als es zulässig ist!«

    »Das zu entscheiden überlassen Sie bitte mir. Ich bin der Schiedsrichter.«

    »Der Schiedsrichter der Schwarzen Familie hat in allen Konflikten einen neutralen Standpunkt einzunehmen!«, ereiferte sich das Sippenoberhaupt. »Sie haben diese Neutralität gebrochen, Toth! Sie verschafften unserem Gegner einen unbotmäßigen Vorteil, indem Sie die Frist verlängerten. Wir, die Zamis, sind gezwungen, untätig darauf zu warten, bis unser Feind sich endlich zu erkennen gibt.«

    »Die Frist ist verlängert«, wiederholte Skarabäus Toth und wies auf die Tür. »Und nun entschuldigen Sie mich bitte – es gibt Wichtigeres, um das ich mich kümmern muss.«

    »Sie machen gemeinsame Sache mit unserem Gegner! Die Fristverlängerung hat einen Grund, und …«

    »Sie bringen mich dazu, Ihrem Wunsch nicht entsprechen zu können, Herr Zamis: Ich muss Ihnen doch noch einmal ins Wort fallen. Ich bat Sie zu gehen. In dieser Sache ist das letzte Wort gesprochen. Sollten Sie damit nicht einverstanden sein, wenden Sie sich an Asmodi, der allerdings darauf verweisen wird, dass ich das zu entscheiden habe. Ihr Gegner wird sich nach Ablauf der verlängerten Frist zu erkennen geben, und dann möge der Kampf beginnen.«

    »Lass uns gehen, Vater«, drängte Georg.

    »Hören Sie auf Ihren Sohn – er ist vernünftig. Die Zeit zu kämpfen wird kommen, doch sie ist nicht heute.«

    Erstes Buch: Blutige Zusammenkunft

    Blutige Zusammenkunft

    von Christian Montillon

    1.

    Entvölkert und entfesselt

    Ich erwachte, und ich kann nicht gerade sagen, dass ich mich wohl fühlte. Mein Schlaf war bleiern gewesen und alles andere als entspannend. Kein Wunder – seit den schrecklichen Ereignissen um meine Schwangerschaft fühlte ich mich wie gerädert. Der Dämonenbalg, der in mir herangewachsen war, hatte mir alle Kräfte ausgesaugt. Letztendlich hatte Achthon sein verdientes Ende gefunden, doch das hatte mir meinen inneren Frieden nicht zurückgebracht. Immer wieder dachte ich an jene unwirklich-traumhaften Sequenzen, die ich hatte miterleben müssen, wenn der Dämonenembryo meinen Leib verlassen hatte, um auf Menschenjagd zu gehen.

    Das war inzwischen Vergangenheit, doch es fiel mir schwer, es zu vergessen. Nachdenklich fragte ich mich, ob ich jemals wieder schwanger werden würde. Es entsprach nicht den Gepflogenheiten, die in der Schwarzen Familie herrschten. Wurde ein neuer Dämon gezeugt, trug ihn eine ahnungslose menschliche Frau bis zur Geburt aus. Doch man wusste nie – die letzten Wochen hatten gezeigt, dass unter Umständen auch eine Hexe tatsächlich schwanger werden konnte. Aber davon unabhängig blieb die dahinter stehende Frage, ob ich jemals einen Sohn oder eine Tochter haben würde. Ich konnte es mir nicht vorstellen, die Zamis-Sippe auf diese Weise zu vergrößern. Wer wusste, was aus einem solchen Nachfolger werden würde. Ich galt als sehr talentierte Hexe, und die Vorstellung, dass meine Kinder möglicherweise über noch größere Kräfte verfügen und innerhalb der Familie Karriere machen könnten, beunruhigte mich.

    Das waren müßige Gedanken, aber seit der Schwangerschaft kamen sie immer wieder, ohne dass ich etwas dagegen unternehmen konnte, und so dachte ich auch jetzt konsequent weiter.

    Wen könnte ich als Vater erwählen? Ich konnte mir keinen Dämon vorstellen, mit dem ich intim werden mochte – im Grunde genommen fühlte ich mich viel mehr zu den Menschen hingezogen. Eine Neigung, die schon früh für Probleme gesorgt hatte. Bilder aus meinen Lehrjahren auf dem Schloss meines Onkels Cyrano von Behemoth erschienen vor meinem geistigen Auge. Dort hatte mich mein Vater zu einer richtigen Hexe ausbilden lassen; ich verknüpfte nur wenige angenehme Erinnerungen mit dieser Zeit.¹

    Ich schüttelte die Gedanken an die Vergangenheit ab und schwang die Beine aus dem Bett. Was nützte mir die sentimentale Nostalgie schon? Die Gegenwart wies mehr als genügend Probleme auf, mit denen wir zurechtkommen mussten. Die Kampfansage eines unbekannten Gegners hing als düstere Drohung über unserer Sippe, jederzeit konnte eine gefährliche Auseinandersetzung beginnen.

    Ich sah auf die Uhr. Um diese Zeit mussten noch einige in der Villa wach sein. Mir stand der Sinn nach einem Gespräch, das mich von meinen trüben Gedanken ablenken würde. Ich verließ mein Zimmer. Kaum hatte ich die Tür geöffnet, fiel mir etwas Ungewöhnliches auf.

    Es herrschte völlige Stille.

    Nachdenklich blickte ich in einige Zimmer. Alle waren leer und verlassen. »Vater?«, rief ich. »Mutter?« Ich erhielt keine Antwort. Verwirrt suchte ich das Zimmer meines Bruders Georg auf; mit ihm hätte ich am liebsten geredet. Er war der Einzige, bei dem ich hin und wieder das Gefühl hatte, dass er mich verstand. Doch auch sein Zimmer war leer.

    Ich durchsuchte die restlichen Räume der Villa. Nichts.

    Vielleicht sind sie im Keller, um gemeinsam eine Beschwörung durchzuführen, überlegte ich. Obwohl ich nicht recht daran glaubte, machte ich mich auf den Weg nach unten. Dabei fragte ich mich, was wohl geschehen sein mochte. Hatte unser unbekannter Herausforderer bereits zugeschlagen? Hatte er meine Familie in eine Falle gelockt? Das konnte nicht sein – nicht gerade heute, da Skarabäus Toth eine Fristverlängerung ausgesprochen hatte, die dem Herausforderer noch einige Tage Anonymität zusicherte. Oder offenbarte sich jetzt der verborgene Sinn dieser Fristverlängerung? War meine Familie in einen Hinterhalt gelockt worden, hatte unser unbekannter Feind einen Trumpf ausgespielt und regelwidrig noch während der anonymen Phase zugeschlagen? Doch warum war ich von seiner Attacke verschont geblieben?

    All die Fragen führten zu nichts. Verlier dich nicht in deinen Grübeleien, Coco!

    Ich öffnete die Tür zum Beschwörungsraum im Keller. Der metallische Geruch alten Blutes schlug mir entgegen. Im Gegensatz zu den anderen Mitgliedern meiner Familie mochte ich ihn nicht, doch ich hatte gelernt, damit zu leben.

    Niemand aus meiner Familie befand sich im Beschwörungsraum – natürlich nicht. Und doch erlebte ich eine Überraschung. Der Hüter des Hauses trat mir entgegen. Wie hatte ich ihn nur vergessen können? Natürlich war er noch hier, und womöglich konnte er mir weiterhelfen. »Wo sind Vater und die anderen?«, fragte ich ihn.

    Doch auch er wusste es nicht.

    »Wann sind sie gegangen? Haben sie das Haus freiwillig verlassen?«

    Schweigen antwortete mir.

    Ich eilte die Treppe nach oben. Irgendetwas stimmte hier ganz gewaltig nicht. Der Hüter des Hauses wurde normalerweise informiert, wenn …

    Ein Gedanke von schmerzlicher Intensität riss mich aus meinen Überlegungen. Der Hüter des Hauses … Rupert Schwinger … damals, auf Schloss Behemoth …

    Was sollte das? Warum ließen mich heute die Gedanken an die Vergangenheit einfach nicht los? Ja, der Hüter des Hauses war einst ein Menschenjunge gewesen, Rupert Schwinger. Ich hatte ihn getroffen, als ich bei meinem Onkel in Ausbildung gewesen war, eine einsame, verwirrte Dreizehnjährige. Ich hatte Rupert geliebt, zumindest hatte ich das geglaubt, mit der unerschütterlichen Überzeugungskraft aufkeimender Gefühle eines Kindes, das dabei ist, erwachsen zu werden. Meine Schwester Vera und der italienische Vampirjunge Pietro Salvatori hatten uns übel mitgespielt, und schließlich hatte eins zum anderen geführt – bis der Mensch Rupert Schwinger starb und zu der stumpfsinnigen Kreatur des Hüters des Hauses der Zamis wurde, um mich stets an meine Verfehlung zu erinnern: daran, dass eine Hexe keine Gefühle für einen Menschen entwickeln darf.

    Warum, in aller Welt, dachte ich gerade jetzt daran? Ich sah den Hüter nahezu täglich, und nur selten verband ich den Anblick mit Rupert und meinen Lehrjahren auf Schloss Behemoth. Überhaupt dachte ich selten daran, sah dieses Kapitel als abgeschlossen an. Doch heute kehrten meine Gedanken bereits zum zweiten Mal dorthin zurück.

    Ich durfte mich nicht mit diesen Fragen beschäftigen, nicht jetzt! Ich musste meine Familie finden.

    Ich verließ das Haus. Der Garten war totenstill, niemand hielt sich darin auf. Und das war nicht alles.

    Mir stockte der Atem. Kein Geräusch drang an meine Ohren. Kein einziges. Auch die Straße vor unserem Grundstück war menschenleer. Kein Spaziergänger, kein Auto war zu sehen. Ich rannte auf die Straße, blickte mich verwirrt um. Nichts. Niemand, so weit das Auge reichte. Ich hastete in Richtung Stadtzentrum. Da, wo sich sonst um diese Zeit die Menschen drängten, befand sich niemand. Kein Mensch und auch kein Tier. Nicht mal ein Vogel flog am Himmel.

    Plötzlich hörte ich Stimmen. Rufe. Schreie. Die Geräusche sich nähernder Menschen. Hastige Schritte. Doch auch etwas anderes: Schleifen. Zerren. Hohes, unmenschliches Kreischen.

    Ich eilte auf die Quelle des Lärms zu.

    Etwa fünf Meter vor mir befand sich eine kleine Seitengasse, die ich nicht einsehen konnte, weil sich die Häuser rechts und links bis an die Kreuzung drängten. Aus der Gasse sprang eine Gestalt, die ich kannte.

    Nero, der Zwerg mit dem schwarzen Gesicht. Der Freak, auf den ich in den letzten Wochen immer wieder getroffen war. Hinter ihm quollen weitere Freaks auf die Hauptstraße, rannten und sprangen weiter, so rasch es ihre unterschiedlichen Verwachsungen zuließen. »Coco!«, rief Nero. »Weg, weg, flieh von hier!«

    »Bleib stehen«, rief ich ihm zu. »Was ist hier los? Wie kann Wien völlig entvölkert sein? Das ist doch unmöglich.«

    »Flieh!«, schrie einer der Freaks, mit hoher, vor Panik überschnappender Stimme. »Die Dämonen – sie sind entfesselt, sie haben jede Kontrolle über sich verloren. Sie metzeln jeden nieder, der sich ihnen in den Weg stellt!« Es war ein schrecklich verwachsener Freak, der mich auf diese Weise warnte. Eines seiner Beine wuchs aus seiner Brust, während ein Arm die Stelle seines zweiten Beines einnahm. Er sprang auf groteske Weise vorwärts. Notgedrungen blieb er hinter den anderen zurück, da er mit ihrem Tempo nicht mithalten konnte. Nero war längst außer Sicht. Er hatte in seiner Flucht keinen Augenblick innegehalten.

    »Was ist geschehen?«, fragte ich entsetzt.

    Der Freak hopste und sprang weiter, gab keine Antwort mehr. Zuletzt hatte ich einen Blick in sein Gesicht werfen können, das von namenlosem Grauen verzerrt war. Mir schauderte.

    Aus der kleinen Gasse drangen verzerrte Schreie und brutales Gelächter. Ich hastete weiter, um in sie hineinsehen zu können. Der Anblick, der sich mir bot, war grauenhaft. Die Worte des Freaks schossen mir durch den Kopf: Die Dämonen – sie sind entfesselt, sie haben jede Kontrolle über sich verloren. Genauso sah es aus. Werwölfe, Vampire, formlose Bestien und geschuppte Ungeheuer rasten heran. Sie waren über und über mit Blut besudelt, und einer von ihnen hatte einen abgerissenen Menschenarm im Maul.

    Rasch huschte ich zurück, hoffte, dass sie mich nicht entdeckt hatten. Ich drückte mich hinter einem Baum in Deckung. Eine Dämonenhorde im Blutrausch, die mitten durch ein entvölkertes Wien stampfte? Konnte es das geben? Das oberste Gebot der Schwarzen Familie war Unauffälligkeit, und das hier war alles andere als unauffällig. Wo waren all die Menschen? Hielten sie sich in ihren Häusern verborgen, standen sie unter einem magischen Bann oder – waren sie tatsächlich alle tot? Brach das sorgsam gehütete Gleichgewicht zwischen Menschen und Dämonen, wobei die Dämonen die im Verborgenen herrschende Spezies bildeten, auseinander?

    Ich drückte mich enger in den Schatten meines behelfsmäßigen Verstecks. Wer wusste, ob diese entfesselten Bestien vor mir Halt machen würden. Möglicherweise würden sie auch mich zerreißen, ohne einen Unterschied zwischen Mensch, Freak und Mitglied der Schwarzen Familie zu machen.

    Und meine Familie? Befand sie sich unter den wütenden Dämonen? Oder war das alles auf das Wirken unseres unbekannten Gegners zurückzuführen? War meine Familie längst tot, von der marodierenden Horde in Stücke gerissen? Die nackte Panik im Gesicht des humpelnden Freaks wollte mir nicht aus dem Kopf.

    Der makabre Zug trampelte an mir vorbei, ohne mich wahrzunehmen. Ein drei Meter großes Monstrum mit nackter ledriger Haut und weiten Schwingen hielt die Kehle eines Freaks umklammert und schleifte die bedauernswerte Kreatur mit sich. Jammern und Wehklagen drangen an meine Ohren.

    Fassungslos starrte ich den Dämonen hinterher. Was sollte ich jetzt tun? Ich beschloss, die Horde zu verfolgen.

    Es ging in raschem Tempo durch die Straßen Wiens. Wir trafen auf kein einziges Lebewesen; die Freaks hatten es offenbar geschafft, sich in Sicherheit zu bringen.

    Irgendwann sah ich etwas aus der Mitte der Dämonenhorde nach hinten fliegen. Es blieb mitten auf der Straße liegen. Als ich wenig später die Stelle erreichte, erkannte ich, dass ich es keinesfalls mit einem Ding zu tun hatte. Es war die Leiche des Freaks, den das geflügelte Untier gewürgt hatte. Sie war kaum noch als Überrest eines vor kurzem noch lebenden Wesens zu erkennen, bildete nur noch einen blutigen, formlosen Kadaver.

    Wenig später erkannte ich, wohin sich die Dämonen bewegten. Genau auf den Stephansdom zu – oder besser gesagt: dorthin, wo sich meinem Wissen nach der Stephansdom hätte befinden müssen. Das altehrwürdige Gemäuer existierte nicht mehr. Ein in den Grundrissen in etwa dem alten Dom entsprechendes Gebäude erhob sich dort. Ich erkannte sofort die dunkle Ausstrahlung, die von ihm ausging. Ein Schwarzer Dom – eine Stätte der Dämonen.

    Wieder durchzuckte mich die Frage, was in Wien geschehen war. Wie konnte das sein? Welche unheimliche Magie wirkte hier?

    Das Tor des Schwarzen Doms schwang auf, die Dämonenhorde eilte hinein. Ich folgte ihr bis zu dem Eingangstor und sah, wie sie sich in Inneren zusammendrängten. Nahezu völlige Stille herrschte. Das Tor begann sich zu schließen. Im letzten Moment huschte ich hindurch.

    Im vorderen Bereich des Schwarzen Doms erhob sich eine Kanzel des Schreckens. Stufen aus bleichen Knochen führten zu ihr hinauf. Die Kanzel bestand aus grauweißem Stein, aus dessen Poren Blut hervorquoll und in dicken Tropfen auf den Boden platschte. Von ihr predigte ein abscheulich aussehender Dämon, dessen genaue Gestalt sich allerdings immer wieder meinen Blicken entzog. Wenn ich ihn fixieren wollte, war es, als lege sich ein Nebelschleier über seine Konturen. Seine Worte hallten in dem gewaltigen Raum wider.

    »Eine neue Zeit bricht an«, geiferte er. »Die Zeit der Schwäche und Verborgenheit ist beendet! Von nun an nehme ich das Zepter in die Hand. Wien wird mir gehören – und euch, meine treuen Freunde!«

    Mit derlei pathetischen Ausrufen ging es noch einige Zeit weiter. Die Dämonenversammlung jubelte an den entsprechenden Stellen und teilte ihre Begeisterung in Form eines lang anhaltenden Applauses mit. Mich langweilte das Geschwätz, bis ich plötzlich einen mir nur allzu vertrauten Namen vernahm.

    »Meine Herrschaft in dieser Stadt wird durch niemanden behindert werden – auch nicht durch die Zamis'.« Wieder brandete frenetischer Applaus auf. »Ich werde diese Sippe aus Verrätern zerquetschen!«

    Nun gab es keinen Zweifel mehr: Ich hatte es mit unserem unbekannten Herausforderer zu tun. Wenn er imstande war, all das hier zu bewirken, musste er über sehr starke magische Fähigkeiten verfügen – und außerdem schienen alle Dämonen der Stadt zu ihm zu halten. Wir befanden uns in einer denkbar schlechten Position. Nur eins beruhigte mich ein wenig: Offenbar waren die Mitglieder meiner Familie noch am Leben. Noch.

    »Eine aus der Verrätersippe ist sogar hier unter uns. Tritt vor, Coco Zamis!«

    Da wurde mir klar, dass ich mich in höchste Gefahr gebracht hatte. Wie sollte ich von hier entkommen? Ich beschloss, offensiv vorzugehen. »Wie kommst du dazu, uns als Verräter zu bezeichnen? Und wie kannst du es wagen, derlei Reden zu führen, solange du nicht einmal die Phase der Anonymität beendet hast? Wage es nicht, mich anzugreifen, oder meine Familie wird sich an Asmodi persönlich wenden und ihm mitteilen, wie sehr du die Regeln der Schwarzen Familie verletzt! Unser Herr wird dich dafür strafen!«

    Dröhnendes Lachen antwortete mir. »Sieh nach oben, Coco Zamis, dort findest du deine jämmerliche Familie!« Ein Arm, der in einer scheußlichen Klaue endete, wies zur Decke des Schwarzen Doms. Ich folgte mit meinem Blick der Richtung, die er wies – und wusste, dass der Kampf vorbei war, ehe er eigentlich begonnen hatte.

    Unter der Decke baumelten in etlichen Metern Höhe drei Käfige. Darin befanden sich mit schmerzverzerrten Gesichtern meine Eltern und Georg, mein Bruder. Sie kauerten sich in der jeweiligen Käfigmitte zusammen und hielten den denkbar größten Abstand von den Gitterstäben, die leuchtend fluoreszierten. Energetische Überschlagblitze knisterten zwischen den Stäben.

    »Ich werde sie schonen, Coco Zamis«, rief der Dämon. »Es gibt nur eine einzige Bedingung. Sage dich von ihnen los und DIENE MIR!« Die letzten Worte schmetterte er mir voller Triumph entgegen.

    Da war er bei mir an die Falsche geraten. Wut stieg in mir hoch. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, setzte ich auf das Überraschungsmoment. Ich versetzte mich in den rascheren Zeitablauf. Alles um mich her erstarrte scheinbar. Ich rannte nach vorn, bahnte mir einen Weg durch die Meute der starr stehenden Dämonen, auf die Kanzel zu. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte – unseren Gegner ausschalten? Ihn töten, solange er mir hilflos ausgeliefert war? War das die Lösung?

    Warum nicht? Doch zuerst würde ich …

    Ich stockte. Im Augenwinkel sah ich eine Bewegung. Das durfte nicht sein.

    Die Käfige!

    Sie stürzten von der Decke – und zwar in rasender Geschwindigkeit! Das war unmöglich. Ich befand mich in einem Feld aus beschleunigter Zeit! Alles, was sich außerhalb aufhielt, durfte sich höchstens in »Zeitlupe« bewegen.

    Was war hier los? Hier stimmte doch etwas nicht!

    Ich …

    2.

    Enttäuscht und entsetzt

    … wachte auf.

    Völlig verwirrt blickte ich mich um. Ich lag in meinem Bett. Es war ein Traum gewesen! Alle Erlebnisse der letzten Stunde – sie waren nicht real. Meine Familie war nicht verschwunden, Wiens Straßen waren nicht entvölkert, die Dämonen zogen nicht entfesselt durch die Stadt, der Stephansdom

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