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Standhalten: Texte aus dem Nachlaß und Verstreute Prosa
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eBook172 Seiten2 Stunden

Standhalten: Texte aus dem Nachlaß und Verstreute Prosa

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Über dieses E-Book

Gerold Foidl (1938-1982) hat neben den Romanen "Der Richtsaal" und "Scheinbare Nähe" auch mehrere kürzere Prosa-Texte verfasst, die zum Teil in verschiedenen Zeitschriften erschienen sind: einige wenige noch zu Lebzeiten, andere erst nach seinem frühen Tod. "Standhalten" vereint diese Texte erstmals in einem Buch, ergänzt durch bisher Unveröffentlichtes aus dem Nachlass. Die Texte erschließen - neben interessanten Variationen von bereits bekannten Themenbereichen - noch unbekannte Seiten innerhalb des Gesamtwerks und tragen somit zu einem vollständigen Bild des Autors bei. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Dorothea Macheiner.
SpracheDeutsch
HerausgeberHaymon Verlag
Erscheinungsdatum21. Juni 2017
ISBN9783709936108
Standhalten: Texte aus dem Nachlaß und Verstreute Prosa

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    Buchvorschau

    Standhalten - Gerold Foidl

    www.skarabaeus.at.

    Das Geständnis

    Ich war nie ein angenehmer Mensch.

    „Du bist ein unbelehrbarer Verweigeret", sagte mein Bruder Georg, wenn er mir seine Ratschläge nicht aufzuzwingen vermochte. Was nützt es schon, mir mit diesen Erinnerungen Mut zu machen. Wir leben in keiner Zeit, die Charakter honoriert. Es führt ins Grübeln, in die Verbitterung und endet in der Anonymität einsamen Sterbens. Meine Gedanken kreisen gefährlich um ein verpfuschtes Leben. Tagträumerisch habe ich die Gegenwart verlassen. Schließlich ist mein Bruder ermordet worden –

    Das Quietschen der Türe; Dr. Zankapfel kommt. Gewohnheitsmäßig verharrt er an der Zellentür. Er mustert mich mit seinem Anwaltsblick; jahrzehntelange Routine, sein gleichgültiger Gesichtsausdruck, versucht er mit einem Blick meine Tagesverfassung in sein Besuchsprogramm einzubeziehen. Ausgekochter Fuchs. Bieler, der stutzerhafte junge Wärter, erzählte mir von seinem Ruf als Starverteidiger. Mich interessierte es nicht sonderlich; ich mag Zankapfel nicht, hab ihn mir nicht ausgesucht. Aber das Gesetz verlangt es. In Zukunft werde ich nur mehr von den Gesetzen bestimmt werden. Mich kümmert es nicht, es geht mich nichts an – ich verweigere mich.

    Das langsame Aufziehen seiner Augenbrauen verleiht ihm einen Ausdruck kalkulierender Besorgtheit. Trotz seines angeblich legendären Rufes muß er erfolgshungrig sein, daß er meine Verteidigung übernommen hat. Er räuspert sich, widmet kurze Zeit dem Aufsetzen einer Denkermiene, gleichzeitig kramt er aus seinem schwarzen Dokumentenkoffer einen Stoß Papiere hervor. Ich beobachte ihn ausdruckslos von der Pritsche her. Obwohl ich wenig für ihn übrig habe, bewundere ich seine Fertigkeit, mit Pausen und sparsamen, gezielten Gebärden selbst bei banalsten Dingen den Eindruck ungeheurer Bedeutung zu erzeugen. Wenn einer nicht genau hinsieht, hält er es für die Aura der Seriosität. Dr. Zankapfel nimmt von meinem Mißtrauen bei seinen unregelmäßigen Besuchen keinerlei Notiz. Er scheint über derlei Belanglosigkeiten erhaben. Dann sein händereibendes, kaum hörbares Kichern ... Es berührt mich unangenehm, erfüllt mich mit eigenartigem Unbehagen, stört meine Gedanken; ich wüßte gern, ob er sich dieser Wirkung bewußt ist.

    „Also, mein lieber Dreisser, ich habe gute Nachrichten – teilweise: –", sagt er durch das Gespreiz seiner Finger. Ich stelle ihn mir beim Plädoyer vor. Eiskalt alle Register der Überzeugungs- und Beeindruckungskunst ziehend. Einer, dessen Bekenntnis zur Menschlichkeit bei gewonnenen oder spektakulären Prozessen nichts verloren hat –

    „Was ich Ihnen also sagen wollte, Pause, setzt er mit gedämpfter Stimme fort, „ich habe in den Kreisen, wo Sie früher verkehrten, mich etwas umgehört. Unsere Sache steht gut. Ich erkläre es Ihnen: Wir plädieren auf Unzurechnungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Tat. Ich habe bereits mit Professor Geißreiter gesprochen ... Sobald ich das mit dem Staatsanwalt geregelt habe, verlegen wir Sie in die Psychiatrie ... Wir holen uns dort die Gutachten für Ihre Un... zeitweise Unzurechenbarkeit. Ich hoffe, Sie verstehen, worauf ich hinaus will. Freispruch dürfen wir beim vorliegenden Tatbestand natürlich keinen ins Kalkül ziehen, das versteht sich. Wir gehen von der Annahme einer Einweisung in eine Anstalt für abnorme Rechtsbrecher aus. Sie verbringen dort vielleicht drei, vier Jahre und ich setze für Sie dann gewiß eine Amnestie durch.

    Ist er wahnsinnig? Wie glatt, selbstverständlich und routiniert er das sagt, als handle es sich um eine Verpackungsanleitung für Tomaten. Habe ich wirklich geglaubt, der hätte ein Interesse, meine Angelegenheit menschlich zu vertreten? Ich habe aus den Enttäuschungen meines Lebens nichts gelernt. Wie Dinosaurier nehmen sich heutzutage Menschen aus, die noch an ihren Standpunkten festhalten. Wir sind ein lächerliches Volk, ein Minderheitenklüngel, den niemand ernst nimmt – mein Verteidiger macht mir Angst mit seiner Unbedenklichkeit, die über meinen Kopf hinweg entscheidet, als wäre ich ein Blatt Papier.

    „Sie scheinen meine Dienste nicht recht zu würdigen? Übrigens, der Untersuchungsrichter ist sehr über Sie verärgert. Er beklagte sich bei mir wegen Ihrer mangelhaften Bereitschaft bei der Klärung dieses besonderen Mordfalles."

    Es scheint mir unerträglich. Ich weiß nicht, warum ich es schlucke. Was lasse ich mir noch gefallen?

    Er hat sich hier in meiner Zelle breitgemacht, beherrscht sie praktisch. Ich liege, er steht. Er sieht auf mich herab. „Mein werter, lieber, verehrter, guter oder bester Dreisser" nennt er mich. Eine Verbeugung im Nachhinein vor dem Bankdirektor, Landtagsabgeordneten, Inhaber einer Wohnbaufirma ist es. Georg war für die nächsten Wahlen als Spitzenkandidat für den Landeshauptmann im Gespräch –

    Der Verteidiger versucht mich zur Ablegung eines Geständnisses zu bewegen ... Er spricht von den mildernden Umständen. Seine Verstellungsgabe ist unvorstellbar. Er erweckt immer den Anschein, das Recht zu vertreten. Ungreifbar. Ein unwiderlegbarer Gralshüter des Rechts, scheinbar bestechend ... Ich brauche Zeit zum Überlegen –

    Mein Bruder hatte dieselbe Art, Menschen zu übertölpeln –

    Die Einsamkeit hier im Gefängnis ist anders wie die im letzten Frühjahr. Merkwürdig, daß mich das Fehlen der Freiheit nicht wahnsinnig macht.

    „Gehen Sie, sage ich zum Verteidiger, „ich will Sie nicht mehr sehen.

    „Sie müssen sich beruhigen, Dreisser. Ich verstehe Sie, glauben Sie mir das. Aber Sie müssen sich darüber klar sein, alles spricht dafür, daß Sie Ihren Bruder – ich kannte ihn selbst sehr gut – heimtückisch erdrosselt haben." Seine Art unverbindlicher Sachlichkeit bringt Aggressionen zum Kochen, daß man vor seinen Gedanken zurückschreckt, was man mit ihm machen möchte. Zankapfel bleibt von all dem unbeeindruckt. Seine Orientierungspunkte sind Termine. Sein Engagement ist Selbstbefriedigung durch die Auslegung der Gesetze. Es heißt, Männer wie Zankapfel seien für die Gerechtigkeit unentbehrlich; mir haben solche zu viel genommen, um noch an sie glauben zu können.

    Endlich geht er; es ist still. Der Schatten der Gitterstäbe legt sich lange über die Zellenwand.

    Er wußte genau, daß ich ihn nicht zu sehen wünschte. „Was willst du? fragte ich abweisend an der Tür. Mit dem Selbstvertrauen des Politikers betrat er meine Behausung. Ein kleines Wohnschlafzimmer mit eigenem Eingang in einer Nebenstraße. Seine Bewegungen hatten etwas Bestimmtes. Er musterte den Raum wie ein Mann, der ständig damit beschäftigt ist, blitzschnell Urteile zu fällen, über Dinge zu befinden. „Du wohnst ziemlich armselig da, sagte er in der Art, als habe er bereits alles weitere geplant. Ich setzte mich wieder an den Tisch und machte mich über das bescheidene Nachtmahl her. Die Befangenheit, die mich in seiner Anwesenheit regelmäßig befiel, hinderte mich an einer entschiedenen Reaktion. Ich bot ihm keinen Sessel an. Unruhig ging er durch das Zimmer; ein nervöser Erfolgstyp ... Er sprach vor sich hin: „Ich war gerade in der Gegend, du weißt ja, wie das ist – es wäre eigentlich Zeit, daß du deinen Bruder Artur wieder einmal besuchst, dachte ich mir da. Er war noch nie hier. Weiß der Teufel, wer ihm meine Adresse verraten hat. „So ungefähr habe ich mir das vorgestellt. Es muß etwas für dich geschehen, ich habe diesbezüglich konkrete Vorstellungen.

    Was will er? Kann er mich nicht endlich einmal mein Leben führen lassen, wie ich es will. Nie konnte ich das. Immer mischte er sich ein. Er ist ein machthungriges Schwein. Was braucht er mir noch zu beweisen, daß er der Ältere ist. Der schon als Junge genau wußte, wie man Erfolg hat. Der es aus armseligen Verhältnissen zum Bankdirektor brachte. Eine reiche Frau heiratete er. Aus dem Kapital machte er die Firma, die den größten Teil der öffentlichen Wohnbauten errichtet. Er redet von seiner Familie, die mich nichts angeht, vom Geschäft und von der Politik. Ich schweige. Er versteht es ausgezeichnet, für alles Interesse vorzutäuschen. Seine spinnendürren Finger zeigen auf die Wand, wo meine alten Eishockeyschlittschuhe hängen. Er lacht grell. „Kannst dich nicht trennen von den Dingern. Na ja, nette Erinnerung. Lachst sicher manchmal, wenn du dich daran erinnerst, was du für Hirngespinste gehabt hast. Als Beruf Eishockeyspieler, bei einem dieser Profiklubs. Brutale Sache, weiß ich, hab’s neulich grade im Fernsehen gesehen. Also was machen wir jetzt mit dir?"

    Er machte es immer so. Ohne sich um mich zu kümmern, traf er in Gedanken bereits mich allein betreffende Entscheidungen. Wenn ich ihm deshalb Vorwürfe machte, zeigte er sich beleidigt. Er bezeichnete es als Bruderliebe. Mir wurde dabei die Luft zum Atmen zu knapp.

    „Was suchst du nun wirklich bei mir? Ich bin nicht neugierig auf deine angebliche Fürsorglichkeit. Geh zum Teufel, du und die ganze Bagage, mit der du verpackelt bist. Laß mich in Ruh’, du Profitgeier. Ich bin müde. Mir paßt es nicht, daß um diese Zeit ungefragt einer bei mir hereinplatzt – ob du mein Bruder bist oder nicht, das ist mir schnuppe. Ich bin müde, verstehst du?"

    Sein breites Wahlkampflächeln schien mich in die Ecke zu schieben. Verständnisvoll nickte er. Hunderttausendemal erprobt, zur zweiten Natur geworden. Er überging meine Ausfälligkeiten. „Aus diesem Grund komme ich ja vorbei. Ich mußte mit dir einmal darüber sprechen. Es ist doch eine Schande, daß du als Hilfsarbeiter an einer Werkbank schuftest. Artur, du wirst mir rechtgeben, da muß sich etwas ändern. Wenn Vater das erfährt; er ist schon alt und nicht bei bester Gesundheit ... Der würde sich zu Tode kränken."

    Jetzt war’s heraus. Diese falsche Kanaille. Peinlich war es ihm. Er sorgte sich um sein makelloses Image als Politiker. So lange er nichts weiter als ein Gemeinderat und Prokurist in der Genossenschaftsbank in Malten war, konnte es ihm gleichgültig sein, was sein verrückter Bruder Artur trieb. Es berührte seine Lebensinteressen in keiner Weise. Er hatte ja maßgeblich dazu beigetragen, daß ich von dort weggehen mußte. Jetzt saß er im Landtag und in den Zeitungen wurde er des öfteren als ‚der kommende Mann‘ bezeichnet. Dynamisch, entschlossen, ideenreich. So sah er mit vorgerecktem Kinn und gewinnendem Lächeln von den Wahlkampfplakaten. Mit Postwurfsendungen wurde er mir sogar frei Haus geliefert. Auf Anschlagtafeln zu Parteiveranstaltungen stand fettgedruckt sein Name. Wenn ich abends in ein Wirtshaus oder Café ging, wurde er bei Diskussionen häufig erwähnt. Das Regionalprogramm drehte ich gar nicht mehr auf. Zu oft war er dort mit Statements vertreten, gab bundespolitische Kommentare. Bilder von Spatenstichen, Grundsteinlegungen, Betriebsbesichtigungen tauchten in regelmäßigen Abständen in den Tageszeitungen auf. Ich entkam ihm nicht. Überall verfolgte er mich. Seit meiner Kindheit konnte ich vor ihm keine Ruhe finden. Vor diesem verhaßten Vertreter der scheinheiligen Überlegenheit. Mein Schweigen brachte ihn ins Stocken. Betreten zog sich sein wohlgenährtes Gesicht schnaufend zusammen. Schnuppernd, verwirrt vom plötzlichen Verlust der Fährte; nachtragerisch, weil sein Schablonenreden, das mit dem betreffenden Mensch überhaupt nichts zu tun hatte, bei mir nicht verfing. Ich ließ meine Augen angewidert auf ihm ruhen ... Er war mittelgroß, trieb viel Sport, deshalb die gute Figur, der kurze Haarschnitt ließ den kleinen Kopf gedrungener, machtbewußter erscheinen; in seinem Ballonmantel sah er sehr smart aus; ein Rest von Jugend in seinen Bewegungen –

    „Wer hat dir das wegen der Werkstätte gesagt?"

    Er meinte, in seiner Position habe man natürlich seine Beziehungen und zahlreiche Freunde, die einen auf dem laufenden hielten. Er habe viel Kontakt mit Leuten aus allen möglichen Schichten, da erfahre man natürlich allerhand; schließlich sei er ja nicht nur Abgeordneter, sondern auch Mitglied der Landesregierung, aber das wisse ich ohnehin. Ich wußte nichts –

    Mit keinem Wort erwähnte er die Angelegenheit mit dem Theaterstück. Ich war damals entsetzlich beisammen. Aus Einsamkeit und Verzweiflung schrieb ich es. Um all den in mir dahinfaulenden Vergangenheitsmüll aus mir hinauszuschlacken. Irgendwie erwähnte ich es einmal im Gespräch. An dem Tisch saß gerade der mir unbekannte Intendant des Landestheaters. „Wir sind immer an guten, aktuellen Stoffen interessiert, sagte der. „Wissen Sie, sozialkritisch hat man in letzter Zeit ja sehr abgenutzt. Aber das erscheint mir ein anderes Thema. – Ich hörte zu, nickte, blieb skeptisch. „Sie haben Zukunft", sagte der Intendant, nachdem er den Text gelesen hatte. Ohne selbst etwas dazu zu tun, kam es zur Aufführung ... Korrektur: Es sollte dazu kommen!

    Es war ein Stück in kleiner Besetzung. Die Situation bei uns zu Hause, als Mutter davonlief und Vater kurz vor der Bestellung zum Leiter des Paßamtes stand; Georg Aussichten auf die Prokura zu haben glaubte. Ich wußte nicht, ob das Stück gut oder schlecht war; es zu schreiben war eine Notwendigkeit gewesen –

    Die Plakate waren gedruckt, die Proben gingen zu Ende, Schauspieler, die mir bis dort unbekannt waren, fieberten der Premiere entgegen, die Kulturredakteure bauschten in den Zeitungen alles auf. Ohne mein Wollen war ich Nachwuchsdramatiker geworden. Dann kam die einstweilige Verfügung –

    Mein Bruder wollte in den Landtag –

    Das Stück wurde nie gespielt, aber jeder kannte es –

    Mich hatte es aus der Bahn geschleudert –

    Ich schrieb nie mehr etwas. Danach trat ich in diese Werkstätte ein: aus Resignation. Ein Betrieb für Behinderte. Deshalb war er gekommen. Er wollte mich von dort wegholen. Niemand sollte ihm seinen mißratenen, an allem gescheiterten Bruder vorhalten. Er fürchtete um seine weitere Karriere. Er würde damit gewiß nicht Landeshauptmann werden. Plötzlich gewann meine Existenz für ihn wieder Bedeutung.

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