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Der Fall de Montagne: Commissaire Papperins neunter Fall - ein Provencekrimi
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Der Fall de Montagne: Commissaire Papperins neunter Fall - ein Provencekrimi
eBook479 Seiten6 Stunden

Der Fall de Montagne: Commissaire Papperins neunter Fall - ein Provencekrimi

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Über dieses E-Book

Ein mysteriöser Mord sorgt für Aufregung im beschaulichen Provencedorf Cabanosque. Welche seiner Untaten brachen dem Filialleiter der örtlichen Bank bei seiner letzten Mountainbiketour das Genick? Wer hat diese schreckliche Rache an dem korrupten Banker geübt? Als im abgelegenen Kloster Saint Pierre der Mörder zur Beichte erscheint und sich ein Kletterunfall im Grand Canyon du Verdon als Mord entpuppt, sieht sich Commissaire Papperin mit seinem bisher schwierigsten Fall konfrontiert.
SpracheDeutsch
Herausgeberambiente krimis
Erscheinungsdatum1. Nov. 2020
ISBN9783945503294
Der Fall de Montagne: Commissaire Papperins neunter Fall - ein Provencekrimi

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    Buchvorschau

    Der Fall de Montagne - Ignaz Hold

    IGNAZ HOLD

    DER FALL DE MONTAGNE

    ambiente-krimis

    Buch

    Ein mysteriöser Mord sorgt für Aufregung im beschaulichen Provencedorf Cabanosque. Welche seiner Untaten brachen dem Filialleiter der örtlichen Bank bei seiner letzten Mountainbiketour das Genick? Wer hat diese schreckliche Rache an dem korrupten Banker geübt? Als im abgelegenen Kloster Saint Pierre der Mörder zur Beichte erscheint und sich ein Kletterunfall im Grand Canyon du Verdon als Mord entpuppt, sieht sich Commissaire Papperin mit seinem bisher schwierigsten Fall konfrontiert.

    Autor

    Ignaz Hold ist ein Pseudonym. Der Autor, ein reiselustiger Wissenschaftler, hat seit über einem Vierteljahrhundert in der Provence eine zweite Heimat gefunden und kennt diesen Fleck Europas wie seine Westentasche. Er erholt sich, wann immer sein Beruf es ihm erlaubt, vom Stress des Alltags in seinem Haus in der Haute Provence. Dorthin, in die ländliche Idylle eines provenzalischen Dorfes, zieht er sich zurück, um zu schreiben. Neben nüchternen Fachbüchern entstehen dort seine Provencekrimis, in denen er den ganzen provenzalischen Mikrokosmos mit all seinen Problemen, Charakteren, landschaftlichen und kulinarischen Reizen einfängt und in spannende Krimis einfließen lässt.

    Ignaz Hold

    DER FALL DE MONTAGNE

    Commissaire Papperins neunter Fall

    ambiente-krimis

    Personen und Handlungen in diesem Roman sind frei erfunden und orientieren sich nicht an lebenden oder toten Vorbildern oder an tatsächlichen Geschehnissen. Etwaige Ähnlichkeiten sind nicht beabsichtigt und wären rein zufällig.

    ambiente-krimis

    Michael Heinhold

    Am Feilnbacher Bahnhof 10

    83043 Bad Aibling

    Erste Auflage 2021

    Copyright © 2021 by Ignaz Hold

    Alle Rechte vorbehalten

    E-book-Konvertierung: CPI books GmbH, Leck

    Umschlagfoto: Michael Heinhold

    ISBN der Taschenbuchausgabe: 978-3-945503-28-7

    ISBN der E-Book-Ausgabe: 978-3-945503-29-4

    karte

    Commissaire Papperins Ermittlungen im Grand Canyon du Verdon

    Mittwoch, 5. Oktober

    Guillaume de Montagne lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück und fixierte sein Gegenüber mit einem geringschätzigen, überheblichen Blick, einem Blick, der nur Männern zu eigen ist, die sich ihrer Macht und ihrer unanfechtbaren Position völlig sicher sind. Der sportliche Mitvierziger im dunklen Businessanzug stützte sich mit beiden Ellenbogen auf die Schreibtischplatte.

    „Es kursieren Gerüchte, dass du …, begann er. „Sagen wir besser so: Man hat mir zugetragen, du hättest vor, an meinem Stuhl zu sägen.

    „Das stimmt so nicht!", wehrte sich der andere.

    „Doch! Ich weiß das aus zuverlässiger Quelle. Du versuchst auf subversive Weise, Stimmung gegen mich zu machen." Eine Zornesfalte begann sich zwischen monsieur de Montagnes Augenbrauen zu bilden, wurde größer und tiefer, bis sie seine Stirn in zwei symmetrische Hälften teilte.

    „Die Situation ist doch folgendermaßen", versuchte der Beschuldigte abzuwiegeln: „Wir sind eine Organisation, deren Vorstand in regelmäßigem Turnus gewählt wird. Das ist gesetzlich so vorgesehen. Es steht im code civil. Und jeder, der die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt, kann sich zur Wahl stellen."

    „Du willst also ernsthaft gegen mich kandidieren, wenn die Wiederwahl des Vorstands ansteht?" Guillaume de Montagne, der amtierende Vorsitzende, stieß zwei kurze, abfällige Lacher aus.

    „Du hast doch keine Chance, Toto! Lass das sein!"

    „Wenn du dich da mal nicht täuschst! Du hast einigen Dreck am Stecken. Die Leute wissen das nur noch nicht."

    Der Vorsitzende überlegte kurz und lachte dann seinem Gegenüber ins Gesicht:

    „Willst du wirklich öffentlich hinausposaunen, dass ich deine Frau ficke? Das kann mir doch nichts anhaben. Im Gegenteil, bis auf ein paar bigotte Betschwestern würden das alle toll finden. Aber du stündest als Blamierter da. Toto, Toto! Also mach keinen Scheiß!"

    Der gehörnte Ehemann wurde blass. Ganz augenscheinlich hatte er davon nichts gewusst. Doch er bekam sich schnell wieder in den Griff und ging zum Gegenangriff über:

    „Das meine ich nicht. Da gibt es ganz andere Sachen. Wie war das zum Beispiel mit madame Clurent, die du um ihr gesamtes Erspartes gebracht hast? Oder was anderes: Ich sage nur: Résidence Lantier."

    Mit Befriedigung nahm er das Erschrecken in den Augen seines Gegenübers wahr.

    „Außerdem mag ich nicht, wenn du mich mit diesem idiotischen Spitznamen anredest. Ich habe schließlich einen richtigen Namen. Merk dir das endlich!"

    Auf einmal hatten sich die Gewichte verschoben. Der von Guillaume de Montagne so abfällig Toto Genannte schien sich plötzlich in der stärkeren Position zu befinden, während de Montagne nachdenklich in seinem Chefsessel zusammengesunken war.

    Toto legte noch eines drauf: „An deiner Stelle würde ich nicht für die Wiederwahl kandidieren. Das wäre besser für alle. Vor allem für dich! Konzentriere dich auf deinen Job als Filialleiter der Bank und mach da meinetwegen deine krummen Sachen weiter, aber lass mich hier ran. Sonst … !"

    „Jetzt pass mal auf Toto! Guillaume de Montagne war zu einem Entschluss gekommen. „Einen Scheißdreck werde ich tun und dich hier ran lassen. Im Gegenteil, ich mach dich fertig. Das, was du mir da vorwirfst, kann mir nichts anhaben. Es ist entweder rechtlich unangreifbar oder verjährt. Aber dich und dein Unternehmen mach ich fertig. Glaub mir, ich habe die Kontakte dazu. Nur ein paar Gerüchte über Zweifel an deiner Kreditwürdigkeit und deine Lieferanten werden dich meiden wie die Pest. Und deine Kunden? Die sind noch anfälliger für geschickt gestreute Gerüchte. Außerdem, gerade fällt mir ein, in gespielter Nachdenklichkeit fasste sich de Montagne an die Stirn, „unsere Kreditabteilung hatte einige nicht den Tatsachen entsprechende Angaben – um nicht zu sagen Lügen – in deinem Antrag für den Investitionskredit entdeckt, was, wenn ich die Geschäftsbedingungen meiner Bank korrekt anwende, eine sofortige Fälligstellung des Investitionsdarlehens zwingend erforderlich macht."

    Jetzt hatte Guillaume de Montagne wieder Oberwasser.

    „Also, mach dich auf raue Zeiten gefasst! Hier in Cabanosque, ach was im gesamten Département, kommst du nicht mehr auf die Beine. Am besten du verschwindest von hier. Geh zurück in deine Heimat. Und jetzt raus!"

    Mit einer herrischen Handbewegung wies er zur Tür.

    „Größenwahnsinniger Idiot!, murmelte er. „Der hat tatsächlich geglaubt, er kann mich unter Druck setzen. Mich!

    ***

    Sichtlich erschüttert verließ Toto das Büro des Vorstands. Wütend schlug er die Tür zu.

    Porca miseria! Damit hat er mich in der Hand, grummelte er in seiner italienischen Muttersprache vor sich hin, während er die wenigen Treppenstufen hinunter stieg und zu seinem Auto ging. „Selbst wenn ich das durchziehe und er auf den Präsidentenposten verzichten muss, trotzdem kann er mich fertigmachen.

    Die Konsequenzen, die ihm Guillaume de Montagne angedroht hatte, würden ihn wirtschaftlich ruinieren. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als zurück zu rudern, auf seine Kandidatur zu verzichten und drauf zu hoffen, dass der andere seine Drohung dann nicht wahrmachen würde. Aber heimzahlen wollte er es diesem anmaßenden Idioten trotzdem.

    „Der glaubt wohl, er kann mit mir alles machen, dieser kriminelle Banker! Und dass er Paola vögelt, dieser Drecksack! Allein dafür könnte ich ihn umbringen! Aber dem werde ich einen Denkzettel verpassen, den er so schnell nicht vergisst!"

    Selbstverständlich müsste er es so geschickt anstellen, dass auf ihn keinerlei Verdacht fiel. Während er sich auf den Fahrersitz fallen ließ, die Autotür zuschlug und sich anschnallte, überschlugen sich seine Gedanken, suchten nach Wegen, wie er diesem vermeintlichen Ehrenmann, diesem Halsabschneider im Schafspelz, Schaden zufügen konnte, den der sein Leben lang nicht vergessen würde. Sollte er seine alten Kontakte in die Marseiller Unterwelt reaktivieren? Aber dann gäbe es Mitwisser. Und das sollte er besser vermeiden. Auf der Fahrt nach Hause gingen ihm viele Möglichkeiten durch den Kopf. Von diesen Ideen verwarf er die meisten sofort wieder. Aber ein Gedanke hatte es ihm angetan. Ja, so konnte er es machen. Er musste nur Geduld haben, abwarten, bis sich eine günstige Gelegenheit ergab.

    Donnerstag, 6. Oktober

    Das Frühstück beim Ehepaar Tomassino hatte in bedrückendem Schweigen stattgefunden. Nachdem ihr Mann endlich den letzten Bissen seines Croissants heruntergeschluckt und mit dem schon kalt gewordenen Espresso nachgespült hatte, begann Paola Tomassino den Tisch abzudecken.

    Battista Tomassino deutete auf ihren Stuhl:

    „Setz dich und hör mir zu!", befahl er.

    Sie ahnte, was jetzt kommen würde und nahm mit trotziger Miene wieder Platz.

    „Es stimmt also, dass du mit diesem … diesem …" Er suchte nach einer passenden Bezeichnung für den Mann, der ihm Hörner aufgesetzt hatte.

    „… Casanova, diesem Hurenbock ein Verhältnis hast. Wie … wie lange ge… geht das schon?" Vor Zorn kam er ins Stottern.

    „Ach Toto!"

    „Nenn mich nicht so! Du weißt, wie ich diesen idiotischen Spitznamen hasse."

    Diesen Necknamen hatte er sich durch sein leichtes Stottern zugezogen. Früher war er, wenn er innerlich erregt, aufgewühlt war, leicht ins Stottern verfallen. Vor Jahren, als er sich um den Trainerposten beim örtlichen Rugbyclub beworben und man ihn nach seinem Namen gefragt hatte, hatte er geantwortet:

    „To… To… Tomassino."

    Damit war Toto geboren. Lange hatte er dagegen angekämpft. Seinem kumpelhaften Wesen und vor allem seinen Erfolgen im Training mit der Mannschaft war es schließlich zu verdanken, dass seine Freunde ihn mit seinem richtigen Vornamen Battista anredeten – oder die Kurzform Tista verwendeten. Toto hingegen hasste er, weil es ihn an seine Schwachstelle, das Stottern, erinnerte – das er inzwischen weitgehend überwunden hatte.

    „Weil du nie Zeit für mich hast. Alles dreht sich um deinen idiotischen Rugbyclub, deine Mannschaft und was du mit ihr alles erreicht hast und noch erreichen willst. Selbst in unserem Restaurant machst du nur noch halbherzig mit."

    „Nur weil mir der Club wichtig ist, brauchst du doch nicht gleich mit einem anderen ins zu Bett hüpfen. Noch dazu mit diesem stronzo, diesem wichtigtuerischen Arschloch!"

    „Weil der mich ernst nimmt, sich um mich kümmert. Mir zeigt, dass er mich mag, mir Geschenke macht. Für dich gibt es ja nur deinen Verein!"

    Testa di cazzo!, verfiel er in seine italienische Muttersprache. Ma cosa ti è venuta in mente? Er schlug mit er Faust auf den Tisch. Was hast du dir dabei gedacht? Wie steh ich jetzt da? Un cornuto, ein gehörnter Ehemann!"

    „Da bist du selber schuld. Wenn mein Herz nicht so an unserem Restaurant hinge, das wir uns aufgebaut haben – mit meinem Geld übrigens – dann würde ich mich von dir trennen."

    Es war eine Tatsache, dass das Restaurant ‚Al Buongustaio‘ nur deshalb so gut ging, weil sie beide ein so gut eingespieltes Team waren. Paola eine begnadete Köchin und Battista, der die Bar betrieb und bei den Gästen den padrone, den Inhaber, spielte. Mit großem Erfolg bot die Küche neapolitanische und sizilianische Gerichte aus der jeweiligen Heimat der Eheleute Tomassino.

    „Scheiß auf’s Buongustaio!" Battista Tomassino schaute seine Frau böse an.

    „Du weißt schon, was man in meiner Heimat Sizilien mit einer Frau gemacht hätte, die ihrem Mann untreu geworden ist?"

    Aber ihm war auch klar, das Restaurant war ihre Existenzgrundlage. Und der Erfolg beruhte auf ihrer beider Arbeit. Das durfte er nicht aufs Spiel setzen.

    „Du kannst dich glücklich schätzen, dass wir in Frankreich sind und nicht in Sizilien! Aber eins sag ich dir: eine Zeit lang will ich dich nicht mehr sehen. So lange, bis du diesem Hurensohn den Laufpass gegeben hast – endgültig! Ist das klar?"

    Er stand auf und ging zur Tür, die in die Diele führte. Dort wandte er sich um:

    „Solange fahr ich weg. Nach Ventimiglia zu meinem Bruder."

    „Aber das Buongustaio? Das Wochenende steht vor der Tür und wir haben viele Reservierungen!"

    „Scheiß drauf!", brüllte er und verschwand.

    Paola schüttelte den Kopf. Wollte sie wirklich mit diesem Mann weiterhin zusammenleben? Während sie das Frühstücksgeschirr abräumte gingen ihr unzählige Gedanken durch den Kopf. Sie hörte, wie die Haustüre zugeschlagen wurde, dann hörte sie einen Anlasser, der Motor des Alpha Romeo heulte auf und ging in ein leises Brummen über, das sich schließlich in der Ferne verlor.

    Sie war fassungslos von dem Hass, den Battista ihr entgegen geschleudert hatte. Bloß weil sie den Avancen von Guillaume nachgegeben und sich von ihm hatte verführen lassen. „Aber so sind sie, die Sizilianer", dachte sie. Heißblütig und rachsüchtig. Frauen wurden verehrt und geachtet, solange sie als treu ergebene Ehefrau und Mama der Kinder funktionierten. Sonst galten sie nicht viel. Sie ließ noch einen Espresso aus der Maschine laufen und setzte sich an den Küchentisch. Ohne zu trinken starrte sie auf die schwarze Flüssigkeit in der Tasse und haderte mit sich und ihrem Leben. Vielleicht sollte sie Battista doch verlassen, so, wie er sich in der letzten Zeit entwickelt hatte. Guillaume würde sie auf Händen tragen. Wie oft hatte er ihr gestanden, wie sehr er sich danach sehnte, gemeinsam mit ihr durchs Leben zu gehen. Bisher war sie es, die das strikt abgelehnt hatte. Immer wieder hatte er sie bedrängt, Toto, wie er Battista stets abschätzig nannte, zu verlassen. Seine Frau bedeute ihm nichts. Außerdem habe sie einen Liebhaber. Er wolle sich ohnehin von ihr scheiden lassen, weil sie ihn betrüge. Das sei nur eine Frage der Zeit. Er warte bloß noch, bis seine Beförderung zum regionalen Leiter aller Bankfilialen im Département durch sei.

    Andererseits: Battista? Sie hatte ihn einmal geliebt. Aber wie lange war das her? Und das Restaurant! Doch das könnte sie auch allein weiter betreiben. Schließlich gehörte es ihr, sie war im registre du commerce et des sociétés, dem Handels- und Gesellschaftsregister als Alleineigentümerin eingetragen.

    Lange saß sie zweifelnd vor der unberührten Espressotasse. Schließlich gab sie sich einen Ruck, holte das iPhone aus ihrer Handtasche, rief das Telefonverzeichnis auf und tippte auf Guillaumes Mobilfunknummer.

    Salut Guillaume, mon chéri!"

    „Paola, ma chouchoute! Wie schön, deine liebe Stimme zu hören."

    „Guillaume, ich habe mich entschieden. Ich verlasse Battista. Ich will mit dir zusammen sein, gemeinsam mit dir durchs Leben gehen. Was sagst du dazu? Ist das nicht eine freudige Überraschung? Die Erfüllung all deiner Wünsche?"

    Eine lange Zeit blieb es still in der Leitung.

    „Guillaume, so sag doch was!"

    „Das stellst du dir so vor. Und knallst es mir vor die Füße! Als ob ich da nichts mit zu reden hätte!"

    „Aber das hast du dir doch immer gewünscht, hast gesagt es sei so toll, mit mir zusammen zu sein."

    „Es war ganz nett mit dir zu schlafen. Du bist gut im Bett, das stimmt. Aber das ist es dann auch schon. Von gemeinsam durchs Leben gehen kann keine Rede sein."

    „Aber Guillaume, du hast doch immer … Ich will mit dir … und du willst das doch auch …"

    „Nichts will ich. Wie gesagt, es war nett mit dir, aber jetzt ist Schluss!"

    „Guillaume!" Ein Aufschrei.

    „Schluss habe ich gesagt! Für immer!"

    „Du mieses, gemeines Schwein! Ich hasse dich! Ich hasse Dich! Ich hasse dich!"

    Es knackte in der Leitung.

    Fassungslos starrte sie das Telefongerät in ihrer Hand an. Dann brach sie schluchzend über der Tischplatte zusammen.

    Freitag, 7. Oktober

    Obwohl der Nachmittag schon weit fortgeschritten war und alle seine Mitarbeiter bereits nach Hause gegangen waren, hatte für Guillaume de Montagne der Feierabend noch nicht begonnen. Ein Kunde hatte um ein persönliches Beratungsgespräch um diese Uhrzeit gebeten. Natürlich hätte es der Bankchef lieber gesehen, wenn er diesen Termin auf die nächste Woche verschieben und früher hätte nach Hause fahren können. Aber der Kunde, ein sehr wohlhabender Privatmann, war zu wichtig für die Bank. Also hatte er zähneknirschend nachgegeben und seine eigentlich geplante Freizeitbeschäftigung hintan gestellt. Zum Glück waren die Tage im Oktober noch ausreichend lang, so dass er sich seinem Hobby, dem Mountainbiking, auch später noch bei Helligkeit widmen konnte.

    Das Gespräch stellte sich als langwierig und entnervend heraus. Der Informationsbedarf des Kunden war schier unbegrenzt. Nachdem der Bankchef unzählige und ermüdende Fragen zu Aktienfonds, ETFs, Immobilienfonds und anderen Anlageformen beantwortet und den Kunden mit einem umfangreichen Paket von Broschüren und Informationsblättern ausgestattet hatte, war er seinen Besuch endlich los, konnte das zur Straße führende Zugangstor verriegeln und die Bank durch die dem Personal vorbehaltene Hintertüre verlassen – nicht ohne vorher die Alarmanlage zu aktivieren.

    Es war schon nach achtzehn Uhr, als er in seinen Landrover stieg und sich auf den Weg zu seinem draußen auf dem Land, mitten zwischen Weinbergen und Olivenhainen gelegenen Haus machte.

    ***

    Nach der langen Arbeitswoche, die er fast ausschließlich mit sitzenden Tätigkeiten verbracht hatte – mit Aktenstudium, mit Arbeiten am Computer oder in Beratungsgesprächen – lechzte sein Körper nach sportlicher Bewegung.

    Merci ma chérie, aber erst, wenn ich wieder zurück bin, lehnte er den Aperitif ab, den Marie-Claire, seine Frau auf der Terrasse der Villa vorbereitet hatte. „Ich muss mich jetzt erst bewegen, körperlich auspowern. Nach dieser Arbeitswoche brauche ich das ganz dringend.

    „Wirst du lange wegbleiben?", fragte sie. Als er nickte, seufzte sie: „Erfahrungsgemäß kann das Stunden dauern. Ich glaube, das wird mir zu spät. Mon chéri, ich bin heute etwas kaputt – meine Migräne. Du kennst das ja. Bist du mir böse, wenn ich nicht auf dich warte, sondern mich schon vorher schlafen lege?"

    „Aber ganz gewiss nicht, ma chouchoute! Leg dich bald hin und schlaf dich aus, damit es dir morgen wieder gut geht. Nimm vielleicht ein Valium, damit du nicht aufwachst, wenn ich spät heimkomme."

    Er drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Stirn und enteile ins Obergeschoß. In dem zwischen Schlafzimmer und Bad gelegenen Umkleideraum warf er seinen Businessanzug auf den Boden und schlüpfte in seine Radfahrmontur – eine enge, dunkelblaue Radfahrerhose und ein grellrotes Trikot mit der blauen Aufschrift CCC – Club Cycliste de Cabanosque. In der Garage hob er sein Mountainbike aus der Wandhalterung, setzte den Helm auf, zog seine Fahrradhandschuhe an und fuhr los. Von den vielen Streckenvarianten, die sich von Cabanosque aus für Mountainbiker anboten, hatte er eine zu seinem Lieblingsparcours auserkoren. Er war abwechslungsreich und sehr anspruchsvoll. Wann immer ihm sein Job und seine Frau Zeit dafür ließen, tobte er sich auf dieser seiner Standardstrecke sportlich aus. Wie stets, wählte er auch jetzt diese Route.

    ***

    Marie-Claire de Montagne blickte ihrem Mann nach, wie er sich auf sein Rad schwang, die gekieste Zufahrt zu ihrem Grundstück hinunter fuhr und dann links in die asphaltierte rue communale einbog. Sie ging zurück ins Haus und überlegte, ob sie sich wirklich hinlegen oder lieber die Gelegenheit nutzen und Claude anrufen sollte. Sie entschied sich für Letzteres.

    „Claude, jetzt bin ich allein. Guillaume ist weg, er braucht seinen Abendsport, hat er gesagt. Mit seinem Mountainbike. Jetzt haben wir Zeit und können in Ruhe alles besprechen. Kommst du …?"

    „Und wenn er zurückkommt? Du weißt ja, er rastet aus, wenn er sieht, dass ich zu euch ins Haus komme. Bist du sicher, dass er lange genug weg bleibt? Weißt du, wohin er gefahren ist?"

    „Keine Ahnung, das interessiert mich nicht besonders. Aber normalerweise ist er immer so zwei bis drei Stunden unterwegs." Vielleicht war er aber auch zu seiner Geliebten gefahren, dieser Gastwirtin, dachte sie. Das hinge allerdings davon ab, ob deren Mann zuhause war oder nicht.

    „Also, was ist? Kommst du?"

    „Lieber nicht. Das ist mir zu riskant. Ich kenne seine Touren. Da ist auch eine kürzere dabei. Wenn er die fährt, dann ist er bald zurück. Und wenn er mich dann bei dir sieht …"

    „Du weißt, wo er fährt?"

    „Ja, früher hatten wir doch zusammen solche Mountainbiketouren gemacht. Daher weiß ich das. Aber seit einiger Zeit ist das passé. Wir beide wissen, warum."

    „Also kommst du nicht?"

    „Nein! Sonst gibt es Mord und Totschlag!"

    Natürlich war es auch Marie-Claire klar: Ein Zusammentreffen ihres Mannes Guillaume mit ihrem Bruder Claude würde nicht friedlich verlaufen, sondern in Streit und in Handgreiflichkeiten ausarten, wenn nicht sogar in eine brutale Schlägerei. Zu ungestüm waren deren Charaktere und zu gravierend der Grund für ihre Feindschaft.

    ***

    Froh, dem Büro und dem beengenden Zuhause entkommen zu sein, trat Guillaume de Montagne in die Pedale. Zuerst ging es ein paar Kilometer eben auf der Landstraße dahin. Die Ernte in den Weingärten rechts und links der Straße war bereits seit Längerem vorüber. Das Grün der dichten Blätter auf den Rebstöcken begann schon in herbstliches Gelb umzuschlagen. Die tiefstehende Sonne überflutete die Landschaft mit ihrem goldenen Licht und ließ die Farben besonders kontrastreich leuchten. Als die Gegend hügeliger wurde, verließ er die Teerstraße und kämpfte sich einen steilen Schotterweg bergan. Hier änderte sich die Vegetation. Die kultivierten Weingärten und Olivenhaine lagen hinter ihm. Stattdessen säumte hartlaubige und teils stachelige garrigue den Weg. Rosmarin, Thymian, vereinzelt ein wilder Lavendelbusch, weiß und rosablühende Zistrosen mit ihren blassgrünen, behaarten Blättern und immer wieder Ginsterbüsche prägten das Bild. Guillaume de Montagne nahm dies allerdings nicht wahr. Weder sah er die zarten Blüten, noch roch er den würzigen Duft, den der ausgetrocknete Boden und die wilden Pflanzen verströmten. Er quälte sich verbissen den steilen Hang hinauf, den Blick stur auf den steinigen Weg vor sich gerichtet. Er fing zu schwitzen an, spürte, wie sich sein Puls beschleunigte. Langsam fielen die Anspannung und der Stress der Arbeitswoche von ihm ab und er fühlte sich frei. Mit noch mehr Kraft trat er in die Pedale und freute sich über das Geräusch, das die von seinem vorantreibenden Hinterreifen wegspritzenden Steine verursachten.

    Bald hatte er die erste Höhe erreicht. Der sich zu einem Pfad verengende Weg führte den nur noch leicht ansteigenden Bergrücken entlang. Jetzt konnte er etwas nachlassen, sich von der Anstrengung erholen. Nun hatte er auch wieder einen Blick für seine Umgebung übrig, für die Schönheit der Landschaft. Rechts, nach Osten, ersteckte sich das hügelige, baumbestandene Land soweit das Auge reichte. Läge nicht das Massif des Maures als breite Barriere dazwischen, dann könnte man von hier oben aus das Meer sehen, dachte er. Guillaume hielt an, stieg ab und setzte sich auf einen Felsbrocken am Wegrand. Links unter ihm lag das Städtchen Cabanosque. Die Dämmerung war schon so weit fortgeschritten, dass die Stadtverwaltung die Straßenlaternen bereits angeschaltet hatte. Die verwinkelten Dächer mit ihren typischen provenzalischen Ziegeln grüßten herauf. Der von einem schmiedeeisernen Käfig bekrönte Turm der alten Kirche war im Scheinwerfer-Spotlicht gut zu erkennen. Daneben das Hôtel de Ville, das Rathaus, am von alten Platanen beschatteten Platz. Dort konnte er das rosafarbene Haus ausmachen, dessen gesamtes Erdgeschoß von seiner Bank eingenommen wurde. Weiter hinten, wo die route départementale am kleinen centre commercial vorbeiführte, ein kurzes Stück weiter, lag der Sportplatz mit drei Tennisplätzen, dem Fußballplatz mit der umlaufenden blauen Tartanbahn für die Leichtathleten, sowie dem großen Rugbyfeld seines CRC, des Club de Rugby de Cabanosque.

    Was sich Toto nur einbildete! Als könnte er ihm, dem erfolgreichen und mächtigen Präsidenten des CRC das Wasser reichen! Aber dem hatte er es gegeben. Ihn in seine Schranken verwiesen. Ihm klar gemacht, wer hier das Sagen hatte. Der brauchte sich nicht mehr sehen zu lassen. Zufrieden nahm Guillaume de Montagne die Trinkflasche aus der Halterung und trank einen tiefen Schluck von dem immer noch erfrischend-kalten isotonischen Powerdrink. Er verstaute die Flasche, schwang sich wieder auf sein Mountainbike und setzte seine Tour fort. Seine Standardroute führte ihn zum nächsten Berg. Hier war der Anstieg länger und steiler als beim ersten, kleineren Auftakthügel vorhin. Aber die Mühen würden sich lohnen, dachte er, während er sich im kleinsten Gang den holprigen Pfad hinauf quälte. Oben, auf der Kuppe des Berges, würde er auf einen DFCI-Schotterweg treffen, eine der Pistes de Défence de la Forêt Contre les Incendies, Wegschneisen, die die Forstbehörde zur Brandbekämpfung durch die Wälder gezogen hatte. Auf dieser piste ging es mehr als fünf Kilometer bergab. Dort würde er seinem Mountainbike die Zügel freigeben und die lange, kurvenreiche und teilweise sehr steile Strecke hinunter sausen. Ganz am Ende musste er, um nach Cabanosque zurück zu kommen, die Schotterpiste wieder verlassen und die letzten Kilometer auf einem Wanderweg zurücklegen. Auch dort ging es im Wesentlichen bergab. Es stand ihm also eine spannende und rasante Talfahrt bevor. Aber noch fehlten ein paar Höhenmeter, die er hinaufstrampeln musste.

    Die Abfahrt war atemberaubend und erzeugte bei ihm ein seelisches Hochgefühl. Er genoss den Fahrtwind, der ihm ins Gesicht wehte. Aufrecht in den Pedalen stehend hielt er den Lenker fest in den Händen. Die Federgabel seines Hightech-Mountainbikes schluckte die gröbsten Unebenheiten der steinigen Piste. Obwohl die Dämmerung bereits sehr weit fortgeschritten war und durch das dichte Nadeldach der Pinien nur wenig Licht vom abendlichen Himmel drang, konnte er den Weg noch gut erkennen. Wegen der hellen Farbe der Schottersteine lag die Piste wie ein weißes Band vor ihm. Wie jedes Mal, wenn er diese Rundtour, seine übliche Route, fuhr, hatte er auch jetzt wieder befreit aufgeatmet, sobald er die schweißtreibenden Aufstiege hinter sich gelassen hatte und sich dem Rausch der Geschwindigkeit hingeben konnte.

    Viel zu schnell war die Stelle erreicht, wo er das breite und helle Band der Schotterpiste verlassen und auf den Wanderweg abbiegen musste. Der schmale Pfad war in der einbrechenden Nacht nur schwer auszumachen. Aber er kannte den Weg wie seine Westentasche, deshalb fuhr er mit nahezu unvermindertem Tempo weiter. Stachelige Rosmarinzweige und biegsame Ginsterruten peitschten gegen seine nackten Schienbeine. Weit vor sich konnte er die Lichter von Cabanosque durch die Büsche und Bäume schimmern sehen. Er fühlte schon den erfrischenden Geschmack des eiskalten Biers auf der Zunge, das er auf der Terrasse seines Hauses trinken würde – in einem der bequemen Schaukelstühle sitzend und den Geräuschen der Nacht lauschend. Allein, weil seine Frau mit Migräne im Bett lag. Marie-Claire – in letzter Zeit gab sie ihm Rätsel auf. Irgendwie hatte sie sich verändert. Wirkte unzufrieden. Oder unglücklich? Aber warum? Er bot ihr doch alles, was sie sich nur wünschen konnte: Ein hohes Einkommen, ein luxuriöses Haus, eine hervorgehobene gesellschaftliche Position. Kinder? Hier waren sie sich doch beide einig. Kinder ließen sich mit ihrer beider Lebensplanung nicht vereinbaren. Also, sie hatte doch überhaupt keinen Grund mit ihrem Leben unzufrieden zu sein. Er würde sie fragen, morgen, beim Frühstück. Sie waren doch ein ideales Paar, glücklich, erfolgreich und vermögend. Für ihn war sie die ideale Ehefrau, leidenschaftlich, anschmiegsam, verständnisvoll und tolerant in persönlichen, intimen Dingen. Und gesellschaftlich hoch angesehen, allenthalben geschätzt und geachtet. Was hatte sie nur? Und Paola? Wie hatte er sich in ihr getäuscht. Für ihn waren das nur ein paar amüsante Seitensprünge. Doch sie hatte sich tatsächlich eingebildet, dass er hier alles aufgeben und sein künftiges Leben mit ihr verbringen würde. Wie konnte sie nur so dumm sein? Aber das war jetzt zu Ende. Endgültig aus!

    Diese Gedanken gingen ihm durch den Kopf, während sein Mountainbike ihn mit rasantem Tempo weiter bergab durch den Pinienwald trug.

    Plötzlich spürte er einen heftigen Ruck, wurde aus dem Sattel gehoben und durch die Luft geschleudert, sah im Flug die Lichter von Cabanosque blinken. Ein brutaler Schlag traf seinen Kopf. Kurz fühlte er noch das Aufzucken eines brüllenden Schmerzes. Er merkte nicht mehr, wie sein Fahrradhelm an einer scharfen Felsscharte zerbarst und sein Körper, sich mehrmals überschlagend, den steilen Hang hinunter rollte, um von einem einsam aus dem Gestrüpp ragenden Felsblock abrupt gestoppt zu werden.

    Samstag, 8. Oktober

    Vormittags

    Père Sébastien schloss das schwere Eichenportal auf und betrat die Klosterkirche. Der junge Pater sank, zum Altar gewandt, auf die Knie und bekreuzigte sich mit Weihwasser. Dann erhob er sich wieder und ging mit schnellen Schritten zu einem der beiden Beichtstühle, die sich wie zwei große Schränke aus lackiertem Eichenholz auf den beiden Seiten des Kirchenschiffs gegenüber standen. Er öffnete die Tür zum Priesterabteil, nahm auf der schmalen und harten Holzbank Platz und zog die Tür hinter sich wieder zu. Während er auf den ersten Gläubigen wartete, las er in seinem Brevier, betete und plante – ganz weltlich – seinen weiteren Tagesablauf. Erfahrungsgemäß kamen nicht viele in die einsam und weit abseits von allen Orten in den Eichenwäldern gelegene Priorei. Aber unabhängig von der Anzahl der Beichtenden, das Abnehmen des heiligen Sakraments der Buße war eine der vielen Pflichten, die der Orden allen seinen Patres auferlegte. Und heute war eben Pater Sébastien an der Reihe. Lange kam kein Mensch in die Klosterkirche. Doch dann vernahm er das Knarren, das immer beim Öffnen der Kirchentüre erklang, und kurz darauf das dezente Plopp, wenn sie von dem automatischen Türschließer wieder ins Schloss gedrückt wurde. Aber niemand kam zu seinem Beichtstuhl. Er beugte sich vor und schob mit dem Zeigefinger den dunklen Samtvorhang vor dem kleinen Fenster etwas zur Seite, das in der Tür seines Priesterabteils eingelassen war. Soweit er es übersehen konnte, befand sich niemand im Mittelschiff der Kirche. In die beiden Seitenkapellen im Querschiff hatte er von seinem Platz aus keinen Einblick. Er ließ seine Augen über die ihm gegenüber befindliche, aus großen, grau-braunen Kalkquadern gemauerte, nackte Kirchenwand gleiten, bewunderte die einfache und klassische Form der kleinen romanischen Rundbogenfenster. Ein Seitenblick zum schmucklosen Altar, dem Tabernakel, darüber das rote Glimmen des Ewigen Lichts, das die immerwährende Gegenwart Christi symbolisierte. Er ließ den Vorhang zurückgleiten und widmete sich wieder seinem Gebetbuch – soweit das Lesen in dem schummrigen Licht überhaupt möglich war, das durch die vergitterte Öffnung vom anderen, den Beichtenden vorbehaltenen Abteil des Beichtstuhls dringen konnte.

    Nach weiteren Minuten der Stille vernahm er sich nähernde Schritte, dann das Knarzen der niedrigen hölzernen Bank, als sich der Beichtende niederkniete. Die runde vergitterte Öffnung verdunkelte sich, als sich die Person nach vorne beugte.

    „Au nom du Père, du Fils et du Saint-Esprit, Amen", drangen die geflüsterten Worte durch das Gitter an das Ohr des Paters.

    Mon père, ich habe gesündigt und bereue meine Taten aufs Tiefste."

    Die Person beichtete mit flüsternder Stimme, sie habe einen Menschen, den sie hasse, in eine Falle gelockt, damit er sich einen Schaden, wie sie gehofft hatte, einen bleibenden Schaden, zuziehe.

    Was genau sie gemacht habe und welcher Art der Schaden sei, fragte der Pater. Im darauf folgenden Beichtgespräch erfuhr der Priester, der reuige Sünder habe einen Radfahrer mit einem über den Weg gespannten Drahtseil vorsätzlich zum Sturz gebracht, in der Hoffnung, dass sich dieser verletze – aus Rache für dessen Verhalten. Der Beichtvater vergewisserte sich der tatsächlichen Reue des Sünders, der Anerkennung seiner Schuld und des ernst gemeinten Vorsatzes und des Bemühens, den Schaden wieder gutzumachen. Er nahm ihm die Verpflichtung ab, mit dem Geschädigten zu sprechen und ihn um Vergebung zu bitten. Zur Buße solle er täglich ein Vaterunser und ein Ave Maria beten. Dann erteilte er die Absolution und entließ den Sünder.

    Eine merkwürdige Beichte, dachte père Sébastien, als die Kirchentür mit dem bekannten Plopp wieder ins Schloss gefallen war. Es hatte sich angehört wie ein Kinderstreich, der hier gebeichtet wurde. Aber es war kein Kind, da war sich der Pater sicher. Auch wenn die leise flüsternde Stimme nicht hatte erkennen lassen, ob die Person ein Mann oder eine Frau war, die hier gebeichtet hatte. Auch hatte er sie wegen des diffusen Lichtes und wegen des engmaschigen Gitters, das den Priester vom ihm unbekannten Beichtenden trennte, nicht genauer sehen können. Und das war auch gut so, sagte er sich. Denn dadurch sollte ja gerade die Anonymität des Sünders gewährleistet werden.

    Er blickte auf seine Armbanduhr. Kurz nach sieben Uhr. Noch eine knappe Stunde, dann würde ein Mitbruder ihn ablösen. Er lehnte sich zurück und schloss die Augen. Er liebte diese stillen Stunden am Tagesbeginn in der Kirche. Die durch nichts gestörte Ruhe. Nicht einmal das laute Gezwitscher der Vögel von draußen drang durch die Glasfenster und die dicken Mauern in das Kircheninnere. Er sog die kühle, mit einem leichten Hauch von Weihrauch geschwängerte Luft tief ein. Dann vertiefte er sich wieder in sein Gebetbuch.

    ***

    Marie-Claire de Montagne wachte spät auf. Noch schlaftrunken schob sie ihre Hand im breiten Ehebett zu ihrem Mann hinüber. Das Bett war leer. Dann war er also …? Oder sollte er zurückgekommen und schon auf sein? Er machte das manchmal so, stand früh auf, bereitete sich einen Espresso und setzte sich mit dem

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