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Der Zwerg im Berg und die Geigerin im Sarg
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eBook241 Seiten2 Stunden

Der Zwerg im Berg und die Geigerin im Sarg

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Über dieses E-Book

Ein Autowrack in einer Südtiroler Schlucht. Eine verkohlte Leiche. Auf den ersten Blick ein weiteres Opfer der Bergstraße. Doch der Unfalltod der Konzertgeigerin Laura Schmidt bleibt rätselhaft. Zu viele Ungereimtheiten offenbaren sich bei der Untersuchung des tragischen Unglücks und Staatsanwalt Theodor Berger macht sich an die Lösung des Falls. Dabei sieht er sich unfreiwillig angewiesen auf die Hilfe der quirligen Journalistin Demetria Zamboni, welche den Staatsanwalt mit ihren skurrilen Einfällen immer wieder in den Ermittlungen weiterbringt, allerdings auch fast um den letzten Nerv bringt. Die Spur von Laura Schmidts verschwundener Geige führt das ungleiche Paar auf das Schloss des bizarren Grafen von Mohrheim inmitten der Südtiroler Berge. Weiß der Graf um das dunkle Geheimnis, welches das alte Streichinstrument zu bergen scheint?
SpracheDeutsch
HerausgeberAthesia
Erscheinungsdatum8. Apr. 2015
ISBN9788868390884
Der Zwerg im Berg und die Geigerin im Sarg
Autor

Robert Adami

Robert Adami, geboren 1969 in Bozen und dort aufgewachsen. Nach Abschluss der Gewerbeoberschule führt ihn sein Weg in die Emilia-Romagna; Bologna wird ihm während des Studiums der Literatur- und Musikwissenschaften an der dortigen Universität zur zweiten Heimat, und doch zieht es ihn am Ende wieder zurück in die heimische Bergwelt. Es beginnt eine langjährige Karriere als Nachrichtensprecher, Moderator und Redakteur, sowohl beim öffentlich-rechtlichen als auch beim privaten Rundfunk. Heute lebt und arbeitet Robert Adami weiterhin in Bozen als freier Schreiber, Komponist und Sprechlehrer.

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    Buchvorschau

    Der Zwerg im Berg und die Geigerin im Sarg - Robert Adami

    Anhang

    1

    (marcia funebre)

    Für einen kurzen Moment stellte er sich vor, wie es wohl wäre, wenn er den verkohlten Muskeln, den Hautfetzen und den angesengten Knochen auf dem Obduktionstisch wieder Leben einhauchen könnte. Wenn er das alles reparieren, wenn er diese junge Frau wieder ins Leben zurückholen könnte. Wenn er sie nur noch einmal lächeln lassen könnte. Aber es war nur ein Moment.

    Der Blick des Gerichtsmediziners wanderte ein letztes Mal von Fuß- bis Kopfende seiner makabren Arbeitsstation. Die untere Körperhälfte des Opfers war von den Flammen übel zugerichtet worden. Rumpf und Arme hingegen wiesen kaum Brandwunden, dafür aber eine große Zahl an Schnitten, Rissen und Quetschungen auf. Das Gesicht … es war ein schönes Gesicht gewesen, vermutlich umrahmt von langen, schwarzen Haaren, von denen allerdings nicht viel mehr als der penetrante Gestank versengten Horns übrig geblieben war. Während die rechte Hälfte des Antlitzes und die Augenpartie weitgehend unversehrt geblieben waren, zog sich ein hässlich rötlicher Streifen über linke Wange, Kiefer und Hals bis hinunter ans Schlüsselbein. Dr. Abram kramte ein Vergrößerungsglas aus der Tasche und untersuchte nochmals alle Verletzungen mit größter Sorgfalt. Dann legte er das Glas zur Seite und kratzte sich nachdenklich am Kopf. Auch wenn es auf den ersten Blick anders ausgesehen hatte: Was auch immer diese junge Frau das Leben gekostet haben mochte, es war nicht das Feuer gewesen.

    2

    (allegro con brio)

    „Sex, Crime und Katastrophen. Das ist das ABC des modernen Journalismus!"

    ABC des modernen Journalismus. Hochinteressant. Normalerweise. In diesem Fall war es eher zum Mäusemelken. Demetria Zamboni stand kurz vor der Kapitulation. Die Versuchung, sich dieser kontinuierlichen, einlullenden Plattitüden-Flut ohne weitere Gegenwehr zu ergeben und einzuschlafen, war einfach zu verlockend. Wovon hatte dieser dott. Vinciguerra eben gesprochen? Sex … Kriminalität und Katastrophen? Etwas in der Richtung musste es gewesen sein. Sie konnte sich gut vorstellen, dass der Sex mit dott. Vinciguerra eine Katastrophe sein musste. Geradezu kriminell …

    „… am besten ist es natürlich, Signorina Zamboni, wenn diese drei Dinge, also Sex, Crime und Katastrophen, etwas mit einem VIP zu tun haben. Einer Very Important Person. Das ergibt dann einen wahren Scoop …"

    Crime. Scoop. Very Important Person. Aha. Madonnina mia, dachte Demetria bei sich, ma parla com’ te magni, sprich gefälligst so, wie du isst. Sie mochte es nicht, wenn diese Bosse ihre Englisch-Kenntnisse ausfächerten wie ein Pfauenrad. Besonders nicht, wenn sich das Englisch anhörte wie ein Big Mac mit Makkaroni-Füllung.

    „… und geben Sie sich ja nicht der Vorstellung hin, Sie könnten als Journalistin die Welt verändern. Das können Sie sich abschminken, haben Sie gehört? ABSCHMINKEN!"

    Himmel Herrgott, jetzt redete diese Mensch gewordene Valium-Tablette auch noch vom Abschminken, da konnte man als Frau ja nur mehr ans Einschlafen denken. Demetrias Augenlider gerieten im Kampf gegen die Schwerkraft immer mehr ins Hintertreffen; außerdem war die stickige Luft in dott. Vinciguerras Büro nicht wirklich dazu angetan, sie wach zu halten. Was war das überhaupt für eine penetrante, schwülstige Duftnote? Es musste das Aftershave des Dottore sein, welcher die Benutzung desselben wohl erst knapp unterhalb der Anästhesie-Grenze eingestellt hatte.

    „… KISS!", rief dott. Vinciguerra auf einmal laut, und schürzte die Lippen, um einen Luftkuss auf seines Rasierwassers Schwingen in Richtung Demetria wabern zu lassen.

    „Bitte?", zuckte Demetria merkbar zusammen. Der Adrenalinstoß riss sie ein Stück weit aus ihrem Dämmerzustand. Dem Dottore entfuhr ein glucksendes Lachen.

    „Keine Angst, Signorina Zamboni, zum näheren Kennenlernen haben wir womöglich später noch Zeit …"

    Anzügliche Pause und … Augenzwinkern. Hatte er das jetzt wirklich getan? Ihr Gesprächspartner war mindestens 25, wenn nicht 30 Jahre älter als sie und hatte mit den getönten Haaren, dem Solarium-gegerbten Teint und dem nicht zu übersehenden Wohlstandsbauch einen Sex-Appeal, der sich irgendwo zwischen Iguana und Galapagos-Schildkröte einordnen mochte; und dieses Prachtexemplar von Mann hatte ihr gerade zugezwinkert? Demetria wähnte sich eindeutig im falschen Film.

    „… was ich eigentlich sagen wollte mit … KISS: Das ist die Abkürzung für keep it simple and stupid, wie unsere englischen Kollegen zu sagen pflegen …"

    Wovon sprach dieser schlechte Clown im Redakteursgewand eigentlich? Aus schierer Verzweiflung begann Demetria, die Ecken des Büros eingehender zu betrachten. Hier musste doch irgendwo eine versteckte Kamera sein …

    „… also immer einfach und verblödet halten, ja? Wenn Sie einen Artikel schreiben, Signorina, gehen Sie immer von ihrem dümmsten anzunehmenden Leser aus, der muss Sie auch noch verstehen können, ok? Dementsprechend bringen Sie dann die News zu Papier, klar?"

    Definitiv. Hier musste definitiv irgendwo eine Kamera versteckt sein. Sicherlich würde gleich irgendein grinsender Moderator mit Mikrofon aus dem nächsten Blumentopf springen und „War alles nur Spaß!" rufen …

    Dabei war Demetria Zamboni bester Laune und mit großen Erwartungen in dieses Gespräch gegangen. Nach ihrem Universitätsabschluss hatte sie ein gutes Jahr mit allen möglichen Gelegenheitsjobs zugebracht und gewartet. Gewartet auf eine positive Antwort aus zumindest einem der vielen Personalbüros, denen sie ihre Vorstellungsunterlagen zugeschickt hatte. Demetria wollte Journalistin werden und sie glaubte, die besten Voraussetzungen dafür mitzubringen. Glänzende Abschlussnoten, erste Erfahrungen in der Redaktion der Uni-Zeitschrift und unzählige Vorbereitungskurse und -seminare. Ihre ersten Bewerbungen um einen Praktikumsplatz waren dementsprechend an die besten Medienhäuser Italiens gegangen. Die Absagen waren freundlich, aber bestimmt gewesen. Die nächsten Bewerbungen gingen an die führenden Lokalmedien; ihre Heimatstadt Bologna hatte in dieser Hinsicht ja einiges zu bieten. Diese Absagen waren zwar noch etwas freundlicher (anscheinend gestand man ihr so etwas wie einen Heimvorteil zu), aber ebenso bestimmt ausgefallen. Die nächste Bewerbungsstufe war dann an eine Auswahl sogenannter „unabhängiger Redaktionen gegangen. Solcherlei gab es in der berühmten emilianischen Universitätsstadt ja nun einige; und diesmal waren die Antworten zwar mehrfach positiv, die Vorstellungsgespräche aber umso ernüchternder gewesen: Von der Frage, wie viel sie denn als Unterstützungsbeitrag für die arme Redaktion zahlen könne, bis hin zu spontanen Indoktrinierungsüberfällen in den Schreibstuben der Propagandablätter radikalmilitanter rechter, linker, liberaler, konservativer, klerikaler oder auch betont orientierungsloser Politgruppierungen war die volle Bandbreite der Auswüchse medialer Hirnlosigkeiten vertreten. Die bis dato letzte potenzielle Arbeitgeberin, „Chefredakteurin einer esoterischen Gesundheitszeitschrift, wollte mit Demetria sogar eine spiritistische Sitzung abhalten, um den Geist Gutenbergs zu befragen, ob denn das eilig gedruckte Wort die richtige Berufswahl für die Adeptin Demetria Zamboni sein könnte. Die unfreiwillige Adeptin entschied, dass eine eiligst gedruckte Absage wohl in diesem Moment die beste Berufswahl wäre, und wartete weiter.

    Bis dann eines Morgens das Unerwartete und schon fast nicht mehr Erhoffte geschehen war. Eine freundliche Dame aus der Personalabteilung der Gazzetta del Giorno, einer der größten Tageszeitungen Italiens, hatte angerufen und nachgefragt, ob Demetria immer noch an einer Stelle als Praktikantin interessiert sei. Demetrias Puls war hart an die vom Kardiologen für gerade noch gesundheitsunschädlich erklärte Grenze geschnellt, ihr Herz schlug vor Freude einen doppelten Rittberger! Und ob sie noch interessiert war!

    Die freundliche Dame hatte Demetria dann auch gleich verraten, warum die Zeitung genau ihr, Demetria Zamboni, diese freie Stelle anbot: Ausschlaggebend gewesen war die Tatsache, dass Demetria in ihren Unterlagen angegeben hatte, fließend Deutsch zu sprechen. Ein Geschenk ihrer Mutter, wie Demetria selbst immer zu sagen pflegte, denn ihre Mutter war Deutsche. Die Dame aus der Personalabteilung hatte des Weiteren erklärt, dass die Zeitung so bald als möglich eine Praktikantin für die Redaktionsaußenstelle in Bozen, hoch oben im Norden Italiens, brauche; ob denn Demetria wisse, wo das überhaupt liege, und dass man dort eben zum Teil auch Deutsch spreche? Demetria wusste es nur zu gut; da in Bozen eine Großtante mütterlicherseits lebte, war sie schon des Öfteren in der nördlichsten Provinzhauptstadt Italiens zu Besuch gewesen. Die Mitarbeiter in der Redaktion da oben in Bozen wären natürlich allesamt Italiener, und schreiben solle Demetria natürlich auch auf Italienisch, hatte die Dame weiter gezwitschert, sie solle sich da keine Sorgen machen, aber Deutschkenntnisse wären eben von Vorteil, zwecks besserer Verständigung mit den Einheimischen. Ja, und ob es ihr also etwas ausmachen würde, zumindest für die nächsten beiden Jahre nach Bozen zu ziehen? Demetria hätte am liebsten geantwortet, dass sie für eine Praktikantenstelle auch gerne nach Timbuktu übersiedelt wäre, aber sie zog es vor, sachlich zu bleiben, und versicherte der Dame nur, dass ihr das überhaupt nichts ausmachen würde.

    Schon wenige Tage darauf hatte Demetria alle Verträge unterschrieben, und nach einem Anruf bei Großtante Therese in Bozen war auch das Problem mit der Unterkunft gelöst; natürlich könne sie ohne Weiteres bei ihr wohnen, bis sie eine eigene Wohnung in Bozen gefunden hätte, hatte Tantchen versichert. War also nur mehr das „Einführungsgespräch" mit dott. Vinciguerra geblieben, zu welchem sie noch am Tage ihrer Abreise beordert worden war. Dott. Vinciguerra war einer der stellvertretenden Chefredakteure der Zeitung, und Demetria hatte sich schon darauf gefreut, ein paar hilfreiche Tipps von einem vermeintlich ausgefuchsten Profi mit auf den Weg zu bekommen. Nun, Tipps hatte Demetria dann auch zuhauf bekommen, aber von hilfreicher Natur war bis zu jenem Zeitpunkt keiner gewesen; und es würde sich wohl auch keiner mehr ergeben …

    „… also abschließend nochmal, Signorina Zamboni: Wenn eine Nachricht nicht mit Sex, Crime oder einer Katastrophe oder zumindest einem Unglück zu tun hat, brauchen sie mit dem Berichten erst gar nicht anzufangen, klar?"

    „Jaja, schon klar, dott. Vinciguerra", brachte Demetria ohne allzu große Überzeugungskraft heraus, und fragte sich, wann denn diese Tortur endlich zu Ende sein würde. Ihr Verstand suchte fieberhaft nach einer Möglichkeit, dem Gespräch schnellstmöglich ein Ende zu bereiten. Dann kam ihr ein Gedanke. Vielleicht … konnte sie den Dottore ja mit seinen eigenen Waffen schlagen. Vielleicht war sein Redefluss ja zu stoppen, indem man ihn davon überzeugte, dass man genau so dachte wie er? Einen Versuch war es wert …

    „Also, wenn ich sie recht verstanden habe, dott. Vinciguerra, dann wäre eine wirklich tolle Story, wenn man … lassen Sie mich nachdenken … wenn man z. B. den Bürgermeister dabei erwischte, wie er gerade seine Sekretärin vernascht."

    Dott. Vinciguerra war einen Moment lang still (ha, es klappte), nickte behäbig und meinte dann langsam:

    „Ja, doch."

    „Besser wäre es natürlich, legte Demetria sicherheitshalber nach, „wenn den Beiden während der Liebesgymnastik durch ein Erdbeben auch noch das Rathaus unter dem Allerwertesten wegbräche …

    Dott. Vinciguerra schaute nun fast verdutzt, schien aber vom journalistischen Spürsinn, den seine neue Praktikantin da an den Tag legte, durchaus angetan, und kommentierte ihre Ausführungen mit einem begeisterten:

    „Jaaa!"

    Diese Zustimmung hatte nun dermaßen erregt geklungen, dass Demetria lieber von der Beschreibung weiterer journalistischer Leckerbissen nach dem Geschmack dott. Vinciguerras absah, aber anscheinend hatte sie den Dottore überzeugen können, dass sie seine Belehrungen in Sachen Journalismus samt und sonders aufmerksam aufgenommen hatte. Jedenfalls unterbrach er seine hausbackenen Berufsanweisungen für den modernen Journalisten und schwenkte das Gespräch deutlich wahrnehmbar auf die Zielgerade.

    „Nun, dann hätten wir ja alles besprochen, Signorina Zamboni; eines wollte ich Sie noch fragen: Wie kommt es eigentlich, dass Sie fließend Deutsch sprechen? Heutzutage lernt man doch eher Englisch, nicht?"

    Demetria unterließ es, den Dottore zu belehren, dass sie des Englischen durchaus ebenso mächtig war, und beließ es bei einer präzisen Antwort auf die Frage.

    „Meine Mutter ist Deutsche. Ich habe die Sprache Goethes also sozusagen mit in die Wiege gelegt bekommen."

    „Ah ja. Tja, dann bleibt mir nur noch, Ihnen viel Glück im hohen Norden zu wünschen. Und … lassen sie sich von den Einheimischen dort nicht einschüchtern. Was man hört, sollen diese Südtiroler ja nicht nur Deutsch sprechen, sondern überhaupt ein recht eigenes Völkchen sein. Aber sie werden das schon machen."

    Wieder schluckte Demetria eine Erwiderung hinunter; bloß nicht ein neues Gespräch ankurbeln, womöglich erinnerte sich dott. Vinciguerra sonst noch daran, dass er sie ja näher hatte kennenlernen wollen. Sie war sich sicher, dass sie sich im „hohen Norden" wohlfühlen würde. Bozen, ich komme, dachte sie bei sich, und entschwand, so schnell es ging, aus dott. Vinciguerras Reichweite.

    3

    (canzonetta)

    Eine reine Quarte. Einfach. Logisch. So einfach und logisch, wie nur geniale Eingebungen sein können. Eine reine Quarte, aus der ein ganzes Universum an Tönen entsprang, wie ein Big Bang, der aus der Reinheit des Nichts eine neue Galaxie zu gebären wusste. Vielleicht hatte Gott die Welt aus einem Intervall erschaffen. Der Gedanke gefiel ihm. Die ganze Welt, der gesamte Kosmos. Nichts weiter als der Abstand zwischen zwei Tönen; und wenn der zweite Ton verklungen sein würde …

    Die Musik verdichtete sich und wurde Chaos. Wild und mitreißend. Wie Gischt-Spritzer eines Wildbachs sprangen die Töne von einer Saite seines Instruments zur anderen. Er spielte, ohne sich dessen bewusst zu sein, nicht Mensch, sondern Katalysator, ein Wandler physikalischer Phänomene in Gefühlswelten. Genau das war er. Abrupt hielt er inne. Oder wollte er genau das nur sein? Was war er wirklich? Ein Halbgott, oder träumte er nur davon, ein solcher zu sein? Warum war die Wahrheit, sofern es sie überhaupt gab, nie so rein wie eine Quarte?

    4

    (amabile)

    Ein leises Klirren hatte sie geweckt. Im ersten Dämmerzustand brauchte Demetria erst einmal drei Sekunden, um sich daran zu erinnern, wo sie überhaupt war, nämlich im Gästezimmer ihrer Großtante in deren schmucken kleinen Villa am Stadtrand von Bozen. Der Zug aus Bologna war am Abend zuvor natürlich mit Verspätung in der Südtiroler Landeshauptstadt eingetroffen. Sie hatte sich ein Taxi genommen, war schnurstracks zu Tante Therese gefahren und wollte eigentlich nur so bald als möglich ins Bett. Allerdings hatte sie dabei die Rechnung ohne die Wirtin gemacht, denn eine von Tante Thereses vielen Grundregeln lautete: In diesem Hause geht niemand hungrig zu Bett.

    „Kindchen, ich freu mich ja so, dass du jetzt eine Weile bei mir wohnen wirst!"

    „Dank dir, Tantchen, sei un amore. Entschuldige, wenn ich nicht besonders gesellig bin heute Abend, aber es war wirklich ein langer Tag. Ich bin hundemüde. Am besten, ich schmeiß mich gleich in die Kiste."

    „Papperlapapp, mein Kind. In diesem Haus geht niemand hungrig zu Bett."

    „Aber ich bin gar nicht hungrig, Tantchen …"

    „Das ist mir wurscht. Ich hab Käsnocken g’macht, die kann man ja nicht die ganze Nacht herumstehen lassen, bestimmte Tante Therese resolut, „außerdem würden’s dann beim Frühstück ja nicht zum Kaffee passen, stimmt’s oder hab ich recht?, fügte sie dann noch, jeden Protest im Keim erstickend, hinzu.

    Tante Therese war als Großtante mit ihren 76 Jahren vielleicht nicht mehr die Jüngste, aber man ließ sich besser nicht auf Diskussionen mit ihr ein. Als sich z. B. der jüngste Sohn der neureichen Nachbarn in seiner Sturm- und Drangzeit bemüßigt gefühlt hatte, im Sommer jeden Freitag und Samstag nachts eine Gartenparty zu veranstalten, war dies Tante Therese verständlicherweise sauer aufgestoßen. Sie war ganz gewiss kein bösartiger Mensch, aber wenn man ihr den Schlaf raubte, war es aus mit der Freundschaft. Nachdem sie wiederholt um Einhaltung der Nachtruhe gebeten und dafür jedes Mal nur eine freche Antwort des pubertierenden Bengels erhalten hatte, war sie zum Angriff übergegangen und Besitzerin einer absurd teuren, aber auch absurd lauten Stereoanlage geworden, mit der sie fortan die Gartenpartys des Nachbarsöhnchens mit Wagners Rheingold in Düsentriebwerkslautstärke gegenbeschallen konnte. Der Erfolg war durchschlagend gewesen, nicht nur für das Trommelfell einiger Partygäste: Die lauten Feste hatten aufgehört und das Nachbarsöhnchen hatte eine Ausbildung zum Opernsänger begonnen.

    Das Sonnenlicht fiel nun durch die Spitzengardinen genau auf ihr Bett und brachte Demetria dazu, die Augen aufzuschlagen. Wieder hörte sie das leise Klirren. Wahrscheinlich war Tante Therese dabei, das Frühstück vorzubereiten, was so viel bedeutete wie: Wagenladungen voller

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