Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

2084 - Money Goodbye: Krimi aus einer besseren Zeit
2084 - Money Goodbye: Krimi aus einer besseren Zeit
2084 - Money Goodbye: Krimi aus einer besseren Zeit
eBook692 Seiten8 Stunden

2084 - Money Goodbye: Krimi aus einer besseren Zeit

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

2084
Geld gibt es nicht mehr, alles ist frei.
Eine bessere Welt ist da.
Giovanni Forster, junger Schriftsteller, möchte einen Tatsachenkrimi schreiben: Mord aus Eifersucht. Bei den Recherchen stößt er auf rätselhafte Dinge.
Der scheinbar private Fall wird undurchsichtiger, zieht immer größere Kreise.
Der Schriftsteller rutscht mehr und mehr in die Rolle des Ermittlers. Als er erkennt, dass eine geheime Organisation am Werk ist, wird er selber zum Gejagten.
Dem Leser öffnet sich das bunte Panorama einer neuen Gesellschaft mit viel Action und interessanten Personen.
Auch die Liebe kommt nicht zu kurz.
Ein Sciencefictionkrimi, wie du ihn schon immer gesucht hast.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum7. Apr. 2020
ISBN9783347017184
2084 - Money Goodbye: Krimi aus einer besseren Zeit

Ähnlich wie 2084 - Money Goodbye

Ähnliche E-Books

Fantasy für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für 2084 - Money Goodbye

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    2084 - Money Goodbye - Artur Rümmler

    Die wichtigsten Personen

    Giovanni Forster, Adviser und Writer

    John Forster, sein Vater, Controller (Hauptperson in „2040 - Im Visier der Macht")

    Bella Dahlberg, Giovannis Mutter, Schauspielerin (Hauptperson in „2040 - Im Visier der Macht")

    Tommy Dahlberg, Giovannis Halbbruder, Augenarzt (auch in „2040 - Im Visier der Macht")

    Napoleon, Android, Giovannis Homebot

    Bob Alessandro, Techniker

    Audrey, seine Tochter

    Michael Bruckmann, Mordopfer

    Ernst Bruckmann, sein Vater, Chirurg

    Roberto, Giovannis Freund, Informer

    Antoinette, Androidin, Robertos Homebot

    Susa, Freundin Giovannis, Sängerin

    Clarissa, Finder

    Chuck, Freund Giovannis, Musiker

    Dana, Bobs Ex-Partnerin, Geliebte von Michael, Vertraute Giovannis

    Erroll, Danas Freund, Musiker

    Deborah Williamson, genannt Dabby, Jugendfreundin Giovannis

    Jerry Anderson, Schönheitschirurg, Kollege Ernst Bruckmanns

    Sam Gray, Londoner Freund Giovannis

    Priscilla, Sams und Dabbys Freundin, Kosmetikerin

    Peggy, Londoner Freundin Giovannis

    Cliff Tucker, Reiseorganisator

    Melina Drossinakis, Heilerin (Hauptperson in „2040 - Im Visier der Macht")

    Nadja, Giovannis Freundin, Softwarespezialistin

    Rocco, Robertos Großvater

    Khadeeja, Robotik-Spezialistin

    Aldous, Finder, Kollege von Clarissa

    Gordon Baker, Ex-Milliardär

    Boxer, Verschwörerin

    Wang, Freund Giovannis, Weltreisender

    Miguel, Controller

    Penporn, seine Freundin

    1

    Die Leiche sah überzeugend aus. Auf der Oberseite des Kopfes, umgeben von dunklem Haar, klaffte eine tiefe Wunde. Im jungenhaften Gesicht des Toten keine Angst, kein Schmerz, vielleicht ein Ausdruck von Überraschung. Am Rahmen der Liege ein Display mit seinem Namen und Lebensdaten, die zwanzig hatte Michael Bruckmann gerade noch geschafft.

    „Der hat nicht lange gelitten. Das ging schnell", sagte der Weißkittel, als er die Liege wieder wegschob, ungerührt und kühl, als hätten seine Emotionen die Temperatur des Leichendepots angenommen.

    Der Fall war bereits geklärt. Die Finder hatten den Täter vernommen und analysiert, alle Indizien samt Tatwaffe verwiesen auf ihn, und der Täter war geständig. Sein Motiv: Eifersucht. Dieses selten gewordene Verbrechen interessierte mich. Die objektiven Bedingungen für Eifersucht waren eigentlich nicht mehr vorhanden.

    Ich hatte als Informer begonnen, machte dann eine Ausbildung als Finder und absolvierte ein paar Monate Praxis, war bereits seit ein paar Jahren als Adviser tätig, und beschloss nun, parallel dazu als Writer mit einem Krimi aktiv zu werden. Hier hatte ich meinen Stoff gefunden.

    Ich schaute mir den Täter in der Sphere an. Bob Alessandro, Jahrgang 2044, große, kräftige Gestalt, kantiges Gesicht, knarrende Stimme, recht impulsiv in seinen Reaktionen, nicht unsympathisch. Vom Alter her eine durchaus komplexe Person für mein Vorhaben, hatte er doch die turbulenten Jahrzehnte vor der Errichtung der neuen Gesellschaft durchgemacht, in der er den zweiten Teil seines bisherigen Lebens verbringen durfte. War er in seiner Jugend als Handwerker tätig, so in den letzten Jahren als Techniker für Mega-Maschinen im Brückenbau.

    Ich traf ihn im Finder-Center, wo Menschen mit regelwidrigem Verhalten unter die Lupe genommen wurden. Bob lag auf der blauen Couch, als ich eintrat, und erhob sich widerwillig. Der Druck seiner breiten Hände brachte meine Finger ganz schön in Bedrängnis. Wir setzten uns in die bequemen Feel-Good-Sessel. Das überwiegend in zarten Blautönen gehaltene, zweckmäßig eingerichtete, aber gemütliche Zimmer strahlte Ruhe aus. Die Fensterscheiben spendeten angenehm reguliertes Licht. Aus den Wänden sickerte angenehme Kühle, eine Wohltat an diesem heißen Tag.

    Erwartungsvoll schaute Bob mich an.

    „Ich bin Giovanni Forster, stellte ich mich vor, „zurzeit Adviser. Darf ich unser Gespräch aufzeichnen?

    „Nein."

    „Ich möchte, wenn du erlaubst, noch einmal über deine Tat reden."

    Missmutig schüttelte er den Kopf.

    „Aber die Finder haben mich doch schon genug ausgequetscht."

    „Ja, aber sie haben sich nicht genug mit der Struktur deines Motivs auseinandergesetzt und mich beauftragt, noch einmal genauer hinzuschauen. Wir möchten, dass andere aus deinem Fehler lernen."

    „Na gut, wenn’s denn sein muss", sagte er, immer noch etwas unwillig.

    „Wie kam es zu deiner Tat?"

    „Das hab ich doch schon alles erzählt. Also, ich bin normalerweise immer donnerstags abends bei meinem Stammtisch und komme dann meistens spät zurück zu Dana. Doch diesmal fühlte ich mich nicht wohl im Magen, vielleicht hatte ich zu kalt getrunken. Ich denke also, ich geh besser nach Hause, mache aber noch einen Umweg, die Abendluft ist so schön warm, das tut mir gut. Ich komme bei meinem Tower an, blicke hoch und sehe unser erleuchtetes Fenster, Dana ist wie immer zu Hause."

    Er wurde unruhiger, rutschte hin und her.

    „Ja und dann seh ich diesen Kerl rauskommen, es ist ja schon dunkel, aber ich erkenne ihn, greife einen Stein, der da so rumliegt, und hau ihm mit aller Kraft auf den Kopf."

    Er zuckte mit der Hand und schnaufte heftig.

    „Und in diesem Moment hast du nicht daran gedacht, dass du Leben auslöschst, das Schlimmste, was du tun kannst."

    „War mir völlig egal, ich war wütend und wollte dieses Schwein totschlagen."

    „Woher wusstest du, dass Michael mit deiner Partnerin was hatte?"

    „Das habe ich mir lange genug angeguckt. Vor Monaten kam mir der erste Verdacht. Ich habe die beiden im Supply Center gesehen, wo Dana tätig ist. Sie wirkten sehr vertraut miteinander. Und vor zwei Wochen turtelten sie und küssten sich und merkten nicht, dass ich das gesehen hatte. Da war mir dann alles klar. Und als ich ihn letzte Woche auf frischer Tat ertappte, da riss bei mir der Faden."

    „Hast du noch ein anderes Gefühl gehabt außer Wut?"

    „Nein."

    „Vielleicht Angst, Dana zu verlieren?"

    „Nein."

    „Und du kannst dir nicht vorstellen, dass Dana dich jetzt verlässt?"

    „Nein, sie gehört doch zu mir. Ich werde sie nicht gehen lassen, weil ich sie liebe."

    Ich hatte den Eindruck, dass ich vorerst nicht weiter kam, und verabschiedete mich.

    „Ich denke, die Finder werden sich noch eine Weile mit dir beschäftigen."

    In der Tür warf ich einen Blick zurück. Bob lag schon wieder auf der Couch. Ein echter Neandertaler. Der Krimi über ihn würde ein Knüller werden.

    Beim ersten Ring bestieg ich die Schwebebahn. Zügig glitt sie voran, über Grünflächen und Parks, Spielplätze und Sportstätten, wo sich zahlreiche Leute bei Bilderbuchwetter tummelten, schlängelte sich, Stopp machend bei den Circles, durch die Barrios. An einem Park im Bergkristall-Areal stieg ich aus und betrat die Terrasse des Cafes Umbrella. Unter dem gewölbten Dach strömte eine leichte Brise durch die offenen Seiten. Kaum hatte ich in einem breiten Swing Chair Platz genommen, kam schon eine zierliche Helferin mit hüpfendem Zopf herbeigesprungen.

    „Was darf ich dir bringen?"

    „Einen Orangensaft und eine Empanada mit Käse."

    Sie eilte davon. Ich schaute mir die Gäste an. Als Adviser hatte ich eine Menge Leute kennen gelernt, ihre Mimik und Gestik studiert, und es machte mir jetzt viel Spaß, meine Kenntnisse der Körpersprache anzuwenden. Im Äußeren der Menschen wie in einem Wörterbuch zu lesen, ein echtes Vergnügen, auch wenn sich der Schluss auf das Innere zuweilen als Trugschluss erwies. Was ging in dem reglos dasitzenden alten Mann am Nachbartisch vor, dessen Profil ich sah? Leichter zu erraten die Gefühle des Pärchens am Rand der Terrasse. Sie hatte sich nach vorne gebeugt und streichelte seine Hand, die auf der Tischplatte ruhte, während er lächelte und etwas sagte, was bei ihr ebenfalls ein Lächeln auslöste.

    Wie hatte wohl die Körpersprache von Bob und Dana ausgesehen, wenn sie zusammen waren, eine Zeitlang vor der schrecklichen Tat? Sicher gab es eine Körpersprache der Eifersucht. Hätte man die Tat verhindern können? Sollte man vielleicht im Bereich Human Science die Ausbildung in Körpersprache intensivieren, um Konflikte zu vermeiden, die es eigentlich nicht mehr geben musste?

    Die Helferin tänzelte, ein Liedchen summend, herbei und platzierte geschickt das Bestellte auf dem Tisch.

    Eine Hand legte sich von hinten auf meine Schulter.

    „Na, mein Guter, was gibt’s Neues?", sagte Roberto und verlangte einen Kaffee.

    „In dieser Welt gibt’s immer was Neues, Alter. Wie geht es Timo?"

    Robertos offenes Gesicht unter den schwarzen Locken öffnete sich noch mehr, seine Augen blitzten, eine wohlige Energie schien durch ihn zu fließen. Er lachte, dann sprudelte es aus ihm heraus.

    „Dem geht’s galaktisch, und er ist so süß! Er fängt ja gerade an zu laufen, und wie er so wackelt und kleine Schreie ausstößt! Richtig zum Knuddeln!"

    Ich nahm einen Schluck und biss in die Empanada.

    „Da erlebst du etwas Schönes. Aber vergiss nicht, auch Nadine zu knuddeln."

    „Ja, ja, wir haben die Aktivitäten reduziert, um mehr Zeit auch für uns beide zu haben."

    Robertos Kaffee brachte ein alter Mann. Mit Sorgfalt, aber etwas umständlich postierte er den Unterteller samt Tasse, in der das braune Getränk bis zum Rand schwappte.

    „Und wie läuft’s als Informer?", fragte ich Roberto.

    „Die Sphere ist eine Welt für sich. Ich blicke noch nicht so richtig durch. Im Moment sortiere ich noch Nachrichten mit Hilfe der News-bots. Bald werde ich selber Nachrichten verfassen, und später mach ich Dok-Filme. Und du? Hast du den Adviser beendet?"

    „Ich bin jetzt auch noch Writer. Du hast doch sicher vom Fall Bob Alessandro gehört?"

    „Klar. Ganz Bellytown war aus dem Häuschen."

    „Ich mache daraus einen spannenden Roman."

    „Klingt sehr interessant. Den möchte ich als Erster lesen."

    „Wird mir eine Ehre sein, mein Lieber."

    Ich hatte keine Lust, das Interview mit Bob einsam zu Hause zu protokollieren, ließ mich von der Schwebebahn ins Rosenquarz-Areal zurücktragen, betrat einen Park meines Barrios und setzte mich unter dicht belaubten Bäumen auf eine leere Bank. Um mich herum lebhaftes Treiben. Auf dem gepflegten Rasen spielende Kinder, vor Vergnügen quietschend, Sitzgruppen aus lachenden und schmausenden Leuten beim Picknick, auf dem breiten Gehweg gemütlich schlendernde Fußgänger, vor mir spendete ein plätschernder Springbrunnen kühle, feuchte Luft, die sich wohltuend auf meine Haut legte. Die Stimmen und Geräusche verschmolzen zu einem bunten akustischen Teppich, der mich angenehm umhüllte.

    Ich aktivierte mein Flash, diktierte die wesentlichen Dinge, schaute auf den vor mir schwebenden Text, korrigierte und ergänzte ihn. Zufrieden war ich mit dem Ergebnis des Gesprächs nicht, aber es war ein Anfang. Die ganze Sache musste noch erheblich vertieft werden.

    Ich lehnte mich zurück, ließ meinen Blick über die friedliche Parklandschaft schweifen, da sah ich, wie ein alter Mann am Brunnenrand stolperte und mit dem Oberkörper auf dem harten Gehweg aufschlug. Sofort sprang ich auf und rannte zu ihm, auch andere eilten herbei. Ich kniete mich neben ihn. Er lag, wie er gefallen war, auf dem Bauch, die Augen geschlossen, aus der Nase strömte Blut. Ich fühlte seinen Puls, er schlug ruhig. Die Umstehenden nahmen mit gefühlvollen Worten Anteil oder gaben sachliche Ratschläge, was zu tun sei.

    Ein junger Mann mit Köfferchen drängte sich durch.

    „Ich bin Arzt und komme vom Medpoint da drüben."

    Er deutete auf einen nahen Wohntower. Er drehte den Körper des Alten, der inzwischen wieder seine Augen geöffnet hatte, auf die Seite und nahm Untersuchungen vor.

    „Scheint nicht viel passiert zu sein. Jedenfalls kann ich nichts Ernsthaftes feststellen. Nur Hautabschürfungen an den Händen und Nasenbluten. Das Nasenbein ist nicht gebrochen."

    Er versorgte die verschrammten Hände, richtete den Alten auf in Sitzhaltung, stoppte das Nasenbluten. Nach einer Pause half er ihm auf die Beine und führte ihn zu einer Bank.

    „Lasst ihn eine Weile hier sitzen. Einer von euch sollte nachher mit ihm zu einem Medpoint gehen, damit er noch mal durchgecheckt wird."

    Ich erklärte mich bereit.

    „Das hätte nicht passieren müssen, sagte erregt eine Frau. „Der Mann ist über den Brunnenrand gestolpert. Das muss doch nicht sein. Drüben in meinem Barrio ist der Rand abgeflacht.

    „Ja, sagte ein Mann, „wir sollten das mal in die Sphere stellen und auf der nächsten Asamblea fordern.

    „Guter Vorschlag", stimmten andere zu.

    Laut diskutierend, löste sich die Menge auf. Einige gingen zum Alten, umarmten ihn, gratulierten ihm, dass er so viel Glück bei seinem Sturz gehabt hatte. Ich setzte mich neben ihn. Ein Lächeln stand auf seinem Gesicht. Ich tippte ihm vorsichtig auf die Schulter.

    „Tut dir noch was weh?"

    Er schüttelte den Kopf.

    „Das hätte auch anders ausgehen können. Aber du bist gut gefallen."

    Er nickte und lächelte weiter.

    „Ja, sagte er nach einer kleinen Pause, „überhaupt habe ich das Gefühl, dass ich in dieser Gesellschaft immer gut falle. Ich war in Gedanken bei meiner Frau, sie ist vor ein paar Jahren gestorben, und da hab ich auf nichts geachtet. Wenn ich sehe, wie die Leute sich um einen kümmern, dann weiß ich das sehr zu schätzen.

    „Ist doch selbstverständlich."

    Er wurde lebhafter.

    „Nein, nein, das ist gar nicht selbstverständlich, junger Freund. Ich bin jetzt fünfundneunzig und habe harte Zeiten erlebt, wo alles anders war. Ich war Zwangsarbeiter, bin verfolgt worden und gehöre deshalb zu denen, die unsere heutige Gesellschaft mit vollem Herzen aufgebaut haben."

    Gerührt legte ich den Arm um ihn und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

    „Du sprichst wie mein Vater. Darf ich dich jetzt zum Medpoint bringen?"

    Er nickte und hakte sich bei mir ein.

    „Wohnst du hier im Barrio?", fragte ich.

    „Ja, Circle 5."

    „Dann sind wir Nachbarn. Ich im Circle 4."

    Die Caracol-Bar lag auf der Westseite des Rosenquarz-Areals, ihre Bauweise ähnelte einer aufgeklappten Muschel. Sie diente als beliebter Treffpunkt der Sexwilligen. Ein gewisser Reiz bestand darin, dass man sich nicht per Flash verabredet hatte. Wer hierher kam, wartete auf den erregenden Kick, den Stromstoß beim überraschenden Anblick des ersehnten passenden Partners, auf den magischen Sog der ineinander tauchenden Augen, auf die knisternde Berührung der Haut, die möglichst schnell folgen musste.

    Mit den Dates in der Sphere hatte ich bereits einige schlechte Erfahrungen gemacht. Trotz optimaler Präsentation hatten sich die Frauen für mich als Fehltreffer erwiesen. Deshalb zog ich diesmal die Überraschung der Planung vor.

    Ich setzte mich in die Mitte der Terrasse auf ein kleines Sofa und schaute mich um. Über mir dunkelblauer Abendhimmel, um mich herum Pärchen in regem Gespräch und wartende Singles, darunter hübsche Girls. Ich ließ mir ein Glas eines aphrodisischen Getränks bringen und musterte sie genauer. Einige recht junge taten dasselbe mit mir und wandten ihren Blick schnell wieder ab. Vielleicht war ein Endzwanziger bereits außerhalb ihres Horizonts, vielleicht auch war ich mit meinen dunklen, schulterlangen Haaren einfach nicht ihr Typ.

    Auf dem Tisch vor mir leuchtete ein Display, das die Sitzordnung der Gäste wiedergab. Mit einem Fingertipp konnte man den Kontaktwunsch gezielt signalisieren. Diese fürchterlich altmodische Kennenlernmethode aus dem früheren Jahrhundert, die meine Urgroßeltern noch in Schwung versetzte, machte wider Erwarten den Heutigen überraschend viel Freude. Während ich noch schwankte zwischen Blond und Dunkel, schloss sich über mir die Muschel und schuf einen Raum der diskreten Begegnung. Durch die transparente Oberseite drang das pulsierende Licht von künstlichen Sternen und überzuckerte die Szene mit einem Hauch außerirdischer Romantik.

    Mein Display blinkte. Eine Brünette interessierte sich für mich. Eigentlich hatte ich für diese Haarfarbe nicht viel übrig, fand sie wenig markant, ja langweilig, beschloss jedoch, das Angebot zu testen, und gab grünes Licht.

    „Susa."

    Sie reichte mir die Hand.

    „Giovanni."

    Ich küsste ihre Wangen. Wir setzten uns nebeneinander, ich ließ etwas Abstand. Susa trug die Haare wie ich, ihr rundliches Gesicht wirkte unternehmungslustig. Ein paar Jahre mochte sie jünger sein als ich.

    „Du gefällst mir", sagte sie mit kokettem Augenaufschlag.

    Gleichzeitig begann ihr rotes Minikleid aufzuleuchten wie die Sonne, und zwei grüne Buchstaben formierten sich: Du.

    „Ich bin gespannt auf dich", sagte ich.

    Die Sonne erlosch, das Kleid bekam wieder seine normale Farbe, aber die beiden grünen Buchstaben tanzten eng wie ein Paar.

    Susa blickte mich auffordernd an.

    „Ich befinde mich zurzeit in einer neuen Phase meiner sexuellen Entwicklung."

    „Nämlich?"

    „Bisher war ich mehrmals längere Zeit mit einem Partner zusammen. Momentan wechsle ich die Männer schneller."

    „Mit welchem Ziel?"

    „Ich möchte einfach herausfinden, bei welchem ich den größten Genuss habe."

    „Und jetzt willst du es mit mir probieren?"

    „Ja."

    Entschlossen schaute sie mich an. Ich selber hatte ihre Entwicklungsphase längst absolviert, mein Interesse an den Frauen war etwas umfassender. Aber mir gefiel Susas Direktheit.

    „Einverstanden."

    „Dann können wir ja gehen, sagte sie. „Wir gehen zu mir.

    Susa wohnte ganz in der Nähe. Auf dem Weg durch den Park eilte sie mit schnellen, leichtfüßigen Schritten, fasste meine Hand und zog mich hinter sich her. Nach wenigen Minuten erreichten wir ihren Tower und sausten in den zwölften Stock. Mit einem Code-Satz öffnete sie ihre Tür.

    Beim Eintreten flammte aus den Wänden grelles Licht, das sie mit einem Wort in Dämmerlicht abschwächte. Heftig umschlang sie mich, küsste mich, als wolle sie mich verspeisen, ließ aber schnell von mir ab, streifte ihr Kleidchen herunter, unter dem sie nichts trug, und wartete. Ich hatte etwas mehr auszuziehen, strich ihr dann mit meinen Händen über Haare, Gesicht, Schultern, Arme und Brüste, zwischen die Beine.

    „Mach schon", keuchte sie erregt und riss mich nach unten.

    Ich drang in sie ein, und schon nach wenigen Stößen verwandelte sich ihr Stöhnen in laute Schreie. Ich hatte Mühe, mich zurückzuhalten, wechselte mehrmals die Stellung, um ihr Zeit zu lassen, und als mir schien, dass sie genug hatte, gönnte ich mir meinen Schluss.

    Schnaufend lagen wir nebeneinander. Susa verkörperte nicht gerade das Schlankheitsideal. Ihr mittelgroßer, wohlgeformter Körper fühlte sich fest an, die braune Haut zart und glatt

    „Wieso willst du dich eigentlich noch entwickeln?, fragte ich leise, „du kannst doch schon alles.

    „Ja, aber so einfach ist das nicht. Das flutscht nur so bei dir. Bei anderen habe ich das noch nicht erlebt."

    „Wie kommt das?"

    Sie richtete sich auf.

    „Ich weiß nicht. Du bist einfach mein Typ. Wie du aussiehst, die Art, wie du guckst, dich bewegst, wie du mit mir umgehst. Irgendwie habe ich in mir ein Bild von dir. Du passt sexuell zu mir, und du hast Erfahrung."

    Sie kuschelte sich bei mir ein. Ich schwieg.

    „Was machst du zurzeit?", fragte ich dann.

    Sie setzte sich mir gegenüber und kreuzte die Beine.

    „Ich bin ausgebildete Sängerin, sagte sie mit einem gewissen Stolz. Eigentlich bin ich eine erfahrene Altenpflegerin, hatte aber plötzlich Lust auf Gesang.

    „Macht’s Spaß?"

    „Und wie!", lachte sie und trällerte mit feinem Sopran eine Kette von Tönen.

    „Wo singst du?"

    „Meine Ausbildung ist zwar abgeschlossen, aber ich singe weiterhin dort im Zentrum. Ich singe Schlager, aber am liebsten Opernarien. Und was machst du?"

    „Ich bin Adviser und versuche mich jetzt als Schriftsteller."

    „Einen Schriftsteller kenne ich noch nicht."

    Der Fall Bob Alessandro erschütterte sie.

    „Wie kann so etwas passieren? Ich hasse eifersüchtige Männer."

    „Ich mag sie auch nicht."

    Wir plauderten noch ein bisschen über den Fall, bis es mir langweilig wurde und ich begann, mich abzuseilen.

    „Du kannst bei mir schlafen, wenn du willst, bot sie an. „Ich habe genug Platz. Mein Freund ist ausgezogen, und ich darf diese Drei-Zimmer-Wohnung behalten, solange kein Bedarf ist.

    Ich wollte das kurze Sexerlebnis nicht mit einer Übernachtung aufwerten.

    „Ein nettes Angebot, aber ich möchte nach Hause."

    Beim Abschied umschlang sie mich leidenschaftlich.

    „Es war schön mit dir", flüsterte sie.

    2

    Clarissa saß vor der wandgroßen Flatscreen, umgeben von technischen Geräten.

    „Hallo, Schwesterchen!"

    Ich küsste sie vorsichtig auf die Wangen, Die knallroten Lippen kontrastierten mit den dunklen Haaren, die ihr Modelgesicht umrahmten. Auch ihre Figur brauchte sie nicht zu verstecken, doch dachte ich bei ihr nicht an Sex. Für mich war sie vor allem ein liebenswürdiger, kluger Mensch, ein Ausbund an humaner Rationalität, wie sie unsere neue Zeit brauchte und hervorbrachte. Auch sie schien bei der Kooperation mit mir sich nur für die sachlichen Dinge zu interessieren.

    „Fratello Giovanni?"

    Prüfend richtete sie ihre Augen auf mich. Unter diesem Blick fühlte ich mich durchsichtig wie Glas.

    „Ich bin immer beeindruckt von diesem Raum, sagte ich mit Ironie, „wo alle, auch die schrecklichsten Geheimnisse gelüftet werden, wo das helle Licht der Erkenntnis in die dunkelsten Ecken unserer Existenz dringt.

    Sie zuckte leicht mit dem Mundwinkel.

    „Im Grunde tragen wir doch nur zusammen, sagte sie kühl, „was die Sphere hergibt, und ziehen daraus unsere Schlüsse.

    „Nun, ihr schürft doch ganz schön in der großen Welt der Daten, findet manchmal was Neues, und gerade eure Schlüsse sind das Wertvollste."

    „Vielleicht. Du solltest unsere Tätigkeit nicht überschätzen. Das weißt du selber, du warst ja mal einer von uns. Aber das können wir jetzt nicht ausdiskutieren. Du kommst also wegen Bob Alessandro?"

    Ich nickte.

    „Schauen wir uns den mal an", sagte sie, wischte das Datenbild auf der Flatscreen beiseite und nannte Bobs Namen. Dessen Foto erschien, umgeben von einem Dateienkranz.

    „Also, hier haben wir das offizielle Ergebnis des Finder-Teams. Vom Neurobiologen – übrigens ein neuer Mann, der kann was – und vom Psychologen wurden untersucht: die emotionale Struktur, das Verhältnis von Logik und Emotion, von Dynamik und Steuerung. Alles sehr instabil. Das Aggressionspotenzial ist enorm."

    „Kannst du mir das mal zeigen?"

    Sie tippte auf eine Stelle von Bobs Kopf. Ein für mich auf den ersten Blick nicht verständliches Diagramm erschien.

    „Die rot markierte Fläche gibt das Aggressionspotenzial an."

    „Kommt mir viel vor."

    „Ja, eine ganze Menge. So was kannst du heute lange suchen. Kommt mir vor wie im Mittelalter. Unser Verhaltenspsychologe spricht von einer harten Nuss."

    „Was habt ihr noch rausgefunden?"

    „Unser Tiefenpsychologe hat Bobs Kindheit unter die Lupe genommen. Hat Tests mit ihm durchgeführt und in der Sphere Kontakt mit Bobs Eltern aufgenommen. Ergebnis: Strenger Vater, der ihn missachtet, regelmäßig schlägt und den zwei Jahre älteren Bruder vorzieht, dieser ertrinkt bei einem Unfall. Hass auf Vater und Bruder, Verachtung für die schwache Mutter, die Bob nicht beschützen kann oder will. Die Folge: schwaches Ich, gravierende Minderwertigkeitsgefühle, starkes Konkurrenzbewusstsein, Hang zu Gewalt."

    „Eine geballte Ladung."

    „Ja, reiner Psycho-Sprengstoff, entzündet durch Eifersucht."

    „Bob ist Jahrgang 44. Kommt das öfter vor bei dieser Generation?"

    „Eher selten. Der Entwicklungspsychologe verweist natürlich auch auf die unruhigen, gewaltvollen Zeiten in Bobs Kindheit, als es politisch hoch herging."

    „Aber immerhin hat er doch fast die Hälfte seines bisherigen Lebens in unserer Gesellschaftsformation verbracht."

    „Hat anscheinend nicht viel genutzt. Und gerade das gibt uns zu denken. Wir werden deshalb die mittlere und die ältere Generation noch mehr zu den entsprechenden Bildungsprogrammen animieren. Das heißt auch, dass die Adviser auf diesem Gebiet besonders aktiv sein müssen."

    „Sicher."

    „Du siehst, bei Bob passt alles bestens zusammen. Der Totschlag ist keine große Überraschung und inzwischen bestens bewiesen: die Indizien, das Geständnis des Täters, der Wahrheitstest. Die Untersuchungen zu diesem Fall sind offiziell abgeschlossen, jetzt beginnt die Behandlung."

    „Was werdet ihr machen?"

    „Wir werden seine Defizite beheben, Missverhältnisse ausgleichen und in jedem Fall seine Person stärken."

    „Ich möchte einen Roman über diesen Fall schreiben, eine Art Tatsachenkrimi. Was hältst du davon?"

    „Ich finde die Idee nicht schlecht. Zwar ist die ganze Geschichte detailliert in der Sphere zu finden, doch ein Roman ist etwas anderes, Packenderes. Die ästhetische Form ist sowieso besonders geeignet für die moralische Erziehung. Und dein Stoff wird auf großes Interesse stoßen. Bleibst du noch eine Weile Adviser?"

    „Ja."

    „Gut so. Dann können wir dir bei deinen Recherchen Hilfe geben, falls du sie brauchst."

    „Danke, Clarissa."

    Diesmal küsste ich sie in Lippennähe. Sie hob eine Augenbraue.

    „Viel Erfolg. Übrigens, hast du schon die Tatwaffe gesehen?"

    „Noch nicht."

    „Dann schau sie dir mal an. Ein hübsches Stück. Vielleicht inspiriert sie dich."

    John drückte mich innig, schaute mich liebevoll an. Er verzichtete nicht darauf, sein Haar, das er fast so lang trug wie ich, dunkel zu färben, und an seiner Vorderseite wölbte sich kein Bauch. Beides ließ sein mathematisches Alter vergessen.

    Unsere äußere Ähnlichkeit war unverkennbar; man hätte uns fast für Brüder halten können, er, mit dem schmaleren Gesicht, der ältere. Von ihm unterschieden mich auch die Augenfarbe und die vollen Lippen, die ich von Bella mitbekommen hatte, außerdem überragte ich ihn um einige Zentimeter.

    „Ich wollte dich mal in deiner neuen Behausung besuchen. Fühlst du dich wohl?", sagte er.

    „Alles okay."

    „Und die Leute im Tower?"

    „Kann noch nicht viel dazu sagen. Ich denke, sie sind wie überall."

    John ließ seinen Blick kreisen.

    „Die typische Single-Wohnung, sagte ich, „Wohnzimmer mit kleiner Küche, Schlafzimmer, Bad, Balkon. Die Einrichtung habe ich zum großen Teil übernommen. Hast du ein bisschen Appetit mitgebracht?

    „Was gibt’s denn Gutes?"

    „Pizza. Die isst du doch gerne."

    „Ja."

    „Welche?"

    „Am liebsten A la Romana, mit Knoblauch."

    „Und was trinken wir?"

    „Zur Feier des Tages ein Glas Rotwein."

    „Napoleon", rief ich.

    Aus dem Kücheneck kam der Homebot.

    „Was kann ich für dich tun, Giovanni?", fragte er mit gefälliger Stimme.

    „Machst du bitte eine Pizza A la Romana und eine Pizza Diabolo mit Peperoni und Chili? Beide geschnitten."

    „Wird gemacht, Giovanni."

    „Und vorher bitte noch eine Flasche von dem spanischen Rotwein und zwei Gläser."

    „Gerne."

    Wir setzten uns an den Esstisch.

    „Ich habe seit Jahren keinen Homebot mehr, sagte John, „ich brauche ihn nicht, esse oft außerhalb. Kocht er gut?

    „Perfekt. Die Androiden seiner Serie haben die neuesten Programme, und was darüber hinausgeht, bringt er sich selber bei."

    Ein Korken knallte, Gläser klirrten.

    „Komm, wir essen draußen. Der Abend ist so schön."

    Wir setzten uns auf dem Balkon in die Sessel. Das Tischchen passte seine Höhe selbstständig an. Napoleon brachte den Wein und schenkte mit einer eleganten Bewegung ein. Wir stießen an.

    „Auf deine neue Wohnung! Eine herrliche Aussicht hast du von hier oben."

    Die Sonne näherte sich dem Horizont, ihre Strahlen verloren an Kraft. Ein warmer Wind umfächelte uns sanft. Neben uns ragten die Tower meines Circles, das weiche Licht umfloss die Wohn-Ringe des Barrios und des Rosenquarz-Viertels, weit hinten glänzte die mächtige Kuppel des City-Domes im Stadtzentrum Bellytowns.

    „Die Welt hat sich entscheidend verändert, sagte John, „vieles haben wir erreicht, aber es muss noch besser werden. Die Verteilung der Ressourcen, die Versorgung eines jeden funktioniert im Prinzip, aber die individuellen Bedürfnisse können im globalen Maßstab noch gezielter abgedeckt werden. Auch sollten wir die Ressourcen noch effektiver nutzen.

    „Das kriegen wir auch noch hin", sagte ich.

    „Dazu brauchen wir aber eine weiter gehende Entwicklung des Bewusstseins der Leute, zu viele Widersprüche sind dort zu finden."

    Er lächelte.

    „Da fällt mir was Lustiges ein. Eine Frau aus meinem Tower, Jahrgang 1990, erzählte kürzlich, dass sie im Supply Center eine Kundin getroffen habe, die ihr bekannt vorkam, und immer wieder sprach sie von ihr als Kundin. Als ich sie darauf aufmerksam machte, dass wir heute statt Kundin Tomadora sagen, musste sie herzhaft über sich selber lachen."

    „Manche aus der älteren Generation benutzen noch überholte Ausdrücke, aber eine Kundin ist mir noch nicht begegnet", stellte ich fest.

    „Die materiellen Dinge zufrieden stellend zu regulieren, fuhr John fort, „ist heute weniger das Problem, aber die rationalen und emotionalen Prozesse ihnen anzugleichen, ist eine schwierige Aufgabe, die Zeit braucht. Das Individuum funktioniert auf komplizierte Weise, und es muss alles freiwillig wollen, sonst scheitern wir und fallen in die dunkelste Vergangenheit zurück.

    „Auf unsere Erfolge! All for all!", sagte ich.

    John lächelte breit. Die Gläser tönten in hellem Gleichklang.

    Er fing plötzlich an zu lachen.

    „Wenn man mir vor 2040 gesagt hätte, dass ich heute mit dir hier sitzen würde, hätte ich ihn für verrückt erklärt. Siehst du den Circle da drüben, mit den roten Towerspitzen?"

    „Ja."

    „Dort etwa verlief die Eckhardtstraße im Martinsviertel, wo ich mich auf meiner Flucht als angeblicher Terrorist für kurze Zeit verkriechen konnte."

    „Du hast mir davon erzählt. Dort war das also?"

    John nickte heftig. Mich gruselte.

    „Und, komisch, das Ganze wiederholte sich 2042. Die Revolution war gescheitert, das Militär ließ sich bestechen, wechselte die Seite, die Diktatur kam zurück, unerbittlicher als früher. Wieder flüchtete ich zu Ahmed in der Eckhardtstraße 5, dem ehemaligen Zwangsarbeiter. Jetzt saß er mit den Androiden im Cleaner und sorgte für eine saubere Umwelt. Und Ahmed schickte mich wieder zu Jamilah in die Eckhardtstraße 7, wo sie immer noch für ein Bistro kochte. Sie verbarg mich monatelang, hier war ich sicher vor allen Razzien und konnte einen kleinen Kreis von Gleichgesinnten aufbauen."

    „Wenn das schief gegangen wäre, sagte ich, „würde es mich vielleicht gar nicht geben. Und Bella wäre vielleicht heute noch bei Dahlberg.

    Er lachte schallend.

    „Nein, die gute Bella, sie wäre sicher ihren Weg ohne ihn gegangen, mit dem kleinen Tommy, und einen passenden Mann hätte sie wohl auch gefunden."

    „Aber keinen wie dich. Nach allem, was ich weiß, wart ihr doch das ideale Paar."

    „Ja."

    „Und ihr seid es heute noch."

    „Bella ist für mich immer noch mit Abstand die Größte, auch wenn mir ab und zu mal eine Jüngere gefällt. Hast du inzwischen eine Dauerbeziehung?"

    „Nein, ich schaue mich um."

    „Lass dir Zeit damit, vielleicht ist sie auch gar nicht nötig."

    Wir schwiegen. Die Sonne tauchte in Dunstschleier.

    „Das Essen ist fertig, Giovanni."

    In der Tür stand Napoleon mit den duftenden Pizzen.

    Mit einem Kommando verlängerte ich das Tischchen.

    „Das riecht gut, Napoleon", sagte ich.

    „Ich wünsche euch guten Appetit!"

    Er zog sich zurück.

    Ich erzählte John von meinem Romanprojekt.

    „Eine dankbare Aufgabe, sagte er anerkennend. „Genau das, was wir brauchen. Darauf trinken wir.

    Als die Teller leer waren, lehnte sich John zurück und betrachtete den roten Glutball am Horizont."

    „Irgendwie möchte ich mein Leben verändern, sagte er nachdenklich. „Lange war ich im Medienbereich aktiv, Journalist in der Großen Union und bei den revolutionären Umwälzungen der fünfziger Jahre, später dann Informer und Informer-Ausbilder. Es gibt Lebensbereiche, die ich noch nicht kenne.

    „Wie wär’s mit Adviser? Da kommst du viel unter die Leute, lernst die verschiedensten Probleme kennen."

    Er winkte müde ab.

    „Ach nein, das ist mir alles zu kopflastig. Vielleicht was ganz Einfaches, mit den Händen, oder was Technisches."

    „Und wenn du eine große Reise machst?"

    „Nein, nein, ich habe genug von der Welt gesehen, Menschen, Landschaften, außerdem möchte ich hier bei uns weiterarbeiten an der Verbesserung der Gesellschaft. Mal abwarten, ich finde schon was."

    Wir plauderten über Zukunft und Vergangenheit, bis die Dämmerung ihre dunklen Schleier über Bellytown ausbreitete. Beim Abschied warf John noch einen Blick in meinen Schlafraum, sah die breite Liege ganz in Rot.

    „Galaktisch! Kommt mir irgendwie bekannt vor."

    „Habe ich mir so eingerichtet. Mein Vorgänger schlief spartanisch wie im Kloster."

    John bog sich vor Lachen.

    „Du bist ganz mein Sohn!", rief er und küsste mich.

    Cecile sprach einen Satz in die Markierung neben der Tür. Die Wände des großen Raums schoben sich geräuschlos ein Stück zusammen. Sie postierte sich vors Oval der Tische, ihr silbernes Kleid war ein echter Blickfang.

    „Heute sind wir weniger als vor zwei Wochen, sagte sie zur kleinen Versammlung. „Wir lassen den Kindern nebenan mehr Platz zum Spielen. Ich begrüße euch herzlich zur Asamblea. Fühlt euch wohl, schüttet euer Herz aus und genießt den Kuchen. Es gibt Kirschkuchen und Käsekuchen aus der Küche von Mira und Anna.

    Die Bewohner des Towers klatschten freudig in die Hände und attackierten die Leckereien. Ich reihte mich in die Schlange ein, griff mir ein Stück Kirschkuchen, verzierte es mit einem Sahnehügelchen, holte einen Kaffee und setzte mich neben Mira. Sie trug ein einfach geschnittenes, hellblaues Kleid, das Chic hatte und zu ihrem blonden Haar passte.

    „Dein Kirschkuchen ist eine Wucht", lobte ich mit vollem Mund.

    Sie mochte wohl über achtzig sein, aber die Jahre hatten nur wenige Linien in ihr Gesicht gezeichnet, dessen Schönheit mit Güte, Sanftmut und Wissen erfüllt war.

    „Ja, mein Sohn, lächelte sie, „der hat schon viele im Tower beglückt. Du wohnst noch nicht lange hier, aber wenn du bleibst, wirst du ihn noch öfter essen können. Er ist ganz einfach zu machen, der Teig besteht fast nur aus einer Masse von Haselnüssen. Mit Sahne schmeckt er noch besser. Und Vorsicht! Er macht satt.

    Ich hatte das Stück schon fast vernichtet.

    „Wow, das merke ich. Der ist ja eine richtige Mahlzeit!"

    Tassen und Gäbelchen klirrten, Stimmengewirr brodelte.

    Eine Kirsche kullerte von meiner Gabel auf das Kleid Miras und hinterließ eine rote Spur.

    „Oh, tut mir Leid", sagte ich erschrocken.

    „Macht nichts, mein Lieber. Das ist ein Fleck-weg-Kleid."

    Sie verspeiste die Übeltäterin. Die rote Spur verschwand.

    „Lasst uns anfangen, rief Cecile, strich sich die langen, schwarzen Haare aus dem Gesicht und schaute erwartungsvoll in die Runde. „Wer möchte was sagen?

    „Der Spielplatz für die Kinder vor dem Tower und im Tower sollte vergrößert werden. Hier wohnen inzwischen mehr Kinder als noch vor zwei Jahren", schlug eine junge Frau vor.

    Allgemeiner Beifall.

    Ein junger Mann meldete sich.

    „Der Unfall des alten Mannes im Nachbarcircle hat mich sehr genervt", sagte er und fügte energisch hinzu: „So etwas darf nicht passieren!

    Wir sollten den Park in unserem Circle auf Stolperfallen untersuchen."

    „Ja, das ist richtig", riefen andere.

    „Seid ihr einverstanden, dass ich unsere Forderung in die Sphere stelle?"

    „Einverstanden."

    „Gibt es Probleme mit der Versorgung?", wollte Cecile wissen.

    „Alles da."

    „Nein", rief eine Ältere, die ich mit dem ersten Blick auf etwa sechzig schätzte. Sie trug ein bräunliches Kleid, das mir recht altmodisch vorkam; jedenfalls hatte ich solch merkwürdige Bündchen und Verzierungen noch nie gesehen.

    Erregt schüttelte sie ihre dunklen Locken.

    „Ich finde, unsere Kleidung ist Schrott."

    „Wie kannst du nur so etwas sagen, Sophia?", wunderte sich eine junge Mutter, die ihr Kleinkind auf den Schoß nahm.

    „Na, schaut euch doch mal genauer um, maulte Sophia, „die Stoffe, die Schnitte, alles so billig!

    „Dann such dir doch eine Schneiderin, meinte ein Grauhaariger, „die dir was Besonderes macht. In unserem Barrio wirst du schon eine finden.

    „Ach was!, schimpfte Sophia weiter, „früher war alles besser. Deshalb habe ich heute ein schickes Kleid von früher angezogen.

    Stolz blickte sie in die Runde, wo ein erstauntes Lächeln über die Gesichter huschte.

    „Ich feiere nämlich heute meinen neunzigsten Geburtstag."

    Freudige Zustimmung breitete sich aus.

    „Gratuliere, Sophia!", riefen einige, andere wollten ihre Hand schütteln.

    Einer stimmte „Happy birthday, Sophia" an, brach jedoch ab, weil das Geburtstagskind abwehrend mit den Armen fuchtelte.

    Alle verstummten.

    „Was glänzt da so an dir?", platzte in die Stille ein kleiner Junge, der, angelockt durch den Tumult, nach drinnen geeilt war und neugierig an Sophias Handgelenk fasste.

    „Finger weg von meinem Schmuck!, keifte sie und bleckte die weißen Zähne. „Das ist reines Gold! Von solch einem Wert könnt ihr armen Säcke nur träumen.

    Die Goldsüchtige hatte sich reich behängt. Neben den schweren Armreifen funkelten an acht Fingern dicke Klunker und am Hals ein breites, mit Edelsteinen besetztes Band, das ich nur aus Filmen kannte, wo es von Königinnen getragen wurde.

    Die Mitbewohner schwiegen verblüfft. Dann begannen einige zu lachen.

    „Aber so schön glänzt das doch gar nicht, sagte ein junges Mädchen, „da gibt’s besseren Schmuck.

    „Sophia, meinte ein junger Mann vermittelnd, „du weißt doch, Geld gibt es nicht mehr, und Gold ist ein Material wie jedes andere auch, dafür kannst du dir heute nichts mehr kaufen, es hat keinen Wert mehr.

    „Das ist es ja gerade, was ich sagen will", schrie Sophia.

    Hässliche Falten standen in ihrem verzerrten Gesicht, die Nase wurde immer spitzer, und es brach aus ihr heraus.

    „Nichts hat heute mehr einen Wert. Ich habe andere Zeiten erlebt. Mein Vater war Bankier und mein Mann auch, wir waren eine reiche Familie, und dann kamen Leute wie ihr und haben alles kaputt gemacht."

    „Im Gegenteil, sagte der gescheiterte Vermittler ruhig, „wir haben alles in Ordnung gebracht. Vorher herrschte das Chaos. Dein Gold kannst du getrost wegschmeißen.

    „Jetzt verstehe ich auch, was die Leute über dich reden, sagte die Mutter und strich ihrem Kleinkind zärtlich übers Haar, „dass du den Kindern viel Unsinn erzählt hast. Die haben gar nicht verstanden, wovon du redest.

    Mira stand auf und legte ihren Arm um die vor Erregung Zitternde.

    „Behalte deinen Schmuck, Sophia, sagte sie liebenswürdig, „und lege ihn dir ruhig an, wenn er dich an frühere Zeiten erinnert.

    Sophia brach in Tränen aus, riss sich los und rannte schluchzend zum Ausgang. Dort drehte sie sich noch einmal um.

    „Macht nur so weiter, ihr werdet schon sehen, wo ihr hinkommt! Alles ändert sich, und auch diese Zeit wird ihr Ende finden."

    Auf das kurze, betretene Schweigen folgten die Kommentare.

    „Ein dickes Ding!"

    „So was hab ich noch nie gehört."

    „Dollarhexe!"

    „Arme Sophia."

    „Wer wohnt auf demselben Stock wie Sophia?", fragte Cecile.

    Eine junge Frau und der Graukopf meldeten sich.

    „Könnt ihr euch um Sophia kümmern?"

    Die beiden nickten.

    „So, ihr Lieben, sagte Cecile, „ich glaube, das reicht erstmal für heute. Lasst uns noch ein bisschen gemütlich plaudern. Und bitte nichts von dem Kuchen übrig lassen!

    Wider alle Vernunft lud ich mir ein drittes Stück Kirschkuchen auf den Teller. Mira lächelte verständnisvoll.

    „Bist du in Form?"

    Lachend warf Chuck den Kopf zurück.

    „Ganz bestimmt nicht. Ich komme gerade von Silvia!"

    „Dann gib mal, was du noch hast. Es geht ja nicht um die Weltmeisterschaft."

    „Okay, aber die Hitze liegt mir nicht."

    Wir betraten den Rasen. Das kleine Fußball-Highlight hatte ein paar Dutzend Fans angelockt, zu etwa gleichen Teilen, wie mir schien. Für uns vom Circle 4 war der in unmittelbarer Nähe gelegene Platz quasi ein Heimspiel.

    Ich überblickte mein Team. Ganz in Rot, formierte es sich, wie erst vorhin kurz besprochen. Im Tor die lange Kim, davor die Viererkette mit den Zweimeter-Männern als Innenverteidiger und zwei schnellen Frauen in der Außenverteidigung. Im Mittelfeld wollten ich und der kleine, schmächtige Eagleeye die Fäden ziehen, zusammen mit Nia und Max, beide schnelle Techniker. Im Sturm agierten nur Chuck und Ping, eine erst kürzlich in unseren Circle gewechselte Chinesin.

    Unsere Formation war gezwungenermaßen etwas vorsichtig und auf Konter abgestellt, da wir mangels Training nicht eingespielt waren. Das erwies sich als richtig. Der favorisierte Gegner von Circle 8, in blauem Trikot und weißen Hosen, begann mit einem 4-3-3-System und setzte uns sofort routiniert unter Druck. Wir hielten mit geschicktem Pressing dagegen, kamen allerdings nur ab und zu über die Mittellinie.

    Das Spiel wurde einseitig, lange würden wir das nicht durchhalten. Der Treffer kam bald. Für einen Moment unkonzentriert, beging ich einen dummen Abspielfehler, eine Hünin mit flatterndem, blondem Pferdeschwanz tankte sich durch und haute den Ball an der verdutzten Kim vorbei ins kurze Eck, wo er blinkend im Netz zappelte. Der Pfiff ertönte, auf den Trikots blinkte und erklang der Text „1:0 für Blau-Weiß". Ich schämte mich unendlich, ging in die Knie und bedeckte mein Gesicht mit den Händen.

    „Komm, Giovanni. Das kann mal passieren. Es geht weiter."

    Chuck zog mich hoch und klopfte mir aufmunternd auf den Rücken. Ziemlich verunsichert machte ich weiter, spielte nur einfache Pässe, überließ die Regie Eagleeye und Nia. Es gelang uns aber nicht, unsere Hintermannschaft zu entlasten. Chuck und Ping bekamen nur wenige Bälle, die sie gleich wieder verloren, weil sie schlecht miteinander harmonierten. Das 2:0 für Blau-Weiß fiel nur folgerichtig.

    Als wohltuende Entschädigung für den schmerzhaften Rückstand betrachtete ich ein Foul, das an mir begangen wurde. Eine blau-weiße, hübsche Blondine versperrte mir regelwidrig den Weg, indem sie sich mir in voller Breite entgegenstellte. Unser frontaler, nicht sehr heftiger Zusammenprall Brust an Brust war für mich sehr angenehm, ein weiches Polster bremste mich aus. Verständnisvoll schauten wir uns in die Augen. In den Minuten danach versuchte ich vergeblich, ihr süßes Foul zu provozieren, um wenigstens noch eine kleine Freude zu haben. Trist lief das Spiel weiter. Ich wurde müde, die schwüle Luft setzte mir zu. Meine Schuhe signalisierten einen Laufweg von sechs Kilometern. Auch Chuck baute sichtlich ab. An unserer Niederlage zweifelte ich nicht.

    In der Halbzeitpause war unsere Stimmung zunächst etwas gedämpft, doch dann machten Späßchen die Runde, man beschloss, mit Freude zu verlieren, egal wie hoch.

    Die zweite Halbzeit begann wie die erste, als plötzlich ein Bobtail über den Rasen rannte, den Ball vor sich herschob, der zu blinken begann. Die Trikots meldeten: „Spielunterbrechung. Unerlaubter Mitspieler."

    „Superman, komm her!", rief eine junge Frau aufgeregt, doch der Gemahnte gehorchte nicht, sondern freute sich über das lustige Gerangel mit seinen roten und blau-weißen Mitspielern, die ihm vergeblich die rollende, blinkende Kugel abzujagen versuchten. Schließlich wagte sich die junge Frau aufs Spielfeld und legte ihren Helden an die Leine. Den Schiedsrichterball überließen wir, noch herzhaft lachend, als Platzherren fairerweise dem Gegner. Einige Blau-Weiße nahmen uns die kleine Zwangspause übel und unterstellten uns Absicht, obwohl wir ihnen versicherten, dass der Störenfried und sein Frauchen nicht im Circle 4 zuhause waren.

    Und nun geschah etwas, für das die Spielanalysten bis heute noch keine überzeugende Erklärung haben. Das Match kippte, als hätte der Bobtail bei seinem kurzen Auftritt das Spielfeld auf geheimnisvolle Weise verzaubert. Jetzt gelang den Roten alles, den Blau-Weißen nichts. Eine wunderschöne Kombination von mir zu Chuck und weiter zu Ping führte zum Anschlusstreffer.

    Die Blau-Weißen reagierten verunsichert, ihr Spiel wurde ruppiger, ihre Fouls häuften sich. Vor allem blau-weiße Frauen, die eigentliche Stärke des gegnerischen Teams, taten sich dabei hervor. Franca, die blonde Hünin mit dem Pferdeschwanz, beging ein klares Stürmerfoul, das sie aber nicht einsehen wollte. Während die Trikots signalisierten: „Gelbe Karte für Blau-Weiß Nr. 9", behauptete sie, der Refbot habe sich geirrt, was natürlich blanker Unsinn war. Im Bruchteil einer Sekunde registrierte der elektronische Schiedsrichter die Situation aus allen möglichen Perspektiven und Winkeln, bündelte die Informationen und definierte den Regelverstoß. Das System funktionierte wie mindestens zwanzig gute, reaktionsschnelle menschliche Schiedsrichter gleichzeitig und hatte sich bewährt, Irrtümer waren mir nicht bekannt.

    Die Blau-Weißen, von uns unter Druck gesetzt, wurden nun immer nervöser, beschimpften sich gegenseitig, ihre Abspielfehler und Fehlpässe wurden zahlreicher, die Abwehrspieler rannten durcheinander wie die Hühner. Wir nutzten die Verwirrung. Chuck nahm einen herrlichen, präzisen 50-Meter-Pass von Eagleeye mit der Brust an und haute die Kugel volley unhaltbar ins obere Eck. Der verdiente Ausgleich wurde bejubelt wie ein Siegtreffer. Chuck und Eagleeye wurden heftig gedrückt und bekamen Küsschen, unsere Fans am Spielfeldrand umarmten sich schreiend.

    Unser Spiel lief jetzt routiniert, als hätten wir wochenlang miteinander trainiert. Hohe Ballbesitzquote, große Ballsicherheit, viele gewonnene Zweikämpfe, traumhafte Kombinationen. Unser nächstes Tor lag in der Luft.

    Da ereignete sich ein hässlicher Zwischenfall, der mein Blut in Wallung brachte. Eagleeye im Mittelfeld hatte einen guten Tag erwischt und war besonders in der zweiten Halbzeit zu großer Form aufgelaufen. Kein schneller Spieler, aber immer geschickt positioniert, ein guter Techniker und Ideengeber, seine überraschenden Pässe in den freien Raum zerschnitten die gegnerische Abwehr wie das Messer die Butter. Vor ein paar Jahren hatte er durch einen Unfall seine Sehkraft komplett verloren, aber durch Netzhautimplantate komplett wieder gewonnen, die Chips zeigten ihm die Welt bunt wie zuvor. An seine Spezialbrille gewöhnt, war es ihm nicht eilig, in aller Ruhe wollte er abwarten, bis das passende Auge entwickelt war.

    Der sehende Blinde war einer unserer Leistungsträger, schwer durch einen anderen zu ersetzen. Eagleeye hatte gerade einen Pass auf Ping gespielt, als Britta, die blau-weiße Nummer sechs, ihn brutal von den Füßen holte. Mit einem kräftigen Tritt von hinten in die Beine rasierte das stämmige, vierschrötige Muskelpaket das schmächtige Leichtgewicht einfach weg. Während die Trikots optisch und akustisch texteten: „Schweres Foul von Blau-Weiß! Rote Karte für Nummer sechs!", stürmte ich auf Britta zu.

    „Bist du wahnsinnig?", brüllte ich ihr zentimeternah ins Gesicht.

    Sie strich sich die verklebten, dunklen Haare aus der Stirn und schaute, verächtlich grinsend, auf Eagleeye hinab, der sich stöhnend am Boden krümmte. Zwischen mich und Britta schob sich Franca, die Sprecherin der Blau-Weißen, und baute sich drohend vor mir auf.

    Ich wandte mich Eagleeye zu. Ein schnell herbei geeilter Sanitäter untersuchte seine Verletzung. Während er Eagleeyes Knie, Waden und Fußgelenke abtastete, schaltete sich Kim, unsere Sprecherin, ein.

    „Das war übel, sagte sie zu Franca, „auf welchem Planeten lebt ihr denn? Es geht doch um nichts!

    „Alles halb so schlimm, wiegelte Franca ab, „das kann doch mal vorkommen.

    „Nein. Ich spiele seit zehn Jahren Fußball, aber so etwas Rohes habe ich noch nicht erlebt", empörte sich Kim.

    „Ein bisschen Härte kann doch nicht schaden", sagte Franca ungerührt.

    „Das war bewusste Körperverletzung, der Ball war doch schon weg. Britta muss vom Platz. Aber vorher muss sie sich bei Eagleeye entschuldigen."

    Britta verließ ihre Deckung hinter Franca und schritt aufreizend langsam mit trotzigem Gesicht zur Außenlinie. Einige der Blau-Weißen schielten ihr mit hängenden Köpfen nach oder wandten sich von ihr ab.

    Der Sanitäter beendete seine Untersuchung. Kein Knieschaden, kein Bruch, kein Bänderriss, vielleicht aber eine Zerrung oder Prellung, jedenfalls klagte Eagleeye über Schmerzen. Chuck und ich trugen ihn zum Spielfeldrand, wo er weiter behandelt wurde.

    „Das Spiel fortsetzen!", forderte der Refbot.

    „Circle 4, bitte kommt mal her!", rief Kim.

    Wir versammelten uns.

    „Sollen wir weiterspielen gegen diese Brutalos? Haben wir das nötig?"

    „Warum nicht? Die sind doch nicht alle foul."

    Es entspann sich eine kurze Diskussion. Die einen wollten weiterspielen, meinten, ein Abbruch würde uns zur Last gelegt und wir hätten keine Chance mehr für die Barrio-Meisterschaft. Die anderen plädierten für den Abbruch, man müsse ein Zeichen setzen gegen Verrohung im Mannschaftssport.

    Die Abstimmung wurde uns erspart. Der Abbruch kam von oben. Eine dicke, schwarze Wolke hatte sich über uns geschoben und entlud nun ohne Vorwarnung ihre Wassermassen. In wenigen Sekunden glich der Platz einem See, eine nasse, graue Wand vor den Augen begrenzte die Sicht. Triefend stapften wir vom Platz. In der Kabine trafen wir Eagleeye, er hinkte noch, lächelte aber schon wieder.

    „Die spielten wie im Wilden Westen", sagte ich zu Chuck.

    „Es fehlten nur noch die Colts", lachte er.

    „Gut, dass wir im Fußball dem Leistungssport Grenzen gesetzt haben", sagte ich.

    „Wenn schon der Breitensport die Leute kaputt macht…"

    „Es macht Sinn, meinte Chuck, „dass wir den Wettbewerb um die Meisterschaft nur bis zur Barrio-Ebene zulassen.

    „Vielleicht sollten wir damit ganz unten, auf der Circle-Ebene bleiben", überlegte ich.

    „Oder wir verzichten überhaupt auf Meisterschaften", schaltete sich Eagleeye lächelnd ein.

    Keiner widersprach ihm.

    3

    Attraktiv war sie, Bobs Freundin.

    „Giovanni, stellte ich mich vor. „Hast du vielleicht etwas Zeit für mich?

    Dana zeigte auf einen Stuhl in der Ecke.

    „Es ist gerade viel los, du musst ein bisschen warten", sagte sie.

    Ich setzte mich und schaute zu,

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1