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Der dunkle Champion (Das Netz der verknüpften Welten Buch 3): LitRPG-Serie
Der dunkle Champion (Das Netz der verknüpften Welten Buch 3): LitRPG-Serie
Der dunkle Champion (Das Netz der verknüpften Welten Buch 3): LitRPG-Serie
eBook570 Seiten6 Stunden

Der dunkle Champion (Das Netz der verknüpften Welten Buch 3): LitRPG-Serie

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Über dieses E-Book

Das legendäre Siegel, das die apokalyptischen Reiter bisher hinter Schloss und Riegel hielt, wurde gebrochen. Die Erde wird von einer Flut an Naturkatastrophen heimgesucht, die bereits Tausende von Menschenleben gefordert hat. Sergej bereitet sich darauf vor, zurückzuschlagen. Doch während er durch die Welten reist, um von dem mächtigen Riesen Vill das Bogenschießen zu erlernen, erwachen die Lakaien der Reiter. Auch sie sind bereit, im Namen ihrer furchtbaren Meister gegen die mythischen Wächter des Netzes der verknüpften Welten anzutreten. Der Kreis der Feinde um Kummer - Sergejs Heimatstadt - zieht sich immer enger zusammen, denn es ist ein Ort, an den er immer wieder zurückkehrt. Also begeben sich auch die vier Reiter dorthin, um sich dem neuen Halbgott zu stellen.
SpracheDeutsch
HerausgeberMagic Dome Books
Erscheinungsdatum20. Jan. 2023
ISBN9788076199194
Der dunkle Champion (Das Netz der verknüpften Welten Buch 3): LitRPG-Serie

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    Buchvorschau

    Der dunkle Champion (Das Netz der verknüpften Welten Buch 3) - Dmitry Bilik

    Kapitel 1

    MORGENDLICHE TELEFONANRUFE waren selten die Vorboten guter Nachrichten. Ihr penetrantes Brummen weckte einen nicht mit der Mitteilung, dass man der einzige Erbe eines mysteriösen Milliardärs war. Nicht einmal der Arbeitgeber würde sich die Mühe machen, einen anzurufen, nur um mitzuteilen, dass er ein Problem mit der Elektrik hatte und man sich den Tag freinehmen konnte.

    Erst recht nicht, wenn auf dem Display der vertraute Name eines bestimmten Mannes erschien. Ja, derjenige, der die letzten Tage mit Drogen und Alkohol zugedröhnt gewesen war. Irgendwie dachte ich nicht, dass er nur anrief, um mir mitzuteilen, dass er endlich in einer schönen neuen Welt aufgewacht war, so nach dem Motto: ‚Mir geht es gut, keine Sorge, danke, dass du nach mir siehst‘.

    „Ja?" Ich legte meine ganze Verärgerung in dieses Wort.

    „S-S-Sergej? D-d-da ist L-l-litius."

    Noch dazu stotterte er. Das bedeutete: ‚Houston, wir haben ein Problem‘. „Ja, das sehe ich."

    „Wir m-m-müssen uns sehen."

    „Tut mir leid, Kumpel, ich gehe nicht wirklich mit Männern aus. Jedenfalls nicht mit Tiermenschen, ich warf einen misstrauischen Blick auf Julia neben mir, aber sie schien fest zu schlafen. „Ist es so dringend?

    „J-ja..."

    „Verstanden. Ich komme. Wo, in der Gemeinde?"

    „N-n-nein! Bei d-d-der T-t-„

    „In der Taverne?"

    „J-ja..."

    „Litius?, murmelte Julia und streckte sich schläfrig. „Wer ist das?

    „Nur so ein litauischer Typ von der Arbeit."

    „Du triffst ihn in einer Taverne?"

    „Ja, so nennen wir unsere Cafeteria."

    Deine Fähigkeit zu lügen ist auf Level 10 gestiegen.

    Du hast die Meisterschaft in der folgenden Fertigkeit erlangt: Lügen.

    Meisterschaftsstufe: 1

    Du bist nun in der Lage, jeden Normalbürger, mit dem du sprichst, zu täuschen, selbst wenn die Tatsachen deiner Geschichte eklatant widersprechen.

    Sie streckte die Hand aus und küsste mich auf die Schulter.

    Ich warf einen Blick auf die Uhr. Halb acht, verdammt! Was dachte der sich denn? Für einen Katzenmann war der Kerl ein echtes Schwein!

    Ich schlüpfte zurück unter die Decke und kuschelte mich an Julia, aber ich war jetzt hellwach. Nach ein paar Minuten des Hin- und Herdrehens stand ich schließlich auf.

    „Bereitest du uns noch ein magisches Frühstück zu?", fragte Julia, ohne die Augen zu öffnen.

    „Auf jeden Fall", antwortete ich ohne zu zögern, denn ich hatte gerade einen Blick auf Landei geworfen, der bereits auf Zehenspitzen in Richtung Küche trabte.

    Leise schloss ich die Schlafzimmertür hinter mir und machte mich auf den Weg ins Bad. Als ich unter der Dusche stand, versuchte ich, die Geschehnisse der letzten Nacht zu verarbeiten.

    Morbian war tot. Die restlichen Reiter der Apokalypse liefen frei herum. Es sah nicht gut aus.

    Ich putzte mir die Zähne und warf einen Blick ins Schlafzimmer. Julia schlief tief und fest. Auf Zehenspitzen schlich ich in die Küche, wo Landei bereits mit dem Kochen beschäftigt war.

    Ich legte einen Finger an die Lippen, schloss die Küchentür und schaltete den Fernseher ein. Natürlich hatten die Nachrichten der Normalbürger nichts mit den Angelegenheiten des Spiels zu tun, aber sie konnten vielleicht etwas Licht in die jüngsten Ereignisse bringen.

    Ich zappte durch die Kanäle, bis ich eine Nachrichtensendung fand.

    „Die italienische Regierung arbeitet mit Hochdruck daran, die Folgen der Naturkatastrophe einzudämmen. Die Zahl der Opfer der verheerenden Flutwelle, die über die gesamte Küste hinweggefegt ist, ist auf 120 gestiegen, es gibt 304 Schwerverletzte und viele Personen werden noch vermisst..."

    Ich schaltete den Fernseher aus und saß schweigend da, den Kopf in die Hände gestützt. 120 Tote! Nur weil die Reiter geflohen waren! Und das war erst der Anfang.

    All das war meine Schuld.

    Die Erkenntnis schoss mir durch den Kopf und verschwand sofort wieder, um durch einen neuen Gedanken ersetzt zu werden, der sich überhaupt nicht wie mein eigener anfühlte.

    Es war doch nicht deine Schuld, nicht wahr? Es war Morbian. Er war derjenige, der das Siegel gebrochen hat, nicht du. Hör auf, dich fertig zu machen!

    Ich schüttelte den Kopf und versuchte, die böse Illusion zu vertreiben, als wäre sie ein schlechter Traum. Was war das für ein Wahnsinn? Entwickelte ich eine Schizophrenie? Eine gespaltene Persönlichkeit?

    Obwohl die Stimme in meinem Kopf keine weiteren Versuche unternahm, ein Gespräch zu beginnen, verhieß das nichts Gutes. Etwas Ähnliches war schon einmal einem gewissen Individuum namens Gollum passiert. Soweit ich mich erinnern konnte, hatte es nicht gut für ihn geendet. Und da ich keinen Psychiater kannte, der sich auf die Feinheiten der Psyche von Spielern spezialisiert hatte, gab es nur eine Person, an die ich mich wenden konnte. Er sollte alles darüber wissen.

    Aber das würde noch warten müssen. Ich hatte jetzt dringendere Dinge auf meiner Agenda.

    Ich schlich mich zurück ins Schlafzimmer. Julia schlief fest und hatte die Arme auf dem Bett ausgebreitet. Ein paar feine Haarsträhnen ruhten auf ihrer schweißglänzenden Stirn. Ihre wohlgeformte Brust hob und senkte sich unter der Bettdecke im Rhythmus ihres ruhigen Atems. Ich hätte alles dafür gegeben, mich wieder neben sie zu legen und zu vergessen, dass ich zu Litius gehen musste. Aber wie ich seine rastlose Natur kannte, war das keine gute Idee.

    „Julia, ich strich ihr mit der Hand über die Wange, „ich muss mal kurz ins Büro. Ich gebe ihnen nur ein paar Papiere und bin gleich wieder da.

    Sie riss die Augen auf. „Dauert das lange?"

    „Nein, gar nicht. Eine Stunde, vielleicht. Nur hin und wieder zurück. Wie Bilbo."

    „Wie wer?"

    „Bilbo, der größte Hobbit aller Zeiten, der unübertroffene Einbrecher im Dienste der Zwerge und der mutigste Halbling im ganzen Auenland."

    „Was erzählst du da?"

    „Tut mir leid, ich wollte dich nicht verärgern. Aber ich glaube, ich weiß, welchen Film wir uns als Nächstes ansehen werden. Ich küsste sie auf die Nase. „Nur um den Horizont meines Mädchens zu erweitern. Falls du aufstehst, bevor ich zurück bin, ich hielt inne und lauschte den leisen Geräuschen aus der Küche, „das Frühstück steht auf dem Tisch."

    Sie schlief fast sofort wieder ein. Meiner Mutter zufolge war ein guter Schlaf ein Zeichen für ein reines Gewissen. Wenn man dieser Logik folgte, war meine neue Freundin die Unschuld in Person: Sie schnarchte schon leise, bevor ich an der Tür war.

    Das Taxi kam so rasch, dass ich keine Gelegenheit hatte, mich zu erkälten. Schließlich war ich ein Korl und die Temperatur draußen nicht wie Ende Januar, sondern eher wie Anfang Dezember.

    Den Anweisungen von Künstlerin folgend, gab ich dem Taxifahrer die Adresse eines Hauses in derselben Straße, das nur wenige Gehminuten vom der Taverne entfernt war.

    Wie sich herausstellte, war das eine weise Entscheidung. Als wir uns näherten, bemerkte ich, dass die Gegend untypisch belebt war. Nicht mit Normalbürgern, sondern mit Mitspielern, die sich buchstäblich auf der Straße drängten und herum wuselten wie Bürohengste in den Korridoren eines Unternehmens an einem Montagmorgen. Sie alle schienen auf die Taverne zuzusteuern. Was war da los, ein Angebot für ein kostenloses Mittagessen oder so?

    Ich bezahlte den Taxifahrer und schlenderte hinüber, um zu sehen, was der Grund für dieses ganze Aufgebot war.

    Man hätte meinen können, es wäre eine VIP-Veranstaltung, wie die Ankunft eines frisch mit einem Grammy ausgezeichneten Popstars im Gange. Selbst eine Katze hätte Mühe gehabt, sich durch eine solche Menge zu schlängeln, ganz zu schweigen von einem ausgewachsenen Korl wie meiner Wenigkeit. Unbeeindruckt von den Flüchen all derer, die in der Tür standen, quetschte ich mich hinein und machte mich auf die Suche nach Litius.

    Was sich als gar nicht so einfach herausstellte. Drei andere Katzenmänner saßen links von mir und noch einer am Fenster. Zum Glück konnte ich sie inzwischen auseinanderhalten. So gelang es mir nach einer Weile, Litius zu finden, der in einer Ecke neben Künstlerin und Traug saß.

    Sie ausfindig zu machen war eine Sache, sich mit den Ellbogen zu ihnen durchzukämpfen eine ganz andere. Beinahe wäre ich in eine Schlägerei geraten, nachdem ich einem Abbas versehentlich auf den Fuß getreten war. Er drehte sich um, sein Gesicht war eine Maske der Wut, die schwarzen Wucherungen auf seinem Kopf zuckten — aber als er mich sah, änderte sich sein Gesichtsausdruck in den von... Verlegenheit? Er murmelte etwas wie „Pass auf, wo du hintrittst, Kumpel." Dann ging er zur Seite — oder versuchte es zumindest, soweit er sich in der Menge rühren konnte. Trotzdem blieb sein Blick fest auf mich gerichtet. Was für ein seltsamer Typ.

    „Hi", sagte Künstlerin und grinste.

    Ich wollte mir die Augen reiben. Hatte ich mir das nur eingebildet? Aber nein, sie lächelte mich wirklich an.

    Litius sprang fast von seinem Platz auf, als er mich sah. Aber Traug saß einfach nur da, düster wie eine Gewitterwolke, und starrte auf sein Glas mit... Wasser? Was war das hier, eine Art Parallelwelt oder so?

    Litius streckte seine pelzige Pfote zu einem Händedruck aus. „Gr-gr-grüß dich, Sergej."

    Ich drückte seine Pfote, dann gab ich Traug die Hand. Letzterem ging es schlecht. Es ging nicht einmal um sein verwahrlostes Aussehen — soweit ich ihn kannte, befand sich mein Korl-Kollege in einem fast permanenten Katerzustand — aber er wirkte so schlecht gelaunt wie ein Tourist, der das falsche Flugzeug bestiegen hatte und in Wladiwostok statt in Amsterdam gelandet war.

    „Was ist denn hier los?", fragte ich Künstlerin.

    „Siehst du das nicht? Alle beobachten die Ankunft der Reiter in unserer Welt. Man kann sich noch so sehr anstrengen, man kann die Katze nicht lange im Sack lassen."

    Litius wurde hellhörig. „Weißt du, der Gastwirt ist ein bekannter Zauberer. Wie immer, sobald er sich auf ein Thema konzentrierte, war sein Stottern völlig verschwunden. „Vor einiger Zeit ist es ihm gelungen, einen Teil des Entwicklungszweigs eines Sehers in einem mächtigen Wenterkristall einzufangen. Oder ihn zu spalten, wenn man so will. Der Spieler, um dessen Entwicklungszweig es sich handelte, behielt einen Teil davon, während der Kristall sich die andere Hälfte aneignete.

    „Ich wusste nicht, dass man das tun kann", sagte ich.

    „Kannst du nicht, antwortete Künstlerin. „Keine Ahnung, wie der Fischfresser auf diesen ganzen Unsinn kommt.

    Ein schwaches Lächeln huschte über das Gesicht des Katzenmannes und ließ ihn noch mehr wie eine Katze aussehen, die gerade Sahne bekommen hatte. Unbeeindruckt von ihrer Bemerkung fuhr er fort.

    „Der betreffende Seher überlebte die Tortur. Als er zu gegebener Zeit starb, gab er seinen Teil des Entwicklungszweiges an jemand anderen weiter. Aber der Kristall ist immer noch aktiv. In der Zwischenzeit, als die Abfallgrube immer wieder mit technologisch weiter fortgeschrittenen Welten in Kontakt kam, gelang es ihm, seine eigene Entwicklung voranzutreiben. Da kam der Zauberer auf die Idee, den Kristall mit der neuesten Entdeckung der Menschheit zu verbinden: einem Fernsehgerät. Und so zeigt dieser Fernseher hier alles, was die Spieler betrifft, sobald die Normalbürger von ihren Aktivitäten Wind bekommen."

    Künstlerin schnaubte. „Was für ein Quatsch. Ich kenne den Gastwirt schon seit Jahrzehnten. Er hat mir nie etwas Derartiges erzählt."

    „Und wie funktioniert sein Fernseher dann?", fragte ich schmunzelnd.

    Sie verzog das Gesicht, hielt aber den Mund. Vielleicht war die Geschichte ein bisschen zu weit hergeholt, aber sie ergab dennoch irgendwie Sinn. Außerdem hatte ich bei Litius mit seiner Intelligenz und seiner Fähigkeit, Daten zu beschaffen, das komische Gefühl, dass vieles von dem, was er so erzählte, tatsächlich wahr sein konnte.

    Gerade als wir uns unterhielten, zeigte das Fernsehen einige Wächter, die Trümmer durchsuchten. In ihren langen schwarzen Gewändern und Masken schritten sie langsam durch die Verwüstung, die das Erdbeben hinterlassen hatte, und hielten ihre Hände vor sich, als würden sie den Weg durch einen dunklen Raum ertasten.

    Aus Neugier holte ich meinen Spiegel der Wahrheit hervor und warf einen Blick hinein, um zu sehen, was die Normalbürger auf dem Fernsehbildschirm gesehen haben mussten. Alles, was ich sah, war eine Gruppe von Rettungskräften in hellen Overalls, die mit einem Rettungshund an den Trümmern entlangliefen.

    „Suchen sie nach Überlebenden?", fragte ich.

    „Ja. Hier wimmelt es nur so von Wächtern, antwortete Künstlerin. „Einige versuchen, diejenigen zu retten, die noch gerettet werden können. Andere suchen nach den Reitern.

    „Hatten Sie Erfolg?"

    „Sehe ich so aus, als würden sie mir das sagen?, fragte sie. „Es ist ja nicht so, dass ich auf der Besucherliste des Häuptlings stehe. Abgesehen davon wäre es vielleicht besser, mit einem Antenor zu sprechen. Alternativ könnten wir auch einen der Seher fragen. Aber in Wahrheit ist fernsehen das Einzige, was wir im Moment tun können.

    Das war doch mal ein Gedanke. Immerhin stand ich auf der Besucherliste des Großmeisters des Ordens, oder? Also konnte ich ihm einen Besuch abstatten und mich nach seinem Wohlbefinden erkundigen. Warum nicht? Er hatte mir gesagt, ich solle ihn Numa nennen, nicht wahr? Vorausgesetzt, Google hatte nicht gelogen und ich hatte den Namen richtig geschrieben, war dieser Seher sogar älter als der Doppelgesichtige selbst.

    „Okay, ich werde es mir vielleicht später ansehen, antwortete ich. „Aber ich habe den Eindruck, dass wir uns jetzt um wichtigere Dinge kümmern müssen. Und damit meine ich nicht, dass unser Freund Traug endlich abstinent geworden ist.

    Meine Bemerkung hatte eine ziemlich unerwartete Wirkung. Künstlerin lachte laut und grinste Traug an, der die Zähne zusammenbiss und trotzig die Arme verschränkte. Litius zuckte nervös mit dem Schwanz. Offensichtlich hatte mein früherer Scherz mit der Andeutung einer gleichgeschlechtlichen (oder vielmehr rassenübergreifenden) Beziehung die gewünschte Wirkung auf ihre männlichen Egos gehabt.

    „Traug, alles in Ordnung, Mann?, fragte ich unschuldig. „Ist das Bier nicht nach deinem Geschmack?

    „Es geht mir gut, brummte er und starrte mich düster an. „Mir geht es absolut gut.

    „Bist du sicher?, beharrte ich und gab mein Bestes, um nicht in Gelächter auszubrechen. „Du bist nur ein bisschen komisch heute. Du hast noch gar nichts gesagt. Und du hast dein Bier nicht angerührt.

    „Ich glaube, du hast recht, sagte Traug und schüttelte seine sonst so zerzauste Mähne, die heute ordentlich zu einem Pferdeschwanz gebunden war. „Es ist an der Zeit, dass ich mir das abgewöhne. Trinken kann alle möglichen Probleme verursachen.

    „Sicher. Eines Tages wachst du vielleicht auf und entdeckst eine Menge neuer Dinge über dich."

    Ich konnte mich einfach nicht mehr zurückhalten. Künstlerin hatte die ganze Zeit über gekichert. Jetzt, wo die Probleme ihres Bruders endlich gelöst waren, wirkte sie ganz anders. Sie war nicht mehr so distanziert — sie wirkte... lebendiger? Jetzt vergrub sie das Gesicht in den Händen, aber ihre zuckenden Schultern verrieten einen Lachanfall.

    Auch ich konnte unmöglich ernst bleiben, also beeilte ich mich, es zu erklären: „Traug, es tut mir leid, Mann... das war ich..."

    Ich kam nicht dazu, es zu erklären, denn Künstlerin und ich lachten so laut, dass die Spieler, die uns am nächsten standen, das Interesse am Fernseher verloren und uns entrüstet anstarrten.

    Es dauerte noch ein paar Minuten, bis wir uns beruhigt hatten und Traug von meinem Scherz erzählen konnten. Ich atmete immer noch schwer und beeilte mich, es loszuwerden, solange es noch ging — denn nach Traugs Gesichtsausdruck zu urteilen, sah meine Zukunft nicht allzu rosig aus.

    Als ich geendet hatte, herrschte eine drückende Stille. Und dann... brach Traug in schallendes Gelächter aus.

    „Litius, hast du das gehört? Diese Scheißkerle! Das waren sie! Er klopfte mir kräftig auf die Schulter. „Du elender Bastard! Du hast es die ganze Zeit gewusst! Litius, hast du gehört?

    „Ja, habe ich", antwortete der Katzenmann melancholisch.

    „Du Mistkerl!" Traug gab mir noch einen kräftigen Klaps auf die Schulter, der meine Lebenspunkteleiste zum Zittern brachte.

    Deine Fertigkeit Ungepanzerter Kampf ist auf Level 10 gestiegen.

    Du hast die Meisterschaft in der folgenden Fertigkeit erlangt: Ungepanzerter Kampf.

    Meisterschaftsstufe: 1

    Ermöglicht es dir, einmal pro Kampf den gesamten mit einer stumpfen Waffe zugefügten Schaden zu absorbieren.

    Das nutzte ich sofort, denn der überemotionale Traug verpasste mir gleich noch einen Schlag auf die Schulter, den kräftigsten der drei. Normalerweise bräuchte man nach so einer Attacke eine Schulterprothese, weil von der eigenen nicht mehr viel übrig wäre. Aber nein, dieses Mal zuckte mein Lebenspunktebalken nicht einmal.

    „Verflixte Witzbolde", brummte Traug und stand auf.

    „Wo willst du denn hin?"

    „Ich hole mir einen Drink."

    „Ich dachte, du hättest gesagt, Trinken würde alle möglichen Probleme verursachen?"

    „Ach, vergiss es, wischte Traug meine Einwände weg. „Am Ende ist es doch gut gegangen, oder?

    Er bahnte sich mit dem Ellbogen einen Weg an all den stehenden Spielern vorbei, die sich um die Tische drängten, und bahnte sich mit der Entschlossenheit eines Eisbrechers den Weg zur Bar.

    „Also, worüber wolltest du mit mir sprechen?", fragte ich Litius und tastete vorsichtig meine Schulter ab.

    „Er hat es geschafft, den Verkäufer ausfindig zu machen, verriet Künstlerin. „Komm schon, Löwe, zögere es nicht hinaus! Rede!

    „Das werde ich, wenn ich die Gelegenheit dazu bekomme, antwortete er mit einem betont würdevollen, stolzen Ausdruck — offenbar als Vergeltung für den ‚Fischfresser‘. „Der Verkäufer nennt sich Klette. Sein richtiger Name ist François Soler. Er wurde vor 19 Jahren als Spieler initiiert. Er ist auf seltene Gegenstände spezialisiert und hat Kunden von überall, nicht nur von den benachbarten Welten, sondern sogar von Qird und Archaeth.

    Litius verstummte, denn Traug war schon wieder da und hielt sieben Bierkrüge in der Hand. Er gab uns je einen und behielt die restlichen vier.

    Ich schüttelte den Kopf. „Für mich nicht, danke. Ich habe noch eine Menge zu tun."

    Künstlerin schob ihren Becher ebenfalls weg. Litius hingegen nahm ein paar katzenhafte Schlucke seines Getränks, wie es seine Gewohnheit war, und stürzte es dann in einem Zug hinunter.

    „Die meisten seiner Kunden sind Archali, fuhr er fort. „Aber vor etwa einem Monat stellte er fest, dass einer seiner Gegenstände fehlte. Er beschuldigte die Archali des Diebstahls und beendete alle Geschäfte mit ihnen. Dann ist er nach Noggle gereist.

    „Warum Noggle?", wollte ich wissen.

    „Nach meinen Informationen will er ein paar Söldner anheuern und sich den gestohlenen Gegenstand von den Archali mit Gewalt zurückholen."

    „Dort gibt es viele Hitzköpfe, die dazu bereit wären", stimmte Traug zu und nippte an seinem Bier.

    „Oh. Und wie kommst du darauf, dass es sich bei dem fehlenden Gegenstand um das handelt, wonach wir suchen?"

    „Weil die Archali vor nicht allzu langer Zeit verkündet haben, dass es ihnen gelungen ist, in einer Schlacht ein wichtiges Artefakt zu erbeuten, das seit Jahrhunderten als verloren galt. Certhall heißt es. Doch jetzt wird es kompliziert. In keiner der bekannten Chroniken findet sich eine Beschreibung des Objekts. Alles, was wir wissen, ist, dass es irgendwann einmal dem ersten General aller Legionen gehörte. Ich hatte wirklich eine Menge Daten zu verarbeiten, weshalb unser Freund hier mir freundlicherweise etwas Stok besorgt hat."

    Ich zog die Augenbrauen hoch. Nicht etwa, weil selbst Litius mit seinem Superhirn ab und zu ein illegales Aufputschmittel brauchte. Aber — er hatte Traug gerade als seinen Freund bezeichnet! So etwas hatte selbst ich noch nie gesagt.

    Um mein Erstaunen zu verbergen, tat ich so, als würde ich mich aktiv für das Gespräch interessieren. „Okay, aber das heißt doch nicht, dass Traug auch high werden muss!"

    „Es ist nur so, dass ich immer, wenn ich es nehme, irgendwie ein anderer Mensch werde, antwortete Traug. „Jemand, der stark und gutaussehend ist. Wach, präsent und gut drauf, wenn du weißt, was ich meine. Die Frauen werfen sich mir einfach an den Hals. Während Litius mit den Büchern beschäftigt war, habe ich zwei Mädels getroffen, wie du sie noch nie gesehen hast, machte Traugs Hände zeichneten vor seiner Brus Rundungen in die Luft, die sich wahrscheinlich nicht auf den IQ der Mädchen bezogen.

    Ich bedeutete ihm, damit aufzuhören. Im Moment war ich wirklich nicht an seinen sexuellen Heldentaten interessiert. Ich musste wissen, was für Informationen Litius in unserer Bibliothek ausgegraben hatte. „Erspar mir die Details, ja? Also, Litius, wo warst du?"

    „Ich habe keinerlei dokumentierte Beweise für das Artefakt gefunden. Was ich fand, waren ein paar Erwähnungen in einer Reihe alter, epischer Gedichte. Hier ist, was in der mittelalterlichen Erzählung von der Heerschar des Heiligen steht:

    Und dann schmückte er das Schwert mit dem Stein.

    Seine schwarze Seele freute sich über die teuflische Tat.

    Doch seine elenden Pläne werden bald vereitelt:

    Die Stunde wird kommen, da Certhall wieder befreit wird.

    „Es gibt mehrere weniger bedeutende Erwähnungen in anderen Quellen, aber alle beschreiben Certhall als einen Stein."

    „Wie hieß es in der Prophezeiung? ‚Das Verschwinden eines Steins in der Abfallgrube kann die Richtung einer Handelsroute in Elysium ändern.‘ Das könnte passen. Fragt sich nur, wie wir ihn in die Hände bekommen."

    „Es gibt nur einen Mann, der zu wissen scheint, wo er sich befinden könnte, wenn man bedenkt, dass er nach Söldnern sucht", sagte Künstlerin.

    „Sicher, bestätigte Traug. Nach kurzem Zögern schob er Litius ein weiteres Bier zu. „Und wenn er in Noggle nach ihnen sucht, kann er auch nicht allzu schwer zu finden sein. Also! Wann reisen wir ab?

    Ich traute meinen Ohren nicht. „Ihr kommt mit?"

    Künstlerin zuckte mit den Schultern. „Du hast mir zweimal das Leben gerettet, also bin ich dir das schuldig, oder? Ganz zu schweigen von dem Geld, das ich dir noch zurückzahlen muss."

    Litius wedelte mit dem Schwanz. „Soweit ich weiß, besitzen diese Steine erstaunliche Kräfte. Ich wäre gerne dabei, wenn sie sich manifestieren."

    Stille trat ein. Schließlich wandten sich Künstlerin und Litius (und zugegebenermaßen auch ich) Traug zu.

    Er trank seinen Becher leer, stellte ihn auf den Tisch zurück und rülpste kräftig. Dann warf er uns einen langen Blick zu und kratzte sich an der Stirn.

    „Ehrlich gesagt bin ich nicht der beliebteste Typ in diesem Teil der Welt, sagte er. „Viele Noggleaner können nachts nicht schlafen, wenn sie an Traug von Keralon denken und daran, wie gerne sie ein Messer zwischen seinen Rippen versenken würden. Aber für jemanden wie dich, warum nicht? Ich bin hier in diesem Loch etwas eingerostet. Es ist nicht gut, wenn das Blut eines Kriegers schal wird. Und mit dir wird es offensichtlich nie langweilig. Also unter einer Bedingung.

    „Die wäre?"

    „Keine fiesen Streiche mehr!"

    Kapitel 2

    DAS SCHLIMMSTE, was ein alleinstehender Mann in seinem Badezimmer vorfinden konnte, war eine zweite Zahnbürste. Denn, wie er aus Erfahrung wusste, würde sie sich bald um mehrere Reihen mit verschiedenen Arten von Gesichtscremes, Körperlotionen, Handcremes, Fußcremes, Shampoos, Haarspülungen, Haarsprays, Peelinggels und dergleichen erweitern.

    Das erklärte, warum ich, als ich zurückkam und ins Badezimmer ging, um mir die Hände zu waschen, die nagelneue Zahnbürste dort mit einer gewissen Besorgnis betrachtete.

    „Alles in Ordnung?", fragte Julia aus der Küche.

    Sie trug mein unförmiges altes T-Shirt. Zugegeben, sie sah darin viel besser aus als ich.

    Ich lächelte. „Ja, das war gar nichts. Aber vielleicht schicken sie mich schon bald wieder auf eine Geschäftsreise."

    „Nicht schon wieder! Wann denn? Für wie lange?"

    „Das wissen sie noch nicht. Sie müssen sich erst ein paar Papiere ansehen. Und was steht bei dir auf dem Programm?"

    „Ich muss meinen Doktorvater treffen. Ich möchte ihm den Anfang des Kapitels zeigen."

    Am liebsten hätte ich ihre Arbeit sabotiert. Ich hätte ihr das Treffen ausreden können. Dann hätten wir den ganzen Tag im Bett bleiben und uns Der Herrn der Ringe und anschließend Der Hobbit ansehen können. Doch auch ich musste mich um ein paar Dinge kümmern.

    Vor allem musste ich so schnell wie möglich mit Jäger sprechen.

    Sobald ich Julia zur Tür hinausgehen sah, eilte ich zur Baugrube, weil ich fürchtete, zu spät zum Training zu kommen. Ich wollte ein nettes, langes Gespräch mit Jäger führen.

    Ich musste ihm die ganze Sache erzählen. Ich hatte einige Fragen an ihn und hoffte auch auf einen Ratschlag, wie ich jetzt mit meinem Leben weitermachen sollte.

    Doch die windgepeitschten Fundamente waren menschenleer. Nirgendwo eine Spur von Jäger. Ich wartete gut 20 Minuten, um auf Nummer sicher zu gehen und um endlich zu begreifen, dass selbst Korls fast erfrieren konnten, wenn sie lange genug regungslos in der Kälte standen. Ich rief ihn ein paar Mal an, aber sein Handy war außer Reichweite.

    Ich ging zurück, um zu sehen, ob er zu Hause war, aber niemand öffnete die Tür. Blieb nur die Gemeinde. Also ging ich als Nächstes dorthin.

    Während der Taxifahrt fragte ich mich, was wohl geschehen sein mochte, dass mein Mentor auf unser Training verzichtete.

    Auf den ersten Blick sah es so aus, als würde in der Gemeinde das Kriegsrecht herrschen. Sechs Wachen am Eingang starrten mich an, als ich vorbeiging, sagten aber nichts. Im Inneren waren es nicht so viele, nur eine gelegentliche Patrouille und drei weitere Gruppen, die jeweils das Syndikat, den anderen Ausgang und die eigentlichen Tore bewachten. Es war nur ein Bruchteil dessen, was ich beim letzten Mal hier gesehen hatte, als fast der gesamte Seherorden massakriert worden war.

    Jäger konnte ich auch hier nicht finden. Er war weder in den Geschäften noch im Syndikat gesehen worden. Außerdem war der Ort heute bemerkenswert schwach bevölkert. Die Spieler, denen ich begegnete, musterten mich mit einer Art grimmiger Entschlossenheit. Meinen Beobachtungsfähigkeiten nach zu urteilen, folgten sie alle der gleichen Route, einige gingen in Richtung der Residenz des Häuptlings, andere verließen sie.

    Wie interessant. Meine Beine trugen mich wie von selbst hinter ihnen her.

    Als ich das vertraute Gebäude umrundete, war ich verblüfft. Kein Wunder, dass der Ort menschenleer wirkte! Alle waren hier. Zwei Wachen, unterstützt von mehreren Spezialeinsatzkräften, die ich hier schon einmal gesehen hatte, waren damit beschäftigt, eine lange Schlange von Leuten zu kontrollieren, die offenbar alle einen Termin mit dem Häuptling hatten. Weiter weg von der Tür löste sich die Schlange in einer ungeordneten Menge von Schaulustigen wie mir auf.

    Ich tat so, als hätte ich jemanden bemerkt, den ich kannte, trat zur Seite und begann, das Kommen und Gehen zu beobachten. Alle Arten von Spielern betraten das Haus des Häuptlings. Einige verließen es fast sofort wieder, während andere drinnen verweilten, offenbar um richtig verhört zu werden.

    Auch die Emotionen der Besucher waren sehr unterschiedlich. Die meisten von ihnen konnten ein zufriedenes Grinsen nicht verbergen. Einige hielten sogar inne, um den anderen ihre Handgelenke zu zeigen, die scheinbar mit identischen Zeichen in silberner Farbe versehen waren. Das Zeichen zeigte zwei gekreuzte Linien innerhalb eines Kreises; eine dritte Linie, länger als die beiden anderen, teilte den Kreis in zwei identische Hälften.

    Einige der anderen verließen das Haus des Häuptlings mit grimmigen Gesichtern und waren nicht bereit, Fragen zu beantworten, da sie es offenbar eilig hatten, die Gemeinde zu verlassen.

    „Sergej?" Jägers Stimme kam von hinter mir. „Was machst du denn hier?"

    Er packte mich an der Schulter und zerrte mich zur Seite, offenbar nicht sehr erfreut, mich zu sehen. Ich erblickte das gleiche silberne Muster auf seinem Handgelenk, etwas größer und ausgeprägter als bei den anderen.

    „Ich dachte, ich könnte vielleicht deinem Club beitreten", sagte ich.

    „Ach, halt die Klappe und komm mit!"

    Er zerrte mich beinahe in Richtung Syndikat, direkt unter den Blicken der desinteressierten Wachen, die sich sogar demonstrativ abwandten. Was war das denn für ein polizeiliches Fehlverhalten?

    Das Syndikat war praktisch leer. Jäger schickte den hoffnungsvollen Barkeeper weg, der auf uns zugestürmt war, und setzte sich dann an einen Tisch, gab sich aber Mühe, meinem Blick auszuweichen.

    „Ich bin ein lausiger Mentor", sagte er leise.

    „Wovon redest du? Ich habe so viel von dir gelernt!"

    „Aber du hättest noch so viel mehr lernen können. Das ist nicht mehr zu ändern. Wir stehen jetzt ein wenig unter Zeitdruck. Wir müssen den Orden vorbereiten. Ich hatte gehofft, wir hätten etwas mehr Spielraum."

    „Der Orden? Du meinst die Typen, die die Hände der Leute mit silberner Farbe bemalen?"

    „Das ist nicht nur Farbe. Es ist ein mächtiger Zauberspruch. Es ist ein Zeichen, das uns alle miteinander verbindet. Wenn einer von uns stirbt, spüren es die anderen sofort. Wenn einer von uns Hilfe braucht, kommen wir alle zu seiner oder ihrer Rettung."

    „Ihr wollt also gegen die Reiter kämpfen?"

    „Nicht direkt. Das war nicht der ursprüngliche Zweck unseres Ordens. Nachdem wir den verloren hatten, löste sich der Orden auf. Alles, was von ihm übrig ist, sind ein paar Hüter des heiligen Artefakts. Und das ist jetzt auch weg."

    „Ein paar? Das waren eine Menge Leute da drüben!"

    „Die überlebenden Ordensmitglieder haben ihre Schüler mitgebracht, die wiederum ihre Schüler eingeladen haben. Die Abfallgrube ist ein ruhiger kleiner Ort, perfekt für diejenigen, die von ihrem Weg abgekommen sind. Für erfahrene Spieler ist sicher genug, um zu überleben. Trotzdem werden unsere Reihen immer dünner. Außerdem müssen wir viele Bewerber abweisen."

    „Warum?"

    „Hast du nicht gehört, was die Reiter früher gemacht haben?"

    „Ja, irgendwie schon, aber..."

    „Sie haben eine Art Wettbewerb zwischen den Spielern ins Leben gerufen, ein krankes Schachspiel, bei dem Menschen als entbehrliche Spielfiguren eingesetzt werden. Oder hast du wirklich geglaubt, dass nur vier Reiter in den vergangenen Jahrhunderten so viel Unheil anrichten konnten? Sie hatten viele Gefolgsleute unter den Spielern, die sich der Herrschaft des Stärkeren angeschlossen hatten. Nachdem die Reiter gefangen genommen worden waren, wurden auch sie zu Geächteten erklärt und auf Schritt und Tritt gejagt. Einige von ihnen haben wir erwischt, andere konnten entkommen."

    „Denkst du, dass welche überlebt haben? Glaubst du, sie werden sich den Reitern wieder anschließen?"

    „Das haben sie bereits. Es gibt etwas, das du verstehen musst. Die bevorstehende Schlacht ist kein belangloses Gezänk zwischen einem Haufen verrückter Halbgötter und den etablierten Mächten der Abfallgrube. Es handelt sich um eine Konfrontation zweier gegensätzlicher Kräfte. Es wird immer diejenigen geben, die mit der bestehenden Ordnung unzufrieden sind, aber wirklich gefährlich sind diejenigen, die geschlummert haben, aber in der Lage sind, in einem Augenblick zu erwachen. Das sind die Schlimmsten."

    „Deshalb hast du dich entschlossen, den Orden zusammenzurufen?"

    Er schüttelte frustriert den Kopf. „Nein. Unser Ziel war ein anderes — aber es hat auf jeden Fall etwas mit den Reitern zu tun. Das ist alles, was ich dir sagen kann, fürchte ich. Wir werden uns wohl eine ganze Weile nicht sehen. Ich habe meine Frau zu ihrer Schwester nach Novosibirsk geschickt. Ich hoffe nur, dass sie dort sicher sein wird. Bleibst noch du. Versuch, dich aus großen Schlachten herauszuhalten, solange du kannst. Ich fürchte, sie werden dich trotzdem finden. Wenn du Fragen hast, dann stell sie jetzt."

    Ich war etwas ratlos angesichts der Fülle an Informationen, die er mir mitteilte — Jäger war normalerweise nicht der gesprächige Typ — aber ich musste mich zusammenreißen. „Wer bekommt die Avatare von jemandem, der gestorben ist? Als Morbian starb, hatte ich die Wahl zwischen dreien. Ich habe einen genommen. Was geschah mit den anderen beiden?"

    „Das wird dir niemand sagen. Sie gehen in eine Art Scheintod, wie ich es nenne. Wenn ein solcher Spieler zum Beispiel bei einem Unfall stirbt, bedeutet das nicht, dass der Avatar auf irgendeinen eingeweihten Normalbürger übergeht, der zufällig dem Unfallort am nächsten war. Er oder sie sollte auch eine gewisse Affinität dazu haben. Deshalb kann es sein, dass der Avatar sich in den Scheintod zurückzieht, um auf den richtigen Spieler zu warten, der zu ihm kommt."

    „Moment mal. Heißt das, dass ich den Erlöser bekommen habe, weil der Chorul ihn hatte? Oder weil er auf den richtigen Kandidaten gewartet hat?"

    „Ich weiß es nicht. Es könnte beides sein. Vielleicht wissen die Choruls mehr darüber."

    „Noch etwas. Wenn Avatare so etwas wie Gefühle haben, können sie dann versuchen, ihren Wirt zu kontrollieren? Man kann zu einigen von ihnen eine Affinität haben, das verstehe ich. Aber was ist mit denen, die man gewonnen hat, weil man zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort war?"

    Er wurde hellhörig. „Warum, ist etwas passiert?"

    „Ich weiß es nicht genau. Es war, als würde ich eine innere Stimme hören. Sie sprach so deutlich, dass ich klar erkennen konnte, dass das Gesagte nicht meine eigenen Gedanken waren."

    „Avatare haben einen gewissen Einfluss auf ihre Wirte, das ist wahr. Aber im Moment hast du nichts zu befürchten. Es ist besser, eine mächtige Quelle des Lichts mit einem winzigen Fleckchen Dunkelheit in sich zu sein als andersherum. Wenn es hart auf hart kommt, kannst du die Avatare, die du zufällig bekommen hast, immer noch zurückweisen."

    Seine Worte fühlten sich seltsam unangenehm an. „Zurückweisen?"

    „Ja. Das würde es dem abgelehnten Avatar ermöglichen, sich in die Vergessenheit zurückzuziehen und auf einen geeigneteren Spieler zu warten. Aber nur wenige Menschen sind dazu in der Lage. Avatare sind zu selten und zu kostbar, um sie zu verschwenden. Wenn jemand wie Morbian nur drei gehabt hätte... Würdest du mir zeigen, was du von ihm bekommen hast?"

    Ich griff in mein Inventar, holte den Stein und die Armbrust heraus und legte sie vor ihm auf den Tisch.

    Jäger beugte sich zu den Gegenständen, ohne sie zu berühren, als hätte er Angst, sie beschädigen, und betrachtete sie.

    „Du musst einen guten Juwelier finden, der diesen Stein richtig schleifen kann, sagte er schließlich. „Er könnte die Werte eines jeden Gegenstands verbessern. Allerdings könnte er sich auch als Attrappe herausstellen. Aber die hier, er deutete auf die Armbrust, „ist wirklich ein schönes Stück. Eine solche Handwerkskunst habe ich schon lange nicht mehr gesehen."

    „Sie stammt aus einer Welt namens Schmiedekunst."

    „Das habe ich mir schon gedacht. Wie hoch ist dein Schützenlevel?"

    „Ähm, ich habe noch keines. Selbst das eine Mal, als ich die Pistole abgefeuert habe, habe ich keines erreicht."

    „Nun, ich bin nicht die richtige Person, um es dir beizubringen — und wir haben ohnehin keine Zeit dafür. Aber ich habe einen Freund. Er war früher ständig unterwegs, aber vor etwa 100 Jahren hat er beschlossen, zu seinen Wurzeln zurückzukehren. Er ist der beste Lehrer für alle Arten von Handfeuerwaffen. Und soweit ich mich erinnere, war die Armbrust immer seine Lieblingswaffe."

    „Wer ist das?"

    „Du kannst ihn Will nennen. Sag ihm einfach, dass ich dich geschickt habe. Er sorgt dafür, dass Fremde ihn nicht so leicht finden können, also wird er dich fragen, woher du kommst. Hier, nimm das." Mein Mentor materialisierte einen grauen Kristall, der über und über glitzerte wie ein nagelneuer Lada Granta. „Der ist nicht für dich. Gib ihm den als Gegenleistung für deine Ausbildung. Ich bin mir nicht sicher, wie viel er tun wird, aber er wird dir zeigen, wo es lang geht. Und das ist für dich. Mein Geschenk an dich, bevor wir uns trennen."

    Der Staub in Jägers Händen verwandelte sich in einen weiteren Kristall, dessen Facetten golden schimmerten. Er war zwar nicht so groß wie der graue, aber er sah irgendwie besser definiert aus, wie ein edles Kunstwerk. Es war wirklich schade, ihn zu zerbröseln, aber meine Neugierde siegte über meinen inneren Ästheten.

    Der Kristall zerfiel und machte mich um einen Zauber reicher.

    Schleier (Modifikation). Eine einmalige Fähigkeit, um allen magischen Schaden zu absorbieren.

    Kosten: 100 Mana

    Dauer: 60 min

    Mein Atem stockte. Ich hatte jetzt beide Schutzzauber. Am liebsten hätte ich auch noch Antimagie gehabt, den Harph damals auf dem Hügel gewirkt hatte, aber das wäre zu gierig gewesen.

    „Vielen Dank", sagte ich.

    „Eines Tages wirst du ihn vielleicht brauchen. Hier ist die Adresse von Will."

    Ich fragte mich immer wieder, wie viel Staub mein Mentor heute für mich ausgegeben hatte. Allein Schleier musste schon sehr teuer gewesen sein. Wenn man die Größe des grauen Kristalls bedachte, musste sein Wert sogar noch höher sein. Das einzig Billige, das Jäger mir gegeben hatte, war ein Pergament mit einer Karte darauf. Dabei konnte ich ja jetzt auch selbst Karten machen! Hatte ich nicht genau so ein kleines Pergamentblatt angefertigt, auf dem zur Erleichterung der Stadtwachen bereits eine Markierung für Talsians Ausgrabungen eingezeichnet war? Und ich hatte es gleich beim ersten Mal richtig gemacht!

    Das Pergament in meinen Händen schrumpfte und zerbröselte auf dem Tisch. Es schien wegzuschmelzen — aber es blieb keine Asche zurück.

    Ich überprüfte meine Interface-Karte. Mitten in Europa — nicht weit von Paris entfernt — war ein kleiner Punkt aufgetaucht, der eine neue Stadt markierte. Ihr Name war Biel. Alle anderen Orte, die mir auf der Karte zur Verfügung standen, hatten zwei Namen: ihren Spielnamen in Klammern neben ihrem Normalbürger-Namen. Aber dieser Ort hatte keinen. Er hieß Biel. Einfach nur Biel.

    „Und wann soll ich dorthin?", fragte ich.

    „Je früher, desto besser. Okay, ich muss jetzt los. Wir sehen uns bald... hoffe ich."

    Der Ausdruck in seinen Augen war irgendwie seltsam. Reumütig? Er schüttelte meine Hand, klopfte mir auf die Schulter und verließ das Syndikat.

    Ich packte alle Sachen in mein Inventar und schaute nachdenklich auf mein Handy. Der Tag hatte gerade erst begonnen. Ich hatte heute eigentlich nichts zu tun. Durch Tore zu teleportieren, dauerte nur ein paar Sekunden. Ich könnte dorthin gehen und mit Will sprechen, warum nicht?

    Aber zuerst musste ich meine Belohnung für die erfüllte Mission einlösen.

    Der Mann hinter dem Tresen sah nicht gerade erfreut aus, als ich ihm alle Fluoritenflügelchen — die ich mit Künstlerins Hilfe gesammelt hatte — vor die Nase hielt. Kaum dass ich ihm den Zettel mit dem Auftrag überreichte, spießte er ihn auf dem Stachel auf.

    Weniger als eine Minute später verließ ich das Syndikat mit 200 Gramm Staub in der Tasche. Wäre nur alles im Leben so einfach gewesen.

    Ich hatte erwartet, am Ausgang angehalten zu werden, und war auf eine Ausweiskontrolle und eine gründliche Durchsuchung nach illegalen Substanzen vorbereitet. Doch die Wachen drehten ihre maskierten Gesichter einfach in meine Richtung und verfolgten mich mit ihren melancholischen Blicken. Das musste etwas mit einem Spieler zu tun haben, der in einiger Entfernung vom Kontrollpunkt stand. Meine Einsicht identifizierte ihn als Meister der Wahrnehmung.

    Doch selbst als ich an den Toren ankam, waren noch nicht alle meine Probleme gelöst. Erstens hatte ich keine Ahnung, wie ich zu diesem Biel kommen sollte. Er stand nicht in dem dicken Wälzer des Torwächters mit allen verfügbaren Zielen. Ich wusste nur, dass es irgendwo in der Schweiz lag. Die wiederum, wenn ich mich nicht irrte, irgendwo zwischen Deutschland, Italien und Frankreich lag.

    Ich hätte auf der Karte meines Mobiltelefons nachsehen können, aber das funktionierte hier ja leider nicht. Es sah so aus, als müsste ich die Gemeinde verlassen, nur um es zu googeln.

    Ich stieß einen Seufzer aus und schüttelte den Kopf. Das größte Problem unserer Generation war, dass wir ohne unsere technischen Hilfsmittel und das Internet nicht viel vorzuweisen hatten. Das war mir schon klar geworden, als ich all diese Bücher über Portalreisende gelesen hatte, die irgendwo im finsteren Mittelalter gelandet waren. Ich wollte nicht in deren Haut stecken. Die mittelalterlichen Menschen hätten mich sicher als absolut nutzlose Kreatur hängen oder anderweitig hinrichten lassen. All die Erfahrung und das Wissen

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