GALAXIS SCIENCE FICTION, Band 31: DIE LAUTLOSE INVASION: Geschichten aus der Welt von Morgen - wie man sie sich gestern vorgestellt hat.
Von Christian Dörge, Bob Shaw und H. B. Hickey
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Über dieses E-Book
Aber keine Angst, dieses Haus findet sich immer und überall – ein großes, leerstehendes, baufälliges Gebäude. Gewöhnlich ist es mit fast schwarzgrünen Tannen oder Immergrün umgeben, nie stand es zum Verkauf, niemals wurde es abgerissen, anscheinend besitzt es eine geheimnisvolle Immunität gegen Grundstücksmakler. In der kleinen Stadt, in der ich lebe, war es eben das Guthrie-Haus, das diesen Anforderungen am besten genügte. Seit meiner Kindheit habe ich nicht mehr daran gedacht – aber es war natürlich die ganze Zeit über dagewesen, düster, verkommen, abweisend –, und ich hätte mir denken können, dass es auch auf jede andere Generation von Kindern dieselbe Faszination ausüben würde.
(aus: Die lautlose Invasion von Bob Shaw.)
Die von Christian Dörge zusammengestellte Anthologie Die lautlose Invasion enthält fünf Erzählungen von Gordon Eklund, Bob Shaw, Michael G. Coney, H. B. Hickey, und R. A. Lafferty.
Die lautlose Invasion erscheint in der Reihe GALAXIS SCIENCE FICTION aus dem Apex-Verlag, in der SF-Pulp-Klassiker als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden.
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Buchvorschau
GALAXIS SCIENCE FICTION, Band 31 - Christian Dörge
Das Buch
Aber keine Angst, dieses Haus findet sich immer und überall – ein großes, leerstehendes, baufälliges Gebäude. Gewöhnlich ist es mit fast schwarzgrünen Tannen oder Immergrün umgeben, nie stand es zum Verkauf, niemals wurde es abgerissen, anscheinend besitzt es eine geheimnisvolle Immunität gegen Grundstücksmakler. In der kleinen Stadt, in der ich lebe, war es eben das Guthrie-Haus, das diesen Anforderungen am besten genügte. Seit meiner Kindheit habe ich nicht mehr daran gedacht – aber es war natürlich die ganze Zeit über dagewesen, düster, verkommen, abweisend –, und ich hätte mir denken können, dass es auch auf jede andere Generation von Kindern dieselbe Faszination ausüben würde.
(aus: Die lautlose Invasion von Bob Shaw.)
Die von Christian Dörge zusammengestellte Anthologie Die lautlose Invasion enthält fünf Erzählungen von Gordon Eklund, Bob Shaw, Michael G. Coney, H. B. Hickey, und R. A. Lafferty.
Die lautlose Invasion erscheint in der Reihe GALAXIS SCIENCE FICTION aus dem Apex-Verlag, in der SF-Pulp-Klassiker als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden.
1. Gordon Eklund: UNSERE LIEBE TANTE ANNIE
(Dear Aunt Annie)
Liebe Tante Annie,
ich denke oft, dass ich langsam verrückt werde – nein, ich meine es im Ernst – verrückt. Letzte Woche, am Donnerstag, versuchte ich mich zu töten. Ich weiß, dass das gemeinhin als unmöglich gilt. Der Arzt kam dann auch vorbei und hat mir das Leben gerettet. Er hat es einen Unfall genannt. Ich weiß nicht recht. Nur weil das sonst niemand tut – soll das etwa heißen, dass ich nicht anders sein kann als die anderen? Sie müssen mir helfen. Ich möchte nicht sterben, und mit niemand sonst kann ich reden. Erwähnen Sie bitte diesen Brief nicht meinem Mann gegenüber. Er würde es nicht verstehen.
In großer Not.
Mathews Abenteuer in Brooklyn
Nehmen wir diesen Brief so, wie er geschrieben ist – leuchtend grüne Tinte auf rosa Papier – und stecken ihn in den Identifikator. Klick – klick – klick, und in spätestens zwei Minuten kennen wir den Absender, Name und Adresse. Mrs. Ronald R. Wheatley in Brooklyn. Um Gottes willen, Brooklyn. Und ich dachte schon, dort würde seit dem letzten großen Krieg keine Menschenseele mehr wohnen. Tante Annie sagt, ich soll das hier persönlich erledigen. Es steckt zu viel Zündstoff in der Sache. Sie ist zu seltsam, als dass man sie einem Assistenten in die Hand geben könnte. Fünf Minuten später war ich schon unterwegs, mit dem Brief in der Hand.
Brooklyn ist ein so lausiges und dreckiges Viertel, dass keiner der Fremdenführer auch nur den Namen erwähnt. Die Bomben haben damals ganze Arbeit geleistet. Den Rest besorgten dann die Straßenräuber, die gelegentlich noch in das Viertel kamen, hauptsächlich auf der Jagd nach Antiquitäten. Mrs. Wheatley lebt allein in einem ausgebombten Appartement-Haus.
Also, ich läute und warte. Dabei pfeife ich einen Schlager. Ich fühle mich überhaupt prächtig – angezogen nach der neuesten Mode, schwarze lederne Kniestiefel, schwarzer, gewichster Schnurrbart. Mein Gesicht ist etwas verzerrt; klar, weil ich während der Arbeit immer Leidenschaft Nr. 5 nehme. Nicht dass ich es wirklich brauchte, ich bin von Grund auf ein leidenschaftlicher Mensch, das weiß jeder. Aber dieses Parfüm gehört gewissermaßen zu meinem beruflichen Handwerkszeug.
Mrs. Wheatley lässt mich sofort ein, ohne lang Fragen zu stellen – eine sehr vertrauensselige Person. Na ja, heutzutage braucht man ja vor Fremden keine Angst mehr zu haben. Wir gehen in die Küche, setzen uns hin und warten.
Mit einem Wort, Mrs. Wheatley ist hässlich. Sie ist nicht mehr jung, und für Kosmetika hat sie wohl zu wenig Geld. Sie tut mir ganz besonders leid – draußen ist das allerschönste Wetter, und sie sitzt hier –, und auf dem linken Nasenflügel hat sie eine kleine behaarte Warze.
»Mrs. Wheatley, mein Name ist Mathew und ich komme von Tante Annie. Wir haben Ihren Brief erhalten und möchten Ihnen gern helfen.« Sie schaut mir gerade ins Gesicht, und ich denke, mein Leidenschaft Nr. 5 ist doch genau das Richtige für diesen Fall. Ich kann direkt fühlen, wie ihr Herz schneller schlägt, als sie es bemerkt hat. Also, die Hilfe, die sie braucht, hat sie.
»Gott sei gedankt«, bricht es aus ihr heraus. Sie klatscht in die Hände und wirft mir einen freudestrahlenden Blick zu. Jetzt fällt mir gerade auf, dass sie einen – zum Teufel, ich weiß gar nicht, wie ich das überhaupt nennen soll... Sie trägt so eine Art Morgenrock. Kanariengelb, und der wischt immer über den Boden, durch den Staub und die Brotkrümel. Ihr Haar ist nicht echt und so dunkelrot wie das Zentrum einer Wasserstoffbombenexplosion. (Das heißt aber nicht, dass ich schon jemals eine gesehen hätte.)
Ich liebe Sie, Mrs. Ronald Wheatley aus Brooklyn, wirklich, ich liebe Sie. Sie sind gar nicht hässlich. Wie wenig man doch im Grunde auf den ersten Blick sieht. Lassen Sie sich das von niemanden ausreden – niemals! Das ist ja auch der Grund, weshalb ich meinem Job bei der Zeitung treu geblieben bin und die Aufträge von Tante Annie ausführe. Den Leuten geht’s so verdammt gut, dass es fast unmöglich ist, jemanden zu finden, der Hilfe braucht. Sie sind eine von den wenigen, Mrs. Wheatley, und deswegen liebe ich Sie.
»Wie sagten Sie doch, war Ihr Name, junger Mann? Sagten Sie nicht Mathew?«
Ich nicke ihr eifrig zu.
»Sie können stolz darauf sein. Ein so schöner Name.«
Sie scheint jetzt reif zu sein, dass ich ihr meine (natürlich gut vorbereiteten) Fragen stelle. »Mrs. Wheatley, Sie wissen ja sicher, dass Tante Annie schon eine ältere Dame ist. Es ist ihr unmöglich, alle an sie gerichteten Briefe persönlich zu bearbeiten. Aber ich bin einer ihrer engsten Mitarbeiter, und ich versichere Sie, wenn Sie zu mir sprechen, ist es genauso als wenn Sie Tante Annie Ihr Herz ausschütten würden. Ja, also in Ihrem Brief steht, dass Sie sich...«
»...dass ich mich umbringen wollte. Ich weiß, das klingt lächerlich. Niemand bringt sich mehr um. Aber...«
»Würden Sie uns vielleicht einige Einzelheiten schildern. Wir wissen ja bis jetzt nur das, was in dem Brief steht.«
Ihre Augen sind blau. Ich hatte das vorher gar nicht bemerkt. Es sind die wunderschönsten Augen, so klar wie die blauen Seen, in denen ich als Kind oft geschwommen bin, wie der Himmel über den Rockies vor dem künstlichen Wetter, wie der erste Blick eines Neugeborenen, wie alles, was mir in meinem Herzen teuer ist.
»Es passierte vor einer Woche, am Donnerstag. Ich trank gerade meinen Morgenkaffee, so wie jetzt. Dann stand ich auf und ging ins Bad. Ich kann mir immer noch nicht erklären, warum – es war fast wie unter Zwang. Ich ließ die Tabletten in die Tasse fallen, ich sah zu, wie sie sich auflösten, und dann habe ich sie getrunken. Die Tabletten gehörten meinem Mann. Er hat ein künstliches Herz, und er braucht die Tabletten für seinen Kreislauf.«
»Hatten Sie schon vorher eine Ahnung, wie die Tabletten wirken würden?«
»Ja, ich wusste es.« Während wir uns unterhalten, nimmt das MFW in meiner Tasche alle ihre Gedanken auf und speichert sie, sodass wir nachher, nach der Analyse, ihre wahren Gedanken und Beweggründe wissen. Aber ich überlege mir schon wieder mögliche Behandlungen. Zuerst müssen wir sie natürlich schön machen. Nach ihrer Stimme und den Augen zu schließen, muss sie früher wirklich schön gewesen sein. Aber diese mittleren Jahre sind nun einmal der Fluch der Armen. Sie haben kein Geld, um etwas dagegen zu tun. Gott sei Dank ist dafür Tante Annie da. Wir werden aus Mrs. Wheatley eine zweite Greta Garbo, eine Marilyn Monroe oder eine Mischung aus einem Dutzend Kennedyfrauen machen. Und das wird erst der Anfang sein.
»Was macht Ihr Mann eigentlich, Mrs. Wheatley?«
»Müssen Sie das auch wissen? Ich will ja nur aufhören daran zu denken, mich umzubringen. Er hat damit gar nichts zu tun!«
Arme, arme, verblendete Frau.
»Bitte, Mrs. Wheatley, wir müssen alles über Sie wissen.«
»Also gut. Er hat einen kleinen Laden in Manhattan. Er verkauft altes Gerümpel. Hauptsächlich Bücher und Zeitschriften.«
»Aber wenn das kein Zufall ist! Ich sammle nämlich Bücher und Zeitschriften aus der Zeit vor dem Großen Krieg.«
»Wirklich? Ich meine ja auch, dass jeder Mann sein Hobby haben sollte.«
Das MFW summte. Ein Zeichen, dass es alle notwendigen Informationen von und über die Frau aufgenommen hatte. Ich stehe auf und gebe ihr die Hand. Ich hoffe, dass ich ihr die Gewissheit geben kann, dass alles wieder gut wird.
»Ich werde bald wiederkommen«, verspreche ich, und sie nickt. Draußen steigt mir die faulige, abgestandene Luft Brooklyns in die Nase. Diese arme, traurige Frau. Was hat sie bloß auf diese Selbstmordgedanken gebracht. Sie braucht so dringend Hilfe. Ich darf keine Zeit verlieren.
Ich liebe sie.
Tante Annie bei der Arbeit und beim Spiel
Ich bin gerade dabei, einige endgültige Entscheidungen zu treffen, die ein paar neuere Projekte betreffen, da meldet sich mein Empfangschef, Mr. Blackwell.
»Annie, Aerial ist draußen und will dich sprechen.«
»Lass mir noch dreißig Sekunden Zeit, und dann schick ihn herein.« Ich seufze. Also, soweit die philosophischen Entscheidungen. Aerial ist der ungeduldigste Mensch, den ich kenne. Keiner von denen, die man warten lassen kann. Ich hasse ihn, sofern ich überhaupt jemanden hassen kann. Aber ich muss ihn ertragen. Er ist Annies rechte Hand, und das seit Jahren. Er war es schon, bevor ich hier anfing zu arbeiten. Ich kann nichts dagegen tun.
Aerial schlendert durch die Tür herein und belegt mit seinem breiten Hinterteil eine ganze Ecke von meiner Schreibtischplatte mit Beschlag. Manchmal denke ich, er sieht nur bei mir herein, wenn er sich langweilt. Früher ist er einmal Senator der Vereinigten Staaten gewesen, wissen Sie, als es den Beruf noch gab. Bis heute hat er sich noch nicht so recht ans Privatleben gewöhnt.
»Die heutige Spalte ist Mist, Annie. Hat denn heutzutage keiner mehr interessante Probleme?«
»Heute Morgen ist eine ganz interessante Sache hereingekommen. Ich denke, ich werde sie in der morgigen Spalte bringen.« Ich gebe ihm den Brief von Mrs. Ronald Wheatley aus Brooklyn. Er liest ihn und schüttelt den Kopf.
»Das darf doch nicht wahr sein, Annie! Selbstmord. Selbstmord kann man doch nicht machen!«
»Die Frau scheint anderer Meinung zu sein.«
»Scheiße. Du weißt das doch auch besser.« – Gedankenpause.
»Wer bearbeitet denn das?«
»Mathew. Sein Sektor.«
Aerial streicht sich nachdenklich übers Kinn. »Die Sache ist zu groß für ihn. Lass mich das machen.«
»Unmöglich«, sage ich und schüttle den Kopf. »Du weißt, dass ich meinen Schreibern normalerweise nie ins Gehege kommen will. Heute Nachmittag werden wir die MFW-Auswertung der Frau haben. Bis dahin halte dich bitte zurück.«
Er zuckt die Achseln und beginnt, im Zimmer auf und ab zu gehen. Ich habe noch nie einen Mann gesehen, der so viel auf und ab geht. Was hat er denn bloß für ein Problem? Scheffelweise Geld auf der Bank; ist siebzig und sieht aus wie fünfundzwanzig. Drei Frauen an jedem Finger. Er sollte wirklich das Auf- und Abgehen den Mrs. Ronald Wheatleys auf dieser Welt überlassen.
»Ich fürchte, du machst einen Fehler, Annie.«
»Ich versuche, Fehler zu vermeiden.« Eigentlich sogar noch mehr. Ich glaube sogar, dass ich unmöglich Fehler machen kann. Wenigstens hoffe ich, dass es so ist.
»Mach jetzt keinen, Annie! Das Land würde den Schock nicht ertragen können! Du weißt, wie wesentlich dein Vorbild für die Stabilität der Nation ist. Deine Verantwortung möchte ich wirklich nicht tragen.«
Was denn? Der scheinheilige Kerl! Jeder weiß doch, dass es ihn schon in den Händen juckt, die Leitung der Annie Enterprises Ltd. an sich zu reißen! Das ist auch der Grund, warum er sich noch nicht in Florida zur Ruhe gesetzt hat! Aber diese Gelegenheit wird er nicht so schnell bekommen. Die letzten Routineuntersuchungen haben für die nächsten fünfzig Jahre keinen endgültigen Zusammenbruch der Tante Annie vorausgesagt. Und bis dahin wird es kein Aerial mehr geben. Wenn ich noch die Annie aus Fleisch und Blut wäre, würde ich ihm das alles sagen – und ihm in sein jugendliches Gesicht lachen. Aber für Ironie bin ich eben nicht programmiert worden.
»Du wirst meine Verantwortung bald übernehmen«, lüge ich. »Ich bin keine junge Frau mehr. Und ich werde nicht immer da sein. Wenn ich sterbe, wird alles dir gehören. Solange du dir die Nase sauber hältst.«
Ich kann seine Angst geradezu riechen. Sie steigt wie eine Dampfwolke aus seinen Poren, sie füllt den ganzen Raum aus. Es ist ein Gemisch aus Hass und Wut in einem Malstrom aus leidenschaftlicher Erregung.
Halte deine Nase sauber. An diesem Faden lasse ich das gute Aerial zappeln. Aber ich habe keine Ahnung, was das eigentlich bedeutet. Das heißt, irgendwo ist es noch da, begraben im Irrgarten der Erinnerungen der alten Annie aus Fleisch und Blut, ganz zuunterst versteckt, dort wo ich nicht hinkomme. Bis jetzt, nach dreißig Jahren, ist es mir nur gelungen, die Oberfläche ihres Bewusstseins zu durchdringen. Nach weiteren dreißig Jahren werde ich hoffentlich etwas weitergekommen sein. Sie war eine kluge und verschwiegene Frau. Ich wünschte, ich hätte sie