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APEX KRIMI-SOMMER 2022: Vier Kriminal-Romane in einem Band!
APEX KRIMI-SOMMER 2022: Vier Kriminal-Romane in einem Band!
APEX KRIMI-SOMMER 2022: Vier Kriminal-Romane in einem Band!
eBook926 Seiten12 Stunden

APEX KRIMI-SOMMER 2022: Vier Kriminal-Romane in einem Band!

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Über dieses E-Book

Sommer - Urlaubszeit!

Sommer - Lesezeit!

Dieses Buch enthält vier spannende und ausgewählte Top-Krimis aus den Krimi-Reihen des Apex-Verlags, geschrieben von internationalen Bestseller-Autoren - perfekter Lesestoff für den Strand, für das ruhige Plätzchen in der Natur, für die Reise: Das Wirtshaus von Dartmoor von Victor Gunn, Der Hexenfels von Bill Knox, Augen, grün wie eine Katze von F. R. Lockridge und Erinnerungen an das Reich Tschaikowskis von Christian Dörge.

Nervenkitzel und Unterhaltung pur!

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum19. Juni 2022
ISBN9783755415909
APEX KRIMI-SOMMER 2022: Vier Kriminal-Romane in einem Band!

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    Buchvorschau

    APEX KRIMI-SOMMER 2022 - Christian Dörge

    Das Buch

    Sommer - Urlaubszeit!

    Sommer - Lesezeit!

    Dieses Buch enthält vier spannende und ausgewählte Top-Krimis aus den Krimi-Reihen des Apex-Verlags, geschrieben von internationalen Bestseller-Autoren - perfekter Lesestoff für den Strand, für das ruhige Plätzchen in der Natur, für die Reise: Das Wirtshaus von Dartmoor von Victor Gunn, Der Hexenfels von Bill Knox, Augen, grün wie eine Katze von F. R. Lockridge und Erinnerungen an das Reich Tschaikowskis von Christian Dörge.

    Nervenkitzel und Unterhaltung pur!

    1. DAS WIRTSHAUS VON DARTMOOR von Victor Gunn

    (OT: The Painted Dog)

    Erstes Kapitel

    In schäbigen Sporthosen und. hochgeschlossenem Sweater ging Reginald Howard Laker im Schein der Abendsonne den Feldweg entlang, der sich durch rotes Heidekraut und herbstlich bunte Brombeersträucher schlängelte. Er stieg auf einen kleinen Hügel und blieb oben einen Augenblick stehen, da sein Künstlerauge die Wirkung von Licht und Schatten genoss. Nach Norden zu erstreckte sich die melancholische Weite des Ödlandes von Dartmoor, die erst in weiter Entfernung von aufragenden Felsmassen und Hügeln abgeschlossen wurde.

    Für Reggie war dieses Bild in höchstem Maße anziehend. Er bedauerte nur, dass er seine Malsachen nicht mitgebracht hatte, denn die Lichtreflexe waren ganz ungewöhnlich: Die Sonne, die unter einer niedrigen, dunklen Wolkenbank hervorleuchtete, ließ mit ihren goldenen Strahlen den gegenüberliegenden Hang des Hügels feurig aufleuchten. Reggie war, wenn auch nur in bescheidenem Maße, Landschaftsmaler; in seinen Ferien, die er zeltend auf dem Moor verbrachte, hatte er schon verschiedene Skizzen angefertigt, die er später zu vollenden und zu verkaufen hoffte.

    Er war froh, dass die Sonne schon nach ganz kurzer Zeit von Wolken verdeckt wurde und der Charakter der Landschaft sich wieder veränderte. Er hätte also sowieso keine Zeit gehabt, den magischen Schimmer des Sonnenuntergangs einzufangen. Auch sah er gerade in seiner Vorstellung ein ganz anderes Bild - das hübsche, ovale Gesicht eines Mädchens, dessen rosige Lippen keinen Lippenstift brauchten und dessen lustige, lebhafte Augen so blau waren wie die Kornblumen.

    Aber leider war es schwierig, sie auch nur einen Augenblick allein zu sprechen, Sie hatte ihn gern, das wusste er; aber es war nicht eben leicht, die ungeteilte Aufmerksamkeit eines Mädchens auf sich zu lenken, das in einem Landgasthaus die Gäste bediente. Und dann war da noch dieser verdammte Tony...

    Reggie zog die Stirn kraus, als er von dem Weg auf eine breite Straße einbog - auf die Hauptstraße, die von Tavistock nach Moreton Abbott führte. Von hier aus war ein graues, verfallenes, altes Haus zu sehen, das ein Stückchen abseits vom Wege an der Wegkreuzung stand. Es war das Wirtshaus Zum Bunten Hund - einst berühmt als Haltepunkt für die vorbeirollenden Kutschen, das einzige Gasthaus weit und breit. Eigentlich wirkte das Haus selbst jetzt in der Septembersonne ziemlich einsam und düster. Kein Haus, keine Hütte stand in der Nähe. Auf Kilometer im Umkreis waren ein paar einsame Bauernhöfe und die Arbeiterhäuschen am Südrand des Moores die einzigen Gebäude in dieser Gegend.

    »Verdammt noch mal!«, murmelte Reggie ärgerlich.

    Von Tavistock her kamen zwei Gestalten näher, die mit wohlgefüllten Rucksäcken die Straße entlanggingen. Vielleicht waren es Ferienreisende oder Wanderer, und bestimmt würden sie im Gasthof einkehren, ein Glas Bier trinken und vielleicht auch etwas essen. Reggie war der Gedanke keineswegs lieb, dass gerade jetzt fremde Leute hier einkehren und sich auch an Judys Lächeln freuen würden.

    In diesem Augenblick prallte ein langhaariges schwarzweißes Etwas mit großer Wucht gegen seine Brust, gegen das er sich mit aller Kraft und Geschicklichkeit wehren musste. Dabei schwebte er keineswegs in Gefahr, denn der Angriff jenes Geschöpfes, das die Straße entlanggeschossen und ihm gegen die Brust gesprungen war, geschah aus reiner Liebe. Nobby, der ein Jahr alte Collie des Wirtshauses, war zu allen Menschen, denen er seine Liebe beweisen wollte, nicht nur stürmisch, sondern fast gewalttätig. Wild mit dem buschigen Schwanz wedelnd, sprang er an Reggie empor, und seine lange, feuchte Zunge fuhr kreuz und quer über Reggies Gesicht.

    »Gib endlich Ruhe!«, rief Reggie lachend, griff nach den Pfoten des Hundes und hielt ihn von sich ab. »Du brauchst mir das Gesicht nicht zu waschen!«

    Als Antwort bellte Nobby nur, aber seine Augen leuchteten.

    »Ja, ja - ich weiß!«, sagte Reggie. »Du möchtest es gern noch einmal machen, was? Benimm dich, du Tollpatsch. Ein stürmischer Empfang ist ganz schön, aber auch da gibt es Grenzen!«

    Nobby wedelte zustimmend mit dem Schwanz; nachdem der junge Mann seine Pfoten losgelassen hatte, sprang der Hund nur noch um ihn herum und zeigte ihm damit seine Freude, während Reggie seinen Weg zum Gasthof fortsetzte. Inzwischen waren auch die beiden Wanderer näher gekommen; Nobby, der sie erst jetzt bemerkte, blieb stocksteif stehen. Sein Schwanz richtete sich steil auf, und er spitzte die Ohren; dann lief er den beiden langsam entgegen. Da sie den Absichten des Hundes nicht trauten, blieben die beiden Männer ebenfalls stehen. Nobbys Rückenhaare sträubten sich und seine Nase zuckte, als er ihnen noch ein paar Schritte entgegenging. Seine Oberlippe schob sich zurück und zeigte ein Gebiss mit starken, weißen Zähnen.

    Reggie sah es sich ruhig mit an - es gefiel ihm sogar, denn auch er hatte für die beiden Männer nicht viel übrig. Der eine war schlank, hatte ein rotes Gesicht und war offensichtlich ein Engländer. Der andere, ein vierschrötiger Bursche mit einem flachen, slawischen Gesicht, war bestimmt ein Ausländer.

    »Weg!«, sagte der Schlanke nervös. »Verdammtes Hundevieh! Bei diesen Biestern weiß man nie Bescheid!«

    »Dieses Tier...«, sagte der andere und sah Reggie an. »Er sein gefährlich?«

    Reggie lachte.

    »Er ist nur jung und verspielt. Wenn er merkt, dass Sie Angst haben, schnappt er vielleicht nach Ihren Beinen - aber auch das nur im Spiel. Hierher, Nobby! Setzen!«

    Gehorsam setzte sich Nobby, und die beiden Wanderer betraten erleichtert das Wirtshaus durch den Vordereingang. Von nahem gefielen sie Reggie noch weniger als aus der Entfernung. Offensichtlich enttäuscht, blickte Nobby seinen Freund vorwurfsvoll an.

    »Ja, mein Lieber, ich kann dich schon verstehen, aber Mrs. Ferris sieht es nicht gern, wenn man ihre Gäste in die Beine beißt«, sagte Reggie, beugte sich über den Hund und streichelte ihn. »Im Übrigen bin ich ganz deiner Meinung. Hoffentlich trinken sie nur ein Bier und machen dann, dass sie weiterkommen!«

    Reggie, der schon zwei Wochen lang im Gasthof Stammgast war, betrat das Haus durch eine Seitentür und stand in der halbdunklen, mit Fliesen ausgelegten großen Diele. In diesem Augenblick kam eine füllige Frau mittleren Alters an ihm vorbei. Sie blieb stehen und sah Reggie freundlich an.

    »Sie kommen heute ein bisschen früh, Mr. Laker«, meinte sie. »Das Essen ist erst in einer halben Stunde fertig.«

    »Das macht nichts, Mrs. Ferris«, antwortete er. »Ich setze mich solange in das Wohnzimmer. Vielleicht kann Judy mir ein Glas Bier dorthin bringen.«

    »Aber gewiss«, antwortete Mrs. Ferris.

    Mit ihrer Tochter zusammen bewirtschaftete sie das Gasthaus praktisch allein, denn der alte Charley Widden, dem das Lokal gehörte, ließ sich kaum mehr sehen und blieb lieber in seinem Zimmer im ersten Stock. Mrs. Ferris war sich noch immer nicht klar, was sie von Reggie eigentlich halten sollte. Sie wusste zwar, dass er Judy sehr gern hatte, aber sie wusste auch, dass er Künstler war – und Künstler waren ihrer Ansicht nach zweifelhafte Gesellen. Unwillkürlich musste sie dann immer an die Ateliers in Chelsea und an weibliche Aktmodelle denken. Das traf jedoch bei Reggie nicht zu, denn weder hatte er bisher ein Atelier in Chelsea noch jemals einen weiblichen Akt gemalt. Er malte nur Landschaften - und auch die nicht besonders gut. Mrs. Ferris hatte sich etwas beruhigt, nachdem er ihr eins seiner Bilder gezeigt hatte, aber sie kam trotzdem nicht ganz von dem Gedanken los, dass in seinem Londoner Leben nackte Mädchen eine große Rolle spielen müssten.

    Reggie hatte es nicht bedauert, in seinen Ferien nach Dartmoor gekommen zu sein, in einem Zelt zu wohnen und Landschaftsskizzen zu machen. Jeden Morgen kam er ins Wirtshaus und holte sich seine Milch, seine Post und seine Zeitung. Dann erschien er erst wieder zum Abendessen. Er war ein lustiger, netter, junger Mann! stellte Mrs. Ferris schließlich fest. Aber er benahm sich Judy gegenüber doch ein bisschen zu betont freundschaftlich...

    Judy kam mit dem Bier in das Wohnzimmer, kurz nachdem Reggie sich dort hingesetzt hatte. Zögernd blieb sie an der Schwelle stehen und begrüßte ihn mit einem leisen Lächeln. Sie war klein und schlank, und niemand konnte behaupten, dass sie von der Natur stiefmütterlich bedacht worden wäre. Ihr Gesicht war nicht nur hübsch, sondern verriet auch Charakter. Der scharfe Wind von Dartmoor hatte ihr einen Teint verliehen, der keiner kosmetischen Tricks bedurfte, und ihr weiches braunes Haar war schon von Natur gewellt. Trotzdem täuschte der Eindruck ländlicher Einfachheit, den man im ersten Augenblick von ihr hatte. Sie kleidete sich geschmackvoll und konnte es in dieser Hinsicht mit einer Londonerin durchaus aufnehmen. Gegenwärtig trug sie ein buntes, modernes Nylonkleid, das ihre schlanke Taille und die hübschen Linien ihrer Figur gut zur Geltung brachte.

    »Ihr Bier, Sir«, sagte sie zurückhaltend.

    »Was soll denn das!«, protestierte Reggie und sprang auf. »Warum reden Sie mich auf einmal mit Sir an? Mein Gott, sind Sie heute wieder hübsch, Judy! In diesem Kleid habe ich Sie noch nie gesehen! Neben Ihnen komme ich mir direkt wie ein Vagabund vor!«

    Sie lachte, als er ihr das Glas abnahm.

    »Ach, Unsinn, Mr. Laker«, sagte sie und schlug ihre Augen vor seinem bewundernden Blick nieder. »Ganz bestimmt laufen Sie zu Haus noch viel eleganter herum - in London, meine ich. Aber wenn die Leute auf Urlaub hierherkommen, tragen sie immer nur ihre alten Sachen...«

    »Sagen Sie doch nicht immer Mr. Laker zu mir«, unterbrach er sie und setzte sein Bier unangerührt auf den Tisch, um sie ungestört anschauen zu können. »Wird es nicht langsam Zeit, dass Sie Reggie zu mir sagen? Sie haben doch nichts gegen mich, oder?«

    »Natürlich nicht!«, erwiderte sie offen und wandte sich zur Tür. »Das Essen wird auch bald fertig sein...«

    »Ach, zum Teufel mit dem Essen! Können Sie nicht lieber hierbleiben und mich ein bisschen unterhalten?«

    »Um diese Zeit? Gerade jetzt habe ich doch hunderterlei zu tun...«

    »Das kann alles warten...«, sagte Reggie, griff nach ihrem Arm und zog sie ins Zimmer zurück. »Nur weil ich male, scheint Ihre Mutter mich mit gemischten Gefühlen zu betrachten. Sie hat wohl von Malern sonderbare Vorstellungen. Aber das ist doch Unsinn - schon weil ich gar kein richtiger Maler bin. Ich arbeite doch in einem Versicherungsbüro und male nur nebenbei - zum Vergnügen. Aber ich habe nie ganz begriffen, was Sie hier eigentlich tun«, fuhr er nachdenklich fort. »Das Lokal gehört doch Mr. Widden, nicht wahr?«

    »Ja. Aber Mama führt es, und ich helfe ihr«, sagte Judy. »Mr. Widden überlässt uns alles.«

    »Wozu aber die Geheimniskrämerei?«, fragte Reggie. »Ich habe Mr. Widden noch nicht einmal zu Gesicht bekommen! Ist er denn ein Krüppel oder krank? Die Leute aus der Gegend nennen ihn, wenn sie beim Bier hier sitzen, immer nur den alten Charley Widden. Aber sie flüstern nur, wenn sie von ihm sprechen.«

    Das Mädchen lachte.

    »Lächerlich!«, sagte sie fast ungeduldig. »Bei uns gibt es keine Geheimnisse! Mr. Widden ist ein netter, alter Mann, der am liebsten allein ist. Er kommt zwar manchmal herunter, aber am liebsten bleibt er in seinem Zimmer. Mama ist hier schon seit Jahren tätig.«

    »Man behauptet, der alte Charley sei ein Geizkragen und hätte sein Zimmer wie eine Festung eingerichtet«, sagte Reggie. »Jedenfalls sind seine Fenster dicht vergittert, und als ich einmal oben war, sah ich die schwere Tür vor seinem Zimmer. Das Schlüsselloch der Tür erinnerte mich irgendwie an die Bastille.«

    Diesmal lachte Judy laut auf.

    »Ich muss über Sie wirklich staunen - Reggie«, sagte sie, und ihre Augen blitzten vergnügt. »Wie kann man nur solchen Unsinn glauben? Warum soll Mr. Widden denn ein Geizkragen sein? Glauben Sie mir: Allzu viel wirft dieses Gasthaus nicht ab...«

    »Verdammt noch mal!«, murmelte Reggie ärgerlich, als sie verstummte.

    Die Tür hatte sich gerade geöffnet, und ein großer, wettergebräunter und muskulöser junger Mann in Reithosen und Tweedjackett trat ein. Aber noch mehr ärgerte sich Reggie, als er sah, dass Judys Augen beim Anblick dieses Menschen aufleuchteten.

    »Ach, Tony!«, sagte sie herzlich. »Guten Tag! Sie haben aber nichts davon gesagt, dass Sie heute Abend kommen wollten!«

    »Das hat auch seinen bestimmten Grund, Kindchen!«

    Der Neuankömmling hatte eine laute Stimme. Er umfasste Judys Schultern und drückte ihr einen Kuss auf das Haar. »Ich erkläre es Ihnen später. - Hallo, Laker...« fügte er mit einem Seitenblick auf Reggie hinzu. »Sie treiben sich auch noch immer in der Gegend herum, wie? Was macht die Kunst?«

    In der Frage lag schlecht verborgener Hohn, der Reggie das Blut ins Gesicht trieb. Tony Bellamy war ihm vom ersten Augenblick an unsympathisch gewesen, und nun, da er hatte Zusehen müssen, wie dieser Mensch Judy einen Kuss aufs Haar gegeben hatte, war er ihm noch unsympathischer geworden. So eine Frechheit von dem Lümmel - Judy zu behandeln, als hätte er ein Anrecht auf sie!

    »Na, na, na...«, sagte Judy leichthin, »ihr werdet doch nicht wieder anfangen zu streiten? Kann ich Ihnen etwas bringen, Tony?«

    »Lassen Sie - das kann ich auch allein«, antwortete der andere. »Aber Ihr Kleid ist wirklich reizend! Geradezu großartig. Es bringt Ihre Vorzüge deutlich zur Geltung.«

    Judys hübsches Gesicht wurde rot, und Reggie fluchte innerlich. Weil dieser Kerl der Sohn von Sir Richard Bellamy, dem Gutsherrn von Moreton Abbott war, glaubte er, sich solche Frechheiten herausnehmen und damit durchkommen zu können! Diese Muskelprotze blieben sich immer gleich; der Bursche war früher in der Rugbymannschaft von Oxford gewesen, und jetzt interessierte er sich nur noch für Pferde und fürs Saufen. Leute dieser Art konnten doch gar keine anständigen Absichten haben, wenn es sich um die Tochter eines Gastwirts handelte! Innerlich schnaubte Reggie geradezu vor Wut, als er den herzlichen Ausdruck auf Judys Gesicht bemerkte, während sie sich von Tony zur Tür führen ließ.

    Reggies Stimmung wurde selbstverständlich nicht gerade besser, als sich Tony an der Tür umwandte und ihm triumphierend zublinzelte. Ein Jammer, dass er ihm nicht handgreiflich ein besseres Benehmen beibringen konnte! Aber dazu war ihm Tony körperlich viel zu überlegen. Reggie hasste die wettergebräunte, gesunde Gesichtsfarbe dieses Mannes; er hasste seinen roten Haarschopf und die Arroganz seines herrischen Benehmens.

    »Ach, Judy, nur eine Sekunde.« Mrs. Ferris’ Stimme ließ sich von der Halle her hören. »Hier sind zwei Herren, die die Nacht über bleiben wollen. Mr. Hurst und Mr. Brunoff. Zeige ihnen doch schnell ihre Zimmer. Du weißt doch, was noch frei ist, nicht?«

    »Ja, Mama.«

    Reggie kam aus dem Wohnzimmer.

    »Nehmen Sie sich in acht, Judy!«, sagte er. »Vor diesen beiden Touristen, meine ich! Nobby hatte vorhin keine gute Meinung von ihnen - und auf sein Urteil kann man sich verlassen!«

    »Dieser dämliche Köter?«, sagte Tony Bellamy verächtlich. »Das Vieh ist so dumm, dass es sogar mir die Zähne zeigt! Aber wenn ich ihn streicheln will und mich hinunterbeuge, wedelt er wild mit dem Schwanz und versucht, mir das Gesicht zu lecken! Das Vieh ist vollkommen blödsinnig!«

    »Unterstehen Sie sich, etwas gegen meine Nobby zu sagen!«, fuhr Judy ihn böse an. »Er ist der netteste Hund auf der Welt! - Ich gehe schon, Mama«, fügte sie hinzu, da Mrs. Ferris langsam ungeduldig wurde, »ich gehe schon!«

    Sie lief fort. Tony begleitete Mrs. Ferris in die Küche, und Reggie kehrte düster und unglücklich ins Wohnzimmer zurück und trank sein Bier.

    Als Judy die Gäste in die Zimmer im ersten Stock führte, war sie eigentlich ganz Nobbys Meinung: Die Fremden starrten sie geradezu unverschämt an. Judy war froh, als sie die beiden allein lassen konnte.

    »Na ja«, sagte sie sich, als sie die Treppen hinabging, »wir haben eben im Sommer alle möglichen Gäste. Vielleicht sind Sie doch ganz ordentlich!«

    Als sie wieder in der Diele war, hörte sie, dass ein Auto vor dem Eingang vorfuhr. Neue Gäste! Sie lief zur Vordertür, zog aber ärgerlich die Stirn kraus, als sie den Wagen erkannte. Es war ein alter Austin, dem ein hagerer, unsympathisch wirkender Mann, ungefähr Mitte Vierzig entstieg. Judy wartete nicht, um ihn zu begrüßen, sondern wandte sich um und lief ins Haus zurück zu ihrer Mutter.

    »Dieser eklige Mr. Pickering«, sagte sie atemlos.

    »Oh, mein Gott«, meinte Mrs. Ferris entsetzt. Sie ging durch die Diele, und ihre Lippen pressten sich zusammen, als sie dem Neuankömmling gegenüberstand. »Sie sind schon wieder da?«, fragte sie ärgerlich.

    »Nennt man das ein herzliches Willkommen?«, fragte Pickering mit einem Grinsen. »Sie sehen mich wohl nicht sehr gern, Mrs. Ferris, wie? Das tut mir aber schrecklich leid. Ich bin auch nur gekommen, um mit dem alten Herrn zu sprechen. Oder haben Sie etwas dagegen?«

    Sie presste die Lippen noch fester aufeinander und ging wortlos davon; krachend fiel die Tür hinter ihr ins Schloss. In der großen Diele stieß sie auf Judy.

    »Wie mir dieser Mensch verhasst ist!«, sagte Mrs. Ferris. »Geh bitte hinauf und sag Mr. Widden, dass Pickering hier sei. Ich habe keine Zeit - das Essen brennt mir sonst an! Matt bedient in der Schankstube.«

    Judy eilte wortlos die Treppe hinauf, wobei sie an Pickering vorüberkam. Der Mann blickte ihr genießerisch nach, als ihr weiter Rock auf der Treppe ihre schönen, nylonbestrumpften Beine sehen ließ. Sie rannte fast in die zwei Touristen hinein, die sich inzwischen gewaschen hatten und jetzt die Treppe herunterkamen, um an der Theke ein Glas Bier zu trinken.

    Geschickt vermied sie noch in letzter Sekunde einen Zusammenstoß und bog vom Treppenabsatz in einen Gang ein, der in den hinteren Teil des Hauses führte. Auf diesen Gang führte nur eine einzige Tür, und zwar ganz am Ende. Diese solide, massive Eichentür war offenbar nachträglich eingebaut worden; sie sah aus, als stammte sie aus einem alten Schloss. Das Schlüsselloch war fünf Zentimeter tief und von einer feinziselierten Eisenplatte umgeben. Judy hämmerte mit der Faust gegen das Holz, aber trotzdem klang ihr Klopfen gedämpft - ein Beweis für die Dicke der Tür.

    »Mr. Widden!«, rief sie laut. »Ich bin es!«

    Sie wartete und blickte auf eine fünfzehn Zentimeter breite Klappe im oberen Teil der Tür. Plötzlich hob sich diese Klappe, und Judy sah in ein bärtiges Gesicht - in ein so behaartes Gesicht, dass man kaum mehr als eine Wildnis grauweißer, von Tabak teilweise braungefärbter Barthaare erkennen konnte.

    »Was ist denn, mein Kind?« knurrte eine brummige, aber freundliche Stimme.

    »Mama hat mich heraufgeschickt, Mr. Widden«, sagte Judy. »Sie haben Besuch - Mr. Pickering.«

    Ein tiefes Brummen ertönte durch die Klappe.

    »Ich will ihn nicht sehen!«, sagte der alte Charley Widden; seine Stimme klang jetzt rau und böse. »So eine Frechheit; er kommt dieses Jahr schon zum dritten Male. Sag ihm...«

    »Ja, Mr. Widden?«, fragte Judy, als der alte Mann eine Pause machte.

    »Sag ihm, er soll heraufkommen«, brummte es hinter der Eichentür. »Das beste ist, ich spreche mit dem Kerl, damit es endlich einmal erledigt ist.« Die Klappe fiel wieder herunter.

    Judy wandte sich um und lief ängstlich die Treppe hinab. Sie empfand immer ein unbestimmtes Furchtgefühl, wenn sie mit dem exzentrischen Besitzer des Bunten Hunds einige Worte sprach.

    Unten in der Halle wartete Fred Pickering auf sie; sein Gesicht verzog sich zu einem tückischen Grinsen..

    »Wissen Sie, Judy, Sie sollten keine weiten Röcke tragen«, sagte er höhnisch. »Ich hatte wirklich einen interessanten Anblick... Sie haben schöne Beine, mein Kind!«

    »Jedenfalls werden Sie sie nicht ein zweites Mal zu sehen bekommen«, sagte Judy böse. »Gehen Sie nur vor mir die Treppe hinauf! Mr. Widden lässt ausrichten, dass er Sie sprechen will. Manche Leute haben eben einen eigenartigen Geschmack!«

    Pickering lachte nur und stieg die Treppe hinauf. Judy folgte ihm - um sich zu vergewissern, dass er auch in das richtige Zimmer ging. Vom Gang aus beobachtete sie, wie er an die schwere Eichentür klopfte. Die Tür wurde sofort aufgemacht, und in der Türöffnung erschien ein großer, kräftiger Mann von über siebzig Jahren, der einen abgetragenen braunen Anzug anhatte. Sein ungepflegtes graues Haar, das noch immer sehr voll war, hatte die gleiche Farbe wie sein Bart.

    »Aha, Fred; kommen Sie herein«, sagte er brummig. »Ich erwartete gar nicht, Sie so rasch wiederzusehen. Und ich muss Ihnen von vornherein sagen, dass ich mir keinen Unsinn...«

    Die Tür fiel zu, und es drang kein Laut mehr aus dem Zimmer heraus. Judy lief ärgerlich die Treppe wieder hinab und ging sofort zu ihrer Mutter in die Küche.

    »Warum wohl der alte Charley sich herbeilässt, mit diesem ekligen Kerl zu sprechen, sooft er kommt? Sonst lässt er doch niemanden in sein Zimmer - nicht einmal mich!«

    »Woher soll ich denn das wissen?«, antwortete Mrs. Ferris und zog eine riesige Pastete aus dem Backofen. »Hast du wirklich nichts Besseres zu tun, als dumme Fragen zu stellen? Und ich habe dir doch schon so oft verboten, von Mr. Widden als dem alten Charley zu sprechen! Das ist höchst respektlos!«

    »Entschuldige, Mama - aber hier nennt ihn doch jeder so!«, sagte Judy. »Sogar die Arbeiter auf den Höfen! Die ganze Gegend nennt ihn so!«

    »Was du nur für Unsinn redest...«, sagte Mrs. Ferris ärgerlich. »Was Mr. Widden tut und wen er empfängt, ist ausschließlich seine Sache. Wenn du sonst nichts zu tun hast, geh zum Ausschank. Matt ist dort sowieso nicht viel nütze. Sag ihm, dass ich ihn hier brauche.«

    Judy war auf Fred Pickering recht böse, als sie hinter den Schanktisch trat. Wenn er auf tauchte, war ihre Mutter immer so schlecht gelaunt und reizbar und verlor ihre sonstige Ausgeglichenheit und gute Laune. Judy konnte sich noch an den bösen Blick in den Augen des alten Charley Widden erinnern, als er seinen Besuch aufforderte, bei ihm einzutreten.

    Während der nächsten halben Stunde war sie so beschäftigt, dass sie keine Zeit zum Nachdenken fand. Der Schankraum war heute ganz ungewöhnlich voll, denn außer Reggie Laker, Tony Bellamy und den beiden Touristen waren auch noch mehrere Leute aus dem Ort erschienen, die hier ihren Dämmerschoppen tranken. So hatte Judy wirklich alle Hände voll zu tun.

    Mrs. Ferris machte in der Küche das Abendbrot fertig - kein großes Essen, denn an ihm nahmen außer den Familienmitgliedern nur Reggie Laker und die beiden Touristen teil. Das Wirtshaus hatte keine große Speisenauswahl, und besondere Gerichte musste man im Voraus bestellen.

    In der großen mit Fliesen ausgelegten Küche wurde Mrs. Ferris nur von Matt Wills, dem alten Faktotum, unterstützt, der schon seit vielen Jahren im Wirtshaus arbeitete. Er war ein verhutzelter Mann mit krummen Beinen und einem ledernen, runzligen Gesicht, das beinahe völlig ausdruckslos war. Man erzählte sich im Ort, er sei nicht ganz normal; dabei war er nur sehr unkompliziert - und zwar in der verschlagenen, schlauen Art, die manchmal fast genauso zum Ziel führt wie berechnende Intelligenz. Wenn man wusste, wie er zu behandeln war, machte er seine Arbeit auch tadellos, und Mrs. Ferris wusste ihn zu behandeln.

    Während Mrs. Ferris das Essen im Speiseraum auftrug, ging Matt durch das ganze Haus und zündete die Karbidlampen an, denn langsam wurde es dunkel. Als Mrs. Ferris in die Küche zurückkehrte, fand sie dort Fred Pickering vor, der mürrisch und ärgerlich dreinschaute.

    »Ich bleibe über Nacht hier«, sagte er kurz. »Machen Sie mir etwas zu essen, und geben Sie mir ein Zimmer.«

    Die Wirtin sah ihn kalt an.

    »Hat Ihnen Mr. Widden erlaubt, hierzubleiben?«

    »Das habe ich mir selbst erlaubt!«, fauchte Pickering. »Ich werde dem alten Satan schon zeigen, dass er mich nicht so leicht loswerden kann! Ich möchte jetzt mein Essen haben!« Damit verließ er die Küche.

    Tony Bellamy war noch im Schankraum, wo er ein Glas nach dem andern trank, so dass er in streitsüchtiger Stimmung war, als Reggie nach dem Essen zusammen mit den beiden Touristen Hurst und Brunoff, an die Theke kam. Seine Stimmung wurde nicht gerade besser, als er sah, dass Reggie von Judy begleitet wurde, die gerade vergnügt über einen Witz lachte, den er ihr erzählt hatte.

    »Ist es nicht höchste Zeit, dass Sie in Ihr verdammtes Zelt zurückkehren?«, sagte er gepresst und sah Reggie böse an. »Sie gehören nicht zu uns, mein Junge! Und wir Leute vom Moor haben für Fremde nicht viel übrig!«

    »Aber Mr. Bellamy!« ermahnte ihn Mrs. Ferris scharf. »Sie haben doch keine Veranlassung, andere Gäste zu beleidigen!«

    Tony Bellamy brüllte vor Lachen.

    »Gut gesagt, Mutter Ferris!«, rief er. »Immer bereit, den unartigen Jungen zurechtzuweisen, wie? Das schreit geradezu nach einer Lage! Was wollen Sie denn haben?«

    »Nichts - vielen Dank, Mr. Bellamy.«

    »Unsinn! Eine Runde für die ganze Gesellschaft hier!«, schrie Tony mit einer großartigen Handbewegung. »Eine Runde für alle - mit Ausnahme von Laker!«

    »Das ist mir sehr recht«, sagte Reggie und wurde rot. In diesem Augenblick betrat Fred Pickering den Schankraum, und so ging der Auftritt ohne weitere Peinlichkeiten vorüber. Aber Mrs. Ferris widerte es an, wie Tony sein Glas hinunterstürzte, und sie bemerkte auch, dass Judy den Sohn des Gutsherrn mit wachsender Unruhe beobachtete. Mehr als einmal ging das Mädchen zu ihm hin und flüsterte ihm etwas zu - vermutlich bat sie ihn, nach Hause zu gehen. Aber er achtete auf nichts. Auch Reggie Laker war noch geblieben, obgleich er sonst um diese Zeit schon zu seinem Zelt zurückgekehrt war; seine Augen leuchteten jedes Mal feindselig auf, wenn Judy sich Tony auch nur näherte.

    So war Mrs. Ferris herzlich froh, als endlich Polizeistunde war. Die Einheimischen - meist Landarbeiter - verließen geräuschvoll den Schankraum. Ihnen folgten ein paar Leute aus Tavistock, die sich zum Dämmerschoppen eingefunden hatten. Bald war, außer den Hausbewohnern, niemand mehr da - nur Reggie und Tony. Widerwillig schickte sich Reggie an, ebenfalls fortzugehen.

    »Nun, Judy, mein Kindchen«, sagte Tony Bellamy, keineswegs mehr nüchtern, »jetzt werde ich Ihnen sagen, aus welchem besonderen Grund ich heute Abend hergekommen bin. Ich habe nämlich heute Geburtstag!«

    »Oh, Tony, warum haben Sie mir das nicht eher gesagt?«, fragte Judy. »Ich hätte Ihnen bestimmt etwas geschenkt. Aber trotzdem: meine herzlichsten Glückwünsche!«

    Reggie schäumte vor Wut. Sie hätte ihm also etwas geschenkt! Er wurde ganz blass, und die Adern an seinen Schläfen traten hervor, als er sehen musste, wie Tony ihm einen triumphierenden Blick zuwarf.

    »Jedenfalls ist das ein Grund zum Trinken«, fuhr Tony fort. »Ich werde jetzt einen Spezialpunsch brauen - einen Punsch, den mein alter Herr vor vielen Jahren erfunden hat. Das ist ein wirklich steifes Zeug! Ich brauche kochendes Wasser, Zucker, Zitronen und Whisky.« Er hielt inne. da er bemerkte, dass Reggie immer noch da war. »Aber Sie, Mr. Laker, Sie sind nicht eingeladen!«

    »Mr. Bellamy!«, sagte Mrs. Ferris ängstlich. »Aber vielleicht sollten Sie wirklich lieber gehen, Mr. Laker...«

    »Ich gehe schon«, brummte Reggie böse.

    »Und Sie sollten auch gehen, junger Mann!«, sagte Mrs. Ferris und warf Tony einen scharfen Blick zu. »Wir wollen Ihren Punsch gar nicht trinken, und es ist für Sie höchste Zeit, nach Hause zu gehen!«

    »Unsinn!«, grölte Tony. »Los, Judy! Kommen Sie mit in die Küche! Sie müssen mir zeigen, wo alles zu finden ist! Und sagen Sie mir nur nicht, dass Sie keine Zitronen hätten, denn Zitronen brauche ich unbedingt - und auch Nelken.«

    Er ging hinaus und zog Judy hinter sich her. Der alte Matt, der in der Küche neben dem Herd vor sich hin döste, sah erschrocken auf, als die beiden hereinkamen. Aus verschlafenen Augen beobachtete er, wie Tony anfing, den Punsch zu brauen. Bald kochte das Wasser, und dann wurden die verschiedenen Ingredienzien in eine große Punschterrine geschüttet, während Tony dabeistand und den Dampf einschnupperte.

    »Alles in Ordnung!«, sagte er grinsend. »Das wird euch schon aufmöbeln! Und was ist mit diesem Burschen, dem Laker? Ist er weg?«

    »Noch nicht«, sagte Judy nach einem Blick in den Schankraum. »Tony, bitte - lassen Sie Reggie doch in Ruhe!«

    Aber er kümmerte sich nicht um sie und ging schwankend von der Küche in den Schankraum hinüber.

    »He! Sie da!«, grölte er und wies mit dem Finger auf Reggie. »Hinaus mit Ihnen!«

    Das war zu viel...

    »Ich werde Weggehen, wann es mir passt, verdammt noch mal!«, sagte Reggie zähneknirschend. »Für wen halten Sie sich eigentlich, dass Sie glauben, mich herumkommandieren zu können?« Da er sah, dass ihn Judy mit einer Mischung von Überraschung und Bewunderung ansah, stieg sein Mut zur Tollkühnheit. »Sie sind besoffen. Bellamy! Total besoffen!« Er blieb ruhig stehen, auch als Tony Miene machte, sich auf ihn zu stürzen. »Also gut - wenn Sie sich durchaus schlagen wollen...«

    »Hört doch endlich auf damit!«, rief Mrs. Ferris und stellte sich zwischen die Kampfhähne. »Ich muss mich Ihretwegen direkt schämen, Mr. Bellamy! So haben Sie sich bisher noch nie auf geführt!« Sie wandte sich entschuldigend an Reggie. »Es tut mir furchtbar leid, Mr. Laker...«

    »Schon gut, Mrs. Ferris«, unterbrach er sie. »Es ist Ihnen wohl lieber, wenn ich fortgehe - das verstehe ich schon.«

    Er ging in die Halle hinaus - und nach kurzem Zögern lief Judy ihm nach. Sie fasste ihn bei der Hand, die sie fest drückte.

    »Vielen Dank, Reggie!«, flüsterte sie. »Ich finde Tony auch abscheulich...«

    Als er ins Freie trat, war sein Zorn verraucht. Er lächelte sogar vergnügt vor sich hin, als er hörte, wie Tony zur Tür stolperte und den großen Riegel von innen vorschob. Judy hatte ihm unmissverständlich angedeutet, wer von ihnen beiden ihr lieber sei...

    Tony verriegelte wütend die Tür. Sein Gesicht war unnatürlich gerötet, als er in den Schankraum zurückkam. Fred Pickering, der an seinem Glas nippte, betrachtete ihn amüsiert, und die beiden Touristen, William Hurst und Zennan Brunoff, wunderten sich, in was für ein Haus sie geraten waren. Sie fühlten sich erleichtert, als der wütende Ausdruck langsam aus Tonys Gesicht verschwand; er begann schallend zu lachen.

    »Ist doch alles Unsinn!«, sagte er schwankend. »Der Punsch - natürlich! Beinahe hätte ich ihn vergessen - ihr müsst alle auf meine Gesundheit trinken!«

    »Ich glaube, wir denken lieber nicht an den Punsch, Mr. Bellamy«, unterbrach ihn Mrs. Ferris kurz. »Sie sind heute nicht ganz beieinander, sonst würde ich Ihr Benehmen nicht so einfach hinnehmen. Mr. Laker ist ein Gast von uns, und Sie hatten kein Recht, ihn aus dem Haus zu weisen.«

    »Reden wir nicht mehr von ihm«, sagte Tony und ging in die Küche. »Er ist weg, und jetzt können wir ungestört feiern. Warten Sie nur, bis Sie meinen Punsch probiert haben...«

    Die Küche war leer. Die Hintertür, die in den Hof führte, stand weit offen. Offenbar war Matt Wills noch einmal in den Hof gegangen. Tony tauchte den Kochlöffel in den Punsch und kostete das Gebräu. Er leckte sich genießerisch die Lippen. Dann trug er die dampfende Terrine in den Schankraum und bestand darauf, dass jeder der Anwesenden ein großes Glas bekam. Mrs. Ferris hielt es für klug, ihn nicht unnötig zu reizen, und so nahm sie ihr Glas ohne Widerrede entgegen.

    »Oh - der ist aber stark!«, sagte Judy und musste husten.

    »Austrinken, meine Liebe - alles!« mahnte Tony und schwenkte den Kochlöffel. »Heute ist mein Geburtstag, und ihr...« er blickte mit glasigen Augen auf die andern, »seid ihr fertig? Ich habe noch mehr von dem Zeug!«

    Hurst und Brunoff - zuerst überrascht, als Fremde zu der Geburtstagsfeier aufgefordert zu werden - wurden bald recht vergnügt. Auch Fred Pickering verlor viel von seiner üblen Laune. Auch Fred Pickering verlor viel von nicht gerade schön, dafür aber umso lauter. Er bestand darauf, dass auch Judy mitsang, und schließlich stimmten, unter der Wirkung des Alkohols, auch die andern Männer in den Gesang ein. Selbst Mrs. Ferris konnte nicht mehr widerstehen und fiel mit ihrem hellen Sopran in den Chor der anderen ein.

    Was schließlich dem allgemeinen Frohsinn ein Ende machte, war das plötzliche Auftauchen des alten Charley Widden. Mit ausgetretenen Pantoffeln an den Füßen und in einen alten, schäbigen Schlafrock gehüllt, stand er im Türrahmen. Sein Gesicht war rot vor Wut, und seine Augen funkelten, als er die Szene überschaute.

    »Aufhören!«, donnerte er. »Mein Gott, was ist denn über Sie gekommen, Annie?« Er starrte Mrs. Ferris wütend an. »Ich verbitte mir diesen Krach in meinem Hause! Wer hat mit dem Spektakel angefangen?«

    Die ganze Runde schwieg bestürzt.

    »Sie sicherlich!«, fuhr der alte Mann fort und wies auf Tony Bellamy. »Sie sind bestimmt für diese Unverschämtheit verantwortlich! Raus mit Ihnen! Und lassen Sie sich in diesem Hause nicht mehr sehen! Nie wieder!«

    Tony - der Schreck hatte ihn plötzlich ernüchtert - war unfähig, sich dem energischen alten Mann zu widersetzen. Seine laute Fröhlichkeit war restlos verflogen. Wortlos schlich er zur Tür, zog den Riegel zurück und ging stumm in die Nacht hinaus.

    Die andern warteten eingeschüchtert, bis sich der alte Charley Widden nach einem letzten wütenden Blick umgewandt hatte und wieder die Treppe hinaufstieg. Ein betretenes Schweigen lag über dem einsamen alten Wirtshaus und seinen Bewohnern.

    Zweites Kapitel

    Die Morgensonne schien mit sommerlicher Wärme, und die Hügellandschaft von Dartmoor sah fast freundlich aus, als Reggie Laker am nächsten Morgen zu dem alten Gasthof kam, um seine Milch, die Zeitung und etwa eingegangene Post abzuholen.

    Schon von weitem sah er Tom Trehearn, den Postboten, auf seinem Fahrrad herankommen. Aber er wunderte sich über Nobbys ungewöhnliches Verhalten. Anstatt Reggie wie sonst entgegen zu rasen, schlich er mit eingekniffenem Schwanz und zurückgelegten Ohren verstört um das Haus herum. Selbst auf Reggies Pfeifen kam er nur zögernd.

    »Guten Morgen, Sir«, sagte der Postbote und stieg vom Rad. »Ein warmer Tag heute, für September. Aber was ist denn mit Nobby los? Er sieht ziemlich miesepetrig aus! Und was hat er denn da Grünes auf der Brust?«

    »Das habe ich mich auch schon gefragt«, sagte Reggie mit verwunderter Stimme.

    Nur mit Schwierigkeit konnten sie den Hund dazu bringen, sich ruhig hinzusetzen. Seine sonst schneeweißen Brusthaare waren von halb eingetrockneter grüner Farbe verklebt - dieselbe Farbe, mit der der alte Matt Wills die Türen der Garage im Hinterhof angestrichen hatte.

    »Das ist doch toll!«, lachte Tom Trehearn. »Irgendjemand hat den Hund angemalt, damit er zum Haus passt! Im Wirtshaus Zum Bunten Hund muss natürlich auch der Hund bunt sein!«

    Aber Reggie fand diesen Witz nicht besonders komisch.

    »Wenn ich herausbekomme, wer das gemacht hat - dem werde ich gehörig die Meinung sagen«, meinte er böse. »Das dauert Wochen, bis die Farbe wieder abgeht.«

    »Der Hund ist auch so merkwürdig, finden Sie nicht?«, meinte der Postbote. »Irgendwie verängstigt! Glauben Sie, dass er sich zufällig beschmiert haben könnte?«

    »Das glaube ich kaum«, sagte Reggie. »Nein, das ist Absicht gewesen. Und Matt hat die Garagentüren auch schon vor zwei Tagen gestrichen, so dass sie jetzt bestimmt schon trocken sind.«

    Aber Tom Trehearn hatte ihm gar nicht zugehört. »Drüben steht noch die Milchkanne«, sagte er und wies mit dem Finger hinüber. »Und die Zeitungen liegen auch noch da! Wenn ich sonst komme, sind Milch und Zeitungen schon längst hereingeholt. Die Hintertür steht auch nicht offen wie sonst! Und aus dem Küchenschornstein kommt kein Rauch - merkwürdig. Das Haus sieht geradezu wie ausgestorben aus!«

    »Wirklich, Sie haben Recht«, sagte Reggie. »Es ist mir noch gar nicht auf gefallen.« Plötzlich hellte sich seine Miene auf, und er grinste. »Mir fällt übrigens ein, dass die Leute letzte Nacht gefeiert haben - den Geburtstag des jungen Bellamy! Als ich fortging, machten sie sich gerade über Tonys Spezialpunsch her. Anscheinend war das Zeug ziemlich stark!«

    Der Postbote schüttelte den Kopf.

    »Dass der junge Bellamy sich einen antrinkt, will ich noch glauben, Sir - aber Mrs. Ferris doch nicht«, meinte er unsicher. »Sie ist im Allgemeinen als erste auf und macht sich dann gleich im Haus zu schaffen, sie und der alte Matt. Mir will das gar nicht gefallen, Sir.«

    Da der Vordereingang von innen verriegelt war, gingen sie um das Haus herum. Die Küchentür war zwar geschlossen, aber nicht abgesperrt. Reggie betrat die Küche, während Tom Trehearn aus seiner Posttasche ein Päckchen für Judy heraussuchte. Plötzlich hörte er Reggies erschrockenen Ruf.

    Als er in die Küche kam, sah er, wie Reggie sich über Matt Wills beugte. Matt Wills saß schlafend auf seinem Stuhl am Tisch; sein Kopf lag auf den Armen.

    »Ich kann ihn nicht wach bekommen«, sagte Reggie beunruhigt. »Aber sehen Sie mal - die Lampe brennt noch! Ich bekomme ihn einfach nicht wach!«

    »Er ist doch nicht etwa - tot?«, flüsterte der Postbote aufgeregt.

    »Tot? Ach wo! Hören Sie denn nicht, dass er atmet?«, meinte Reggie. »Aber betäubt wird er sein! Was, zum Kuckuck, kann nur passiert sein?«

    Während er sprach, schüttelte er Matt wieder kräftig an der Schulter, aber ohne jeden Erfolg. Plötzlich schien ihm jedoch etwas eingefallen zu sein, denn er lief durch die Küche in den Schankraum...

    »Tom!«, rief er plötzlich.

    Der Postbote rannte hinterher. Im Schankraum brannten auch noch die beiden starken Karbidlampen. Zwei Männer lagen in tiefem Schlaf lang ausgestreckt auf dem Boden. Es waren die beiden Touristen, die Reggie gestern Abend kennengelernt hatte. Sie rührten sich nicht, obgleich Reggie sie mehrmals mit dem Fuß anstieß. Dann beugte er sich über die breite Theke und starrte in den schmalen dahinterliegenden Raum. Tom Trehearn folgte ihm; und hier fanden sie Mrs. Ferris, den Arm unnatürlich verbogen und den Kopf auf einer leeren Bierflasche.

    »Mein Gott!«, stieß Tom Trehearn hervor; er war ganz blass geworden.

    Sowohl er wie Reggie waren ziemlich aufgeregt. Das konnte doch unmöglich die Wirkung eines auch noch so starken Punsches sein. Etwas viel Schlimmeres musste sich im Haus abgespielt haben. Im ersten Augenblick glaubte selbst Reggie, dass Mrs. Ferris tot wäre. Aber nach einer kurzen Untersuchung richtete er sich mit einem Seufzer der Erleichterung auf.

    »Sie schläft nur - genau wie der alte Matt«, sagte er heiser. »Betäubt! Sie muss wohl betäubt sein, denn eine andere Erklärung gibt es nicht. Helfen Sie mir doch!«

    Vorsichtig hoben sie die Wirtin auf und trugen sie in die große Diele. Sie gab kein Lebenszeichen von sich, sondern sank schlaff zurück, als die beiden sie dort auf ein Sofa legten. Auch Hurst und Brunoff waren für ihre Umwelt nicht zu sprechen. Reggie schüttelte Hurst an der Schulter, aber der Mann rührte sich nicht. Er hob Hursts Augenlid hoch, sein Auge war starr, die Pupille zeigte keine Reaktion.

    »Ich verstehe zwar nicht viel von diesen Dingen, aber mir scheint, dass die Pupille vergrößert ist«, meinte er. »Das ist wohl die Wirkung des Betäubungsmittels - großer Gott, Judy! Wo ist denn Judy?« Wieder rannte er, gefolgt von Trehearn, in die Diele. Auch hier brannte noch die Karbidlampe.

    »Judy!«, rief Reggie.

    Es wurde ihm klar, dass sein Rufen sinnlos war. Deshalb stürmte er die Treppe hinauf - und stürzte beinahe über den Körper von Fred Pickering, der auf dem Treppenabsatz lag.

    »Ganz wie die anderen!«, sagte Reggie nach kurzer Untersuchung. »So etwas habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen! Er hat sich wahrscheinlich unwohl gefühlt und versuchte noch sein Zimmer zu erreichen. Aber er kam nur bis hierher. Wo ist nur Judy geblieben?«

    Reggie brach der Schweiß aus, als er den Gang entlanglief und die Tür öffnete, die, wie er glaubte, in Judys Zimmer führte. Er hatte sich nicht geirrt: Judy lag quer über dem Bett. Wie alle anderen, war sie zwar bewusstlos, atmete aber ganz normal.

    Reggie sah sich im Zimmer um. Sonnenschein fiel durch das Fenster, aber die altmodische Petroleumlampe brannte noch auf dem Kaminsims. Tom Trehearn kam aufgeregt in das Zimmer.

    »Auch ohnmächtig?«, flüsterte Tom.

    Ja...«

    »Sollen wir nicht lieber Doktor Jeffries anrufen, Sir?«, fragte der Postbote. »Wir können ihren Zustand doch nicht beurteilen; vielleicht sind sie in Lebensgefahr. Wenn ich so sehe, wie alle wie die Leichen daliegen, läuft mir ein Schauder über den Rücken.«

    »Sagen Sie doch so etwas nicht!«, herrschte Reggie ihn an und sah besorgt auf Judys blasses Gesicht. »Gott sei Dank scheint es nichts Ernsthaftes zu sein. Aber wie Sie sagen: mit Sicherheit wissen wir es nicht. Natürlich rufen wir einen Arzt an! Wie, sagten Sie, heißt er? Jeffries? Wissen Sie seine Telefonnummer?«

    »Moreton Abbott 6«, sagte der Postbote, als sie das Zimmer verließen. »Und Phil Burton könnten wir auch gleich anrufen, Sir.«

    »Wer ist denn Phil Burton?«

    »Der Polizeisergeant in Moreton Abbott. Er ist übrigens mein Schwager.«

    »Hm - ich weiß nicht recht«, meinte Reggie zweifelnd. »Das sieht doch nicht wie ein Fall für die Polizei aus, und Mrs. Ferris wird es vielleicht nicht recht sein, wenn wir die Polizei hinzuziehen. Dem alten Charley wohl auch nicht. Ich hörte, dass er überhaupt ein bisschen exzentrisch sei.« Reggie hielt inne. »Was ist überhaupt mit dem alten Charley? Wir müssen ihm wohl Bescheid sagen? Ich weiß, wo sein Zimmer liegt.«

    Er brach ab und lief durch den Gang zu der Eichentür. Die Tür war wie üblich verschlossen; auf Reggies zögerndes, leises Klopfen rührte sich nichts. Kurz darauf stand auch Tom Trehearn schweratmend vor der Tür.

    »Klopfen Sie doch lauter, Sir!«

    Reggie tat es.

    »Mein Gott - der alte Mann wird wohl auch betäubt sein«, sagte er aufgeregt. »Aber ich verstehe gar nicht...«

    Er brach ab. »Mir ist das alles unheimlich. Der alte Charley wird doch nicht auch unten gewesen sein und mitgesoffen haben.«

    »Sie meinen - den Punsch, von dem Sie vorhin sprachen?«

    »Natürlich. Irgendetwas muss sie doch eingeschläfert haben!« Reggie wandte sich um. »Ich werde doch Ihren Schwager anrufen, Tom!«, sagte er schließlich. »Langsam glaube ich auch, dass wir es hier mit einem Fall für die Polizei zu tun haben.«

    Er rief denn auch sofort an. Sergeant Burton, der gerade beim Frühstück saß, hörte sich Reggies unzusammenhängenden, stockenden Bericht ungläubig an.

    »Alle bewusstlos?«, fragte er misstrauisch. »Sind Sie sicher, dass sie nicht nur ein bisschen beschwipst sind? Sie redeten doch von einem Spezialpunsch, den Mr. Tony braute...«

    »Aber ist doch Unsinn, Mann«, unterbrach ihn Reggie ungeduldig. »Könnten die Leute denn noch am hellen Morgen bloß von Alkohol so berauscht sein? Das muss doch eine andere Ursache haben, wahrscheinlich ein Betäubungsmittel. Sagen Sie dem Arzt Bescheid, oder soll ich ihn anrufen?«

    »Schon gut, Sir. Ich werde den Arzt holen«, antwortete Burton. »Die Geschichte ist wirklich sehr merkwürdig, das muss ich schon sagen. Der Doktor wird mich wohl in seinem Wagen mitnehmen, so dass wir in zwanzig Minuten bei Ihnen sein können.«

    »Gut«, sagte Reggie erleichtert. »Je eher, desto besser.«

    Er hängte ab. Tom Trehearn sah fassungslos auf die bewusstlosen Gestalten am Boden.

    »Die sind ziemlich k.o.«, sagte er und glaubte flüstern zu müssen. »Aber mehr kann ich hier wohl nicht tun. Ich mache mich lieber wieder auf meinen Weg.«

    »Nein! Bitte gehen Sie nicht, bevor der Arzt kommt«, sagte Reggie ängstlich. »Ich möchte hier um keinen Preis allein bleiben. Es ist doch ziemlich unheimlich! Können wir denn nichts tun, bis der Arzt kommt?«

    Sie versuchten, Mrs. Ferris wieder zum Bewusstsein zu bringen, aber ohne Erfolg. Nachdem sie sich ebenso erfolglos um die beiden Touristen bemüht hatten, ging Reggie zu der Punschterrine und warf einen Blick auf die kalte, bräunliche Flüssigkeit, die noch den Boden bedeckte.

    »Eigenartig, wie widerwärtig so ein würziger Punsch aussieht, wenn er kalt geworden ist«, sagte er und verzog das Gesicht. »Dieses Zeug ist doch richtig unappetitlich. Aber sehen Sie nur, Tom, fast die ganze Terrine haben sie ausgetrunken. Ein Glück, dass noch ein Rest übrig ist. Der Arzt kann so wenigstens feststellen, was in dem Gebräu da drin ist.« Er warf dem Postboten einen hilflosen Blick zu. »Ich kann es einfach nicht verstehen. Diesen Punsch hat Tony Bellamy gebraut. Aber man kann doch unmöglich annehmen, dass er absichtlich ein Betäubungsmittel hineingeschüttet hat...« Er brach unvermittelt ab. »Hören Sie! Kommt da nicht ein Wagen?«

    Tatsächlich fuhr ein Wagen vor: die Limousine von Dr. Alan Jeffries. Ihr entstiegen der Arzt - ein großer, breitschultriger Mann Mitte Vierzig - und der noch größere Sergeant Burton, dessen rundes, glänzendes Gesicht von der Sonne und dem scharfen Wind, der stets über dem Moor wehte, gebräunt war. Reggie Laker und der Postbote gingen den beiden entgegen.

    »Sie sind also auch hier, Tom!«, sagte der Arzt, nachdem er Reggie zugenickt hatte. »Was ist das für eine merkwürdige Geschichte, die mir Phil erzählte. Die Leute hier sollen alle bewusstlos sein?«

    »Das stimmt auch, Sir«, antwortete der Postbote. »Ich und dieser Herr hier fanden alle besinnungslos: Mrs. Ferris und ihre Tochter, den alten Matt und noch einige andere, offenbar Gäste. Alle liegen wie die Leichen da, bloß mit dem Unterschied, dass sie atmen. Und im ganzen Hause brannten die Lampen.«

    »Sehen Sie sich das doch einmal an, Sir«, sagte der Sergeant.

    Sie gingen zusammen wieder ins Haus zurück, und Dr. Jeffries untersuchte zunächst Mrs. Ferris eingehend. Die andern standen schweigend dabei, während er ihr den Puls fühlte, das Herz abhorchte und ihre Augenlider anhob, um sich die Pupillen anzusehen.

    »Glücklicherweise ist es nichts Ernsthaftes«, meinte der Arzt schließlich. »Sie muss wohl ein starkes Schlafmittel eingenommen haben. Aber wir können nichts tun, bevor sie wieder zu sich kommt. Dann werden wir ihr einen starken Kaffee zu trinken geben.«

    »Könnten Sie nicht auch in den ersten Stock gehen und sich Judy ansehen?«, fragte ihn Reggie ängstlich. »Sie liegt oben in ihrem Schlafzimmer...«

    Der Arzt blickte ihn freundlich an.

    »Sie sind doch der junge Mann, der auf dem Moor malt?«, fragte er. »Ich habe Sie schon ein- oder zweimal im Vorbeifahren gesehen. Sie nennen das Mädel also Judy? Sie kennen die junge Dame wohl recht gut?«

    »Nicht so gut, wie ich gern möchte«, antwortete Reggie ganz offen und lächelte. »Aber hier in der Gegend nennt man sich doch gleich beim Vornamen. Ich bin allerdings nur auf Ferien hier. - Könnten Sie nicht doch hinaufgehen und sie sich ansehen?«

    Der Arzt hatte inzwischen William Hurst und Zennan Brunoff kurz untersucht.

    »Ja - genau dasselbe«, sagte er und steckte sein Hörrohr ein. »Ich kann noch nicht genau sagen, womit sie betäubt wurden.«

    »Das Zeug muss jedenfalls in dem Punsch gewesen sein, den sie getrunken haben«, unterbrach ihn Reggie und wies auf die Punschterrine. »Hier ist noch etwas von dem Punsch übrig...«

    »Schön, das erleichtert jedenfalls die Untersuchung«, sagte Jeffries. »Aber wer ist denn so verrückt gewesen, ein ganzes Haus voll Menschen einzuschläfern? Und warum? Aus welchem Grunde? Ist vielleicht die Kasse aufgebrochen oder sonst etwas gestohlen worden?«

    »Genau das gleiche wollte ich auch schon fragen«, nickte der Sergeant.

    »Mein Gott! Daran haben wir noch gar nicht gedacht«, sagte Reggie und schlug sich mit der Hand vor den Kopf. »Aber, verdammt noch mal, den Punsch hat doch Tony Bellamy gebraut. Wollen Sie etwa andeuten, dass Bellamy...?«

    »Die Kasse ist in Ordnung«, unterbrach ihn der Sergeant, der inzwischen die altmodische Registrierkasse untersucht hatte. »Münzen sind noch da, und auch eine ganze Menge Banknoten. Es sieht so aus, als ob nichts fehlt.«

    »Und was ist mit Mr. Widden?«, fragte Jeffries plötzlich. »Den hätte ich beinahe vergessen. Ist er in demselben Zustand wie die andern?«

    »Das wissen wir auch nicht. Deshalb habe ich doch die Polizei angerufen«, sagte Reggie. »Ich weiß zwar nicht, wie es mit ihm steht; aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er heruntergekommen ist und mitgezecht hat.«

    »Ich auch nicht«, sagte der Arzt und schüttelte den Kopf. »Ich behandle den alten Charley schon seit Jahren, wenn ihm wirklich mal was fehlt, denn er hat eine Pferdenatur. Aber ich weiß, dass er außer Whisky nichts trinkt. Über heißen Punsch würde er nur die Nase rümpfen. Haben Sie versucht, in sein Zimmer zu gelangen?«

    »Mr. Laker und ich klopften an die Tür, aber er gab keine Antwort«, sagte der Postbote. »Das war es gerade, was uns Angst machte. Ich glaube, Phil, du solltest sofort zu ihm hinauf gehen.«

    Sie gingen in den ersten Stock hinauf. Während der Polizeisergeant mit beiden Fäusten gegen die Tür von Charley Widdens Zimmer hämmerte, ging Dr. Jeff ries mit Reggie in Judys Schlafzimmer und untersuchte das Mädchen flüchtig.

    »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, junger Mann«, sagte er schließlich. »Es sieht sogar so aus, als ob sie als erste wieder aufwachen wird. Wahrscheinlich hat sie weniger getrunken als die andern und dann hat sie eine sehr gute Konstitution.« Nach dieser Untersuchung ging er mit Reggie zu Sergeant Burton, der noch vor der Tür von Mr. Widdens Zimmer stand.

    »Der alte Mann rührt sich nicht, Sir«, sagte der Polizist kopfschüttelnd. »Was sollen wir tun? Er wird wohl auch betäubt sein, wie die andern. Merkwürdig! Wenn er, wie Sie meinen, von dem Punsch nichts getrunken hat - warum gibt er dann keine Antwort? Aber diese Tür kann ich nicht aufbekommen. Sie ist verschlossen. Der Schlüssel wird wohl von innen stecken.«

    »Nein«, sagte der Arzt, der sich niedergebückt hatte und durch das Schlüsselloch spähte. »Aus irgendeinem Grunde zog Widden den Schlüssel immer ab.«

    »Das stimmt«, fiel Reggie rasch ein. »Dasselbe hat man mir auch gesagt. Sobald er in seinem Zimmer ist, schließt er ab und legt den Schlüssel auf den Tisch. Können Sie denn nichts sehen?«

    »Dazu ist es zu dunkel«, murmelte der Arzt, dessen Nasenflügel bebten. »Ich kann nichts sehen, aber - riechen. Sergeant«, fügte er ernst hinzu, als er sich aufrichtete, »versuchen Sie die Tür aufzubrechen.«

    Der Sergeant, der sich vergeblich bemüht hatte, die kleine Klappe im Oberteil der Tür zu heben, starrte ihn verwundert an.

    »Aufbrechen?«, wiederholte er. »Unmöglich, Sir!« Seine Stimme klang ganz entsetzt. »Der alte Charley würde mir bei lebendigem Leibe die Haut abziehen, wenn ich seine kostbare Tür aufbräche! Sie haben keine Ahnung, wie stolz er darauf ist! Vor Jahren ließ er sie aus einem alten Schloss heranschaffen, und Tim Huggins und seine Leute brauchten drei volle Tage, um den alten Türrahmen herauszubrechen und einen neuen einzusetzen, der stark genug war, um diese Tür zu tragen. Das ist dickes, solides Eichenholz!«

    »Mir ist es völlig egal, ob Mr. Widden etwas dagegen einzuwenden hat oder nicht - ich verlange, dass die Tür geöffnet wird!«, sagte Jeffries scharf. »Mit einem Vorschlaghammer und einem Brecheisen sollte das möglich sein. Stehen Sie doch nicht herum und starren mich an! Tun Sie lieber, was ich Ihnen sage!«

    »Aber warum denn, Doktor«, sagte Reggie, als Burton zögernd weggegangen war. »Ist es denn so eilig? Sie sagten vorhin, Sie würden etwas riechen...«

    »Zerbrechen Sie sich darüber nicht den Kopf!«, sagte der Arzt und zog die Stirn kraus. »Vielleicht habe ich mich auch geirrt. Mein Gott, was veranlasste den alten Widden nur, sich hinter einer derartig massiven Tür zu verschanzen? Ich habe ihn mehr als einmal deswegen ausgelacht, aber er antwortete immer nur, ich solle mich lieber um meine eigenen Sachen kümmern.«

    Während sie auf Burton warteten, hoben sie Fred Pickering auf, trugen ihn in ein nahe gelegenes Zimmer und legten ihn dort auf ein Bett.

    »Schlagen Sie möglichst am Schloss gegen die Tür«, sagte Jeffries, als der Sergeant schließlich mit einem riesigen Vorschlaghammer und einem verrosteten Stemmeisen wiederkam. »Und versuchen Sie, das gebogene Ende des Stemmeisens so zwischen Tür und Angel zu bringen, dass wir es als Hebel benutzen können.«

    Das erwies sich jedoch als unmöglich, weil der Spalt zwischen Tür und Angel nicht groß genug war; deshalb bearbeitete Burton die Tür mit dem Hammer. Die andern standen daneben, während der Sergeant mit dem schweren Hammer mehrmals gegen das Holz in der Nähe des Schlosses schlug. Im ganzen Haus hallten die Schläge dumpf wider, aber in dem Zimmer rührte sich nichts.

    »So kommen wir nicht weiter, Sir«, stöhnte der Sergeant und machte eine Pause.

    »Doch!«, sagte Jeffries, als er die Tür untersucht hatte. »Hier klafft schon ein ziemlich breiter Spalt zwischen Tür und dem Pfosten. Jetzt können wir wenigstens das Stemmeisen ansetzen.«

    Das Stemmeisen wurde hineingeschlagen; Reggie hielt es fest, während der Sergeant es mit dem Hammer tiefer in den Spalt hineintrieb. Dann stemmten sich alle drei zusammen gegen das schwere Eisen, und mit einem plötzlichen Krachen sprang die Tür, deren schwerer Riegel durch den Druck abgerissen war, nach innen auf.

    Als erster betrat Jeffries das Zimmer, in das kein Tageslicht drang, weil das Fenster durch schwere hölzerne Läden verschlossen war. Eine brennende Petroleumlampe erleuchtete nur den großen Tisch, der in der Mitte des Zimmers stand. Sonst lag das Zimmer im Dunkeln.

    »Er ist gar nicht hier«, murmelte Reggie verwundert.

    In der Tat schien niemand in dem Zimmer zu sein. Plötzlich blieb Jeffries, der zögernd weitergegangen war, hinter dem Tisch stehen.

    »Großer Gott!«, murmelte er entsetzt.

    Charles Widden lag, den Kopf in einer großen, fast schon getrockneten Blutlache, auf dem Teppich: Er war aus geringer Entfernung durch einen Schuss in die linke Schläfe getötet worden, wie die Pulverspuren auf seiner Haut bewiesen. Die rechte Kopfseite war völlig zerschmettert worden. Seine Hand krampfte sich noch um einen alten Armeerevolver.

    »Hier haben Sie des Rätsels Lösung«, sagte der Arzt erschüttert. »Der alte Herr hat alle im Hause betäubt und sich anschließend erschossen.«

    Drittes Kapitel

    »Er war eben verrückt«, sagte Sergeant Burton, als er auf den toten Mann hinabblickte. »Er war nie ganz richtig im Kopf, wenn Sie mich fragen. Wie lange wird er denn schon tot sein?«

    Jeffries, der die Hand auf die Stirn des Toten gelegt hatte, erhob sich wieder.

    »Seit mehreren Stunden«, antwortete er. »Er muss sich gestern Abend, kurz nach der Sauferei, erschossen haben.«

    »Wie entsetzlich!«, murmelte Reggie und warf einen raschen Blick auf den Toten. »Warum mag sich der Alte das Leben genommen haben?« Er wandte sich ab, als könnte er den Anblick nicht länger ertragen. »Aber, mein Gott, Sie haben doch etwas geahnt, Doktor! Warum ließen Sie sonst die Tür aufbrechen?«

    »Ich wusste es auch nicht bestimmt«, brummte der Arzt. »Aber als ich versuchte, durch das Schlüsselloch zu sehen, nahm ich einen schwachen Pulvergeruch wahr. Eine schlimme Sache ist das! Sie werden sich wohl mit Ihrem Vorgesetzten in Tavistock in Verbindung setzen müssen, Phil - und zwar je eher, desto besser.«

    »Gewiss, Sir«, sagte der Sergeant und sah sich unsicher im Zimmer um. »Ich möchte nur darum bitten, dass niemand etwas anfasst, denn Inspektor Holbrook achtet immer genau darauf, dass die Vorschriften befolgt werden.«

    Er lief zum Telefon, während Dr. Jeffries und Reggie zu Tom Trehearn hinausgingen, der im Gang vor dem Zimmer gewartet hatte. Der Postbote sah ernst aus.

    »Er hat sich also umgebracht?«, fragte er leise. »So etwas habe ich mir schon gedacht, Sir.«

    »Er muss gewusst haben, dass ein Punsch gebraut wurde, und in einem Augenblick, wo er sich nicht beobachtet fühlte, wird er das Schlafmittel in die Terrine geschüttet haben«, sagte der Arzt. »Es ist nicht schwer sich irgendein Brompräparat zu verschaffen - und in einem Punsch, der heiß und gewürzt ist, schmeckt man es nicht. Als alle betäubt waren, ging er dann in sein Zimmer hinauf, riegelte die Tür ab und erschoss sich.«

    Als Inspektor Holbrook von Tavistock ankam, schien Mrs. Ferris langsam wieder zur Besinnung zu kommen. Judy hatte sogar schon die Augen geöffnet, als der Arzt wieder zu ihr ins Zimmer trat; aber sie war noch immer völlig benommen.

    Inspektor Holbrook, ein großer, schlanker Mann, war in einem schnellen Wagen von Tavistock herübergekommen. Er redete nur wenig - ganz im Gegensatz zu dem Sergeanten, der nur langsam und umständlich denken konnte. Wortlos - wenn auch ungeduldig - hörte sich Inspektor Holbrook Burtons stockenden Bericht an. Dann stieg er in den ersten Stock hinauf.

    »Klarer Fall von Selbstmord!«, sagte er, nachdem er die Leiche flüchtig untersucht hatte. »In einem so hermetisch abgeschlossenen Zimmer kommt etwas anderes überhaupt nicht in Frage.«

    »Das glaube ich auch. Die Tür war fest verschlossen - und hier auf dem Tisch liegt noch der Schlüssel«, sagte der Arzt und wies auf einen riesigen, antiken Bronzeschlüssel. »Hinter den Fensterläden befinden sich starke Eisengitter, und die Läden selbst sind, wie Sie sehen, von innen festgehakt.«

    »Öffnen wir sie doch - und das Fenster auch«, sagte Holbrook. »Die Luft hier drinnen ist schauderhaft. Wissen Sie, ob sich gestern Abend etwas Besonderes ereignete, was den Alten zu seinem Schritt getrieben haben könnte?« Sein Blick heftete sich auf Reggie, der an der Tür stand »Sie waren doch, wie mir gesagt wurde, gestern auch hier, nicht wahr?«

    »Ja, ich war hier«, antwortete Reggie und zuckte mit den Schultern. »Aber ich bin ein Fremder - ein Gast. Schlafen tue ich in einem Zelt auf dem Moor, und nur abends komme ich zum Essen und auf ein Glas Bier hierher.«

    »Das hat mir der Sergeant bereits erzählt«, meinte Holbrook. »Wissen Sie aber über diese Zecherei von gestern Abend noch mehr? Sie nahmen doch daran teil, nicht wahr?«

    »Nein. Tony Bellamy hatte alle eingeladen - weil er gestern Geburtstag hatte, wie er sagte; ich war jedoch nicht eingeladen, denn Tony kann mich nicht leiden. Bevor der Punsch hereingetragen wurde, verließ ich das Haus. Sie müssen sich also schon bei jemand anders danach erkundigen...« Reggie brach nachdenklich ab. »Ob der Alte einen besonderen Grund gehabt hat. Ich weiß es nicht - und es geht mich ja auch nichts an.«

    »Wenn Sie irgendetwas wissen, Sir, sind Sie verpflichtet, mich davon zu unterrichten.«

    »Bestimmt ist es nicht wichtig«, sagte Reggie zögernd. »Aber dieser Pickering - der Mann, der bewusstlos oben auf der Treppe lag, Doktor -, also dieser Mann ging gestern Abend zu Mr. Widden hinauf, und als er wieder herunterkam, schien er ziemlich wütend zu sein.«

    »Sie meinen, er hatte eine Auseinandersetzung mit Mr. Widden?«

    »Das habe ich nicht gesagt. Ich sagte nur, dass er wütend zu sein schien, als er wieder herunterkam. Sie müssen ihn schon selbst fragen, was oben losgewesen ist.«

    »Eigenartig, dass alle betäubt wurden«, sagte der Inspektor und zog die Stirn kraus. »Wenn der alte Widden den Punsch selbst gebraut hätte, könnte ich es noch verstehen. Aber das Ganze war doch wohl ein Einfall vom jungen Mr. Bellamy! Hm - Sir Richard wird nicht gerade entzückt sein. Er ist sowieso sehr leicht gereizt, und wenn sein Sohn jetzt wegen einer Sauferei in diese Sache hineingezogen wird...«

    »Großer Gott! Tony habe ich ja ganz vergessen«, unterbrach Reggie ihn aufgeregt. »Ich sprach gerade mit Tom Trehearn darüber, als ich Ihren Wagen kommen hörte, Doktor. Und nachher habe ich es ganz vergessen.«

    »Was haben Sie vergessen?«, fragte Holbrook.

    »Die Sache mit Tony.«

    »Was ist denn mit ihm los?«

    »Das war so: Tony wurde gestern Nacht ziemlich ausfallend. Er schrie mich an, dass ich mich hinausscheren solle - eigentlich kann ich Ihnen gleich den Grund verraten«, sagte Reggie entschlossen. »Tony hat auf Judy - die Tochter von Mrs. Ferris - ein Auge geworfen; und niemand kann mir einreden, dass er dabei ehrliche Absichten verfolgt. Leute seiner Art flirten nicht mit einer Gastwirtstochter, wenn sie nicht hoffen, ein bestimmtes Ziel damit zu erreichen. Aber ich habe Judy wirklich gern, und deshalb nahm ich diesem Burschen übel, wie er sich auf führte.«

    Der Inspektor lächelte.

    »Ich glaube, ich kann Sie verstehen, Sir«, sagte er trocken. »Sie sind also - sagen wir einmal: Rivalen, wie? Und darum lud Mr. Bellamy Sie auch nicht zu seiner Gesellschaft ein.«

    »Er war alles andere als nüchtern, als er den Punsch braute«, sagte Reggie. »Ich merkte deutlich, dass Mrs. Ferris sich Sorgen machte, und da ich keine Schlägerei anfangen wollte...«

    »Daraus kann man Ihnen keinen Vorwurf machen, junger Mann«, unterbrach ihn der Arzt. »Sie sind wohl Tony auch kaum gewachsen. Sie kennen ihn doch auch, Inspektor? Ein großer, bärenstarker junger Mann.«

    »Ja, ich kenne ihn«, sagte Holbrook und nickte. »Mehr als einmal hat er in Tavistock Klamauk gemacht. Er ist ein ziemlicher Radaubruder, der junge Bellamy, und es war manchmal nicht leicht für mich, mit ihm fertig zu werden - denn sein Vater hat in der Gegend sehr viel Einfluss«, fügte er leise zu dem Arzt gewandt, hinzu. »Er gehört nicht nur zum alten Landadel, sondern ist auch Friedensrichter.«

    »Und deshalb müssen Sie Tony mit Samthandschuhen anfassen, was?«, fiel Reggie ein und schnaufte verächtlich. »Jedenfalls wollte ich mich gestern Abend nicht von ihm zusammenschlagen lassen, und deshalb wehrte ich mich auch nicht, als er mich mit Gewalt zur Tür hinausstieß. Aber wütend war ich trotzdem, als ich in mein Zelt zurückkehrte.«

    »Durchaus verständlich«, stimmte der Inspektor zu. »Ist das alles, was Sie mir zu berichten haben?«

    »Nein - die Hauptsache kommt erst. Tom Trehearn wunderte sich schon, warum Tony nicht wie die anderen bewusstlos hier liegengeblieben ist«, sagte Reggie. »Ich glaube, ich kann es erklären, denn ich weiß, was mit ihm geschah.«

    »Kommen Sie doch endlich zur Sache, Sir«, sagte Holbrook ungeduldig.

    »Kurz nachdem ich in meinem Zelt angekommen war, hörte ich auf der Straße nach Morlton Abbott ein Auto«, sagte Reggie. »Und als ich hinübersah, konnte ich im Dunst die Scheinwerfer des Wagens erkennen. Ich dachte an gar nichts, bis mir auffiel, dass der Wagen anscheinend im Zickzack fuhr und dass das Motorengeräusch so klang, als hätte der Fahrer Schwierigkeiten beim Schalten. Plötzlich blieb das Auto stehen, und der Motor verstummte, während die Scheinwerfer nach oben leuchteten. Nanu, dachte ich, da ist sicher etwas passiert! Es sah aus, als wäre das Auto in den Graben gefahren. Vielleicht braucht jemand

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