Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

DER TANZ IM HEXENKESSEL: Drei Western-Romane US-amerikanischer Autoren auf über 750 Seiten!
DER TANZ IM HEXENKESSEL: Drei Western-Romane US-amerikanischer Autoren auf über 750 Seiten!
DER TANZ IM HEXENKESSEL: Drei Western-Romane US-amerikanischer Autoren auf über 750 Seiten!
eBook694 Seiten9 Stunden

DER TANZ IM HEXENKESSEL: Drei Western-Romane US-amerikanischer Autoren auf über 750 Seiten!

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Die Ölfelder von Torpedo sind mehr wert als das Gold von Kalifornien, aber nur ein Mann besitzt das Transport-Monopol und somit den Schlüssel zu diesem Reichtum: Er kann jeden Preis diktieren – bis eine Pipeline gebaut wird. Sabotage und Mord sind die Folgen...

Arizona, im Sommer 1870: Aufstand der Apachen. Die letzten Weißen fliehen nach Fort Yuma an der Grenze zu Mexiko. Doch sie erreichen das Fort nicht. Lautlos haben die Indianer die Flüchtenden eingekreist...

Es ist der heißeste 4. Juli in der Geschichte von Hangtree County.

Marshal Gilman braucht eine ruhige Hand für seinen Colt – aber seine Unruhe wächst von Minute zu Minute.

35 Grad im Schatten – und die Stadt ist ein Pulverfass, an das man eine Lunte gelegt hat...

Die von Christian Dörge zusammengestellte und herausgegebene Sammlung Der Tanz im Hexenkessel enthält drei ausgesuchte und klassische Spitzen-Romane US-amerikanischer Autoren, perfekten Lesestoff also für alle Western-Fans und Leser der Reihe APEX WESTERN: Das Gesetz heißt Gewalt von Bill Burchardt, Die Falken am Mittag von John C. Champion sowie Tanz im Hexenkessel von Clifton Adams.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum17. Dez. 2019
ISBN9783748723844
DER TANZ IM HEXENKESSEL: Drei Western-Romane US-amerikanischer Autoren auf über 750 Seiten!

Mehr von Christian Dörge lesen

Ähnlich wie DER TANZ IM HEXENKESSEL

Ähnliche E-Books

Action- & Abenteuerliteratur für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für DER TANZ IM HEXENKESSEL

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    DER TANZ IM HEXENKESSEL - Christian Dörge

    Das Buch

    Die Ölfelder von Torpedo sind mehr wert als das Gold von Kalifornien, aber nur ein Mann besitzt das Transport-Monopol und somit den Schlüssel zu diesem Reichtum: Er kann jeden Preis diktieren – bis eine Pipeline gebaut wird. Sabotage und Mord sind die Folgen...

    Arizona, im Sommer 1870: Aufstand der Apachen. Die letzten Weißen fliehen nach Fort Yuma an der Grenze zu Mexiko. Doch sie erreichen das Fort nicht. Lautlos haben die Indianer die Flüchtenden eingekreist...

    Es ist der heißeste 4. Juli in der Geschichte von Hangtree County.

    Marshal Gilman braucht eine ruhige Hand für seinen Colt – aber seine Unruhe wächst von Minute zu Minute.

    35 Grad im Schatten – und die Stadt ist ein Pulverfass, an das man eine Lunte gelegt hat...

    Die von Christian Dörge zusammengestellte und herausgegebene Sammlung Der Tanz im Hexenkessel enthält drei ausgesuchte und klassische Spitzen-Romane US-amerikanischer Autoren, perfekten Lesestoff also für alle Western-Fans und Leser der Reihe APEX WESTERN: Das Gesetz heißt Gewalt von Bill Burchardt, Die Falken am Mittag von John C. Champion sowie Tanz im Hexenkessel von Clifton Adams.

    Bill Burchardt: DAS GESETZ HEISST GEWALT

    (Yankee Longstraw)

    Erstes Kapitel

    Auf dem roten Bretterschuppen, der als Bahnhof diente, war der Name Torpedo zu lesen. Ein Witzbold hatte darunter gekritzelt: Vierzig Meilen zum nächsten Wasser, vier Meilen zum nächsten Wald, vier Zoll bis zur Hölle.

    Der Zug rumpelte in die Station und bremste. Longstraw hielt seinen Ziehharmonikakoffer fest und stemmte sich gegen die Lehne seines Sitzes. Die eisernen Räder kreischten auf den Schienen. Dann stand Longstraw auf und bewegte sich zwischen den Sitzen des schmutzigen, staubigen, überfüllten Waggons zum Ausgang hin. Jemand stieß Longstraw grob beiseite.

    Er sah gerade noch den breiten Rücken des Grobians, dann schob sich ein stiernackiger Schlägertyp an ihm vorbei, gefolgt von einer Frau mit strähnigem Haar und Pferdegesicht. »Entschuldigung«, sagte das Pferdegesicht mit einer hohen, nörglerischen Stimme, die beleidigt klang. Mit einem wimmernden Kind auf dem Arm drängte sie sich vorbei, gefolgt von drei Jungen in verschiedenem Alter, die auch zu der Prozession gehörten.

    Longstraw setzte sich wieder auf die mit abgeschabtem rostfarbenem Mohair bezogene Bank und wartete, bis die durcheinandergeschüttelte und müde Menschenladung den Waggon verlassen hatte. Rauch von der Lokomotive drang in den überhitzten Waggon. Der schwitzende schwarze Gepäckträger, der mit den Koffern hinter der eiligen Familie herkam, blieb bei Longstraw stehen.

    »Wir sind in Torpedo, Sir. Haben Sie nicht gesagt, dass Sie in Torpedo aussteigen wollen?«

    Longstraw nickte und warf einen bedauernden Blick auf seine Zigarre, die an der Hose eines eiligen Fahrgastes Asche und Glut verloren hatte.

    »Dann beeilen Sie sich mal, Sir«, sagte der Farbige. »Der Zug hält hier nicht lange.«

    »Alle scheinen es verteufelt eilig zu haben, wie?«

    »Ja, Zeit ist Geld!« Der Schwarze schüttelte missbilligend den Kopf. »Liegt nur am Geld - Ölgeld! Schwarzes Gold.«

    Er grinste breit, als hätte er das als Kompliment für sein glänzendes Gesicht gemeint, in dem die Zähne weiß blitzten. Dann zuckte er die Achseln, ruckte an seinen Koffern und ging weiter.

    Longstraw folgte ihm und sprang mit dem Koffer in der Hand auf den Bahnsteig hinunter. Die Dampfpfeife des Zuges gellte ungeduldig. Rings um den Bahnhof standen Bretterbuden, deren Dächer aus Zeltleinen im Winde flatterten. Sie waren ohne jede Regel kreuz und quer hingestellt worden und wirkten noch provisorischer als der schäbige Bahnhof mit seinen herumstehenden Warenstapeln.

    Die Gleise erstreckten sich schnurgerade in die grüne, wellige Prärie, deren Grasfläche nur hin und wieder durch ein Eichenwäldchen unterbrochen wurde. Nach Westen verlief eine stark befahrene Straße, deren Knüppeldamm schlammig war, wo die Bohlen von den vielen Wagenrädern zermahlen und zerbrochen waren.

    Rings um den Bahnhof wimmelte es von Fahrzeugen - Planwagen, Leiterwagen, Karren, alte Postwagen und Kutschen aller Art.

    Ein Mann schrie Longstraw vom Bock eines Planwagens an: »Noch ein Platz frei, Mister! Kommen Sie schon, steigen Sie auf, wenn Sie nicht Staub schlucken wollen!«

    »Wo ist das Hotel?«, rief Longstraw zurück.

    »Zehn Meilen westlich von hier!« Die Stimme des Wagenführers war durch den Lärm von quietschenden Rädern, schnaubenden Pferden und vielen Stimmen kaum zu verstehen. Er wippte ungeduldig mit der Peitsche.

    Longstraw nahm seinen steifen Derbyhut ab und ließ sich den lauen Wind um die Stirn streichen.

    »Ich hab’ gedacht, das hier wäre Torpedo!«

    »Nichts da! Nur die Bahnstation - Endstation! Torpedo liegt zehn Meilen westlich von hier.«

    Longstraw erklomm den vollgepferchten Planwagen und setzte sich auf seinen Koffer. Der Fahrer überblickte seine Ladung, knallte mit der Peitsche und bugsierte sein Muligespann aus dem Gewimmel heraus.

    Am entfernten Ende des Ladedocks, gleich neben einer Pyramide von Rohrstücken, stand ein Frachtwagen mit acht Clydesdale-Pferden. Zwei Kerle in roten Hemden gingen darauf zu. Als sie den Wagen erreicht hatten, langte einer von ihnen zu dem hohen Kutschbock hinauf und packte den Fuß des Fuhrmanns.

    Der Mann auf dem Bock versuchte, sich an der Bremse festzuhalten, schaffte es aber nicht. Vor den schwarzen, von Öl durchtränkten Brettern seines Wagens sah er verloren und hilflos aus.

    Der Mann im roten Hemd zog ihn langsam herunter.

    Das andere Rothemd schnitt unterdessen die Geschirre des Achterzugs durch. Longstraw richtete sich auf und hielt sich an den eisernen Trägern der Dachplane fest. Als der Kerl die acht riesigen Clydesdale-Pferde losgeschnitten hatte, schrie Longstraw und schlug mit seinem Hut nach den Tieren. Sie wurden unruhig und verhaspelten sich in ihrem abgeschnittenen Geschirr.

    Der Fahrer des Wagens lag, atemlos vom Sturz, im Schmutz und bemühte sich zum Vergnügen der beiden Rothemden, wieder auf die Beine zu kommen. Auf dem Bahnhof wurde es rasch leerer; niemand schien sich um die Szene zu kümmern. Longstraw ließ seinen Halt los, packte den Koffer fester und sprang aus dem rascher dahinrollenden Wagen.

    Der eine Tagedieb trat und schlug nach dem am Boden liegenden Fahrer, während sein Kumpan lachend ein herumflatterndes Stück Zeitung aufhob, das Papier zusammendrehte und die improvisierte Fackel mit einem Streichholz anzündete. Das brennende Papier schob er unter den Querbalken des Wagens.

    Augenblicklich fing das alte, ölgetränkte Holz Feuer. Die kleinen, fauchenden und stark rauchenden Flämmchen breiteten sich blitzschnell aus. Der Brandstifter trat einen Schritt zurück und half dem anderen Rothemd, das Opfer des Überfalls auf die Beine zu stellen.

    Longstraw kam vorsichtig näher.

    Der dicke Fuhrmann riss sich los und fiel kraftlos auf die Knie. Wieder schlug sein Gegner hart nach ihm. Der Hieb trieb dem Alten die Tränen in die Augen.

    »Der heilige Stephan ist von solchem Gesindel, wie ihr es seid, gesteinigt worden!«, schrie der Gepeinigte. »Ich wehre mich nicht...«

    Die beiden Tagediebe lachten wiehernd.

    Wortlos legte Longstraw dem Nächststehenden die Hand auf die Schulter, drehte ihn sanft zu sich herum und schlug ihn mit einem Fausthieb zu Boden. Dann wandte er sich dem verblüfften Gesicht des zweiten Gauners zu. Behende drehte sich Longstraw um und rammte ihm die Faust in den Magen.

    Nummer zwei war damit außer Gefecht gesetzt, aber Nummer eins stand schon wieder auf den Beinen und griff wütend an. Als Longstraw ihn scheinbar mühelos in die Höhe hob, verzerrte sich das Gesicht des Kerls zu einer erschrockenen Grimasse. Longstraw schleuderte ihn gegen das Rad des brennenden Wagens. Der Mann schlug mit dem Kopf gegen die eiserne Nabe und sank in sich zusammen. Einen Fußbreit über seinem Kopf knisterten und qualmten die Bretter der Ladefläche.

    Longstraw hielt sich den Arm vor die Augen, drang mitten in die Flammen vor und zerrte den Bewusstlosen aus der Gefahrenzone. Dann drehte er sich zu dem Fuhrmann herum.

    Der Dicke streckte ihm die Hand entgegen.

    »Ich bin Elder Burch«, sagte er mit öliger Stimme voller Selbstmitleid. »Würden Sie mir helfen, meine Pferde einzufangen?«

    Longstraw schüttelte seine Hand und warf einen Blick auf die friedlich weidenden Clydesdales.

    »Welches Glück, dass ein Mann von Ihrem Mut und Ihrer Kraft zur Stelle war, als ich unter die Diebe fiel«, fuhr der Fuhrmann weinerlich fort.

    »Offensichtlich waren sie nicht auf Diebstahl aus«, bemerkte Longstraw. Einer der Rothemden bewegte sich und fluchte. »Wäre besser, wenn Sie schnell verschwinden würden.«

    Der salbungsvolle Elder - dieser Titel bedeutete Presbyter - schaute rasch zu dem Brandstifter hinüber.

    »Vielleicht haben Sie recht, junger Mann.« Er ging auf seine Pferde zu, blieb aber nach einigen Schritten stehen. »Wohin wollen Sie eigentlich?«

    »Nach Torpedo.«

    »Zu Fuß?«

    Longstraw schaute sich auf dem verlassenen Bahnhof um. Der Planwagen war inzwischen auch verschwunden. Im Süden zeigte eine Rauchwolke an, wo sich der Zug befand. Er konnte sich die Antwort ersparen.

    »Können Sie ohne Sattel auf einem Clydesdale reiten?«

    »Ich hab’s oft genug getan.«

    Elder Burch betrachtete ihn forschend, dann wandte er seine Aufmerksamkeit dem brennenden Wagen zu. Kopfschüttelnd sagte er: »Ich hatte gehofft, wenigstens die Räder retten zu können. Aber das hat auch keinen Sinn. Gehen wir lieber.«

    Longstraw nahm das Führpferd an der Trense. Elder Burch knotete die zerschnittenen Riemen zusammen und trieb sein Gespann mit lauten Rufen zum Ladebock hinüber. Longstraw kletterte auf die Rampe und ließ sich von hier aus auf den bloßen Rücken eines der Pferde fallen. Die sind noch breiter als die schönen Percherons, mit denen Signor Pietro Brazzi seinen Pferdeakt durchführte, dachte er.

    Elder Burch stöhnte schmerzhaft, als er seine schlaffen Muskeln auf das Führpferd lud. Das Gesicht des Fuhrmanns war grau vor Erschöpfung, außerdem schwoll es an mehreren Stellen an. Trotzdem nahm er schnaufend die Unterhaltung wieder auf, nachdem er sein Gespann in Bewegung gesetzt hatte.

    »Mein Gott, Sie sind wirklich ein tatkräftiger Mann!«

    »Schon möglich.«

    »Ihr Aussehen täuscht«, fuhr Burch tastend fort, ein wenig betroffen über die einsilbige Antwort. »Wenn man Sie so sieht, könnte man nie glauben, dass Sie mit zwei von Ashleys Schlägern so leicht fertig werden können. Wahrscheinlich sind an Ihnen mehr Muskeln, als man auf den ersten Blick sieht.«

    »Es liegt nicht nur an den Muskeln, sondern mehr daran, wie man sie benutzt«, antwortete Longstraw geringschätzig.

    Der beleibte Presbyter beugte sich vor, um Longstraw besser ins Gesicht sehen zu können.

    »Sie sind ein schweigsamer Mann, wie?«

    »Ja«, sagte Longstraw mit leisem Lächeln.

    »Neu hier?«

    Longstraw nickte.

    »Woher?«

    Longstraw zuckte die Achseln. »Ach, ich war schon hier und dort.«

    »Hm.«

    Sie ritten schweigend nebeneinander her. Die schweren Clydesdale-Pferde stampften in gleichmäßigem Rhythmus den Staub. Von weitem kam ihnen ein Frachtzug entgegen. Trotz der großen Entfernung bemerkte Longstraw, wie gepflegt Wagen und Gespann wirkten. Die schwarzen Mulis mit den roten Quasten passten genau zusammen.

    Elder Burch räusperte sich und nahm das Verhör wieder auf.

    »Haben Sie mit Öl zu tun? Oder sind Sie Geschäftsmann?«

    »Nein, von Öl verstehe ich absolut nichts«, antwortete Longstraw nachdenklich und setzte sich auf dem sofabreiten Rücken bequemer.

    »Also ein Geschäftsmann!«, rief Burch eifrig. Dann verfielen sie wieder in Schweigen.

    Longstraw hörte die schön aufeinander abgestimmten Glocken des Muligespanns. Diese gepflegten, schönen Tiere mit ihren roten Quasten und den klingenden Glöckchen hätten auch in seinem Zirkus Furore gemacht, fiel ihm plötzlich ein.

    »Welche Art von Geschäften betreiben Sie eigentlich, Mr...?«, begann Elder Burch von neuem.

    »Ich bin ein Zirkusmann. Longstraw ist mein Name.«

    »Yankee Longstraws Große Show!«, rief Elder Burch überrascht.

    »Weltbekannte Truppe von erstklassigen Artisten, Meistern des Trapezes, Hochseilkünstlern und Musikern - die Show der Menschen, Tiere und Sensationen!«, schmetterte Longstraw im Ton des Zeltansagers. Der schroffe Gegensatz zwischen dem bisherigen Schweigen und der plötzlichen Beredsamkeit ließ Burch verstummen. Seine Stirn legte sich in nachdenkliche Falten.

    Longstraw beobachtete das näherkommende Gespann. Die Quasten tanzten auf und ab, die Glöckchen klingelten, das Kopfgeschirr der schwarzen Mulis war gleichmäßig grün abgesetzt. Ein sehr elegantes Gespann, musste er zugeben. Als sein Blick auf die beiden Männer auf dem Bock fiel, zuckte er zusammen. Beide trugen leuchtend rote Hemden.

    Elder Burch bemerkte den Blick und erklärte: »Das ist auch ein Ashley-Wagen. Er hat viele davon.«

    »Ich dachte schon, unsere beiden Freunde hätten uns überholt.« Longstraw lächelte entspannt.

    »Aber nein! Die beiden haben sich bestimmt noch nicht wieder aufgerappelt. Mein Gott - ich bin Ihnen ja so dankbar! Vielleicht hätten sie mich umgebracht. Ich bin von Beruf Kaufmann und nicht Fuhrmann - oder gar Boxer. Deshalb stehen wir vermutlich auf verlorenem Posten, Ich dachte schon...« Seine Worte verloren sich in einem Murmeln. Dann schloss er: »Aber ich bezweifle, dass der Gemeinderat einen Zirkusmann haben will.«

    »Ex-Zirkusmann«, verbesserte Longstraw. »Ich habe mein Geschäft verkauft.«

    »Und was wollen Sie dann hier?«

    »Geld verdienen.«

    Das Muligespann kam leicht an ihnen vorbei und hinterließ eine dichte Staubwolke. Longstraw zog sein Taschentuch heraus und hielt es vor Mund und Nase.

    »Das ist noch gar nichts«, bemerkte Elder Burch. »Sie sollten mal dabei sein, wenn wir richtigen Wind haben. Als ich das letzte Mal die Strecke fuhr, da war der Staub so dicht, dass ich die Zügel in meinen Händen nicht mehr sehen konnte. Zwei Meilen vor Torpedo höre ich über meinem Kopf plötzlich ein Scharren. Ich schaue nach oben. Was glauben Sie wohl, was ich da sehe? Zwei Fuß über meinem Kopf versucht ein Präriefuchs, sich einen Tunnel zu seiner Höhle zu graben!«

    Longstraw zeigte sich von der Anekdote nicht sonderlich beeindruckt. Seine Augen über dem Halstuch, das er sich vors Gesicht gebunden hatte, blieben ernst.

    Die Zeit verging. Die acht Clydesdales setzten mit nervenaufreibendem Gleichmaß einen Huf vor den anderen, die staubige Straße schien kein Ende zu nehmen. Nach einer Weile wurde es dem neugierigen Presbyter zu langweilig.

    »Wollen Sie mir nicht etwas über sich erzählen?«

    »Da gibt’s nicht viel zu erzählen. Ich war zuletzt in Pennsylvania und hörte von den Ölquellen hier. Das hörte sich nach einer guten Gelegenheit an, schnell Geld zu verdienen - und hier bin ich.«

    »Sir, ich hoffe, dass ich Sie nach unserer Ankunft in Torpedo dem Gemeinderat vorstellen darf. Ich weiß zwar nicht, wie sie auf einen Zirkusmann reagieren werden, aber wir sollten es trotzdem versuchen.«

    Sie kamen jetzt ins Ölfeld. Longstraw war fasziniert von den neuen Eindrücken, Gerüchen und Lauten. Die vom Rohöl geschwärzten Holzgerüste wuchsen zu einem lärmenden, unentwirrbaren Wald von Bohrtürmen zusammen. Sie standen an manchen Stellen so dicht, dass der Fuß des einen Bohrturms noch in die Plattform seines Nachbarn hineinragte. Die Dampfmaschinen zischten und prusteten und erfüllten die Luft mit einem Puffen, das nach Explosion klang.

    In der Luft lag ein atemberaubender Schwefelgestank. Die waagerechten Pumpenarme bewegten sich vor dem schwarzen Hintergrund wie ruhelose Geisterarme auf und ab und machten das Durcheinander vollkommen. Rohöl überzog Bohrtürme und Menschen mit einem gleichmäßig schwarzen Film, und der Himmel spiegelte sich in schwarzen Seen von gespeichertem Öl.

    Das höllische Getöse machte jede Unterhaltung unmöglich. Trotzdem schrie Longstraw: »Fördert denn jede Ölquelle hier?«

    »Jede einzelne!«, brüllte Elder Burch zurück. »Ich hab’ mir sagen lassen, dass dieses Erdölfeld hier schon mehr Reichtum hervorgebracht hat als alle Goldminen Kaliforniens. Es ist ein Sodom und Gomorrha der Sünde!«

    Als sie nach Torpedo hineinritten, ließ der Lärm nur unmerklich nach. Es war schwer zu sagen, wo das Ölfeld aufhörte und die Stadt begann, denn auch zwischen den Geschäftshäusern und zeltbespannten Wohnbuden erhoben sich überall Bohrtürme. Elder Burch deutete auf einen Turm, dessen Maschinenhaus und Baubude sich über den Bürgersteig hinweg bis auf die Straße vorschob.

    »Es gibt hier absolut keine Ordnung. Jeder bohrt, wo er will!«

    Es schien wirklich, als herrschte hier das Chaos. Die Straße war von Wagen, Reitern und Fußgängern verstopft. Die peitschenknallenden, fluchenden Fuhrleute lenkten ihre Gespanne wahllos mal auf die linke, mal auf die rechte Straßenseite, oder einfach quer hinüber. Mitten durch dieses Chaos bugsierte Elder Burch sein Achtergespann.

    Ein Betrunkener wankte aus einem Saloon und fiel bäuchlings auf die Straße. Die Räder eines leichten Wagens rollten über die Beine des Mannes, was dieser kaum zu bemerken schien. Der Fahrer des schleudernden Wagens riss fluchend an den Zügeln und warf nur einen raschen Blick über die Schulter auf den Überfahrenen.

    Auch auf Elder Burch schien der Zwischenfall keinen großen Eindruck zu machen. An der nächsten Kreuzung hielt er an.

    »Mr. Longstraw, gleich da drüben hinter dem Drillers Hotel ist ein Mietstall. Wären Sie so freundlich, die Pferde dorthin zu bringen? Ich berufe inzwischen den Gemeinderat ein. Wenn Sie einverstanden sind, hole ich Sie in einer halben Stunde dort ab.«

    Zweites Kapitel

    Der Mietstall sah nicht anders aus als alles in dieser Stadt: trist, verwittert und vorzeitig gealtert. Longstraw stieg ab und führte die Clydesdale-Pferde hinein. Es war schon früher Nachmittag. Nach dem Straßenlärm tat die Ruhe im Stall den Nerven gut. Der Geruch von Stroh und Alfalfa-Heu erinnerte Longstraw für einen kurzen Augenblick intensiv an Tierzelte, laute Rufe und das schrille Spiel der Zirkuskapelle.

    Schmale Streifen von Sonnenlicht stahlen sich durch die Fugen in den Bretterwänden. Die tanzenden, flimmernden Goldbahnen sahen genauso aus wie die Sonnenstrahlen, die durch die Löcher im Hauptzelt der Yankee-Longstraw- Show fielen - ein Bild, das Longstraw seit seiner Kindheit gekannt hatte. Für einen Augenblick hatte er das Gefühl, nur auf sein Stichwort für den Nachmittagsauftritt zu warten. Aber dann trieb ein Windstoß den Ölgestank von draußen herein, und das Phantasiegebilde zerplatzte wie eine Seifenblase.

    Er schaute sich im Innern des Stalles um und hörte ein vertrautes Geräusch. Jemand fuhr mit einem Striegel über ein Pferdefell. Er band die Zügel des Führpferdes an einen Pfosten und schlenderte nach hinten. Aus einer Boxe trat ein gebeugter, alter Pferdewärter. Er hielt Bürste und Striegel in den Händen und blinzelte Longstraw fragend an. »Suchen Sie jemand, Sir?«

    »Diese Gäule gehören einem gewissen Burch«, erklärte Longstraw.

    »Die Gäule kenn’ ich, aber Sie kenn’ ich nicht«, sagte der Alte.

    »Ich heiße Longstraw.« Er schüttelte eine harte, knochige Hand.

    »Und ich bin Cody.« Der Alte trat einen Schritt zurück und entdeckte die abgeschnittenen Lederenden. Wo ist der Wagen?«

    »Verbrannt.«

    Cody nickte. »Das predige ich ihnen schon lange. Aber es hat ja keinen Zweck. Gar keinen Zweck hat es!« Er blinzelte Longstraw an. »Sie sind neu hier?«

    Longstraw nickte.

    »Ziemlich jung noch. Und ein Stutzer obendrein«, stellte der Alte trocken fest. Longstraw quittierte das zweifelhafte Kompliment mit breitem Grinsen.

    »Sie sehen aus wie einer, der rasch vorankommen will. Dann kann ich Ihnen nur einen Rat geben, Sir: Lassen Sie sich nicht mit den Burch-Leuten ein. Gehen Sie zu Lew Ashley.«

    »Erstens bin ich nicht direkt pleite, und zweitens könnte es sein, dass ich nicht recht in seine Mannschaft passe.«

    Cody dachte eine Weile darüber nach, dann ging er zu den Clydesdales hinüber und knurrte: »Hm, na schön, wie Sie wollen. Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied.«

    Longstraw verließ den Stall. Er drängte sich durch das Gewimmel auf dem Fußweg. Es waren fast nur Männer unterwegs. Die krummbeinigen, blauleinen gekleideten Cowboys unterschieden sich deutlich von den Erdölleuten mit ihren Seidenhemden, den hochgeschnürten Stiefeln und den an den Hüften weit flatternden Khakihosen. Longstraws dunkler, feiner Wollanzug, sein steifer Derbyhut und die schwarzen Halbschuhe mit den flachen Absätzen wirkten hier vollkommen fehl am Platze.

    Ein Laden gleich neben dem Hotel zog Longstraws Aufmerksamkeit auf sich. Seine Geldkatze, die er auf der bloßen Haut trug, fühlte sich wohlgefüllt an. Er blieb am Straßenrand stehen und überlegte, dass er auch dann wie ein Greenhorn wirken musste, wenn er die Kluft der Cowboys oder der Ölleute nachahmte. Da konnte er genauso gut seinen dunklen Anzug anbehalten. Er war eben ein Neuling mit etwas Geld in der Tasche, dem es in dieser verwirrenden neuen Umgebung sehr schwerfallen würde, eine echte Chance von einem Betrug zu unterscheiden.

    Was mochte der Pferdewärter wohl mit seiner Warnung vor den Burch-Leuten meinen? überlegte Longstraw weiter. Schon oft hatten ihn wohlmeinende Freunde gewarnt, meist vergebens. Zum Beispiel damals, als er den doppelten Salto rückwärts auf dem Schlappseil versuchte und sich dabei fast den Schädel spaltete. Oder als ihm jemand einreden wollte, die freihändige Rutschpartie über das Spannseil des mittleren Zeltpfostens sei kein Zirkusakt mehr, sondern reiner Selbstmord. Er hatte sich beinahe das Kreuz dabei gebrochen, aber sonst war nichts geschehen. Solche Warnungen muss man sich anhören und sie dann beiseite legen.

    Sein Blick suchte nach Elder Burch. Einer von den raubeinigen Ölfeldarbeitern umfasste gerade von hinten eine Frau und wühlte lachend mit beiden Händen in ihrem Einkaufskorb. Er holte einen Apfel aus dem Korb, biss einmal hinein und warf ihn dann weg. Longstraw hielt die Szene für ein wenig nettes Spielchen zwischen zwei Freunden, doch dann sah er, wie die Frau von den Reden des Kerls beleidigt wurde und errötete. Er wollte schon auf die beiden zugehen, da riss sich die Frau los und floh in ein Kolonialwarengeschäft. Der Kerl kümmerte sich nicht mehr um sie.

    Longstraw zog sich wieder auf den Fußweg zurück und beobachtete einen kleinen Jungen, der verzweifelt nach einer Unterbrechung des Verkehrs ausspähte, weil er die Straße überqueren wollte. Da trat Elder Burch drüben aus dem General Store und winkte. Longstraw schob sich durch die Menge zu ihm hin.

    Burch führte ihn durch den Laden in einen überfüllten Lagerraum. In dem nach verschiedenen Gewürzen duftenden Halbdunkel saßen vier Männer auf Fässern und Kisten.

    »Freunde, das hier ist Mr. Longstraw!«, verkündete Burch und deutete auf einen grobknochigen Mann in schmierigen Overalls: »John kleine.«

    »Hallo!«, murmelte Heine mürrisch durch seinen ungewaschenen Bart. Burch legte seine Hand auf die Schulter des zweiten Mannes.

    »Das ist Henry Bruner.«

    Bruners Overalls hatten eine Wäsche nicht ganz so dringend nötig wie die von John Heine. Er lächelte offen und streckte Longstraw herzlich die Hand entgegen. »Nett, Sie kennenzulernen«, sagte er mit deutlichem deutschen Akzent.

    »Und das ist Otto Auerbach, mein Geschäftspartner«, stellte Burch vor.

    Auerbachs Hände schienen in den Hosentaschen angeklebt zu sein. Er war ein massiger Mann mit breiten Schultern. Stirnrunzelnd brummte er: »Guten Tag, Mr. Longstraw. Wir haben Ihnen für das zu danken, was Sie für Burch getan haben.«

    »Schließlich Reverend Karl Detrich«, schloss Burch die Vorstellung. Reverend Detrich musste über vierzig sein; er hatte eisgraues Haar, und als er sich jetzt erhob und Longstraw die Hand entgegenstreckte, war dieser von der zupackenden Kraft des Händedrucks überrascht.

    »Willkommen in Torpedo!«

    Er hielt sich sehr gerade und machte einen ernsten Eindruck, doch seine lächelnden Augen verbreiteten Wärme.

    »Ich freue mich über Ihre Bekanntschaft, Gentlemen«, sagte Longstraw«, »Ich weiß zwar nicht, wie ich zu dieser Ehre komme, aber es freut mich trotzdem, den ganzen Gemeinderat kennenzulernen.«

    »Das hier ist nicht der Gemeinderat der Stadt Torpedo, Mr. Longstraw«, erklärte Elder Burch sanft. »Es ist der Gemeinderat oder das Presbyterium der Berg-Zion-Kirche.«

    Drittes Kapitel

    Longstraw bedachte Elder Burch mit einem nachdenklichen Blick.

    »Ich bin nach Torpedo gekommen, weil ich Geld verdienen will«, sagte er schließlich. »Ich weiß nicht recht, wie ich Ihnen von Nutzen sein könnte. Ich bin nicht sonderlich religiös veranlagt.«

    Reverend Detrich sagte freundlich: »Ich fürchte, Mr. Longstraw, wir sind aus ganz anderen als rein religiösen Gründen an Ihrer Person interessiert.«

    »Wir woll’n Sie ganz sicher nicht als Prediger anwerben«, fügte John Heine knurrig hinzu.

    Longstraw wandte sich an den mürrischen Heine: »Gesetzt den Fall, ich suchte wirklich einen Job - als was wollen Sie mich denn anstellen?«

    Otto Auerbachs Hände waren doch nicht festgeklebt. Er zog sie aus den Hosentaschen und lehnte sich über einen Kistenstapel.

    »Wir sind bereit, alles Erforderliche zur Verfügung zu stellen, Mr. Longstraw.«

    »Und was erwarten Sie von mir? Was habe ich einzubringen?«

    Reverend Detrich erklärte geduldig: »Mr. Longstraw, in unserer augenblicklichen Situation sind wir auf die Stärke der Muskeln ebenso angewiesen wie auf die Stärke des Geistes.«

    »Das ist mir zu hoch!«, rief Longstraw ehrlich verwirrt. »Ich bin weder ein Preisboxer noch ein Revolvermann.«

    »Gott sei Dank sind Sie das nicht!«, rief der Prediger. »Jetzt, wo ich Sie gesehen habe, bin ich überzeugt davon. Nach dem Bericht des Presbyters war ich darauf gefasst, einen brutalen Muskelmann kennenzulernen. Für dieses ganze Erdölfeld gibt es nur eine Frachtlinie, Mr. Longstraw. Sie gehört Lew Ashley. Wir werden Sie keineswegs zu einer Entscheidung drängen; sehen Sie sich diese Stadt erst einmal einen Tag lang in Ruhe an. Die hiesigen Vertreter des Gesetzes sind korrupt, und Torpedo ist keineswegs der Ort, an dem man eine Familie gründen und Kinder aufziehen möchte. Ashley kontrolliert nämlich durch seine Frachtgesellschaft nicht nur alle Geschäfte und die Produktion des Erdölfeldes - sein Wort ist hier auch Gesetz!«

    »Haben Sie denn wirklich solche Angst vor seinen Schlägern?«, fragte Longstraw erstaunt.

    »Nein«, antwortete Detrich genauso offen. »Es ist nur so, dass es zwecklos ist, Erdöl zu fördern, das dann nicht abtransportiert werden kann. Wenn sich Ashley nicht dazu herablässt, dieses Erdöl zu seinen Bedingungen zum Bahnhof zu transportieren, kann es nicht verkauft werden. Alle Lagerbehälter sind ständig bis zum Rande gefüllt. Wenn Ashley nicht die Waren herbeischafft, kann man in Torpedo keinen Laden betreiben. Wenn...«

    Er unterbrach sich, weil die Hintertür des Lagers aufflog. Ein blondes Mädchen kam eilig herein, und die Mitglieder dieses seltsamen Gemeinderates erhoben sich zögernd. Sie war zierlich, schlicht gekleidet und trug das maisfarbene Haar in einem Schopf hochgesteckt. Sie fühlte wohl, wie sehr sie störte, und ärgerte sich darüber.

    »Entschuldige, Dad«, sagte sie zu dem Prediger. »Ich wollte euch nicht stören, ich brauche nur eine Rolle Garn.« Sie wollte sich wieder abwenden, doch Elder Burch lief ihr nach und hielt sie am Arm fest.

    »Augenblick, meine Liebe! Du störst überhaupt nicht. Komm, ich hol’ dir das Garn von vorn.«

    »Vergessen wir unsere guten Manieren nicht!«, sagte Detrich lachend. »Trudy, ich möchte dir Mr. Longstraw vorstellen. - Sir, meine Tochter.«

    Longstraw richtete sich unwillkürlich auf. Im Geiste sah er sie in einem Zirkustrikot, hoch oben auf dem Drahtseil. Ja, sie hat das Zeug zu einer Artistin! dachte er. Diese geschmeidigen Bewegungen, diese Figur...

    »Angenehm«, murmelte sie mit einem prüfenden Blick.

    Longstraw spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss - als hätte sie seine Gedanken lesen können.

    »Freut mich ebenfalls, Madam«, murmelte er verlegen.

    »Miss«, korrigierte sie ihn. Würden Sie Mr. Burch und mich für einen Augenblick entschuldigen?« Sie hob den Rocksaum etwas an, doch ihr Vater hielt sie fest.

    »Einen Augenblick noch, Trudy! - Mr. Longstraw, können Sie sich vielleicht denken, warum meine Tochter durch die Hintertür kommt? Weil ein junges Mädchen es nicht wagen darf, die Hauptstraße dieser Stadt zu betreten!«

    Longstraw erinnerte sich an den Zwischenfall, den er beobachtet hatte, während er auf Burch wartete.

    »Bedauerlich, aber was kann ich dagegen tun? Ich hab’ mich zwar in Mr. Burchs Fall eingemischt, aber ich bin alles andere als ein edler Retter der Bedrängten!«

    Der Prediger nickte.

    »Ich sagte schon, dass wir Sie nicht drängen wollen. Überlegen Sie alles reiflich. Wo werden Sie wohnen?«

    »Wahrscheinlich im Drillers Hotel

    »Für zehn Dollar pro Nacht!«, rief Otto Auerbach und riss die Augen auf.

    »Hm, wir könnten...«, begann der Prediger, doch Burch fiel ihm ins Wort, wobei Longstraw ein verstohlenes Augenzwinkern zu bemerken glaubte.

    »Es ist wahrscheinlich am besten, wenn er im Hotel wohnt. Dort können wir uns ohne jede Schwierigkeit mit ihm in Verbindung setzen!«, sagte er mit einer Entschiedenheit, gegen die es kein Argument gab.

    Longstraw war nicht so sicher, ob er es begrüßen sollte, wenn sie sich so einfach mit ihm in Verbindung setzen konnten. Er wusste nicht einmal, ob er überhaupt etwas mit diesen Männern zu tun haben wollte. Der Prediger blickte Burch höchst seltsam an.

    »Darf ich mich jetzt entschuldigen, Dad?«, fragte Trudy.

    »Natürlich«, murmelte der Prediger zerstreut, doch dann schien es bei ihm zu dämmern. Er ergriff den Arm des Mädchens.

    »Wenn du nachher zurückgehst, Trudy, dann lass dich bitte von Mr. Longstraw begleiten. Für ihn ist es kein weiter Umweg. Wir wollen ihn gerade dazu überreden, die Leitung unserer Frachtlinie zu übernehmen.« Entschuldigend sagte er zu Longstraw: »In Begleitung eines Mannes werden Mädchen nur selten belästigt. Wir haben hier noch einiges zu besprechen.«

    Longstraw wusste selbst nicht recht, was ihn so verwirrte, jedenfalls nickte er und murmelte: »Selbstverständlich gern.«

    Detrich klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter.

    »Gut. Geh mit ihm, Trudy. Ich komme nach, sobald wir hier fertig sind.«

    Vorn im Laden bat Longstraw das Mädchen: Würden Sie hier wohl eine Minute auf mich warten, Miss Trudy? Ich hab’ meinen Koffer im Mietstall gelassen.«

    Sie blickte ihm gerade ins Gesicht.

    »Was sind Sie eigentlich, Mr. Longstraw?«

    »Wie bitte?« Longstraw wurde noch verwirrter.

    »Sie sagten vorhin, dass Sie kein Retter der Bedrängten sind. Was sind Sie denn?«

    Longstraw suchte vergeblich nach einer passenden Antwort. Bevor ihm etwas einfiel, erklärte sie brüsk: »In meinen Augen sind Sie ein Schwindler!«

    Longstraw nahm seufzend den schwarzen Derbyhut ab. »Das liegt nur an der unpassenden Kleidung. In dieser Stadt sehe ich damit aus wie...«

    Er wollte sagen wie ein Fremdkörper, doch sie kam ihm zuvor: Wie der Besitzer einer Spielhölle! Kennen Sie Lew Ashley?«

    »Nein. Woran denken Sie jetzt?« Longstraw wurde ernst.

    »Ich denke daran, dass Ashley genauso herumläuft wie Sie. Und dass Dad und seine Freunde mit ihrem Urteil über einen Menschen oft voreilig sind.«

    »Hören Sie!«, rief Longstraw, ärgerlich über ihr oberflächliches Urteil. Wenn Ihnen meine Begleitung nicht passt...«

    »Das habe ich nicht gesagt. Mein Vater wollte es so.«

    Longstraw kämpfte gegen den aufsteigenden Ärger.

    »Vielleicht können Sie sich nach unserem kurzen Spaziergang besser ein Urteil über mich bilden«, sagte er und zwang sich zu einem flüchtigen Lächeln. Sie trat hinter den Ladentisch und zog eine Schublade mit verschiedenen Garnrollen heraus.

    »Ich warte hier auf Sie«, sagte sie sehr gnädig.

    Longstraw ging verärgert aus dem Laden. Der Verkehr war jetzt zur Feierabendzeit noch dichter geworden. Als er die drei Stufen von der Veranda zum Fußweg hinunterstieg, bemerkte er, dass der kleine Junge von vorhin immer noch am Straßenrand wartete - seit mehr als einer Stunde! Longstraw stellte sich unauffällig neben ihn. Der Kleine war etwa sechs Jahre alt, sah ärmlich und unterernährt aus und hatte einen ausgefransten Haarschnitt, den seine Mutter sicher selbst vorgenommen hatte.

    »Viel Verkehr«, stellte Longstraw nebenbei fest.

    »Ja, Sir«, antwortete der Junge furchtsam und wich mit einem raschen Sprung den breiten Rädern eines mit Tonröhren beladenen Wagens aus, die gefährlich nahe an die Bordsteinkante herankamen.

    »Hast du die ganze Zeit hier gewartet, seit ich in den Laden da drüben gegangen bin?«, fragte Longstraw.

    Der Junge blickte auf. Seine Augen waren wasserblau.

    »Ich kann mich nicht an Sie erinnern, Sir. Aber ich steh’ schon lange hier. Die Schule ist dort drüben.« Er deutete auf ein ungestrichenes Schulhaus aus neuen Balken, das einzeln auf einem kleinen, kahlen Hügel außerhalb der Stadt stand.

    »Und dort drüben wohne ich«, redete der Junge weiter, indem er auf eine Reihe kläglicher Bretterbuden deutete, die Kanvasdächer hatten. »Manchmal muss ich hier warten, bis mein Papi vom Bohrturm kommt. Dann muss er hier vorbei. Wenn ich’s nicht geschafft hab’, allein rüberzukommen, dann trägt er mich rüber.«

    Longstraw zog eine Zigarre aus der Tasche und zündete sie an.

    »Wie wär’s denn, wenn ich heute einmal die Stelle von deinem Papi übernehme?«

    Der Junge unterzog ihn einer intensiven Musterung, die anscheinend günstig ausfiel. Er verzog sein Gesicht zu einem breiten Lachen und zeigte dabei eine Zahnlücke.

    »Okay!«

    »Dann steig mal auf!«

    Longstraw klemmte sich die Zigarre zwischen die Zähne und half dem Jungen auf seinen Rücken. Die spindeldürren Beinchen schoben sich unter seinen Armen hindurch, die Arme des Jungen umfassten fest seine Schultern. So schob sich Longstraw mitten in den Verkehr hinein.

    Ein Gespann von schweren, schnaubenden Zugpferden fegte vor Longstraw vorbei. Als er hinter den Wagen sprang, bog ein Leiterwagen scharf nach links ab und hielt auf die Rampe des General Store zu. Eine Radspeiche erfasste Longstraw mitten im Sprung. Er stolperte zurück, versuchte, das Gleichgewicht wiederzufinden, aber der Junge auf seinen Schultern zog ihn nach vorn. Dann packte ihn das Hinterrad des Leiterwagens und schleuderte ihn zu Boden. Ein einzelner Reiter versuchte, dem querfahrenden Leiterwagen auszuweichen und über die beiden hinwegzusetzen. Der Junge bemühte sich gerade, Arme und Beine unter Longstraws Gewicht freizubekommen. Als er den Kopf hob, wurde er vom Huf des abspringenden Pferdes getroffen. Mit einem dumpfen Aufschrei fiel er auf Longstraw zurück und rührte sich nicht mehr.

    Longstraw rollte beiseite, um freizukommen. Dann richtete er sich auf und stellte sich breitbeinig über den reglosen Körper des Jungen, um ihn gegen den brandenden Verkehr abzuschirmen. Dabei fluchte er in blinder Wut. Er sah Trudy, die auf ihn zu rannte. Longstraw bückte sich, hob den Jungen auf und schleppte ihn zurück auf den Fußweg.

    Hier blieb er verloren und verwirrt stehen und starrte nur das bleiche Kind mit der klaffenden Wunde an. Das Mädchen berührte seinen Arm.

    »Bringen Sie ihn in den Laden.«

    Longstraw folgte ihr, das leblose, schlaffe Bündel auf dem Arm. Trudy breitete rasch neue Decken auf dem Ladentisch aus. Longstraw stand benommen daneben.

    »Wir brauchen einen Doktor«, stieß er hervor.

    »Legen Sie ihn auf die Decken«, bat Trudy und lief dann nach hinten ins Lager. Als sie mit den Männern zurückkam, konnte man vor lauter Blut nichts mehr von dem Kindergesicht sehen.

    »Es ist Michael O’Halloran«, erklärte Trudy ihrem Vater.

    Detrich beugte sich vor und untersuchte flüchtig die Wunde. Dann sagte er ernst: »Sieh mal nach, ob Doc Bender im Gusher-Saloon ist.«

    »Aber sie kann doch nicht in einen Saloon gehen!«, protestierte Longstraw unbeholfen. Das Mädchen war schon hinausgelaufen.

    »Helfen Sie mir!«, befahl Detrich. Wenn es sein muss, dann geht sie überallhin.«

    Drittes Kapitel

    Als Trudy mit dem hochgewachsenen, bärtigen Arzt zurückkam, wussten die Männer, dass sie den Blutstrom nicht stillen konnten. Der Arzt roch stark nach Whisky, aber er machte sich sofort an die Arbeit. Als er seine Tasche aufklappte, stürzte ein Mann herein. Er war untersetzt und muskulös und trug die Berufskleidung eines Erdölarbeiters.

    »Man hat mir gesagt, dass es Mike ist«, murmelte er kaum verständlich.

    Longstraw nahm an, dass er den Vater des Jungen vor sich hatte. »Es war meine Schuld«, hörte er sich sagen.

    »Es war nicht Ihre Schuld!« widersprach Trudy energisch. »Jetzt ist nicht die Zeit, darüber zu streiten. Können wir ihn nach Hause zu seiner Mutter schallen?«

    Sie war schon dabei, aus Decken und zwei Besenstielen eine Tragbahre zu improvisieren. Der Arzt hob den Kopf.

    »Natürlich. Wir müssen uns aber beeilen.«

    Detrich und Bruner hoben vorsichtig die Trage auf. Doc Bender ging neben der Tragbahre her und presste den Verband auf die Stirnwunde. Burch verriegelte die Tür.

    Es sah so aus, als wollte sich nicht einmal für die Tragbahre mit dem verletzten Kind eine Lücke im Verkehr öffnen. Da bildete Longstraw mit den anderen Männern eine Kette und stoppte gewaltsam Fahrzeuge und Reiter. Sie erreichten ohne Zwischenfall die andere Straßenseite und gingen auf die schäbigen Wohnhütten zu.

    Überall erschienen neugierige Gesichter an Türen und Fenstern, wo der traurige Zug vorbeikam. Die Sonne senkte sich schon zum Horizont, und überall an den Bohrtürmen war Schichtwechsel.

    Vor einer der Hütten stand eine Frau, die Hand schützend über die Augen gelegt. Longstraw wusste, dass er es der Frau sagen musste. Er fürchtete sich vor diesem Augenblick.

    »Michael ist also verletzt«, stellte sie sachlich fest, als sie die Tragbahre erblickte. In ihren Augen war keine Spur von Panik oder Verzweiflung zu erkennen, als sie näher trat. Sie hob die Hand des Jungen und schaute den Arzt an.

    »Schlimm?«, fragte sie zögernd.

    »Ich fürchte ja, Mrs. O’Halloran«, antwortete Doc Bender.

    Sie hob die Decke am Eingang der Hütte hoch. »Bringt ihn herein.«

    Als sie sich über die Tragbahre beugte, zwang sich Longstraw zum Sprechen. »Madam - ich...«

    Es ging einfach nicht. Die Woge schlug über ihm zusammen, und er konnte nichts dagegen tun. Er spürte, wie sich sein Gesicht verzerrte, wie ihm die Tränen über die Wangen liefen, aber er war unfähig, auch nur die Hand zu heben.

    Die Frau warf ihm nur einen raschen Blick zu und ging hinter der Tragbahre ins Haus. Die Decke an der Tür fiel herab. Longstraw spürte die Hand des Mädchens auf seinem Arm. Auch ihre Augen waren nass, aber sie tadelte ihn. »Das ist doch nicht nötig! Der Arzt tut schon, was er kann.«

    Das verständnisvolle Mitgefühl in ihrer Stimme beruhigte ihn. Endlich gelang es Longstraw, sich wieder unter Kontrolle zu bringen.

    »Ich warte hier - falls man mich braucht«, murmelte er. Nur wenige Schritte entfernt floss in einem tief eingeschnittenen Bett ein Bach vorbei. Longstraw setzte sich auf einen ölgeschwärzten Baumstumpf am oberen Rand des Bachbettes und starrte ins dunkle Wasser.

    Trudy betrat die Hütte.

    Als sie wieder herauskam, saß Longstraw immer noch unbewegt auf dem Baumstumpf. Sie zögerte und ging dann langsam den Hügel hinauf, weil sie fühlte, dass ihm jetzt nicht nach Unterhaltung zumute war.

    Sie ging durch die Seitenstraßen nach Hause. Die Durchgänge zwischen den regellos aufgebauten Häusern waren mit Gerümpel übersät. Es verbitterte Trudy, dass sie nicht die Hauptstraße benutzen sollte. Aber andererseits war sie es leid, immer wieder in schmutzige, ekelerregende Visagen schlagen zu müssen oder beleidigende Ausdrücke zu hören. Sie musste über die Hauptstraße, aber sie wählte dafür eine etwas weniger belebte Stelle am Rande der Stadt.

    Das kleine Pfarrhaus war eines der hübschesten Gebäude der ganzen Stadt, obgleich es klein und primitiv war. Es war als typisches Grenzerheim eingerichtet: ein Wohnzimmer, dann die große Halle, von der zwei Schlafzimmer abzweigten, und schließlich die kleine Küche. Hinter der Küche lag noch ein winziger Anbau. Außer allen möglichen nutzlosen Dingen hatte ihr Vater dort seine Bücher und seinen Schreibtisch untergebracht.

    Trudy blieb für einen Augenblick am Küchenfenster stehen und blickte durch die Ranken des wilden Weins zum Schulhaus hinüber. Sie sah den kleinen Mike O’Halloran vor sich, wie er noch vor wenigen Stunden eifrig an seinem Pult geschrieben hatte. Dann fiel ihr ein, dass Pop Cody noch hinübergehen und die Schule ausfegen musste. Ob er sie wohl auch verschlossen hatte?

    Mit klickenden Absätzen ging sie zum Hintereingang und fand ihn unverschlossen. Sie seufzte - ihr Vater vergaß immer wieder, die Türen hinter sich abzuschließen.

    Dann ging Trudy in ihr spartanisch eingerichtetes Schlafzimmer. Sie legte Hut und Jacke ab und nahm eine Schürze von dem Reck, das in einer Ecke des Zimmers mit einem Vorhang als Kleiderschrank abgeteilt war.

    In der Küche zündete sie das Herdfeuer an und setzte den Wasserkessel auf. In einem anderen Topf waren Bohnen eingeweicht. Sie suchte sich aus einem Sack neben dem Ofen große Kartoffeln zum Schälen aus. Das Geschirr vom Mittagessen war ordentlich aufgestapelt, aber noch nicht gespült. In der kurzen Mittagspause fand sie nie Zeit zum Geschirrspülen.

    Nachdem sie das Geschirr gespült, die Kartoffeln geschnitzelt und die Bohnen aufgesetzt hatte, setzte sie sich ins Wohnzimmer und dachte nach.

    Eigentümlicherweise empfand sie Mitleid für diesen Longstraw. Sie hatte ihn vom Fenster des Geschäftes aus beobachtet und sofort eine gewisse Sympathie empfunden, als er den kleinen Mike getragen hatte. Dann war mit atemberaubender Plötzlichkeit der Unfall geschehen.

    Fassungslos hatte Trudy zugesehen, wie der Ashley-Wagen die beiden zu Boden gerissen und wie Ashley selbst dann versucht hatte, sein Pferd über ihre Köpfe springen zu lassen. In Torpedo ereigneten sich viele Unfälle und Gewalttaten, und jedes Mal erlebte sie dabei einen dumpfen Schock. Diesmal überfiel sie ein Schüttelfrost.

    Man soll einen Mann nicht gleich verdammen, nur weil er keine Schwielen an den Händen hat und ordentlich angezogen ist, dachte sie schuldbewusst. Trotzdem wurde sie das Gefühl nicht los, dass die Person dieses Longstraw mit einem Geheimnis umgeben war - etwas Exotisches, Fremdartiges ging von ihm aus, hinderte sie daran, ihn wirklich zu mögen. Ganz sicher war er anders als alle Männer, die sie bisher kennengelernt hatte.

    Ein wenig verwirrt und voller Sorge schaukelte sie mit ihrem Stuhl hin und her, als sie Schritte auf der Veranda hörte. Sie erkannte den Schritt ihres Vaters und lief sofort in die Küche.

    Karl Detrichs Gesicht war abgespannt und von tiefen Furchen durchzogen.

    »Wie geht es Michael, Dad?«, fragte Trudy.

    Der Prediger schüttelte traurig den Kopf. »Schlecht. Sehr schlecht.«

    Sie hielt mit ihrer Arbeit inne. »Ist noch Hoffnung?«

    »Doc Bender glaubt es nicht.« Der Prediger suchte stirnrunzelnd nach seiner Pfeife. Trudy rührte heftig in ihrem Topf, um nicht laut loszuheulen.

    »Ich fühle mit dem jungen Mann«, sagte Detrich.

    »Wie heißt er eigentlich, Dad?«

    »Longstraw.« Seine Stirn legte sich in Falten, als er die Pfeife stopfte und anzündete.

    »Nein - ich meine seinen Vornamen.« Trudy fühlte ihre Wangen warm werden und verbarg die Verlegenheit hinter verdoppelter Aktivität.

    »Ich weiß es nicht«, musste ihr Vater zugeben.

    Trudy setzte die dampfenden Schüsseln auf den Tisch. »Du weißt überhaupt nicht sehr viel über ihn, wie?«

    »Ich hab’ ihn doch auch erst heute Nachmittag kennengelernt!«, protestierte Detrich.

    »Und trotzdem wollt ihr ihn als Anführer für euren Kampf gegen Ashley anstellen.«

    »Das Wort Kampf gefällt mir überhaupt nicht, Trudy«, erklärte Detrich streng.

    Das Mädchen trug rasch die Pfanne mit dem heißen Maisbrot auf den Tisch, stellte sie auf den Untersatz und blies sich auf die Finger. »Was ist es denn sonst?«

    »Nennen wir es lieber einen Kreuzzug für bessere Lebensverhältnisse in unserer Stadt«, formulierte er vorsichtig. Dann faltete er die Hände und neigte den Kopf.

    »Herr, wir danken dir für deine Nahrung und bitten dich um Weisheit, damit wir die Kraft daraus in deinem heiligen Namen gebrauchen. Amen.«

    Trudy hob den Kopf. »Es klingt fast unglaublich«, murmelte sie.

    »Was?«

    »Ist noch keiner von euch auf die Idee gekommen, dass er vielleicht schon für Lew Ashley arbeiten könnte?«

    Detrich lächelte. »Du bist doch eine misstrauische und zynische Frau, Trudy!«

    »Es geht etwas Fremdes von ihm aus, Dad.«

    »Er trägt keine Frömmigkeit zur Schau«, stimmte Detrich ihr zu. »Aber denke daran, dass auch der Apostel Paulus das in gewisser Hinsicht nicht tat. Was wir brauchen, ist ein mutiger Mann. Wir müssen Mr. Longstraw die Gelegenheit bieten, sich zu bewähren.«

    Trudy aß zerstreut.

    »Er hat etwas an sich, was mich beunruhigt. Seine Augen sind durchdringend und berechnend. Da ist etwas...« Sie verlor sich in Nachdenken und schüttelte dann den Kopf. »Ach, ich weiß auch nicht recht.«

    Sie legte ihr Besteck hin, stand auf und holte von dem Wandbord ein Essgeschirr und einen sauberen Teller. Reverend Detrich blickte verwundert auf, als sie das Essgeschirr füllte.

    »Für wen ist das?«, fragte er.

    »Für ihn. Wir können ihn doch nicht verhungern lassen.«

    Fünftes Kapitel

    Von der Prärie her kroch schon die Dämmerung in die Stadt. Trudy hatte sich einen warmen Schal um Kopf und Schultern geschlungen. Sie ging rasch und zielbewusst durch die kleinen Gassen zur Hütte der O’Hallorans. Sie beeilte sich, damit das Essen nicht kalt werden sollte.

    Schon von weitem sah sie Longstraw auf dem Baumstumpf hocken. In der Dämmerung sah es fast so aus, als sei er mit dem Strunk verwachsen.

    Trudy ging die schmale Gasse zwischen den provisorischen Hütten entlang und kam sich wieder einmal vor wie in einem Feldlager der Armee - einer ausländischen, heruntergekommenen Armee.

    Als sie vor Longstraw stand, sagte sie: »Ich bringe Ihr Essen.«

    Er schaute sie erstaunt an. Im fahlen Mondlicht wirkte sein Gesicht eingefallen und verkrampft.

    Sie glaubte sich verteidigen zu müssen. »Vater behauptet immer, ich könnte keinen streunenden Hund und keine entlaufene Katze auf der Straße sehen, ohne sie zu füttern.«

    Longstraw lächelte schwach. »Sie haben mich jetzt schon mit einem Spielhöllenbesitzer verglichen, dann mit einem streunenden Hund und...«

    »Ach, so meine ich das doch nicht!«, unterbrach sie ihn. Wie geht’s Michael?«

    Seine Schultern hoben sich. »Ich hab’ nur hier gesessen und gewartet.«

    »Essen Sie zuerst, dann gehen wir hinein.«

    Longstraw stellte das Tablett auf den Baumstumpf und aß im Stehen.

    »Ihre Mutter - oder Ihre Köchin müssen ausgezeichnet sein«, lobte er.

    »Dad und ich sind schon seit Jahren allein. Und beim Gehalt eines Gemeindepredigers kann man sich keine Hilfe leisten.«

    »Könnte Ihr Vater nicht auch an dem Ölgeschäft irgendwie mitverdienen?«, fragte Longstraw zwischen zwei Bissen.

    Sie seufzte lächelnd. »Sie haben keine Ahnung, wie wenig sich Dad für Geld interessiert.«

    Longstraw schob das Tablett beiseite. »Wollen Sie nicht lieber allein hineingehen?«

    »Natürlich kommen Sie mit! Das Tablett hole ich nachher.«

    Sie hob einfach die Decke hoch und trat ein. Longstraw bückte sich hinter ihr durch die niedrige Tür. Mrs. O’Halloran saß neben dem Bett des Jungen. Sie blickte nicht einmal auf, als Trudy leise fragte: »Wie geht’s ihm?«

    »Er lebt noch«, sagte sie tonlos. Es klang, als wollte sie sich selbst damit überzeugen und den Tod verscheuchen.

    Longstraw stand am Fußende und begann unsicher: »Mrs. O’Halloran, ich weiß nicht, wie...«

    Trudy spürte das Zittern in seiner Stimme. Sie ahnte, dass er wieder nahe am Weinen war.

    Mary O’Halloran blickte von dem geisterbleichen Gesicht des Jungen auf und erklärte ruhig: »Wir machen Ihnen keine Vorwürfe, Mr. Longstraw.«

    Longstraw stand für mehrere Sekunden schweigend da, dann murmelte er: »Aber ich mach’ mir Vorwürfe.«

    »Wo ist Doc Bender?«, fragte Trudy.

    »Er musste fort«, antwortete Michaels Vater. »Er wollte aber bestimmt wiederkommen.«

    In der Hütte war kein anderer Laut zu hören als das Tropfen des Wassers, als Mary O’Halloran eine frische Kompresse vorbereitete und sie gegen die blutgetränkte von Mikes Stirn austauschte. Als sie das Tuch hochhob, sah Trudy den glattrasierten Kopf mit der aufgequollenen Platzwunde, die mit mehreren Stichen genäht war. Sie zwang sich zu einem zuversichtlichen Ton.

    »Wenn das Haar nachgewachsen ist, dann wird man von der Narbe nichts mehr sehen.«

    Keiner antwortete ihr. Sie wandte sich an Longstraw. Wir sollten jetzt wieder gehen.«

    Longstraw nickte und ging zur Tür. Dort blieb er stehen und sagte zum Vater des Jungen: »Ich warte draußen. Wenn Sie irgendetwas brauchen - wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann...«

    O’Halloran starrte nur auf den blassen Jungen und antwortete nicht. Longstraw ging. Trudy folgte ihm hinaus. Sie holte das Tablett von dem Baumstumpf.

    »Sie dürfen ihm das nicht übelnehmen - Iren sind nun einmal schweigsam. Aber sonst ist er sehr nett, nur...«

    Longstraws fassungsloser Blick bewies Trudy, dass er genauso litt wie die O’Hallorans. Kurz entschlossen setzte sie das Tablett mit dem Essgeschirr wieder ab.

    »Ich schlage Ihnen einen Austausch vor.«

    Longstraw blinzelte sie unsicher an.

    »Ich bin die Pfarrerstochter, zwanzig Jahre alt und Lehrerin an der hiesigen Schule.«

    Die Andeutung eines Lächelns erschien neben seinem Mund, als er sie anblickte. Er musste sich sehr konzentrieren, ehe er sagte: »Nun - ich bin dreißig.«

    »Woher kommen Sie?«

    »Woher? Von überallher, denke ich. Ich bin auf einem Zirkusplatz in Vermont zur Welt gekommen.«

    »Du meine Güte!«, rief Trudy.

    »Als ich acht war, starb meine Mutter. Sie war eine Kaufmannstochter und hat sich nie so recht an das Zirkusleben gewöhnen können. Das ist auch nicht einfach, wenn man vorher immer in demselben Haus gelebt hat.«

    Es tat Trudy leid, dass sie mit ihrer Frage zu seinem augenblicklichen Kummer auch noch traurige Erinnerungen wachgerufen hatte. Um ihn abzulenken, fragte sie: »Was in aller Welt hatten Sie in einem Zirkus zu suchen?«

    »Papa Montoya nahm mich auf und lehrte mich seine Tricks. Sie nannten ihn den Großen Montoya. Er war ein einmaliger Mensch. Jetzt ist er auch tot.«

    In seinen Gedanken herrscht der Tod vor, dachte Trudy in bitterem Selbstvorwurf. Aber jetzt musste sie auch weiterfragen.

    »Sie waren also Künstler?«

    »In den letzten Jahren eigentlich nicht mehr so sehr. Ich bin Yankee Longstraw.« Er lächelte in leiser Selbstironie, und Trudys Augen weiteten sich vor Staunen.

    »Jetzt erinnere ich mich!«, rief sie. »Darum ist mir der Name so bekannt vorgekommen. Ich hab’ Sie vor Jahren in Syracuse gesehen, auf den Plakaten. Ich wollte so gern eine Vorstellung sehen.« Sie stockte und fuhr irritiert fort: »Aber Yankee Longstraw war ein alter Mann mit einem weißen Bart - wie Uncle Sam. Ich hab’ ihn beim Umzug auf den Straßen gesehen.«

    »Das war mein Vater. Er ist vor zwei Jahren gestorben.«

    Schon wieder der Tod! dachte sie und ging diesmal einfach nicht auf den Gedanken ein.

    »Und Sie waren doch ein Künstler - jetzt weiß ich’s wieder. Ein Junge in einem spanischen Kostüm auf dem Drahtseil. Auf den Plakaten haben Sie einen riesigen Regenschirm in der Hand.«

    »Hochseil, Schlappseil, Bodenakrobatik«, sagte er, und das Lächeln erreichte nun auch seine Augen. »Vielleicht hatten Sie doch Recht, Miss Detrich. Ich bin nicht gerade ehrlich.«

    »Inzwischen muss der Zirkus doch Ihnen gehören. Warum sind Sie dann hier?«

    Er zuckte die Achseln. Weil ich der Sohn meiner Mutter bin- vielleicht deshalb. Ich suche nach etwas, das solider und gewinnbringender ist. Deshalb hab’ ich den Zirkus verkauft.«

    »Yankee Longstraw«, sagte Trudy nachdenklich und merkte selbst den dummen, fast ehrfürchtigen Unterton in ihrer Stimme. »Yankee - ist das wirklich Ihr Name?«

    Longstraw blickte rasch beiseite und senkte den Kopf. Wenn es nicht so dunkel gewesen wäre, dann hätte Trudy bestimmt die dunklere Farbe seiner Wangen bemerkt.

    »Ja, es ist mein Name. Mein Vater hat auch so geheißen. Deshalb nennen mich alle nur einfach Longstraw.«

    »Sagen Sie bitte Trudy zu mir. Und geben Sie mir das Tablett herüber. Wir können unterwegs bei Cody Ihren Koffer abholen.«

    Longstraw reichte ihr das Tablett.

    »Gute Nacht, Miss Detrich. Ich möchte lieber hier warten.«

    Trudy erinnerte sich und suchte nach seinen Augen. Warum wollen Sie hier bleiben?«

    »Vielleicht werde ich gebraucht.«

    Sie blickte auf die Hütte. Das Lampenlicht schimmerte durch das Stoffdach. »Sie können hier doch gar nichts helfen.«

    »Ich bleibe trotzdem.«

    »Wo wollen Sie schlafen?«

    »Nachher gehe ich ins Hotel. Es ist spät geworden - soll

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1