TAT OHNE TÄTER - DREI NOVELLEN: Im Dunkel der Nacht - Krimis aus der DDR, Band 3
Von Christian Dörge, Paul Debler, Leo Lux und Eberhard Richter
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Über dieses E-Book
Der Band Tat ohne Täter, zusammengestellt und herausgegeben von Christian Dörge, erscheint in der Reihe Im Dunkel der Nacht – Krimis aus der DDR im Apex-Verlag und enthält die folgenden spannenden Krimi-Novellen: 24 Stunden später von Paul Debler (1961), Tat ohne Täter von Leo Lux (1962) und Das rote Kabriolett von Eberhard Richter (1966).
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Rezensionen für TAT OHNE TÄTER - DREI NOVELLEN
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Buchvorschau
TAT OHNE TÄTER - DREI NOVELLEN - Christian Dörge
Das Buch
Der Band Tat ohne Täter, zusammengestellt und herausgegeben von Christian Dörge, erscheint in der Reihe Im Dunkel der Nacht – Krimis aus der DDR im Apex-Verlag und enthält die folgenden spannenden Krimi-Novellen: 24 Stunden später von Paul Debler (1961), Tat ohne Täter von Leo Lux (1962) und Das rote Kabriolett von Eberhard Richter (1966).
24 STUNDEN SPÄTER von Paul Debler
Es war ein schleichendes, heimtückisches Gift. Er ahnte nicht im Entferntesten die gefährliche Wirkung. Und er nahm es freiwillig, mit einem geradezu unbezähmbaren Verlangen. In letzter Zeit beinahe jeden Tag.
Indes, es war kein Gift von der Art, daran einer sterben konnte, oder dass man davon krank und schwach wurde. Schwach - schon eher... Aber das stand auf einem anderen Blatt. Dieses Gift wirkte anders. Ganz anders: Wenn er es mit all seinen Sinnen gierig aufgenommen hatte, dann fühlte er sich sogar stark, sehr stark...
In solchen Augenblicken hätte er dem ersten besten Burschen, etwa so einem, wie er es war, aber auch einem älteren Menschen, einfach die Faust ins Gesicht rammen können, ohne jeden Wortwechsel: brutal, gemein, skrupellos. Überhaupt war ihm nach und nach alles, was mit Recht und Gesetz zusammen« hing, mit Ordnung, Anständigkeit und Moral, gleichgültig geworden. Dieses Gift hatte in ihm Neigungen zur Grausamkeit geweckt, ohne dass er es merkte.
Als er an diesem Tag um 18 Uhr aus dem Kino kam - wie immer aus jenem Westberliner Tageskino unweit der Sektorengrenze -, hing ein gelbschwarzer Gewitterhimmel tief über der Stadt. In den Geschäften hatte man die Beleuchtung eingeschaltet. Ein ungewöhnliches Bild an diesem Spätsommertag und um diese frühe Abendstunde. Daher herrschte in den Läden ein unwirkliches, fahles Zwielicht. Die Gesichter von Kunden und Verkäufern schienen darin merkwürdig blass, gleichförmig getönt, maskenhaft. Beinahe gespenstisch, dachte der Bursche, als er wieder einmal vor einer Auslage stehenblieb und die Nase gegen die Scheibe drückte.
Langsam schlenderte er weiter. Seine etwas krummen Beine steckten in hautengen, zerknitterten Röhren, in sogenannten Blue-Jeans, Niethosen aus Texas. Eng schnürte der Hosenbund seine Taille ein. Dadurch kamen der Brustkasten, besonders aber die breiten Schultern, noch mehr zur Geltung. Der große, 18jährige Bursche mühte sich, seinen Schritten einen betont schweren und wiegenden Gang zu geben - nach Cowboy-Art, wie er es in Wildwestfilmen gesehen hatte. Das fand er »schau«, um in seiner Sprache zu reden. Während er dahinschlenderte, hielt er seine Hände fast unbeweglich und ein wenig gekrümmt in der Höhe seiner Oberschenkel. Ähnlich wie es die Cowboys oder Desperados tun, die an dieser Stelle ihre kiloschweren Colts zu baumeln haben... Im Film, versteht sich.
Betont gelassen und umständlich zog er aus der Gesäßtasche einen ramponierten Kamm und fuhr sich damit über seinen geölten und nach Enten-Art geschnittenen schwarzen Haarschopf. Dann öffnete er die ersten drei Knöpfe seines buntkarierten Hemdes und überquerte selbstbewusst und herausfordernd langsam die Sektorengrenze. Der junge Wachtmeister der Volkspolizei blickte ihm mit gemischten Gefühlen nach.
Diese Gewitterstimmung ähnelte der Filmkulisse, die er vor einer halben Stunde gesehen hatte. In diesem Film - er war als knallharter Krimi, als sogenannter Thriller angekündigt, und er trug den reißerischen Titel: Gejagt bis zum bitteren Ende - hatten zwei Gangster während eines Gewitters eine Bank überfallen. Selbstverständlich schwerbewaffnet, mit Maschinenpistolen. Der Donner hatte das Knallen verschluckt, es gab keinen Zeugen, der etwas gehört hätte. Dieser Raubüberfall war eine glatte Sache gewesen. Ehe sich der Kassierer und die im Schalterraum anwesenden Kunden wieder vom Erdboden erhoben hatten, auf den sie sich nach Geheiß der Gangster hinwerfen mussten, waren die Banditen mit ihrem Auto auf und davon. Eine tolle Sache und so einfach, sagte sich der Bursche, der inzwischen an einer Straßenkreuzung angekommen war und dessen Blick nun nachdenklich auf dem Schild Berliner Stadtkontor hängenblieb.
Wirklich, eine tolle Sache, wiederholte er in Gedanken. Hier einfach Vorfahren, den Motor laufenlassen, hineinstürmen und »Hände hoch!« rufen... Na ja - mit einer Maschinenpistole ist das keine Kunst... Er wischte sich den Schweiß mit dem Handrücken weg. Seine Erinnerung streifte einen anderen Film, den er unlängst drüben gesehen hatte: Saat der Gewalt. Die Jungen darin, etwa so alt wie er, waren auch nicht von Pappe gewesen. Die hatten ihm eigentlich noch mehr imponiert als die Film-Bankräuber. Mit Maschinenpistolen ist’s keine Kunst... Jene Kerle aus Saat der Gewalt erledigten ihre Gegner mit den Fäusten. Und wo einer nicht sogleich zu Boden geboxt werden konnte oder noch nicht ganz erledigt war, da wandten sie den berüchtigten Hammerschlag an. Der Hammerschlag, das war ein furchtbarer Hieb; da wurden beide Hände zusammengepresst, und somit erreichte man die Wirkung einer mächtigen Faust, der niemand widerstehen konnte.
Unbewusst faltete er im Gehen spielerisch die Hände zu dieser mächtigen Faust zusammen und bewegte sie wie eine Ramme auf und nieder. Aber im nächsten Augenblick waren seine Gedanken wieder bei dem Bankräuber-Film. So leicht und so ungefährlich dieser Überfall sich auch für die Gangster abgespielt hatte, so einfach wurden die Banditen dann aber auch am Ende aufgespürt und - wie immer im Film - nach heftigem Feuergefecht von den Detektiven überwältigt. Eigentlich schade, sagte sich der Bursche. Aber es war ja auch ihre Schuld... Warum haben sie sich durch hohe Geldeinsätze in der Spielhölle so verdächtig gemacht. Na ja, das gibt es auch nur im Film, sagte er sich, die Wirklichkeit sieht anders aus. Die Detektive können auch nur mit Wasser kochen. Mich würden sie so leicht nicht kriegen, dachte er. Ich würde ein solches Ding überhaupt nur allein drehen. Da hat man keinen Mitwisser, und da kann man von niemandem verpfiffen werden... Nicht die allerkleinste Spur würden sie von mir finden...
Wenn Leutnant Pohlmann seinen Schachabend hatte, dann blieb er - sofern nichts Dienstliches dazwischenkam - gleich auf der Dienststelle. Erst nach Hause zu fahren, lohnte nicht, dazu war der Heimweg zu weit. Pohlmann wohnte ein ziemliches Stück draußen, am Rande der Großstadt. Also saß er an diesem gewittrigen Spätnachmittag an seinem Schreibtisch im Büro der Morduntersuchungskommission und spielte auf einem kleinen Steckschachbrett eine Weltmeisterschaftspartie von Tal und Botwinnik nach. Manchmal hob er den Kopf und blickte zu Oberwachtmeister Wiesner hinüber, der ihm gegenüber an einem zweiten aneinandergestellten Schreibtisch saß und in einem Buch las.
Oberwachtmeister Wiesner war sozusagen der Famulus des Kriminaltechnikers Leutnant Pohlmann. Der junge Volkspolizist Wiesner hatte sich vor anderthalb Jahren zur Abteilung K gemeldet und war nun inzwischen als »Durchläufer« bei der MUK I gelandet, eben Leutnant Pohlmann beigeordnet worden. Oberwachtmeister Wiesner wollte ursprünglich pünktlich Feierabend machen, noch eine Runde schwimmen gehen; aber er hatte sich in der Mittagspause aus der Bibliothek ein Fachbuch entliehen, nun nach Dienstschluss ein wenig darin geblättert und sich schließlich festgelesen. Was er da über forensische Blutuntersuchung las, war auch so spannend geschrieben wie ein Kriminalroman. Und weil dieses Thema zurzeit auf der Schule für Kriminalistik auf dem Lehrplan stand, machte er sich gleich hierfür Notizen: Zum Auffinden von Blutflecken, besonders auf braunroten dunklen Gegenständen ist die Wasserstoffsuperoxydprobe das beste Mittel. Bei Berührung mit Blut erfolgt eine Katalyse, eine Schaumbildung...
Leutnant Pohlmann war fraglos mehr als nur ein mittelmäßiger Schachspieler, aber in jedem Fall ein besserer Kriminaltechniker. Nachdenklich starrte er auf die kleinen Schachfiguren. Verzweifelt schüttelte er den Kopf. »Hol’s der Teufel«, brummelte er vor sich hin. Er fand einfach nicht den Sinn dieses falschen Bauernopfers. »Hm...«, sagte er leise in sich hinein, »unmöglich, dass ein Klassespieler wie Tal einen nutzlosen Zug gemacht haben sollte. Dahinter steckt ganz gewiss mehr. Aber was? Mindestens auf vier, fünf, wenn nicht gar mehr Züge ausgeklügelt und vorberechnet. Aber auch nur in der Erwartung, dass der Partner nicht die Absicht merkt, sie durchschaut. Hm, ein Verbrecher glaubt auch, alles perfekt angelegt zu haben oder zumindest, dass er nicht gefasst wird. Ganz bestimmt, sonst würden die Leute erst gar nicht eine Tat begehen. »So etwas Dummes«, sagte Pohlmann nun halblaut. Verdrossen rieb er sich die Stirn. Erstaunt betrachtete er seine Handfläche. Sie war nass vom Schweiß. »Unglaublich«, sagte er jetzt laut und blickte zu dem jungen Genossen Wiesner hinüber. Wiesner hob den Kopf von seinen Notizen und sagte ebenfalls: »Unglaublich!«
»Nicht wahr, wie in einer Sauna!« Pohlmann lächelte.
»Das auch«, erwiderte Oberwachtmeister Wiesner. »Aber Blut ist ein besonderer Saft. Wirklich unglaublich!«
»Ein ganz besonderer Saft«, korrigierte Pohlmann. Er klappte den kleinen Steckschachkasten zu. »Vor allem dann, sobald Blut aus einem Körper tritt, da hinterlässt es nämlich Spuren. Und von da an wird es für uns besonders interessant, mein Lieber.«
Der junge Oberwachtmeister nickte. »Und erst die Bestimmung der Herkunft des Blutes... Es ist ja erstaunlich, dass die Wissenschaftler jahrhundertelang daran herumgeknobelt haben.«
Leutnant Pohlmann wiegte den Kopf. »Tja -, bei der Bestimmung wird’s schon komplizierter. Wenn mich meine Schulweisheit nicht im Stich lässt, dann War es wohl Antony van Leeuwenhoek, der zu seinem Vergnügen mit selbstgeschliffenen Linsen in die Welt der kleinsten Dinge eindrang und dabei als erster mit seinem speculum poll carum die roten Blutzellen des Menschen sah.«
»Stimmt genau! Das war 1673«, sagte Wiesner und lächelte.
Leutnant Pohlmann machte gewollt ein strenges, schulmeisterliches Gesicht. »Und wann, Genosse Wiesner, wurde die Uhlenhuth’sche Methode der Blutuntersuchung, bei der man mit Sicherheit Menschenblut von Tierblut unterscheiden konnte, bei uns in Deutschland für die gerichtliche Praxis eingeführt?«
Oberwachtmeister Wiesner machte ein nachdenkliches und ebenfalls gespielt zerknirschtes Gesicht. »Verzeihung, Genosse Leutnant, soweit bin ich mit dem Stoff noch nicht.«
»Also gut, dann werde ich es Ihnen sagen: 1903 wurde die Uhlenhuth’sche Methode in Preußen eingeführt. Tja, mein Lieber, gelernt ist gelernt.« Er blickte auf seine Armbanduhr. »Noch ein halbes Stündchen, und dann gehe ich in den Kulturraum, wo die Schachfreunde warten. Von Blut will ich heute nichts mehr hören, geschweige denn, welches sehen.«
*
Es war kurz vor der Ladenschlusszeit, als der Bursche mit seinem Cowboy-Schritt durch jene Straße kam, in der er als Kind gewohnt hatte. Sechs Jahre lag das schon zurück.
Ein eigenartiges Gefühl beschlich ihn, und er wunderte sich insgeheim. Er blieb stehen und zündete sich eine Zigarette an. Über die Flamme des Streichholzes blickte er suchend in die Runde. Dort drüben, in dem Haus Nummer elf, war er eines Tages mit seinem Schulfreund Jimmy in einen fremden Keller eingebrochen. Er verzog das Gesicht zu einem schiefen Lächeln. Für Zwölfjährige, die sie damals waren, ein munteres Stückchen, dachte er. Sie wollten