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DER LANGE RITT: Vier Western-Romane US-amerikanischer Autoren auf über 900 Seiten!
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eBook824 Seiten11 Stunden

DER LANGE RITT: Vier Western-Romane US-amerikanischer Autoren auf über 900 Seiten!

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Über dieses E-Book

Die von Christian Dörge zusammengestellte und herausgegebene Sammlung Der lange Ritt enthält vier ausgesuchte und klassische Spitzen-Romane US-amerikanischer Autoren, perfekten Lesestoff also für alle Western-Fans und Leser der Reihe APEX WESTERN: Die Killer von der Skull Mesa von Wayne D. Overholser, Der lange Ritt von Max Brand, Der Tag, an dem Fort Larking fiel von Will Henry sowie Duell in Mesilla von Lewis B. Patten.

Ergänzt wird dieser Band durch eine bibliographische Notiz von Dr. Karl Jürgen Roth.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum24. Juni 2019
ISBN9783748708063
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    Buchvorschau

    DER LANGE RITT - Christian Dörge

    Das Buch

    Die von Christian Dörge zusammengestellte und herausgegebene Sammlung Der lange Ritt enthält vier ausgesuchte und klassische Spitzen-Romane US-amerikanischer Autoren, perfekten Lesestoff also für alle Western-Fans und Leser der Reihe APEX WESTERN: Die Killer von der Skull Mesa von Wayne D. Overholser, Der lange Ritt von Max Brand, Der Tag, an dem Fort Larking fiel von Will Henry sowie Duell in Mesilla von Lewis B. Patten.

    Ergänzt wird dieser Band durch eine bibliographische Notiz von Dr. Karl Jürgen Roth.

    Wayne D. Overholser:

      DIE KILLER VON DER SKULL MESA (The Gunfighters)

    Erstes Kapitel

    Clay Roland erblickte Pferd und Reiter, als die beiden sich noch so weit draußen in der Wüste befanden, dass sie kaum größer als ein Punkt erschienen, der sich langsam bewegte.

    Clay stand vor dem Gefängnis von Piute City, und die niedrig stehende Sonne spiegelte sich in dem versilberten Stern an seiner Weste. Er behielt den Näherkommenden genau im Auge, vielleicht war es ein Cowboy von einer der umliegenden Ranches, vielleicht aber auch nur irgendein Fremder; es konnte Freund oder Feind sein.

    Clay arbeitete bereits seit sechs Jahren als Vertreter des Gesetzes und hatte dabei eine Menge gelernt. Er wusste, dass er für manche Leute, die den Stern auf seiner Brust sahen, nichts weiter als eine Schießscheibe darstellte. Nur zu oft waren es Freunde von Erschossenen, die ihren toten Kameraden rächen wollten. Deshalb hatte es sich Clay zur Gewohnheit gemacht, jeden Neuankömmling eingehend zu prüfen.

    Doch der Mann, der jetzt in die Stadt kam, war ihm vollkommen fremd. Es blieb also nur noch eine Möglichkeit, seine Gesinnung zu erkunden - der Reiter musste den Stern sehen. Möglicherweise konnte Clay Roland dann an seiner Reaktion ablesen, ob er es auf ihn abgesehen hatte oder nicht.

    Als der Fremde am Gefängnis vorüberkam, stellte Clay fest, dass er noch ziemlich jung war. Er saß locker im Sattel und schonte auf diese Weise sowohl sich selbst als auch sein Pferd. Nach der dichten Staubschicht zu urteilen, die ihn bedeckte, hatte er seit Tagesanbruch eine weite Strecke zurückgelegt.

    Ihre Blicke trafen sich für einen kurzen Augenblick, dann starrte der Reiter wieder geradeaus, als ob ihn der Marshal von Piute City nicht im Mindesten interessierte. Der Junge machte den Eindruck, als sei er am Ziel seiner Reise angelangt. Vermutlich dachte er bereits an einen Drink, ein Abendessen, und vielleicht auch an eine Rasur und ein Bad.

    Der Junge richtete sich im Sattel auf und ließ seine Blicke von der einen Straßenseite auf die andere schweifen. Offenbar suchte er jemanden. Er schien seinen Mann aber nicht zu finden und verschwand nach kurzer Zeit im Mietstall.

    Wenig später kam er wieder heraus und blieb im Torbogen stehen. Selbst auf diese Entfernung hin konnte Clay sein arrogantes und selbstsicheres Gehabe beobachten. Sein Revolver hing ihm tief auf dem rechten Schenkel; nur Männer, die auf die Geschwindigkeit ihres Zuges angewiesen waren, um am Leben zu bleiben, trugen ihre Waffe so.

    Eine volle Minute lang rührte sich der Junge nicht von der Stelle. Die Nachmittagssonne warf ihren langen Schatten auf den Gehsteig, und es hatte den Anschein, als lege er es darauf an, unbedingt von jedem gesehen zu werden. Schließlich setzte er sich langsam in Bewegung und ging auf Kellys Bar zu.

    Über seine Absichten konnte kaum ein Zweifel bestehen. Er war gekommen, um Unruhe zu stiften. Clay stand jetzt vor der Wahl, ihm zu folgen und eine Gegenüberstellung zu erzwingen oder abzuwarten, bis das Verhängnis seinen Lauf nahm.

    In einem Fall wie diesem konnte Clay sich nur schwer zu einer Initiative entschließen. Wenn er sofort eingriff und den Burschen zur Rede stellte, forderte er dessen Angriffslust vielleicht noch heraus. Andererseits könnte ein Zögern einer Schießerei Vorschub leisten.

    Schließlich beschloss Clay, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Möglicherweise hatte er den Jungen falsch eingeschätzt. Unter Umständen konnte er auch vom Stallwärter erfahren, was der Fremde in Piute City suchte. Die nächste Stadt lag mehr als zwanzig Meilen entfernt. Der Ritt über die rote Felswüste war wahrhaftig kein Vergnügen. Vielleicht wusste der Junge davon, oder man hatte es ihm erzählt, so dass er jetzt während der Nacht hier Zwischenstation machte.

    Clay schlenderte am Saloon vorbei und betrat den Mietstall. Er war nicht gerade in bester Stimmung. Eigentlich sollte er für jeden Zwischenfall dankbar sein, denn diese machten sein Amt ja erst notwendig. Ohne sie war ein Marshal völlig überflüssig. Und doch konnte er sich nie eines unguten Gefühls erwehren, wenn ein Fremder bewaffnet in die Stadt einritt.

    Er musste an die vielen Beamten denken, die zwanzig oder dreißig Jahre im Dienst gewesen waren, ihr Gehalt gespart hatten und sich auf einer eigenen Ranch zur Ruhe setzen konnten. Andere hingegen hatten schon im ersten Jahr ins Gras beißen müssen.

    Während er im Dämmerlicht des Stall-Innern verschwand, fiel ihm ein, wie oft er sich schon einen anderen Job hatte suchen wollen. Auf seinem Bankkonto standen zwar ein paar hundert Dollar, aber das genügte bei weitem nicht zum Kauf einer Ranch oder zur Eröffnung eines Ladens. Nach Hause konnte er ebenfalls nicht zurückkehren, da sein Vater nichts mit seinem Sohn zu schaffen haben wollte, der sich als Revolvermann betätigte - gleichgültig, ob er auf Seiten des Gesetzes stand oder nicht.

    »Pop!«, rief Clay.

    Der Stallwärter trat weiter hinten im Gang aus einer Box. »Gut, dass Sie da sind«, meinte er. »Ich wollte Sie ohnehin aufsuchen. Der Junge, der vorhin angekommen ist, hat sich nach Ihnen erkundigt.«

    Clay zog den Revolver, überprüfte ihn und ließ ihn ins Leder zurückgleiten. Genauso hatte er sich die Entwicklung vorgestellt. Aber ganz abgesehen von diesem Fall, wurde er die Befürchtung nicht los, dass früher oder später jemand kommen würde, der entweder schneller als er selbst war oder nur die Gelegenheit suchte, ihn hinterrücks zu erschießen.

    Clay sah den Stallwärter scharf an. »Hat er gesagt, was er von mir wollte?«

    Der Alte zuckte die Achseln. »Nein, das nicht. Aber er scheint mit allen Wassern gewaschen zu sein. Haben Sie bemerkt, wie er seinen Colt trägt?«

    »Sicher«, erwiderte Clay, »doch das besagt wenig. Auf seine Schnelligkeit können Sie daraus nicht schließen.«

    »Seien Sie nicht zu optimistisch«, warnte Pop ihn. »Aber, zum Teufel, das ist schließlich Ihre Angelegenheit. Noch weiß er nicht, dass Sie Marshal sind. Ich habe ihm geraten, in Kellys Bar auf Sie zu warten. Über kurz oder lang würden Sie dort erscheinen. Ich glaube, er kennt nichts weiter als Ihren Namen.«

    »Danke«, sagte Clay. »Ich werde mich um ihn kümmern.«

    Er wandte sich dem Ausgang zu. Noch bevor er den Gehsteig erreicht hatte, zerrissen zwei Schüsse die Stille des Nachmittags. Sie kamen aus Kellys Bar und folgten so schnell aufeinander, dass der zweite der Widerhall des ersten hätte sein können. Clay begann zu laufen.

    Während er durch die Pendeltür des Saloons stürzte, zog er den Revolver. Der Junge lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Fußboden neben der Bar. Sein Colt befand sich nur wenige Zentimeter von seiner ausgestreckten Hand entfernt. Abgesehen von dem Barkeeper, war der Raum leer.

    »Blacky Doane war es«, rief der Barkeeper. »Er hat ihn niedergeschossen. Der Junge wollte ziehen, aber er war nicht schnell genug.«

    Clay kniete nieder, packte das Handgelenk des Fremden und fühlte nach dem Puls. Er konnte kein Lebenszeichen mehr feststellen. Die Kugel hatte ihn ins Herz getroffen. Clay richtete sich auf und fragte: »Wie ist es geschehen?«

    »Nur ich und Blacky Doane waren hier«, antwortete der Barmann. »Er saß an einem Tisch und legte eine Patience - genauso, wie er es seit seiner Ankunft in der Stadt immer schon getan hat. Niemals kam ein Wort über seine Lippen. Doane war wahrhaftig kein Schwätzer.«

    Clay nickte. Das war ihm nicht neu. Vor zehn Tagen war Doane in Piute City eingetroffen - ebenso ein Fremder, wie es der Junge gewesen war. Er hatte ein Zimmer im Hotel genommen und seitdem jede Stunde des Tages in Kellys Bar verbracht. Das Legen von Patiencen schien seine einzige Beschäftigung zu sein. Kein Mensch erfuhr jemals von ihm, woher er stammte und was er wollte. Jetzt allerdings gab es keinen Zweifel mehr daran, dass er auf den Jungen gewartet hatte.

    »Erzählen Sie weiter«, sagte Clay.

    »Nun, der junge Bursche betrat den Saloon, als sei er der hartgesottenste Desperado in den Staaten«, fuhr der Barkeeper fort. »Offenbar legte er es darauf an, den Eindruck zu erwecken, dass mit ihm nicht zu spaßen sei. Er bestellte ein Bier. Ich schenkte es ihm ein, und er beklagte sich prompt, dass es ihm zu warm sei. Doane ließ ihn die ganze Zeit nicht aus den Augen. Nach einer Weile legte der Junge einen Brief auf die Bar, der für Sie bestimmt war. Angeblich suchte er Sie schon seit Wochen und wollte Ihnen das Schreiben persönlich überreichen.«

    »Wo ist der Brief?«, wollte Clay wissen.

    »Darauf komme ich gleich zu sprechen. Doane steht plötzlich auf und sagt, er wolle Ihnen den Brief geben. Der Junge gibt ihm zur Antwort, er solle sich zum Teufel scheren. Doane streckt die Hand aus und versucht, ihm den Brief zu entreißen. Aber der Junge greift sofort zum Colt. Doane ließ sich nicht überraschen. Er kam als erster zum Schuss und traf mit der ersten Kugel. Verhaften können Sie den Mann nicht, er hat einwandfrei in Notwehr gehandelt. Das kann ich jederzeit beschwören.«

    »Zur Hölle damit!«, schnappte Clay. »Wo ist der Brief?«

    »Den hat Doane mitgenommen«, erklärte der Barkeeper unbewegt. »Hindern konnte ich ihn nicht daran. Er hielt mich mit dem Revolver in Schach. Und ich weiß auch nicht, wohin er nach der Schießerei gegangen ist.«

    Fluchend verließ Clay den Saloon und drängte sich durch die Menge, die sich inzwischen draußen auf der Veranda angesammelt hatte. Er musste sich beeilen, wenn er Doane noch erwischen wollte, bevor dieser die Stadt verließ.

    Clay hatte richtig geraten. Doane stand im Mietstall und sattelte sein Pferd. Clay schritt auf ihn zu. »Geben Sie mir den Brief!«, sagte er kalt.

    Der Mann trat aus der Box auf den Gang hinaus. Er baute sich breitbeinig vor Clay auf und starrte ihn an. Seine Rechte hing über dem Griff seines Colts. »Nur nicht so stürmisch, Marshal!«, sagte er. »Man hat mich dafür bezahlt, um zu verhindern, dass Sie das Schreiben bekommen. Wenn Sie das Schicksal des Jungen teilen wollen, dann lassen Sie mich in Frieden.«

    »Reden Sie keinen Unsinn«, unterbrach Clay ihn. »Her mit dem Brief!«

    »Man hat mich nicht bezahlt, Sie zu töten, Marshal«, erwiderte Doane. Er sprach so eindringlich, als hätte er es mit einem dickköpfigen Kind zu tun. »Ob Sie tot oder lebendig sind, interessiert niemand. Nur zurückkehren, das sollen Sie nicht. Ich führe meine Aufträge immer aus, und diesmal hat man mich beauftragt, dafür zu sorgen, dass Sie den Brief nicht in die Hände bekommen. Sehen Sie sich also vor!«

    »Wer hat Sie beauftragt?«

    Doane zögerte und entgegnete dann: »Ich weiß es nicht, Marshal; glauben Sie mir. Abe Lavine hat mich zwar auf die Reise geschickt, aber ich bin davon überzeugt, dass er nur der Strohmann für irgendjemand ist, der im Hintergrund bleiben möchte. Abe hat mir mitgeteilt, wo ich Sie finde. Deshalb war ich auch eher in Piute City als der Junge, der Ihren Aufenthaltsort offensichtlich nicht genau kannte. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Ich verlasse jetzt die Stadt und rate Ihnen, mich nicht daran zu hindern.«

    »Sie brechen nicht eher auf, als bis ich den Brief habe!«, stellte Clay fest.

    »Seien Sie doch vernünftig, Marshal«, sagte Doane. »Es lohnt sich nicht, für einen Brief zu sterben. Außerdem haben Sie nicht den geringsten Grund, mich festzuhalten. Er hat als erster gezogen. Wenn Sie mich allerdings zwingen sollten, mir den Weg aus der Stadt mit dem Colt freizukämpfen, bezahlen Sie das mit dem Leben, Marshal. Verlassen Sie sich darauf!«

    Es war durchaus möglich, dass Doane schneller als er selbst war, überlegte Clay. Den Beweis dafür würde jedoch erst ein Kampf erbringen, und es hatte den Anschein, als ob es dazu käme. Denn für Clay hatte die Sache einen persönlichen Aspekt gewonnen: Der Junge war am Gefängnis vorbeigeritten. Clay hatte ihn nicht angesprochen und war deshalb an seinem Tod mitschuldig. Jetzt klein beizugeben, wäre ein Zeichen von Schwäche gewesen.

    Clay ließ die Sekunden verstreichen. Er betrachtete sein Gegenüber gelassen und lächelte. Das war einer der Tricks, die er sich im Lauf der Zeit angeeignet hatte. Ihm war keineswegs zum Lächeln zumute, aber es bewies sein unerschütterliches Selbstvertrauen. Der Gegner sollte fühlen, dass es für Clay keinen Zweifel am Ausgang des Kampfes gab.

    »Also, Doane«, begann Clay sanft, »Sie haben inzwischen reichlich Zeit gehabt, sich die Sache noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Jetzt liegt es an Ihnen, zu entscheiden, ob Sie sterben wollen oder nicht. Wenn nicht, geben Sie mir den Brief!«

    Langsam schritt er den Gang hinunter auf den Mann zu. Doane fuhr sich mit einer nervösen Handbewegung über das Gesicht; offenbar war er am Ende seiner Weisheit angelangt. Schließlich tat Clays Trick seine Wirkung. Doane riss das Schreiben aus der Tasche und warf es auf die Erde. »Zum Teufel damit!« schnarrte er und drehte sich um. Er nahm sein Pferd beim Zügel, führte es aus der Box und schwang sich in den Sattel. Dann bohrte er ihm die Sporen in die Weichen und preschte im Galopp aus dem Stall. Am Torbogen spritzten die Männer auseinander, die Clay von Kellys Bar gefolgt waren.

    In einer der weiter zurückliegenden Boxen stieß der Stallwärter einen langen Seufzer aus. »Woher wussten Sie, dass er kneifen würde?«, erkundigte er sich.

    »Ich wusste es nicht«, antwortete Clay, hob den Brief auf und verließ den Stall. Er ging ins Gefängnis zurück, ohne sich um die neugierigen Blicke zu kümmern, die ihm die Männer auf dem Gehsteig zuwarfen.

    Zweites Kapitel

    Clay saß in seinem Büro. Vor ihm auf dem Schreibtisch lag das Schreiben. Der Umschlag sah zerknittert und schmutzig aus. Nur zwei Wörter standen darauf: Clay Roland. Das war alles. Die Handschrift kam ihm bekannt vor.

    Er drehte sich eine Zigarette und musste währenddessen daran denken, dass dieser Brief nicht nur den Tod des Jungen, sondern um Haaresbreite auch noch den seinen oder Doanes verursacht hätte. Vielleicht war es am besten, ihn ungeöffnet in den Papierkorb zu werfen. Denn sehr wahrscheinlich enthielt er doch nichts anderes als das Angebot, in irgendeiner der Städte, in denen er bisher gearbeitet hatte, den Posten eines Marshals zu übernehmen - vielleicht in Leadville, in Trinidad oder Tucson.

    Er nahm den Umschlag in die Hand, um ihn zu zerreißen, und hielt dann inne. Eventuell war einer von seinen Freunden in Schwierigkeiten und schickte nach ihm- Freunde? Er lachte bitter auf. In den vergangenen sechs Jahren war er ruhelos von einer Stadt zur anderen gezogen und hatte niemals eine Freundschaft geschlossen. Auch hier in Piute City stand er allein.

    Sein Leben war leer. Schuld daran trug die Tatsache, dass er ein Mann des Gesetzes war. Praktisch steckte er dauernd in irgendeiner Klemme: tötete er jemand, verdammte ihn die eine Seite; tat er es nicht, kritisierte ihn die andere. Ließ er sich von den Gesetzlosen bestechen, verurteilten ihn die Gesetzestreuen. Lehnte er die Schmiergelder ab, so verdoppelte er für sich die Gefahr, getötet zu werden.

    Das schlimmste aber war, dass ihn die Gerechten, wenn er ihrer Hilfe bedurfte, nicht unterstützten. Freundschaften einzugehen lohnte sich ohnehin nicht. Freunde komplizierten die Lage eines Marshals nur. Irgendwie verpflichteten sie einen doch dazu, ihre etwaige Schuld zu vertuschen. Eins war also sicher; der Brief stammte nicht von einem Freund.

    Er riss den Umschlag auf und zog ein einzelnes Blatt Papier heraus. Wenn das Schreiben von so großer Bedeutung war, dass seine Zustellung mit allen Mitteln verhindert werden sollte, dann musste er es wenigstens lesen. Er faltete den Bogen auseinander und erstarrte plötzlich. Die Nachricht datierte vom 3. Oktober, war also älter als zwei Wochen. Anton Cryder, der beste Freund seines Vaters, ein Rechtsanwalt, hatte sie unterzeichnet.

    Clay überflog die Zeilen.

    Lieber Clay!

    Als wir das letzte Mal von Dir hörten, hieltest Du Dich gerade in Santa Fé auf. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wo Du jetzt zu finden bist. Deshalb kann ich Dir den Brief nicht mit der Post zuschicken. Stattdessen habe ich Ernie Layton beauftragt, Dich zu suchen und Dir den Brief persönlich auszuhändigen. Er ist noch fast ein Kind und manchmal ein bisschen leichtsinnig. Aber er ist ungefähr der einzige auf der Skull Mesa, dem ich vertrauen kann. Wenn er es schafft, Streitereien aus dem Weg zu gehen, wird er Dich sicherlich ausfindig machen. Ich habe leider die traurige Pflicht, Dir mitzuteilen, dass Dein Vater vor drei Tagen ums Leben gekommen ist. Offenbar ist er von einem Pferdehuf am Kopf getroffen worden. Da er allein lebt, wurde er erst einen Tag nach seinem Tod, vor dem Ranchgebäude liegend, gefunden. Dem Testament zufolge sollst Du die Bar C übernehmen. Bei mir befindet sich außerdem ein an Dich gerichteter Brief Deines Vaters.

    Die Verhältnisse auf der Skull Mesa werden immer unerträglicher; und daran trägt niemand anders die Schuld als Queen Bess. Sie wird es auf keinen Fall zulassen, dass ein Mann von Deinen Fähigkeiten nach Painted Rock zurückkehrt. Vermutlich setzt sie alles daran, dass Ernie Layton nicht zu Dir kommen kann. Sollte der Brief aber trotzdem in Deine Hände gelangen, so schrickt sie gewiss auch nicht davor zurück, Dir die Heimkehr durch irgendeine Heimtücke unmöglich zu machen. Deshalb schlage ich vor, Du kommst im Schutze der Nacht nach Plainted Rock und suchst mich sofort auf.

    Herzlichst -

    Dein Anton Cryder

    Clay las das Schreiben zweimal. Dann legte er es auf den Schreibtisch zurück. Einen Anlass zum Trauern gab ihm der Tod seines Vaters nicht. Seine Mutter hatte er verloren, als er zwölf Jahre alt war, und sein Vater pflegte ihn vorwiegend mit Hilfe eines Lederriemens zu erziehen, der an einem Nagel in der Küche hing. Eigentlich war es verwunderlich, dass er es, nachdem seine Mutter gestorben war, noch neun Jahre lang auf der Ranch ausgehalten hatte.

    John Roland war ein starker Mann gewesen - stark genug, um für zwei zu arbeiten. Für ihn war es selbstverständlich, dass sein Sohn ihn nach Kräften unterstützte. Dabei kannte er kein Pardon; Clay hatte sich oft - auch schon in frühester Jugend - bis an den Rand der Erschöpfung abplacken müssen. Wenn es einige Lichtblicke in seiner Kindheit gab, so hatte er sie seiner Mutter zu verdanken.

    Clay lehnte sich im Stuhl zurück und dachte an die Zeit, als er die Bar C verließ. Damals zählte er einundzwanzig Jahre und liebte Linda Stevens. Sie erwiderte seine Gefühle; aber nachdem er auf der Hauptstraße von Painted Rock einen Mann erschossen hatte, wies ihm John Roland die Tür. Im Grunde kam diesem Zwischenfall keine Bedeutung zu, denn über kurz oder lang wäre er doch von zu Hause weggegangen. Das Verhältnis zwischen ihm und seinem Vater war unerträglich geworden.

    Dummerweise hatte er Linda gebeten, mit ihm zu kommen. Sie lehnte natürlich ab - kein Wunder, denn er besaß weder Geld noch Arbeit. Doch er hatte es ihr sehr übelgenommen. Er betrank sich sinnlos und verließ die Stadt am nächsten Morgen.

    Seine wenigen Freunde waren auf der Skull Mesa zurückgeblieben. Nur mit Bill Land, einem gut aussehenden Mann mit großem Ehrgeiz, stand er noch längere Zeit in Verbindung. Zweifellos hatte Anton Cryder von ihm erfahren, dass er sich zeitweilig in Santa Fé aufgehalten hatte. Von Rusty Mattson dagegen hatte er niemals etwas gehört.

    Die drei bildeten ein seltsames Gespann, und ihre Ansichten deckten sich nur selten. Doch das Band der Freundschaft hielt sie eisern zusammen. Gemeinsam waren sie zur Schule gegangen, gemeinsam hatten sie gejagt, gekämpft und getrunken. Oft kam es vor, dass sie mit mehr als sechs von Queens Bess' Cowboys gleichzeitig eine Schlägerei anfingen, sie verprügelten und den Saloon in ein Schlachtfeld verwandelten.

    Clays Freundschaft mit Land und Mattson hatte zu den Unstimmigkeiten zwischen ihm und seinem Vater beigetragen. Für John Roland waren die beiden Taugenichtse. Überhaupt gab es in seiner Skala moralischer Werte nur zwei Farben: Schwarz und Weiß; Grautönungen existierten für ihn nicht. Seltsamerweise reihte er Linda unter der Farbe Weiß ein. Wenn Clay sie vor dem Bruch mit seinem Vater geheiratet hätte, wäre sie auf der Bar C auch ohne ihn willkommen gewesen.

    Clay stand auf und schob den Brief in die Jackentasche. Die Entscheidung fiel ihm nicht schwer. Er würde auf dem schnellsten Weg zurückkehren. Die Bar C gehörte ihm, und daran konnte auch Queen Bess nichts ändern.

    Falls er Hilfe brauchte, um die Ranch zu führen, würden sich Bill Land und Rusty Mattson ihm gewiss zur Verfügung stellen. Sie könnten als Cowboys für ihn arbeiten, und dann wäre das Trio wieder beisammen. Und Linda? Inzwischen musste sie fünfundzwanzig Jahre alt geworden sein. Sollte sie noch nicht verheiratet sein, dann... Nein, das war wenig wahrscheinlich, aber träumen konnte er doch davon.

    Clay ging zur Bank und hob sein Guthaben ab. Dann gab er dem Bürgermeister den Stern zurück. »Ich reite nach Hause«, erklärte er ihm. »Mein Vater ist gestorben.« Sie reichten sich die Hand, und der Bürgermeister wünschte ihm viel Glück.

    Nach Hause! Clay erfasste den vollen Sinn dieser Worte erst auf dem Rückweg zum Gefängnis. In den vergangenen Jahren hatte er keinen Gedanken daran verschwendet. Aber jetzt war es so weit! Die Bar C würde sich zwar niemals vergrößern lassen, denn sie war vom Weidegebiet der Flagg Ranch völlig eingekreist. Aber für Clay war sie groß genug, und auch für Linda gab es noch Platz.

    Er nahm die wenigen Sachen an sich, die sich im Laufe der Zeit in dem Büro angesammelt hatten und ihm gehörten. Dahn verließ er das Gebäude und machte sich auf den Weg zu der Blockhütte, in der er schlief und seine Mahlzeiten kochte. Er verstaute seine ganze Habe in den Satteltaschen und musste feststellen, dass sich seine Besitztümer in den vergangenen sechs Jahren alles andere als vermehrt hatten. Die nächsten sechs Jahre sollten ertragreicher sein. Er rollte seine Decken zusammen und füllte einen Mehlsack mit Schinken, Brot und Kaffee. Kaum, dass er die Winchester ergriffen hatte, strebte er auch schon der Tür zu. Dann blieb er plötzlich stehen. Blacky Doane kam quer über den menschenleeren Platz auf die Hütte zu.

    Leise Flüche vor sich hin murmelnd, drehte sich Clay wieder um, legte das Gepäck auf den Tisch und trat vor die Tür. Weniger als zwanzig Schritte trennten ihn noch von Doane. »Ich werde Ihnen sagen, was in dem Brief stand«, begann Clay. »Mein Vater ist tot und will, dass ich seine Ranch übernehme. Ich kehre jetzt zur Skull Mesa zurück. Sie tun gut daran, sich mir nicht in den Weg zu stellen.« Doane blieb breitbeinig, die Sonne im Rücken, stehen. In seinen Mundwinkeln zuckte es. Die Hand, die über dem Revolver hing, zitterte.

    »Man hat mich bezahlt, damit ich verhindere, dass Sie in den Besitz des Briefes gelangen, Roland. Jetzt haben Sie den Brief trotzdem erhalten. Aber ich bin immer noch verpflichtet, Ihre Rückkehr, koste es, was es wolle, zu vereiteln.«

    »Reden Sie keinen Unsinn, Doane«, erwiderte Clay. »Niemand kann Ihnen so viel zahlen, dass es sich lohnt zu sterben.«

    »Ich werde nicht derjenige sein, der ins Gras beißt«, stellte Doane rau fest. »Zur Hölle damit! Es ist meine Aufgabe, Sie zurückzuhalten. Das kann ich nur erreichen, indem ich Sie töte.«

    »Für mich sind Sie nicht schnell genug, Doane«, sagte Clay lächelnd. »Das haben Sie doch bereits im Mietstall erkannt. Oder etwa nicht? Und glauben Sie mir, es lohnt sich nicht zu sterben.«

    Der Mann schüttelte starrsinnig den Kopf. »Ziehen Sie, Roland!«, forderte er.

    Clay sah, dass ihm mit Vernunftsgründen nicht beizukommen war. Er hatte viele Männer gekannt, die ihr Leben wegen irgendeiner Kleinigkeit in die Waagschale warfen - sei es aus Stolz oder Scham oder aus der Furcht, in den Ruf eines Feiglings zu gelangen.

    Er zog den Stetson tiefer in die Stirn und machte einen Schritt vorwärts. »Sie können sich freuen, Doane, dass Sie wenigstens die Sonne im Rücken haben. Damit ist die Sache nicht ganz hoffnungslos für Sie. Ziehen Sie endlich!«

    Doane stieß einen heiseren Fluch aus und griff nach dem Colt. Clays Hand zuckte blitzschnell herab, er riss die Waffe aus dem Leder, hob sie und feuerte. Im Handinnern spürte er den harten Rückschlag des.45er.

    Blacky Doane war in der Tat zu langsam. Seine Kugel wirbelte nur den Staub zu Clays Füßen empor. Dann drehte er sich einmal um die eigene Achse und brach zusammen. Der Colt glitt ihm aus der Hand.

    Clay starrte voll Bedauern auf den leblosen Körper. Er hatte alles getan, was in seiner Macht stand, um den Kampf zu verhindern. Es war ihm nicht gelungen. Wenn Anton Cryder nun Recht haben sollte, dann würde es in den nächsten Wochen noch mehr Tote geben. Doch deswegen durfte er, Clay Roland, die Entscheidung, die er einmal gefällt hatte, nicht wieder umstoßen. Er würde zur Skull Mesa heimkehren - allen Widerständen zum Trotz!

    Wenige Minuten später lag die Stadt schon hinter ihm. Hinter ihm lag ebenfalls die Zeit, während der er Marshal gewesen war. In seinem Leben begann jetzt ein neuer Abschnitt, und er hatte es in der Hand, diesen Abschnitt zu seinen Gunsten zu gestalten.

    Drittes Kapitel

    Clay ritt drei Tage lang, ohne sich irgendwo länger als notwendig aufzuhalten. Er durchquerte ein trostloses Wüstengebiet, in dem weit und breit nur eine Pflanzenart zu entdecken war - trockener Sagebusch, dessen dürre Zweige im Wind knisterten. Später folgte er einem mit Zedern und Fichten bewachsenen Höhenzug. In der Nähe des Gipfels übernachtete er bei einem kleinen Bach mit klarem, süßem Wasser. Er atmete den würzigen Duft der Bergwelt ein und lauschte auf die Geräusche, die man nur im Gebirge zu hören bekam. Hier fand er die Atmosphäre des Hochlandes wieder, in dem er aufgewachsen war. Wie sehr er sie vermisst hatte, wurde ihm erst jetzt klar.

    Am späten Nachmittag des dritten Tages trieb er sein Pferd einen steilen Pass hinunter. Zu beiden Seiten ragten zedernbestandene Felswände empor. Hin und wieder leuchtete roter Sandstein zwischen dem schwarzgrünen Laub hindurch. Hier nahmen die Smoky Hills ihren Anfang, die die Grenze zwischen Colorado und Utah bildeten. In diesem Land suchten nur Geächtete Zuflucht; Männer, die einen Stern trugen, mieden diese Gegend.

    Verstreut in den Hügeln lagen einige abgeschiedene Ansiedlungen um die Wasserstellen herum. Nur alleinstehende Männer hausten dort, denn Frauen vermochten das ewige Einerlei und

    die Einsamkeit, die das Land ihnen aufzwang, nicht zu ertragen. Fast alle hatten irgendwo und irgendwann einmal gegen das Gesetz verstoßen und ließen sich hier, der ständigen Herumzieherei müde, nieder, um in Frieden zu leben.

    Diese Welt war genau nach Rusty Mattsons Geschmack. Clay hatte ihn oft auf der Jagd hierher begleitet. Bill Land war nie dabei. Er fürchtete die Smoky Hills und ihre Bewohner. Aber vor Mattson verriegelte niemand die Tür, und Clay wurde auf genommen, weil er sein Freund war. Das gleiche hätte für Bill Land gegolten, wenn er nur den Mut aufgebracht hätte, mitzukommen.

    Am Horizont erhob sich eine scharfe schwarze Kante. Sie verlief schnurgerade, als habe sie jemand mit dem Lineal gezogen. Das war der Rand der Skull Mesa, eines mächtigen Tafelberges. Mitten auf ihr, von gutem Weideland umgeben, lagen die Bar C, die Hagg, einige andere Ranches und die Stadt Painted Rock. Nur durch das Tal getrennt, standen die Skull Mesa und die Smoky Hills, zwei feindlichen Brüdern gleich, nebeneinander. Wenige Männer, unter ihnen Rusty Mattson und Long Sam Kline, konnten sich rühmen, in beiden Teilen zu Hause zu sein.

    Clay beabsichtigte, die Nacht bei Kline zu verbringen. Klines Haus lag am Fuß des Hochplateaus - dort, wo der Storm River eine Kerbe in die fast dreihundert Meter hohe Felswand geschnitten hatte. Dem Flusslauf folgte eine sehr schlechte Straße, kaum breit genug, um Platz für einen Wagen zu bieten. Selbst ein Mann wie Long Sam hatte es nicht leicht, wenn er seine Vorräte von der Mesa herunterkutschieren wollte. Auf der einen Seite kratzten die Radnaben ständig an der Felswand entlang, und auf der anderen hingen sie über einem etwa fünfzehn Meter tiefen Steilhang, an dessen Fuß das Wasser des Storm River brodelte.

    Kline führte einen kombinierten Verkaufs-, Saloon- und Hotelbetrieb. Bei ihm kauften die Männer aus den Smoky Hills ihre Lebensmittel und verbrachten gelegentlich eine Nacht hier - meistens dann, wenn das Wetter zu schlecht war oder sie zu viel von Long Sams Whisky getrunken hatten, der, wenn auch nicht gut, so doch wenigstens stark war. Die Bewohner der Mesa betrachteten Klines Unternehmen mit Misstrauen. Verschiedentlich war sogar schon davon die Rede gewesen, es radikal aus der Welt zu schaffen, weil es Viehdieben und anderen Verbrechern Unterschlupf bot.

    Andererseits brachten die Männer der Smoky Hills den Mesa-Leuten einen so tiefen und leidenschaftlichen Hass entgegen, wie ihn nur Außenseiter der Gesellschaft gegen wohlhabende Bürger und vom Gesetz nicht Verfolgte hegen können. Sie drohten, jede Ranch auf dem Hochplateau in Schutt und Asche zu verwandeln, wenn Klines Haus angetastet werden sollte. Clay war davon überzeugt, dass nur diese Drohung die Mesa-Bewohner bis jetzt an der Ausführung ihres Planes gehindert hatte.

    Sechs Jahre sind eine lange Zeit, und um Clays Ortskenntnis war es nicht mehr besonders gut bestellt. Er schlug einen Pfad ein, der ihn zwar vom Pass herunter und zum Fluss, aber nicht zu Klines Besitz führte. Der Umweg kostete ihn mindestens eine halbe Stunde. Es war schon dunkel, als er endlich das Tosen des Wassers in der Schlucht hörte und die erleuchteten Fenster des Hauses sah.

    Ein Mann trat aus dem Schatten hervor, als Clay vom Pferd stieg. »Wollen Sie hierbleiben?«, erkundigte er sich.

    »Ja«, antwortete Clay und fragte sich, wer der Mann sein mochte. »Ist noch ein Zimmer frei?«

    »Sicher«, meinte der Fremde und beugte sich vor. »Wenn Sie kein Geld haben, sagen Sie Ardis Bescheid. Sie wird sich dann schon um Sie kümmern.«

    »Keine Sorge, ich kann bezahlen«, klärte Clay ihn auf. »Wo kann ich mein Pferd unterstellen?«

    »Das erledige ich schon«, erbot sich der andere. »Woher kommen Sie?«

    »Von Utah, wenn Sie das so brennend interessiert.« Clay war stutzig geworden. Irgendetwas stimmte hier nicht. Soweit er sich erinnern konnte, hatte Long Sam niemals Hilfskräfte eingestellt. Er hatte eine Tochter - sie hieß Ardis -, die sich um die Zimmer und die Küche kümmerte und die Mahlzeiten für die Gäste auftrug. Alles andere machte Kline selbst.

    »Das Haus gehört doch Sam Kline, nicht wahr?«, fragte er nun.

    »Natürlich«, antwortete Clays Gegenüber. Er zögerte einen Augenblick und meinte dann: »Ich nehme an, Sie sind Clay Roland. Stimmt's?«

    »Long Sam war entschieden nicht so neugierig wie Sie es sind«, sagte Clay scharf.

    »Long Sam ist tot«, sagte der Fremde. »Ardis leitet jetzt den Betrieb. Ich arbeite für sie. Mein Name ist Monroe. Sind Sie also Clay Roland oder nicht?«

    »Ich bin Roland«, versetzte Clay. »Aber warum ist es für Sie so wichtig, das zu wissen.«

    »Wichtig? Wichtig, sagen Sie!«, platzte der Mann heraus, als habe Clay eine entsetzlich törichte Frage gestellt. »Nein, für mich ist es nicht wichtig, aber für Sie! Wenn Sie Pech haben, sind Sie in fünf Minuten ein toter Mann. Mir wäre das gleichgültig; aber ich will nicht, dass Ardis sich Sorgen macht. Gehen Sie in den Speiseraum und halten Sie sich vom Saloon fern. Es gibt zwei Eingänge, aber Sie kennen sich von früher her wohl noch aus.«

    Monroe fasste bereits nach dem Zügel des Pferdes, als Clay ihn am Arm packte. »Sie sind mir noch eine Erklärung schuldig. Weshalb soll ich in den Speiseraum gehen?«

    »Weil ich Ihnen das Leben retten will«, erwiderte Monroe. »Wir haben Sie erwartet, und nun sind Sie hier. Tun Sie, was ich Ihnen gesagt habe.«

    Ärger stieg in Clay hoch. »Dafür verlange ich erst recht eine Erklärung, Mister!«

    »Ich habe alles gesagt, was zu sagen war.« Mit einem Ruck riss sich Monroe los. »Soviel ich weiß, besitzen Sie nur zwei Freunde in diesem verdammten Land. Ardis ist einer davon. An Ihrer Stelle würde ich alles tun, um mir ihre Freundschaft zu erhalten. Sie hat angeordnet, dass Sie durch den Speiseraum hereinkommen sollen. Wenn Sie sie dort nicht finden, gehen Sie nach hinten in die Küche.«

    Jetzt ließ Clay ihn gehen. Long Sam war also tot, und Ardis hielt sich für seinen Freund. Er erinnerte sich recht gut an das Mädchen. Sie hatte rotes Haar und sah ziemlich jungenhaft aus. Außerdem konnte sie ausgezeichnet kochen und fast ebenso gut auf einem Pferd sitzen wie die meisten Männer. Damals war sie ungefähr sechzehn oder siebzehn Jahre alt gewesen. Vermutlich war sie inzwischen zu einer reifen Frau herangewachsen. Aber warum sie seine Freundin sein wollte, war ihm unerklärlich. Und wer sollte der andere sein? Anton Cryder vielleicht?

    Clay zögerte, während er auf die Fenster starrte. Dann zuckte er die Achseln. Warum sollte er Monroes Rat nicht befolgen? Er trat auf die Veranda und öffnete die Tür zum Speiseraum. Er war leer. Aus der Küche hörte er das Scheppern von Töpfen.

    Zwischen den Tischen hindurch schlängelte er sich auf die Küchentür zu. Eine Frau stand mit dem Rücken zu ihm am Ofen und wusch Geschirr ab. Sie war klein, kaum größer als ein Meter sechzig.

    »Ardis«, sagte Clay.

    Sie fuhr herum und starrte ihn einen Moment lang, die tropfnassen Hände von sich gestreckt, mit großen Augen an. Clay hatte nicht geahnt, dass sie so hübsch war.

    »Clay!«, rief sie. »Clay! Ich habe nicht geglaubt, dass du doch noch kommen würdest.«

    Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab und flog auf ihn zu. Einen Augenblick später hielt er sie in den Armen. Sie küsste ihn und legte dann den Kopf zurück, um ihm ins Gesicht zu schauen.

    »Es ist seltsam, wie man ständig auf etwas wartet, wie man die Minuten zählt und nicht aufhört zu hoffen und dennoch die ganze Zeit nicht glaubt, dass es eintrifft«, sagte sie und ließ die Arme sinken. »Ich richte dir gleich dein Essen. Du hast doch sicher nichts dagegen, es hier einzunehmen?«

    »Natürlich nicht«, beruhigte er sie. »Aber ich möchte dich gern etwas fragen. Monroe hat mir strikt verboten, den Saloon zu betreten. Warum?«

    Sie zauderte und betrachtete ihn forschend. Endlich gab sie zur Antwort: »Abe Lavine wartet dort auf dich. Ich will nicht, dass er von deiner Anwesenheit erfährt.«

    »Warum?«

    »Weil...« Sie schluckte, den Blick noch immer fest auf ihn gerichtet. »...weil er dich umbringen will.«

    Viertes Kapitel

    Sekundenlang starrte er sie an. Tausend Fragen drängten sich ihm auf. Warum hatte sie ihn auf so herzliche Weise empfangen? Warum war sie so ängstlich um sein Leben besorgt? Warum wollte Abe Lavine ihn töten? Lediglich auf die letzte Frage glaubte er eine Antwort zu wissen. Lavine war nicht sicher, dass Blacky Doane seinen Auftrag ausgeführt hatte. Er wollte jetzt dafür sorgen, dass Clay die Mesa auf keinen Fall erreichte.

    »Ardis«, sagte er, »ist dir nie der Gedanke gekommen, dass Lavine den Kürzeren ziehen könnte?«

    »Kennst du ihn?«

    »Nein.«

    »Wenn du ihn kennen würdest, hättest du diese Frage nicht gestellt«, meinte Ardis. »Vor ungefähr einem Jahr hat Queen Bess ihn zusammen mit einem jungen Burschen namens Pete Reno engagiert. Seitdem haben die beiden insgesamt fünf Männer ins Jenseits befördert. Bei der letzten Schießerei war Pa Zeuge. Er sagte mir später, er habe noch nie einen Mann so schnell ziehen sehen wie Lavine.«

    Clay nickte. Er wusste, dass Sam Kline nur selten falsch urteilte. Aber er, Clay, gehörte nicht zu den Männern, die einem Kampf aus dem Weg gingen. Wenn er auf der Skull Mesa bleiben wollte, würde es früher oder später doch zu Auseinandersetzungen kommen.

    »Es ist besser, Lavine weiß, dass ich hier bin«, sagte er und erhob sich.

    »Clay!«, schrie Ardis auf. »Das kannst du nicht tun. Du darfst es nicht tun!«

    Er wandte sich ihr zu. »Hättest du eine höhere Meinung von mir, wenn ich mich in der Küche versteckte und mich nach dem Abendessen heimlich auf mein Zimmer schleichen würde? Und wenn ich morgen genauso heimlich davonritte?« Er schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, Ardis. Und ich müsste mich auch noch vor mir selbst schämen.«

    Regungslos, mit herabhängenden Armen und bleichem Gesicht ließ sie ihn gehen. Bevor er die Tür zum Saloon öffnete, überprüfte ex den Colt und steckte ihn dann in die Holster zurück. Dann drehte er den Türknopf und ging in den Barraum.

    Nichts hatte sich hier verändert. Er besann sich noch sehr genau auf alle Einzelheiten. Der Ladentisch stand noch immer an der an den Speiseraum grenzenden Wand. Die Regale dahinter bogen sich unter der Last der Waren. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich eine Bar aus Kiefernholz, die von einer Petroleumlampe beleuchtet wurde. Im Lichtschein der Lampe, am Ende der Bar, stand ein einziger Mann, der Clay forschend entgegensah. Clay schritt auf ihn zu.

    »Wenn Sie etwas trinken wollen, dann müssen Sie sich schon selbst bedienen«, sagte der Mann. »Es ist üblich, das Geld auf die Bar zu legen. Das Mädchen, das den Laden hier führt, hält jeden so lange für ehrlich, bis er ihr das Gegenteil beweist.«

    »Ich brauche keinen Drink«, erwiderte Clay. »Sie sind Abe Lavine?«

    »Stimmt«, sagte der Mann.

    Clay blieb stehen, als ihn noch ungefähr vier Meter von Lavine trennten. Er hatte die gleiche Größe wie Clay, war aber schlanker. In seinen ausdruckslosen Zügen spiegelten sich weder Gefühle noch Gedanken. Er hatte einen schwarzen Schnurrbart, blassblaue Augen und dunkelbraunes, an den Schläfen bereits ergrautes Haar.

    Er war älter, als Clay vermutet hatte - vierzig Jahre oder mehr, nach den vielen Feilten in der sonnenverbrannten Haut rund um die Augen und den Mund zu urteilen. Seine langen, feingliedrigen Hände und der tiefhängende Colt ließen darauf schließen, dass er sein Geschäft verstand.

    »Ich bin Clay Roland«, gab Clay sich zu erkennen. »Man hat mir erzählt, dass Sie auf mich warten.«

    Lavine nickte kurz. »Und ich muss zugeben, dass ich hier ganz gern gewartet habe; der Whisky spottet zwar jeder Beschreibung, aber das Mädchen kocht gut, und die Betten sind in Ordnung.« Er nahm den Stetson von der Bar und setzte ihn auf. »Ich werde Queen Bess benachrichtigen, dass Sie hier sind.«

    Lavine ging dicht an Clay vorbei auf die Tür zu. Sein Rücken wäre für manchen eine einladende Zielscheibe gewesen. »Erstaunlich, dass Sie bei Ihrer Unvorsichtigkeit noch so alt geworden sind«, rief Clay ihm nach.

    Lavine wandte sich um; ein leichtes Lächeln lag auf seinen Lippen. »Ich kenne Sie besser, Roland, als Sie vielleicht glauben. Daher kann man mir auch kaum Unvorsichtigkeit vorwerfen.«

    »Schon möglich«, gab Clay zu. »Ich ahnte tatsächlich nicht, dass Sie so genau über mich im Bild sind. Vielleicht wissen Sie auch noch mehr. Warum will Queen Bess meine Rückkehr mit allen Mitteln hintertreiben?«

    »Da müssen Sie sie schon selbst fragen. Ich arbeite nur für sie.«

    »Dann bestellen Sie ihr bitte, dass ich die Bar C übernehmen werde.«

    »Geht in Ordnung. Sonst noch etwas?«, erkundigte Lavine sich ungerührt.

    Ein eiskalter Bursche, dachte Clay, und wahrscheinlich genauso gefährlich, wie Ardis gesagt hat. »Noch eins«, fügte er hinzu. »Blacky Doane ist tot.«

    »Das überrascht mich nicht«, äußerte Lavine. »Er war bei weitem nicht so schnell, wie er sich einbildete.«

    »Ein Junge namens Ernie Layton wollte mir einen Brief bringen. Doane hat ihn niedergeschossen, um ihn daran zu hindern. Warum?«

    »Das weiß ich nicht; schließlich war ich nicht dabei. Ich beauftragte Doane zwar, dafür zu sorgen, dass Sie den Brief nicht erhalten, aber nicht, den Jungen zu töten. Solche Verwicklungen schätze ich nicht. Seiner Ansicht nach würden uns eine ganze Menge Unannehmlichkeiten erspart bleiben, wenn Sie nie von Cryder gehört hätten. Leider ist mein Vorhaben misslungen. Zwei Männer sind bereits tot, und wenn Sie darauf bestehen, die Bar C zu übernehmen, wird es noch mehr Tote geben.«

    Er nickte Clay noch einmal kurz zu, öffnete die Tür und verschwand. Clay schob den Stetson in den Nacken und kratzte sich am Kopf. Er war auf eine Kraftprobe gefasst gewesen und verstand kaum, warum es nicht dazu gekommen war. In die Küche zurückgekehrt, fand er Ardis genauso vor, wie er sie verlassen hatte. Als sie ihn sah, zog sie schnell einen Stuhl heran und sank darauf nieder. Ihre zitternden Knie schienen sie nicht länger tragen zu wollen.

    »Ich habe nicht damit gerechnet, dass du es bist«, flüsterte sie. »Ich dachte, es sei Lavine.«

    »Wieso? Glaubst du, ich wäre davongerannt?«, meinte er stirnrunzelnd. »Das macht sich nie bezahlt; erstens, weil die Leute dich dann für einen Feigling halten, und zweitens, weil sie damit rechnen, dass du beim nächstenmal auch wieder davonläufst. Und meistens tut man es dann tatsächlich.«

    Sie erhob sich. »Ich mache dir jetzt das Abendessen.«

    Clay hängte seinen Hut an einen Nagel und setzte sich an den Tisch. »Hat er dir eigentlich gesagt, er wollte mich töten?«

    »Nein, aber jeder weiß hier, dass Anton Cryder nach dir geschickt hat, und jeder weiß auch, dass Queen Bess es nicht zulässt, dass du die Bar C übernimmst. Sie hat es oft genug betont, und ihr Wort hält sie immer. Eine Zeitlang hat Pete Reno hier auf dich gewartet, dann wurde er von Lavine abgelöst. Und kannst du mir erklären, warum - wenn nicht, um dich zu töten?«

    »Ich bin nicht so sicher«, gab er zur Antwort. »Lavine war ausgesprochen höflich. Er will Queen Bess jetzt von meiner Ankunft unterrichten. Ich möchte bloß wissen, warum sie mich unbedingt von der Skull Mesa fernhalten will.«

    »Das kann ich dir auch nicht erklären.« Sie legte Schinkenscheiben in eine Pfanne und kehrte zum Tisch zurück. »Da ist noch etwas anders. Clay, weswegen ich deine Hilfe brauche. Würdest du mir helfen?«

    »Natürlich. Versuchen will ich es jedenfalls.«

    Sie starrte auf ihre Hände, die auf ihrem Schoß lagen. »Es ist eigenartig, Clay, wie gut ich mich an dich erinnere. Sechs Jahre liegt es nun schon zurück, und damals waren wir beide noch sehr jung. Du hieltest mich wohl noch für ein Kind. Aber in meinen Augen warst du schon damals erwachsen. Ich weiß nicht, warum, aber ich war immer davon überzeugt, dass du eines Tages etwas Großes leisten würdest.«

    »Auf den Gedanken bin ich noch nie gekommen«, sagte er und lächelte.

    »Schon möglich, aber darauf will ich gar nicht hinaus. Rusty meint, du hättest nicht genug Verstand, um dich jemals vor irgendetwas zu fürchten. Offenbar hatte er recht, denn sonst wärst du Lavine aus dem Weg gegangen.« Sie schwieg und biss sich auf die Unterlippe. Dann sprach sie weiter: »Clay, ich glaube, dass mein Vater ermordet wurde, und ich will, dass sein Mörder bestraft wird.«

    »Wie ist er denn umgekommen?«

    »Sein Wagen ist von der Straße gerutscht und in den Abgrund gestürzt. Das war im vergangenen Juni. Der Fluss führte Hochwasser. Wir fanden ihn erst nach zwei Tagen; die Stromschnellen hatten ihn fürchterlich zugerichtet. Es muss geschehen sein, als er von Painted Rock zurückfuhr. Er hatte dort eine Ladung Lebensmittel eingekauft und vielleicht ein bisschen zu viel getrunken. Das tat er manchmal, wenn er in der Stadt zu tun hatte. Aber betrunken oder nüchtern, er konnte einen Wagen jederzeit sicher die Schlucht hinunterbringen - selbst mit verbundenen Augen. Es war also bestimmt kein Unfall.«

    »Warum sollte ihn denn jemand ermorden?«

    Sie stand auf, ging zum Herd und drehte den Schinken um. »Dieser Laden hier war den Mesa-Leuten schon immer ein Dom im Auge; deshalb. Seitdem du nicht mehr hier bist, Clay, ist alles viel schlimmer geworden. Weißt du, dass Queen Bess gelähmt ist - von der Hüfte abwärts? Und dass sie ihre Tage im Rollstuhl verbringen muss?«

    »Wie ist denn das passiert?«, wollte er wissen.

    »Wahrscheinlich hat ihr Pferd sie abgeworfen. Jedenfalls kam es allein auf die Ranch zurück, und man fand sie einige Stunden später auf halbem Weg zwischen der Bar C und der Flagg. Sie war bewusstlos, und man holte Doc Spears. Er rettete ihr zwar das Leben, konnte aber nicht verhindern, dass sie gelähmt blieb. Nicht lange danach stellte sie Lavine und Pete Reno ein. Viele hässliche Dinge haben sich seitdem ereignet; du kannst den Tod unserer beiden Väter auch dazu zählen. Ich bin davon überzeugt, dass beide ermordet wurden. Manchmal glaube ich, dass Queen Bess nach ihrem Unfall den Verstand verloren hat.«

    »Nicht so schnell«, stoppte Clay sie. »Wie kommst du darauf, dass mein Vater ebenfalls ermordet wurde?«

    »Das ist lediglich eine Vermutung«, erklärte sie. »Aber er verstand sich ebenso gut auf Pferde wie mein Pa auf die Straße in der Schlucht.«

    »Und wer würde so etwas tun?«, fragte er. »Und warum?«

    »Riley Quinn vielleicht. Oder Lavine. Oder Reno. Nur eins ist sicher: Queen Bess steckt dahinter. Was sie allerdings gegen deinen Vater hatte, weiß ich nicht. Es ist jedoch nicht schwer zu erraten, warum sie Pa töten ließ. Bevor du gegangen bist, ist hier schon viel von Viehdiebstählen geredet worden, später aber noch weit mehr. Angeblich trug Pa die Verantwortung dafür.«

    Sie stellte einen Teller auf den Tisch und brachte ihm den Schinken. Dann hatte sie Brot, eine Schüssel Bohnen und heißen Kaffee. Er beobachtete ihre flinken anmutigen Bewegungen, während er über das nachdachte, was sie erzählt hatte.

    Ardis hatte Recht, was die Munkelei über die Viehdiebstähle anging, und die Männer aus den Smoky Hills waren seit jeher deswegen verdächtigt worden. Aber Clay hatte dem nie besonders viel Bedeutung beigemessen. Wenn nach einem harten Winter der Viehverlust größer als erwartet war, dachten die Rancher natürlich gleich an Diebstahl. Aus diesem Grund hatte John Roland sich auch immer gegen die Freundschaft seines Sohnes mit Rusty Mattson gestellt; denn Rusty stand praktisch seit seiner Kindheit mit den Bewohnern der Smoky Hills in engem Kontakt.

    Zwar konnte man ihm nie etwas nachweisen, aber sein Lebenswandel sprach gegen ihn.

    »Wo ist Rusty?«, erkundigte Clay sich.

    Sie lächelte. »Schwer zu sagen. Sein Lagerfeuer kannst du jederzeit irgendwo in den Hügeln finden. Er kommt oft hierher, und vermutlich wird er schon in den nächsten Tagen hier auftauchen. Sobald er erfährt, dass du wieder im Lande bist, kommt er ohnehin zur Bar C.«

    Sie wandte sich hastig um und ging zum Herd. »Aber dann wird er voraussichtlich den Tod finden. Überall am Rand der Skull Mesa stehen Schilder, die ihm den Zutritt verbieten. Falls er das Verbot nicht befolgt, erhält derjenige, der ihn erschießt oder als Gefangenen nach Painted Rock bringt, eine Belohnung von fünfhundert Dollar.«

    »Was berechtigt sie denn dazu? Es gibt kein Gesetz, das...«

    »Oh, doch, Clay«, rief sie. »Du kennst das Flagg-Gesetz nicht. Es hat als einziges auf der Mesa Gültigkeit. Queen Bess hat Ed Parker als Marshal in Painted Rock eingesetzt. Glaube ja nicht, dass er jemals einen Cowboy von der Flagg Ranch verhaften würde. Aber er bringt jeden ins Gefängnis, den Queen Bess ihm nennt - ganz gleich, ob er ein Verbrechen begangen hat oder nicht.«

    Clay schüttelte verwirrt den Kopf. Er konnte es nicht glauben, dass Anton Cryder all das gemeint hatte, als er schrieb, die Verhältnisse auf der Skull Mesa seien skandalös. Morgen musste er ihn aufsuchen, um Genaueres zu erfahren.

    Ardis trat neben ihn und legte die Hand auf seine Schulter. »Vielleicht denkst du, dass ich übertreibe, Clay. Aber nach einiger Zeit wirst du selbst feststellen müssen, dass ich kein Wort zu viel gesagt habe. Ich habe meinen Vater sehr geliebt. Niemals hat er irgendjemand etwas zuleide getan. Es wäre ein himmelschreiendes Unrecht, wenn sein Tod ungesühnt bliebe. Du musst mir helfen, seinen Mörder zu finden.«

    Er sah sie an und nickte. »Ich will es versuchen«, sagte er und fragte sich gleichzeitig, ob man ihm genau wie Rusty Mattson das Betreten des Hochplateaus verwehren würde.

    Fünftes Kapitel

    Kurz nach Mitternacht erreichte Abe Lavine die Flagg Ranch, brachte sein Pferd in den Corral und schlüpfte so geräuschlos ins Schlafhaus, dass selbst Pete Reno, der ihm gegenüber sein Bett hatte, nicht aufwachte. Lavine starrte gegen die dunkle Decke. Das Schnarchen der Männer nahm er nur im Unterbewusstsein wahr, aber er hörte jedes Mal, wenn Riley Quinn sich im Bett herumwälzte. Quinn pflegte besonders lautstark zu schnarchen, doch niemand hatte sich bisher darüber beschwert. Die Mannschaft wusste, dass es keinen Zweck hatte, sich bei dem Vormann über irgendetwas zu beschweren.

    Lavines Gedanken verweilten bei Clay Roland. Er hatte sich schon seit langem gewünscht, ihn kennenzulernen. Für seine, Lavines, Begriffe war alles, was er über ihn gehört hatte, positiv. Sie ähnelten sich sogar in mancher Hinsicht. Erfreut hatte er festgestellt, dass sich sogar ihr Äußeres glich. Beide hatten sie hellblaue Augen und braunes Haar. Beide waren etwa ein Meter achtzig groß und schlank. Roland hatte nur breitere Schultern und kräftigere Arme. Außerdem war er jünger.

    Lavine zählte bereits zweiundvierzig, und die Zeit war nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Er konnte sich nicht darüber hinwegtäuschen, dass seine Schnelligkeit nachgelassen hatte. Das war fatal für einen Mann wie ihn, der gezwungen war, sich den Lebensunterhalt mit der Waffe zu verdienen.

    Clay Roland hatte noch eine Menge vielversprechender Jahre vor sich. Er kam jetzt zurück, um seine Ranch zu übernehmen. Offenbar verspürte er nicht die geringste Furcht vor den Widerständen, die ihn erwarteten. Das war ein Vorteil, den er auf seiner Seite buchen konnte. Einen Mann zu schlagen, der keine Angst kennt, war niemals besonders leicht. Weit bedeutungsvoller war jedoch die Tatsache, dass Clay Roland für sein Eigentum kämpfte. Darin unterschied er sich grundlegend von Abe Lavine und Pete Reno.

    Männer, deren Colt man für Geld kaufen konnte, gab es in allen Größen und Ausführungen. Jeder hatte seinen eigenen Ehrenkodex. Es gab welche, die hatten für sich selbst strenge Richtlinien aufgestellt, die sie davon bewahrten, zum Revolver zu greifen - es sei denn, man zwang sie dazu. Zu dieser Sorte gehörte Abe Lavine.

    Grundsätze waren es, die zählten, und Abe Lavine kannte Rolands Grundsätze, denn er hatte seine Geschichte seit sechs Jahren verfolgt. Als er ihm in Ardis' Saloon den Rücken zukehrte, schwebte er in keiner Gefahr.

    Lavines Gedanken beschäftigten sich mit Pete Reno, mit dem er seit zwei Jahren ritt. Reno war erst zwanzig Jahre alt. Man konnte ihn mit Ernie Layton vergleichen. Er war genauso streitsüchtig und arrogant und noch dazu von einem falschen Ehrgeiz besessen. Wenn Roland bei Kline mit Reno zusammengestoßen wäre, hätte Reno vermutlich einen Streit vom Zaun gebrochen und wäre getötet worden. Lavine spürte, dass er sich nie mit diesem Jungen hätte einlassen sollen. Jetzt war es schwierig, ihn wieder loszuwerden.

    Der Gedanke an Roland ging ihm nicht aus dem Kopf. Er bedauerte es entschieden, dass das Schicksal sie als Gegner zusammengeführt hatte. Früher oder später würde er ihm wohl mit der Waffe in der Hand gegenübertreten müssen. Wollte er das vermeiden, gab es nur einen Ausweg: Er musste den Dienst bei Queen Bess aufkündigen. Aber sie bezahlte ihn gut, und außerdem hatte er Linda Stevens, die ebenfalls auf der Flagg Ranch arbeitete, gern. Hoffnung, sie jemals zu gewinnen, machte er sich nicht. Sie war mit Bill Land verlobt, und das war Grund genug, sich keine Flausen in den Kopf zu setzen.

    Einem Gerücht zufolge war Linda mit Roland befreundet gewesen, bevor dieser die Skull Mesa verließ, und Land sollte wiederum Rolands Freund gewesen sein. Eine Situation, die mit Dynamit geladen war, dachte Lavine, als er endlich einschlief.

    In der Morgendämmerung erwachte er zusammen mit den anderen. Er kleidete sich an und rüttelte Pete Reno aus dem Schlaf. Wenn Lavine ihn nicht jedes Mal geweckt hätte, wäre der Junge an keinem Morgen pünktlich zum Frühstück gekommen. Er setzte sich auf sein Bett, drehte eine Zigarette und beobachtete dabei Reno. Quinn hatte das Schlafhaus bereits mit der übrigen Mannschaft verlassen.

    Reno zog sich, immer noch gähnend, an. »Ist Roland inzwischen aufgetaucht?«, fragte er.

    »Er ist hier«, antwortete Lavine.

    »Hast du ihn umgelegt?«

    »Nein.«

    Reno warf ihm einen erstaunten Blick zu. »Warum denn nicht?«

    »Du keimst doch den Befehl«, sagte Lavine. »Komm endlich, sonst bekommen wir nichts zu essen.«

    Sie schnallten sich die Revolvergurte um und traten in den kalten, zwielichtigen Morgen hinaus. Am Ende des langen Tisches nahmen sie, von den Cowboys und Quinn ignoriert, Platz. Während er sich den Pfannkuchen mit Sirup begoss, betrachtete Lavine den Vormann, dem er nicht die geringste Sympathie entgegenbrachte. Quinn war von untersetzter Gestalt, überaus muskulös und herrschsüchtig. In Lavines Augen war er kein guter Vormann. Er fasste die Cowboys zu hart an und ließ keine andere Ansicht als seine gelten. Der Flagg Ranch im Allgemeinen und Queen Bess im Besonderen war er bis zum Fanatismus ergeben.

    Vom klirrenden Geräusch der Sporen begleitet, brach die Mannschaft auf. Nachdem der letzte Mann gegangen war, wandte Reno sich Lavine zu. »Ein Muskelprotz, wie er im Buch steht«, meinte er. »Manchmal frage ich mich, wie lange er wohl dazu brauchen würde, um einem Mann wie dir oder mir das Genick zu brechen.«

    »Oder wie Clay Roland«, fügte Lavine hinzu.

    Reno nickte grinsend. »Das würde ihm Spaß machen.«

    »Nicht mehr, als wenn es dein oder mein Genick wäre«, widersprach Lavine. »Er konnte uns nicht leiden, als wir von Queen Bess eingestellt wurden, und er kann uns auch heute noch nicht leiden. Zufrieden ist er erst wieder, wenn wir entlassen werden.«

    »Möglich«, erwiderte Reno. »Aber ich verstehe immer noch nicht, warum du mit Roland nicht kurzen Prozess gemacht hast. Die Gelegenheit war doch günstig.«

    Lavine trank seinen Kaffee aus. Er ließ den Blick flüchtig über das pickelige Gesicht des Jungen, über dessen vorgeschobene Unterlippe und die grünen Augen gleiten. Dann schüttelte er den Kopf und stand auf. »Du hast nichts von mir gelernt. Ich frage mich, ob ich ein schlechter Lehrer bin oder ob es an dir liegt.«

    Er trat in die Morgensonne hinaus und sah nach Süden zu den bunten Sandsteinklippen hinüber, von der die Stadt Painted Rock ihren Namen erhalten hatte. Um die Mittagszeit schimmerten sie bräunlich, aber wenn die Sonne sich gerade über den östlichen Horizont erhoben hatte, leuchteten sie feuerrot. Für Lavine bedeutete ihre Schönheit manchmal eine Quelle neuer Kraft.

    Er überquerte den staubigen Hof und ging zu den Corrals, wo Quinn gerade seine Anweisungen für den heutigen Tag erteilte. Reno holte Lavine ein und sagte in anmaßendem Ton: »Ich habe es nicht gern, wenn man mich begriffsstutzig nennt.«

    »Du benimmst dich aber so.«

    »Und du hast Angst vor Roland, stimmt's?«, spöttelte Reno.

    »Ja, aber erzähle es niemandem«, erwiderte Lavine gelassen. »Ich möchte nicht, dass es sich herumspricht.«

    Die Cowboys schwangen sich in die Sättel. Quinn wendete sein Pferd und trieb es auf Lavine zu. Er schob den Unterkiefer vor und starrte Lavine an, als wolle er ihn mit den Blicken durchbohren. »Schätze, Roland ist eingetroffen«, knurrte er. »Sonst wären Sie doch nicht hier.«

    »Das ist richtig«, stimmte Lavine zu.

    »Haben Sie ihm mitgeteilt, dass er auf der Mesa nichts zu suchen hat?«

    Lavine schüttelte verneinend den Kopf. »Ich hatte nur den Auftrag, Mrs. Flag zu benachrichtigen, falls er auftaucht. Und das werde ich gleich tun.«

    Trotz jahrelanger Arbeit im Freien wies Quinns Gesicht keine Bräune auf. Er vertrug die kräftige Hochlandsonne nicht, und seine Haut schälte sich infolgedessen ständig. Jetzt stieg ihm die Zornesröte in die Wangen. »Bei Gott, ich gäbe einen ganzen Monatslohn, wenn ich Sie einmal zur Arbeit einteilen könnte.«

    »Das glaube ich gern«, gab Lavine lächelnd zurück. Der Vormann riss sein Pferd herum und trieb ihm brutal die Sporen in die Flanken. Lavine wandte sich Reno zu. »Mir scheint, wir sind hier erledigt, Pete. Entweder Quinn geht, oder wir gehen.«

    »Wir auf keinen Fall«, entschied Reno. »Der Job ist viel zu gut.«

    »Vielleicht«, erwiderte Lavine. »Vielleicht auch nicht. Ich werde jetzt Mrs. Flagg aufsuchen.«

    Er schritt auf das große Wohnhaus der Ranch zu und fragte sich, welche Geistesverwirrung Hank Flagg veranlasst haben mochte, einen solch protzigen, zweistöckigen Kasten zu bauen. Hank hatte Bess vor zwanzig Jahren geheiratet und hierhergebracht. Das Haus hatte er ihren Einwänden zum Trotz so groß gebaut mit der barschen Begründung, es sei sein Hochzeitsgeschenk für sie. Drei Jahre später war er gestorben. Bess erbte die Ranch mit allem, was dazu gehört. Heute war die Mannschaft doppelt so groß wie zu Lebzeiten ihres Gatten, und Lästerzungen behaupteten, dass Bess zweimal den Mann ersetzte, der Hank gewesen war.

    Lavine klopfte an der Hintertür und wurde einen Augenblick später hereingebeten. Er nickte der Negerin Ellie zu, die den Haushalt führte, und steuerte dann auf den Tisch zu, an dem Linda Stevens zusammen mit Bess saß. Die beiden Frauen nahmen gerade das Frühstück ein.

    »Möchten Sie Kaffee, Lavine?«, fragte Bess mit ihrer harten Stimme. »Ellie, bring ihm eine Tasse.«

    »Sofort, Ma'am«, sagte Ellie und brachte eine Tasse und die Kaffeekanne an den Tisch.

    Lavine ließ sich in einen Sessel fallen. Linda nickte ihm grüßend zu.

    »Was haben Sie auf dem Herzen?« begann Bess das Gespräch. »Ist Roland Ihnen in die Quere gekommen?«

    Lavine schüttelte den Kopf. »Ich habe nur zu wenig geschlafen, das ist alles.« Er warf Bess einen Blick zu. Sie hatte den Rollstuhl vom Tisch zurückgeschoben und betrachtete ihn forschend. Trotz ihrer vierzig Jahre war sie noch eine hübsche Frau. Er hätte sie gern vor dem Unfall kennengelernt.

    »Dieser Roland scheint in Ordnung zu sein«, äußerte er bedächtig. »Warum lassen Sie ihn nicht...«

    »Lavine, Sie überraschen mich«, unterbrach sie ihn. »Clay Roland wird die Bar C auf keinen Fall übernehmen. Für ihn existiert sie gar nicht mehr. Sie gehört längst zum Weidegebiet der Flagg Ranch. Haben Sie ihm das nicht gesagt?«

    »Nein, aber er lässt Ihnen etwas ausrichten; er wird in Kürze das Erbe seines Vaters antreten.«

    »Sie sind ein Narr, Lavine. Warum haben Sie ihm nicht auf der Stelle eine Kugel durch den Kopf gejagt?«

    Jedes Mal war er von neuem betroffen über die Wandlung, die sich in Queen Bess vollzog, sobald die Rede auf Clay Roland kam. Gewöhnlich erweckte sie den Eindruck einer umgänglichen Frau - jedenfalls so lange, wie man ihr nicht widersprach. Widerspruch riskierte jedoch höchst selten jemand. Seit er hier war, hatte er ihren Hass auf John Roland ständig wachsen sehen, bis er sie schließlich ganz vergiftete. Nach Rolands Tod hatte sie ihren Hass auf dessen Sohn übertragen.

    Lavine schüttelte missbilligend den Kopf. Die hässliche Art, wie  sie den Mund zusammenkniff und wie sich ihr Gesicht verzerrte, gefiel ihm nicht. »Nein, ich bin kein Narr«, stellte er fest. »Vor zwei Wochen waren wir uns einig über den Ablauf der Dinge. Es war der richtige Weg. Warum wollen Sie nun davon abgehen?«

    Nervös begann sie mit den Fingern auf die Armlehne ihres Rollstuhls zu trommeln. »Ich habe es mir anders überlegt. Wir werden ihm genau wie Mattson den Zutritt zur Mesa untersagen und eine Belohnung auf seine Ergreifung aussetzen. Sie reiten zur Stadt und lassen die Schilder noch heute anfertigen. Morgen stellen Sie sie zusammen mit Reno auf.«

    »Dazu haben Sie kein Recht.«

    »Er wird verdächtigt, an Viehdiebstählen teilgenommen zu haben«, schnappte sie. »Das rechtfertigt meine Maßnahmen vollauf. Er ist Mattsons Freund. Und wenn Mattson sich an meinen Herden vergreift, tut Roland es auch.«

    »Damit kommen Sie bei Roland nicht durch«, erwiderte Lavi- ne. »Schließlich kennen die Leute ihn und den untadeligen Ruf, den er sich als Marshal erworben hat. Möglicherweise können Sie Mattson unter Anklage stellen, aber bei Roland wäre das völlig sinnlos.«

    Sie beugte sich vor und umklammerte die Armlehnen so hart, dass sich ihre Knöchel weiß färbten. »Wollen Sie mir etwa Vorschriften machen,

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