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METAXAS: Der Krimi-Klassiker aus Schottland!
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eBook255 Seiten3 Stunden

METAXAS: Der Krimi-Klassiker aus Schottland!

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Über dieses E-Book

Blair hatte eine unnatürliche leise Art an sich und seine Bewegungen waren von der seidenen Geschmeidigkeit einer Dschungelkatze. Die Neugier zwang sie, sich zu erheben und zum Fenster zu gehen. Dort stand sie und blickte gespannt auf die Straße hinunter. Sie beobachtete ihn, wie er den Fahrdamm kreuzte und dann in einiger Entfernung verschwand, bevor sie sich langsam wieder auf ihren Platz zurückbegab.

Peter Blair war ihr ein Rätsel. Während der sechs Monate, die sie nun schon bei ihm arbeitete, war es ihr nicht gelungen etwas Näheres über ihn zu erfahren, und sie hatte niemals durch den Panzer von Zynismus dringen können, der seinen hervorstechendsten Charakterzug bildete. Es war eine Härte an ihm, die fast unheimlich wirkte, und sie musste sich eingestehen, dass sie etwas wie Furcht vor ihm empfand.

 

Der Roman Metaxas des schottischen Schriftstellers John Cassells (ein Pseudonym des Bestseller-Autors William Murdoch Duncan - * 18. November 1909; † 19. April 1975) erschien erstmals im Jahr 1953; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1956 (unter dem Titel Metaxas A.G.).

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum12. Aug. 2021
ISBN9783748791447
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    Buchvorschau

    METAXAS - John Cassells

    Das Buch

    Blair hatte eine unnatürliche leise Art an sich und seine Bewegungen waren von der seidenen Geschmeidigkeit einer Dschungelkatze. Die Neugier zwang sie, sich zu erheben und zum Fenster zu gehen. Dort stand sie und blickte gespannt auf die Straße hinunter. Sie beobachtete ihn, wie er den Fahrdamm kreuzte und dann in einiger Entfernung verschwand, bevor sie sich langsam wieder auf ihren Platz zurückbegab.

    Peter Blair war ihr ein Rätsel. Während der sechs Monate, die sie nun schon bei ihm arbeitete, war es ihr nicht gelungen etwas Näheres über ihn zu erfahren, und sie hatte niemals durch den Panzer von Zynismus dringen können, der seinen hervorstechendsten Charakterzug bildete. Es war eine Härte an ihm, die fast unheimlich wirkte, und sie musste sich eingestehen, dass sie etwas wie Furcht vor ihm empfand.

    Der Roman Metaxas des schottischen Schriftstellers John Cassells (ein Pseudonym des Bestseller-Autors William Murdoch Duncan - * 18. November 1909; † 19. April 1975) erschien erstmals im Jahr 1953; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1956 (unter dem Titel Metaxas A.G.).

    Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

    METAXAS

    ERSTER TEIL

      Erstes Kapitel

    Über die Tätigkeit von Chefinspektor Flagg gab es in Scotland Yard zweierlei Meinungen: Die einen hielten ihn für einen tüchtigen Beamten, die anderen behaupteten, er habe nur eben sehr viel Glück. Beides traf zu. Er hatte Glück, weil er tüchtig war, und er war tüchtig, weil er zäh und fleißig arbeitete. Zudem besaß er eine schier unerschöpfliche Widerstandskraft und nahm Anstrengungen und Mühen mit Leichtigkeit auf sich. Verbrechen und Verbrecher zu studieren war sein Lebenselement und darin ging er ganz auf. Jedoch unterstützte er keinen der zahlreichen Clubs und Vereine, die sich zum Ziel gesetzt hatten, seine Erbfeinde zu bessern, aus dem einfachen Grunde, weil er es für Zeit- und Kraftverschwendung hielt. Andere höhergestellte Beamte der städtischen Polizei mochten das tun. Ja, sie hielten sogar gelegentlich Vorträge für diese Unglücklichen und verbreiteten sich darin mit Vorliebe sowohl über deren frühere Missetaten als auch über die Vorteile geistiger und materieller Art, die ihnen aus einer tugendhaften Lebensweise erwachsen könnten.

    Flagg tat nichts dergleichen, denn die Erfahrung hatte ihn zynisch gemacht. Und doch gab es einige unter ihnen, denen er half und, sei es nun auf seine Menschenkenntnis zurückzuführen oder auf die Tatsache, dass diese einmal gebrannten Pechvögel nicht ausgerechnet unter den Fittichen eines Detektivs von Scotland Yard ein Verbrechen begehen wollten, fest stand jedenfalls, dass er nie enttäuscht wurde.

    Lew Barke war so ein Fall. Er war seinerzeit in die Sache mit der Praed-Bande verwickelt gewesen und von den Beamten der zuständigen Abteilung in der Nacht festgenommen worden, als der Überfall auf das Statler verübt und eine aufsehenerregende Menge Schmuck gestohlen wurde. Ein gefälliger junger Mann – viel zu gefällig für den Umgang, den er pflegte. Flagg, der noch seinen Vater gekannt hatte und genau wusste, wie Lew in die Sache hineingezogen worden war, brach sogar seinen obersten Grundsatz und sagte vor Gericht für ihn aus. Lew erhielt Bewährungsfrist.

    Er hatte Schwierigkeiten mit der Lunge und wurde zur Erholung weggeschickt. Später zog er an die Südküste hinunter, wo er mit seiner jungen Frau eine Geflügelfarm aufbaute und Flagg auf lange Zeit hinaus mit Eiern versorgte.

    Lew war kein Briefschreiber, aber manchmal schickte er in dem Paket, das die Eier enthielt, einen kleinen Zettel mit, auf dem er sich in Betrachtungen über Dinge erging, die ihn gerade zutiefst beschäftigten. Es handelte sich dabei in den meisten Fällen um die ungerechtfertigten Futterpreise oder die räuberischen Instinkte der Finanzbeamten und dergleichen, aber gelegentlich war bei diesen Nachrichten etwas, das Chefinspektor Flagg nachdenklich stimmte. Und dieser Fall trat ein, als Lew schrieb:

    ...und wen, glauben Sie, habe ich gestern gesehen? Ich wartete gerade auf den Regierungsinspektor und da merke ich, wie ein Wagen vor dem Haus hält. Na, ich ging nicht hin, weil ich dachte, er wird schon herunterkommen, und richtig, gleich darauf sehe ich ihn wieder abfahren. Und als er dicht bei mir ist und ich hineingucke – sitzt da nicht Calvin Thorn drin! Es war die größte Überraschung meines Lebens. Ich ging hinauf, um meine Frau zu fragen, was er gewollt hat. Sie kannte ihn nicht und ich verriet auch nichts über meine Begegnung mit ihm. Jedenfalls, er suchte Oak Royal und war vom Weg abgekommen. Ich wollte Ihnen das nur erzählen...

    Das hatte Flagg sehr interessiert. Er kannte den guten Ruf Calvin Thorns, und was er über diesen äußerst befähigten Mann gehört hatte, war nur zu seinen Gunsten gewesen. Einmal hatte er ihn bei einer Gerichtsverhandlung im Old Baley persönlich getroffen, und deshalb wunderte er sich ein wenig, wieso dieser angesehene und gefürchtete Mann sich für ein kleines Dorf interessierte. Aber im Augenblick war Scotland Yard mit Arbeit überhäuft, und er hatte weder Zeit noch Gelegenheit, über die Tragweite dieser Information nachzugrübeln. Er ordnete sie indessen in eins der vielen Schubfächer seines Gedächtnisses ein, um sich später wieder daran zu erinnern.

    Es war Frühling. Das Themseufer lag in sanftes, weiches Sonnenlicht gebadet, im Temple Garden wehten Tulpen wie bunte Fähnchen im leichten Wind, und der alte graue Strom hatte sich die Bläue des Himmels ausgeborgt. Chefinspektor Flagg saß an seinem Schreibtisch und ließ seine Gedanken mit tiefer Genugtuung zu diesen Anzeichen der Frühlingssonnenwende schweifen, denn der letzte Fall hatte sich gerade zur höchsten Ehre aller daran Beteiligten aufgelöst und der Kommissar war mit seinem Lob verschwenderisch umgegangen. In seinem Mund steckte eine Zigarre und in seinen Augen lag ein Ausdruck von Ruhe und Zufriedenheit. Tiefe Stille breitete sich wie ein Segen über das ganze Büro.

    Da erklangen Schritte im Korridor. Die Tür wurde geöffnet, und die hagere Gestalt Sergeant Newalls erschien im Rahmen. Er hielt eine Zeitung in der Hand und seine melancholischen Züge waren in nachdenkliche Falten gelegt.

    Flagg sah auf.

    »Kommen Sie herein, Newall. Nehmen Sie Platz.«

    Sergeant Newall folgte der Aufforderung, fuhr aber fort, auf die Zeitung zu starren.

    »Da ist schon wieder einer, Mr. Flagg.«

    »Wieder einer?«

    »Ein Toter.« Newall zog die Augenbrauen hoch. »In der Nähe von St. Albans Head herausgefischt.« Er rieb seine auffallend große Nase. »Ein Fischer hat ihn gefunden«, erläuterte er.

    Chefinspektor Flagg nahm die Zigarre aus dem Mund und stellte fest: »Das macht im Ganzen vier. Vier im letzten Jahr.«

    »Vielleicht sogar sechs«, meinte Newall. »Mit den anderen zwei, bei denen wir nicht sicher sind.«

    Flagg befestigte eine Stahlbrille auf seiner Nase und verlangte die Zeitung zu sehen. Newall reichte sie ihm sofort hinüber.

    »Steht nicht viel drin«, konstatierte er. »Nicht mehr und nicht weniger als das letzte Mal.«

    Die Notiz war kurz.

    Toter im Meer

    Die Leiche eines unbekannten Mannes wurde gestern um 11 Uhr von einem Fischer, John Benetto, wohnhaft Marbay, Coombe Walk 9, entdeckt, als er Köder einsammelte. Der Tote, der schon einige Tage im Wasser gelegten haben muss, war nur unvollständig bekleidet. Wie es im Polizeibericht heißt, trug er keinerlei Erkennungszeichen an sich, und man nimmt an, dass der Tote von einem Schiff stammt. Die Polizei stellt noch Nachforschungen ah.

    Flagg legte die Zeitung hm und nahm seine Brille ab. »Wie finden Sie das, Sergeant? Eine komische Sache. Einer bei Lyme Regis, einer bei Swanage, ein anderer bei Sidmouth und dieser hier in der Nähe von St. Albans Head. Immerhin merkwürdig genug, dass man darüber nachdenken muss.« Er paffte einen Augenblick schweigend an seiner Zigarre. »Und Nachdenken war das letzte, was ich heute Morgen tun wollte. Wir haben Kerry unschädlich gemacht, und der einzige Mensch, dem dabei noch etwas zu tun übrigbleibt, ist der Henker.«

    Noel Newall war pessimistisch.

    »Und der Richter?«

    »Er wird Bleaker kriegen«, sagte Flagg befriedigt. »Das ist ein Richter, vor dem ich den größten Respekt habe. Der Mann weiß, gegen was wir zu kämpfen haben. Bei dem gibt’s nichts von dem üblichen Unsinn, die Brüder nach Dartmoor zu schicken mit Fußball am Samstag und Fernsehen und alles, was sie wollen. Für den alten Knaben habe ich was übrig.«

    »Daran ist viel Wahres, Mr. Flagg. Diese Richter betteln ja fast die Geschworenen an, dass sie die Gauner freilassen. Die sollten alle mal für sechs Monate hier nach Scotland Yard versetzt werden und versuchen, ein paar von den Burschen zu fassen.« Newall riss das Stück aus der Zeitung heraus, nahm die Schere vom Schreibtisch und schnitt es säuberlich zurecht. »Ich hefte das in die Akten. Vielleicht ist gar nichts daran – aber man kann nie wissen.«

    »Richtig«, sagte Flagg. »Das kann man nie. Immer wieder ertrinken Leute im Meer. Na, mir würde das keinen Spaß machen. Wäre mir zu kalt. Waren Sie mal bei St. Albans Head?«

    Noel Newall sah ihn entrüstet an.

    »Ich war doch während des Krieges in Swanage, Mr. Flagg. Vier Monate im Einsatz.«

    »Ach ja.« Flagg ließ das Thema fallen. »Mo Korsky kommt übrigens nächste Woche heraus. Sie könnten mal nach Princetown fahren und ihn sich anschauen. Ich wette, er fährt piekfein mit dem Wagen. Devers macht mir nicht den Eindruck, als ob er Mo die ganze Strecke mit dem Zug fahren lässt.«

    »Ich will daran denken«, sagte Sergeant Newall. Korsky und er waren alte Feinde. »Glauben Sie, Devers steckt hinter Mo?«

    »Und ob«, sagte Flagg. »Und zwar als treibende Kraft.«

    »Wer steckt denn hinter Devers?«

    Der dicke Polizeiinspektor schmunzelte.

    »Ich würde was darum geben, wenn ich’s wüsste. Devers hat es sehr schnell zu etwas gebracht. Vor drei Jahren bewohnte er noch ein kleines Zimmer bei Flash Lil Turnbull in Somers Town. Und das letzte Mal, als ich ihn sah, fuhr er einen Wagen, so groß wie ein Omnibus und rauchte nur noch die teuersten Zigarren.« Er dachte einen Augenblick nach. »Das ist ein Junge, dieser Mike. So was nennt man Erfolg im Leben. Da können Sie sehen, wie weit man’s mit Bildung bringen kann.«

    Auf Newalls Lippen lag ein leichtes Hohnlächeln. »Bildung? Dass ich nicht lache, Mr. Flagg. Ich möchte wissen, woher Mike Nevers die haben soll. Nehmen Sie zum Beispiel Mathematik. Was ist ein Polygon? Fragen Sie ihn das, und ich wette zehn gegen eins, dass er es nicht weiß. Oder Geschichte. Was kann so ein Kerl wie der Ihnen über Hobbes oder Locke erzählen? Oder über den berühmten Martin Luther? Noch nicht einmal, wenn Sie ihn etwas ganz Leichtes fragen würden, wie: Wer war Agamemnon? Glauben Sie, der wüsste, dass das der Führer der Griechen im Trojanischen Krieg war?«

    Flagg paffte gedankenvoll vor sich hin.

    »Wenn ich von Bildung sprach, Newall, so meinte ich nicht Ihre Art. Ich dachte an die Erfahrung, die man im Verbrecherberuf sammelt. Devers hat Verstand. Täuschen Sie sich nicht darüber. Er hat eine Masse gelernt und nichts davon jemals vergessen. Viele von diesen Gaunern haben mit genauso viel angefangen wie Mike und sind doch nie weiter als bis Pentonville gekommen.« Er sah plötzlich auf, denn die Tür hatte sich geöffnet und sein uniformierter Schreiber stand ihm mit mürrischem Gesicht gegenüber. »Was ist, Poole?«

    »Eine junge Dame«, sagte Poole. Er war ein großer, trübsinnig aussehender Mann. »Ich weiß gar nicht, was sie hier will. Ich habe ihr gesagt, Sie wären jetzt nicht zu sprechen. Aber sie behauptet, von Inspektor MacNab hergeschickt worden zu sein. Warum die von den anderen Abteilungen ihre Besucher nicht selbst abfertigen können, ist mir schleierhaft. Sie haben doch ohnehin genug Arbeit.«

    In Flaggs blauen Augen blitzte es kurz auf.

    »So, MacNab schickt sie? Heißt sie etwa Eaton?«

    »Ganz genau«, sagte Poole. »Soll ich sie abweisen?«

    »Weisen Sie sie lieber zu mir herein«, erwiderte Flagg und lehnte sich erwartungsvoll zurück.

    Zweites Kapitel

    Margaret Eaton war ein großes, schlankes Mädchen, blond und hübsch und sehr fesch angezogen. Sie trat ein und sah sich interessiert im Zimmer um.

    Flagg erhob sich gewichtig.

    »Kommen Sie nur herein, junge Dame. Dies ist Sergeant Newall. Ich möchte gern, dass er Ihre Geschichte auch hört. Dann brauche ich mir keine Notizen zu machen. Newall war mal beim Film oder bei irgendetwas Ähnlichem als lebendes Gedächtnis engagiert, er vergisst nie etwas. Er ist einmalig.«

    Sie sah sich den so gerühmten Mann neugierig an.

    »Das ist sicher bisweilen sehr nützlich.«

    Sergeant Newall zog einen Stuhl für sie heran und lächelte nachsichtig.

    »Es kommt einem ganz gut zustatten, Miss«, gab er zu, »aber Sie glauben nicht, was es manchmal für eine Last ist. Andere Leute kommen fortwährend an und fragen mich Sachen, die sie ebenso gut selbst in Büchern nachschlagen könnten.« Er brachte ein zerknülltes Zigarettenpäckchen zum Vorschein. »Möchten Sie rauchen?«

    Sie schüttelte den Kopf.

    »Ich rauche wenig.«

    Flagg seufzte.

    »Zu teuer«, sagte er. »Das geht mir genauso. Dieser Dalton, der da in der Regierung sitzt, ist dafür verantwortlich. Ich schränke es auch sehr ein.« Seine listigen blauen Augen beobachteten sie nachdenklich. »Ich hatte gestern Ihretwegen eine kleine Unterhaltung am Telefon mit Inspektor MacNab. Er sagte mir, dass er Sie zu mir herüberschicken wollte.«

    Sie blickte ihn dankbar an.

    »Das ist sehr freundlich von Ihnen, Mr. Flagg – und auch von Inspektor MacNab. Ich bin so entsetzlich beunruhigt über Johnny und völlig ratlos.« Sie drehte nervös ihr Taschentuch zwischen den Fingern. »Eigentlich weiß ich gar nicht, ob er wirklich vermisst ist. Nur, dass er zehn Tage nicht nach Hause gekommen ist – ich habe seitdem kein Wort von ihm gehört, und er würde doch nicht so ohne weiteres fortgehen. Ohne mir etwas davon zu sagen.«

    Flagg sog an seiner Zigarre und dachte nach. »Zehn Tage ist nicht sehr lange.«

    Sie schüttelte den Kopf.

    »Ich weiß. Aber es gab gewisse Gründe, warum er gerade jetzt nicht hätte gehen können. Deshalb kam ich auf den Gedanken, dass ihm irgendetwas zugestoßen sein muss, und so ging ich zur Polizei. Sie haben schon in allen Krankenhäusern nachgefragt und...«

    Chefinspektor Flagg nahm den Zigarrenstummel aus seinem Mund und sah ihn mit tiefem Bedauern an, bevor er ihn ins Feuer warf.

    »Ja, so ist das im Leben. Das bleibt von einer halben Stunde Genuss übrig. Der Mann, der das Rauchen erfand, wusste schon, was er tat.« Er lehnte sich zurück und fixierte sie aufmerksam mit seinen blauen Augen. »Nun, Miss Eaton, wollen wir einmal Ihre Geschichte von Anfang an hören. Ich weiß nicht viel. Mr. MacNab sagte mir nur, dass sie mich vielleicht interessieren würde. Wir haben ja eine Abteilung, die sich nur mit der Vermisstensuche befasst, und die sehr gute Resultate erzielt.«

    »Das hat Mr. MacNab auch gesagt.« Das Mädchen dachte einen Augenblick nach. »Ich will Ihnen alles erzählen, soweit ich kann. Es betrifft ohnehin nur Johnny und mich – bisher weiß niemand sonst etwas davon.«

    »Dieser verschwundene Johnny ist also Ihr Freund?«

    »Ja, Johnny Eaton.«

    Flagg war überrascht.

    »Doch nicht Ihr Bruder?«

    »Nein. Er ist mein Verlobter«, sagte sie ruhig. »Johnny ist allerdings ein entfernter Verwandter von mir. Wir kennen uns schon seit vielen Jahren, bereits seit unserer Schulzeit. Später wurde er Soldat und...«

    »Wie alt ist er?«

    »Neunundzwanzig. Ich bin zweiundzwanzig. Er wohnt bei einer alten Dame in Hendon – einer Mrs. Drake. Ihr Mann ist tot – er war Lehrer – und Johnny lebt bei ihr, seit er eine Stellung in der Stadt hat. Er schätzt sie sehr – und sie ihn auch, und er würde bestimmt nicht fortgegangen sein, ohne ihr zu sagen, wohin. Genauso wenig, wie er es mir verheimlicht hätte.«

    Flaggs Miene war unbeweglich.

    »Wann ging er weg?«, fragte er.

    »Vor zehn Tagen. Heute ist Dienstag. Ich habe ihn seit letzten Samstag vor acht Tagen nicht mehr gesehen. Wir wollten uns damals im Strand Corner House treffen, um zusammen zu essen und dann in ein Kino zu gehen. Aber ich wartete eine Stunde vergeblich auf ihn, und das wunderte mich, weil er sonst sehr pünktlich ist. Dann rief ich Mrs. Drake an, die. darüber sehr erstaunt war, denn er hatte sie ausdrücklich gebeten, mich zum Tee mitbringen zu dürfen.«

    »Und was taten Sie dann?«

    Sie war nach Hendon hinausgefahren in die Maltby Road 111, wo Eaton wohnte. Als sie dort ankam, war Mrs. Drake schon sehr aufgeregt gewesen und hätte am liebsten sofort die Polizei angerufen. Sie hingegen hatte das vermeiden wollen und beschlossen, wenigstens bis zum nächsten Tag abzuwarten.

    »Ich konnte es gar nicht verstehen«, fuhr sie fort, »weil Johnny niemals so ohne weiteres weggegangen war. Es war überhaupt nicht seine Art. Und außerdem gab es einen sehr triftigen Grund, warum er gerade in dieser Woche hätte hier sein müssen.«

    Flagg betrachtete sie nachdenklich. »Und was war das?«

    »Wir wollten nächsten Freitag heiraten«, sagte sie leise. »Es war schon alles mit Mr. Collins von St. Simon’s Gate besprochen. Wir wollten uns in aller Stille trauen lassen, weil Mr. Packman sicher nicht damit einverstanden gewesen wäre. Johnny musste deshalb sehr vorsichtig sein.«

    »Und wer ist Mr. Packman?«

    »Sein Arbeitgeber. Mr. Packman von dem Rechtsanwaltsbüro. Packman, Race und Burbridge.« Sie zögerte. »Ich glaube, es ist eine ziemlich altmodische Firma. Zumindest scheint Mr. Packman es zu sein, denn er erlaubt keinem seiner Angestellten zu heiraten, ehe er nicht ein Einkommen von vierhundert Pfund im Jahr hat. Johnny verdient das natürlich noch nicht – und so mussten wir unsere Verlobung sehr geheim halten. Es war gar nicht in unserem Sinn, aber...«

    Inspektor Flagg schmunzelte.

    »Es war nicht in Ihrem Sinn, aber Sie taten es trotzdem. Ich kenne das. Ich war auch einmal jung. So, Mr. Packman mag es nicht, wenn Leute heiraten? Ein komischer Standpunkt für einen Rechtsanwalt.«

    Sie lächelte.

    »Er ist sonst sehr nett. Mr. Martin Packman meine ich – aber furchtbar altmodisch. Ich habe ihn ein- oder zweimal während der letzten Monate getroffen

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