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VERMISST - EIN FALL FÜR SUGAR KANE: Der Krimi-Klassiker aus Schottland!
VERMISST - EIN FALL FÜR SUGAR KANE: Der Krimi-Klassiker aus Schottland!
VERMISST - EIN FALL FÜR SUGAR KANE: Der Krimi-Klassiker aus Schottland!
eBook261 Seiten3 Stunden

VERMISST - EIN FALL FÜR SUGAR KANE: Der Krimi-Klassiker aus Schottland!

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Über dieses E-Book

Es begann an einem außerordentlich unangenehmen, nasskalten Donnerstag Mitte November. Der Nordostwind pfiff durch die Straßen und peitschte den Regen in schrägen Streifen vor sich her. Der Wetterbericht prophezeite noch mehr von der Sorte, und Kane war diesmal geneigt, ihm zu glauben. Er saß in seinem Büro, Proud Lane 44, und fand, dies sei an einem Nachmittag wie heute einer der gemütlichsten Schlupfwinkel im ganzen britischen Königreich, besonders seit er anstelle der früheren Gasheizung den lang ersehnten offenen Kamin hatte...

 

Der Roman Vermisst - Band 3 der fünfbändigen Reihe um den Londoner Privatdetektiv Donny 'Sugar' Kane - des schottischen Schriftstellers John Cassells (ein Pseudonym von Bestseller-Autor William Murdoch Duncan - * 18. November 1909; † 19. April 1975) erschien erstmals im Jahr 1962; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum27. Okt. 2021
ISBN9783748797852
VERMISST - EIN FALL FÜR SUGAR KANE: Der Krimi-Klassiker aus Schottland!

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    Buchvorschau

    VERMISST - EIN FALL FÜR SUGAR KANE - John Cassells

    Das Buch

    Es begann an einem außerordentlich unangenehmen, nasskalten Donnerstag Mitte November. Der Nordostwind pfiff durch die Straßen und peitschte den Regen in schrägen Streifen vor sich her. Der Wetterbericht prophezeite noch mehr von der Sorte, und Kane war diesmal geneigt, ihm zu glauben. Er saß in seinem Büro, Proud Lane 44, und fand, dies sei an einem Nachmittag wie heute einer der gemütlichsten Schlupfwinkel im ganzen britischen Königreich, besonders seit er anstelle der früheren Gasheizung den lang ersehnten offenen Kamin hatte...

    Der Roman Vermisst - Band 3 der fünfbändigen Reihe um den Londoner Privatdetektiv Donny 'Sugar' Kane - des schottischen Schriftstellers John Cassells (ein Pseudonym von Bestseller-Autor William Murdoch Duncan - * 18. November 1909; † 19. April 1975) erschien erstmals im Jahr 1962; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr.

    Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

    VERMISST

    ERSTER TEIL

      Erstes Kapitel

    Es begann an einem außerordentlich unangenehmen, nasskalten Donnerstag Mitte November. Der Nordostwind pfiff durch die Straßen und peitschte den Regen in schrägen Streifen vor sich her. Der Wetterbericht prophezeite noch mehr von der Sorte, und Kane war diesmal geneigt, ihm zu glauben. Er saß in seinem Büro, Proud Lane 44, und fand, dies sei an einem Nachmittag wie heute einer der gemütlichsten Schlupfwinkel im ganzen britischen Königreich, besonders seit er anstelle der früheren Gasheizung den lang ersehnten offenen Kamin hatte. Das Feuer war wohlversorgt und brannte lustig. Der alte Hauswart. Bayliss, der unter anderem die paar Quadratmeter Hintergarten in Ordnung hielt, hatte im Spätsommer einen überalterten Apfelbaum gefällt und die zerhackten Scheite im Keller aufgestapelt. Ab und zu verehrte er einem seiner Günstlinge ein Stück aus diesem kostbaren Vorrat.

    Kane gehörte zu den Günstlingen. Nun saß er in seinem verschrammten alten Sessel am Kamin, die Pfeife im Mundwinkel und einen schon mehrmals gelesenen Brief auf dem übergeschlagenen Knie. Der Duft von brennendem Apfelholz mischte sich mit dem Aroma des Tabakrauches. Hinter ihm prasselte der Regen ans Fenster, und mit jedem Windstoß, der im Schornstein rumorte, flackerten die Flammen höher und ließen skurrile Schatten an den Wänden tanzen. Kanes dunkle Augen starrten nachdenklich ins Leere; sein ganzes, schon ziemlich zerfurchtes Gesicht hatte einen abwesenden Ausdruck. Der Brief machte ihm zu schaffen. Er grübelte nun seit mindestens einer Viertelstunde darüber und war doch noch zu keinem Schluss gekommen.

    Es war ein einziger, handgeschriebener Bogen. Die Schrift war klein, leserlich und zierlich, mit einigen sehr apart geformten Buchstaben. Der Inhalt lautete:

    Sehr geehrter Mr. Kane,

    ich habe ein etwas schwieriges Anliegen, das ich gern mit Ihnen besprechen würde. Ich habe im Laufe dieser Woche schon zweimal in Ihrem Büro angerufen, aber leider vergeblich. Montag und Dienstag gegen sechs war ich sogar persönlich da, fand das Büro jedoch geschlossen. Bitte, seien Sie doch so freundlich, mich nun am Donnerstagabend zu erwarten. Da ich berufstätig bin, kann ich werktags nicht- vor sechs in der Proud Lane sein. Ich werde am Donnerstag auf alle Fälle noch einmal um vier anrufen, um von Ihnen zu hören, ob Sie diesen Brief bekommen haben und mich empfangen können. Die Sache ist wirklich sehr dringend.

    Hochachtungsvoll,

    C. Smith

    Kane fuhr sich mit den gespreizten Fingern durchs Haar, wobei - er wieder einmal die bedauerliche Feststellung machte, dass von seiner jugendlichen Mähne nicht mehr allzu viel übriggeblieben war. Der Brief flatterte bei dieser Bewegung auf den Boden, und als er sich danach bückte, hörte er schwere Schritte draußen auf der Treppe. Sie hielten vor seiner Tür. Nach zweimaligem Klopfen hörte er, wie jemand eintrat, das kleine Vorzimmer durchschritt und abermals klopfte.

    »Herein!«, rief er zerstreut.

    Der Besucher war Joe Osborne, ein guter, alter Freund von ihm, der die reguläre Polizeilaufbahn eingeschlagen hatte. Er war groß, breit und blond. Heute trug er einen altmodischen, zu langen Trenchcoat mit einem doppelt gewickelten Wollschal, der womöglich noch länger war. Seinen regennassen Hut hatte er rücksichtsvollerweise schon draußen ausgeschüttelt und hielt ihn nun zwischen dicken, blaurot angelaufenen, frostklammen Fingern.

    »Hallo, Donny. So gut wie du möchte ich es auch mal haben! Widerliches Wetter heute. Ich glaube, ich brüte so was wie eine Grippe aus - mir ist jämmerlich zumute.«

    »Na, dann setz dich mal erst und wärm dich auf.« Kane wies mit dem Kopf auf den. offenen Safe, wo eine Flasche ,Black and White« als Allheilmedizin und Vorbeugungsmittel stand. »Wie wäre es mit einem Whisky?«

    Osborne schauerte zusammen und bemühte sich, sein Zähneklappern zu unterdrücken. »Danke, lieber nicht. Ich muss gleich wieder aufs Revier, und Finsdale dreht mir den Hals um, wenn er merkt, dass ich eine Fahne habe. Du kennst ja Finsdale. Der gestattet Alkohol nur in Protokollen.« Er seufzte tief auf und streckte seine langen, nassen Beine näher zum Kamin. »Ach, das tut gut. Ich bin seit neunzehn Stunden ununterbrochen auf der Walze. Warum bleiben wir dabei, Donny? Kannst du es mir vielleicht sagen?«

    Kane sah ihn voller Mitleid und Verständnis an. »Romantik - Abenteuer - düstere Geheimnisse und ihre Lösung!«, zählte er ironisch auf.

    Osborne zündete nicht ohne Mühe eine feuchtgewordene Zigarette an. »Schöne Romantik! Seit Morgengrauen bimmle ich an Haustüren herum und schrecke biedere Hausfrauen in Lockenwicklern auf - die meisten sind im Negligé kein sehr erhebender Anblick. Dann quatsche ich mit ein paar Halbstarken. Soweit das Abenteuer. Bleibt noch das Geheimnis, und das ist wahrhaftig düster, aber bis jetzt ungelöst: Warum schmeißen wir den ganzen Krempel nicht hin und suchen uns einen anderen Broterwerb?«

    »Vielleicht würde uns in jedem anderen Beruf doch irgendwas fehlen, Joe.«

    Osborne stieß den Rauch durch geblähte Nasenlöcher. »Ja, als Junge hat man sich das so vorgestellt. Himmel, was hatte ich für Rosinen im Kopf! Sherlock Holmes und sämtliche Nachfolger waren kümmerliche Würstchen gegen Joe, den Meisterdetektiv - habe ich mir gedacht. Ich malte mir aus, wie ich plötzlich aus einem Schrank oder Reisekoffer steigen und mir den falschen Schnurrbart abreißen würde: Ha, Schurke! Habich dich endlich! Her mit dem Krügerdiamanten! So ungefähr. Die Wirklichkeit sieht leider ein bisschen anders aus. Er hielt inne, sog heftig an seiner Zigarette und fügte dann müde hinzu: »Aber na, wem erzähle ich das!«

    Kane grinste kurz. »Besonders schwieriger Fall heute?«

    »Ach, das übliche.« Osborne strich seinen noch beneidenswert vollen blonden Schopf zurück. »Gestern Nacht hat jemand einem- gewissen Toby Kyne über den Schädel gehauen und ist mit vierhundertvierzig Pfund Bargeld abgezogen. Toby liegt im Krankenhaus und ist nicht vernehmungsfähig. Als tatverdächtig kommen eigentlich nur Ike Friedman und Nick Spicer in Frage. Ich persönlich tippe auf Spicer. Nun behauptet er aber, er hätte dich als Entlastungszeugen. Du hättest ihn um zehn in der Paintner’s Lane gesehen und dich sogar mit ihm unterhalten. Stimmt das?«

    »Stimmt. Ich habe zufällig auf die Uhr gesehen. Es war fünf nach zehn, und wir haben mindestens fünf Minuten herumgestanden und geredet.«

    Osborne verzog schmerzlich das Gesicht. »Dann kann er es nicht gewesen sein. Toby Kyne ist zehn Uhr sieben überfallen worden, und das war in der Keil Street. Also wieder eine Pleite.« Er sah Kane hoffnungslos an. »Bist du ganz sicher, dass der Bursche, mit dem du gesprochen hast, Spicer war? Und geht deine Uhr bestimmt richtig? War sie nicht vielleicht zufällig stehengeblieben?«

    »Tut mir leid, Joe«, erklärte Kane mitfühlend, »ich würde ja rasend gern deine Theorie unterstützen, aber es geht beim besten Willen nicht.«

    Osborne seufzte. »Na schön, dann muss ich eben noch mal von vorn anfangen. Ist ja so unterhaltsam, besonders bei Grippewetter. Und ich war fest überzeugt, es wäre...«

    Das Telefon klingelte dazwischen. Kane hatte ganz vergessen, dass er hier saß, um auf einen Anruf zu warten. Nun erinnerte er sich und hob den Hörer ab.

    »Kane, Detektiv-Agentur«, meldete er sich. 

    »Hier Miss Smith. Spreche ich mit Mr. Kane persönlich?«

    »Ja. Danke für Ihren Brief. Es tut mir leid, dass Sie sich schon so oft vergebens bemüht haben. Dies ist ein Ein-Mann-Betrieb, müssen Sie wissen.«

    »So etwas Ähnliches habe ich mir schon gedacht.« Die Stimme am andern Ende war kühl, zurückhaltend und angenehm. »Kann ich heute Abend kommen?«

    »Bitte, ich stehe zu Ihrer Verfügung.«

    »Vielen Dank.« Es klang erfreut und erleichtert. »Ich werde also um sechs bei Ihnen sein. Auf Wiederhören bis dahin.«

    Sie hängte ein, und Kane tat langsam und- gedankenvoll dasselbe.

    »Das nennst du wahrscheinlich Arbeit?«, bemerkte Osborne und schüttelte mit einem Anflug von Neid, gemischt mit Bewunderung, den Kopf. »Wenn du mal einen tüchtigen Kompagnon brauchst, Donny, denk bitte an mich.«

    Kane lachte. »Du kannst jeden Tag bei mir anfangen, Joe. Aber ich warne dich - mein Dasein ist auch kein reines Zuckerschlecken. Einige Sorgen, die ich habe, hast du nicht. Du kriegst dein Gehalt, egal, ob viel oder wenig zu tun ist. Bei mir heißt es: kein Auftrag, kein Geld. Und dann denke an die Hauptsache, die Altersversorgung!«

    »Wenn ich nicht Frau und Kinder hätte, würde ich auf der Stelle mit dir tauschen«, versicherte Osborne. »Manchmal hängt mir der ganze verdammte Trott kilometerweit zum Hals heraus. Heute bin ich gerade wieder auf so einem Nullpunkt. Arbeit macht mir nichts aus, aber ich möchte wenigstens einmal wieder richtig ausschlafen können.« Er rieb sich die rotgeränderten Augen. »Wollen wir nicht für ein paar Stunden tauschen? Dein Sessel da wäre mir gerade recht für ein Nickerchen.«

    »Um sechs Uhr kommt aber jemand. Erledigst du das dann für mich mit?«

    »Wird gemacht«, grinste Osborne. »Nach bestem Wissen und Gewissen. Worum handelt es sich?«

    Kane reichte ihm den Brief hinüber. »Erster Blick hinter die Kulissen. Nun zeige mal deinen kriminalistischen Scharfblick!« Osborne überflog das Schreiben mit mäßigem Interesse. »C. Smith. Mann oder Frau?«

    »Na, was meinst du?«

    »Klingt nach Frau. Die Schrift sieht auch so aus, aber danach kann man nicht immer gehen. War das die, die eben angerufen hat?«

    »Erraten.«

    »Jung oder alt?«

    »Die Stimme hat jung geklungen«, sagte Kane zögernd. »Aber danach kann man auch nicht immer gehen.«

    Osborne warf den Rest seiner Zigarette ins Feuer und zündete sich gleich eine neue an. »Was will sie von dir?«

    »Diesbezüglich bin ich genauso schlau wie du«, erwiderte Kane achselzuckend.

    »Na, du hast doch deine Erfahrungen. Was hältst du für möglich?«

    »Ehekrise vermutlich. Die Dame möchte ihrem Mann hinsichtlich der Seitensprünge auf die Schliche kommen. Vielleicht bleibt er verdächtig oft über das Wochenende weg. Vielleicht hat sie bei einer Tascheninspektion einen Brief oder eine aufschlussreiche Hotelrechnung gefunden. Oder eine wohlmeinende Freundin hat ihr einen Floh ins Ohr gesetzt. Nun will sie sich erst über einige Punkte vergewissern, bevor sie zum Kadi rennt.«

    »Donnerwetter, du redest ja wie ein Hellseher!« 

    »Ich kann mich irren, aber meistens kommt es auf so etwas hinaus, wenn eine Dame mir Briefe schreibt.« Kane rieb sich das Kinn. »Ich frage mich oft, ob es überhaupt noch glückliche Ehen auf der Welt gibt.«

    »Schwer zu beurteilen«, meinte Osborne. »Lilly und ich kommen gut miteinander aus. Beweis: Ein halbes Dutzend Kinder. Aber ich bin nicht viel zu Hause, und das ist wahrscheinlich ein Pluspunkt. Die Reibereien in der Nachbarschaft kommen alle vom zu vielen Zusammenhocken.« Er stand mit einem ruckartigen Entschluss auf und warf die angerauchte Zigarette weg. »Um noch mal auf Spicer zurückzukommen - du bleibst also dabei, dass der Kerl ein einwandfreies Alibi hat?«

    »Hat er. Tut mir leid für dich.«

    »Und du bist nicht zu einem kleinen Meineid bereit, was? Der Gerechtigkeit wäre auf jeden Fall geholfen, wenn der Bursche für ein paar Jahre auf Eis gelegt würde. Früher oder später kommt er sowieso dran.« Osborne betrachtete mit wehmütigem Grinsen seinen Hut und hieb ihn dann achtlos auf den Kopf. »Gut, dass ich noch Haare habe. Dieser Hut ist vollgesogen wie ein Schwamm. Okay, ich muss los. Falls Finsdale sich nach mir erkundigt, sag' ihm, dass ich hier gewesen bin.«

    »Schön, ich werde es mir merken.«

    Osborne salutierte andeutungsweise und ging. Kane sinnierte noch ein Weilchen hinter ihm her. Er hatte Joe sehr gern und schätzte ihn als Polizeibeamten hoch. Solche wie ihn gab es nicht allzu viele - zäh, pflichttreu, absolut ehrlich. Er schimpfte zwar dauernd auf seinen Beruf, liebte ihn aber und würde, noch einmal vor die Wahl gestellt, bestimmt wieder zur Polizei gehen. Das wollte nach soundsoviel Dienstjahren schon etwas heißen.

    Kane erinnerte sich, dass er vor sechs Uhr noch eine Kleinigkeit zu erledigen hatte. Die Zeit reichte gerade aus. Er sah nach dem Feuer, schob den Kaminschirm vor, zog seinen Mantel an und verließ das Büro. Draußen war es dunkel, nass und kalt. Auf dem Wege zur Untergrundbahn dachte er an Joe Osborne und Nick Spicer und dann an die unbekannte Miss Smith. Ihre Stimme hatte irgendwie Eindruck auf ihn gemacht, obwohl sie so wenig gesagt hatte. Er ertappte sich bei dem merkwürdigen Wunsch, dass er sich bezüglich ihres Problems geirrt hätte. Vielleicht war sie gar nicht verheiratet. Das Miss vor ihrem Namen besagte freilich nichts; alle berufstätigen Frauen nannten sich Miss. Kane dachte noch immer darüber nach, als er zu seinem Klienten Tony Devine kam.

    Tony war ein kleiner, dicker, älterer Mann, der mit gebrauchten Anzügen handelte und sich damit ein Vermögen zusammengekratzt hatte. Er empfing Kane in seinem muffig riechenden kleinen Kontor hinter dem Laden und bot ihm einen Platz am Kamin und eine Zigarre an.

    »Nett, dass Sie selber kommen, Donny«, sagte er. »Am Telefon rede ich nicht gern über solche Sachen. Habe schon ein paar schlaflose Nächte hinter mir. Da predigt man seinen Kindern jahrelang Vernunft, und dann geht der Bengel hin und bringt sich in eine so dämliche Schwulität! Was ist nun? Muss ich der Person die Abfindung zahlen?«

    »Unter den gegebenen Umständen ist es das klügste, Tony.«

    »Gut«, erwiderte Mr. Devine. »Das Weibsstück könnte Peter wahrscheinlich nichts nachweisen, so und so nicht, aber Ihr Rat ist jetzt ausschlaggebend für mich. Wenn Sie mir gesagt hätten, ich soll mich auf die Hinterbeine stellen, und mich wehren, dann hätte ich’s getan, verlassen Sie sich drauf, und wenn es mich Fünftausend gekostet hätte...«

    »Auf diesem Wege kostet es Sie nur Fünfhundert. Das ist billiger.«

    »Kann man wohl sagen.« Mr. Devine holte ächzend ein Scheckbuch aus der Schreibtischschublade und füllte das oberste Formular aus. »Wie schreibt man Janice?«, fragte er plötzlich.

    Kane buchstabierte langsam und deutlich.

    Der alte Mann schrieb fertig, riss das Blatt heraus und wedelte damit in der Luft herum, um die Schrift trocknen zu lassen. »So, das wäre erledigt. Vor einer Woche habe ich es noch für Erpressung gehalten und Gift und Galle gespuckt. Jetzt bin ich schon zufrieden, wenn ich in Ruhe gelassen werde.«

    »Sie sagt, mehr will sie nicht von Ihnen. Ich werde es Ihnen vorsichtshalber noch schriftlich geben lassen. Sagen Sie Ihrem Peter, er soll in Zukunft die Finger von unbekannten Mädchen lassen. Nicht jede gibt sich mit Fünfhundert zufrieden. Er ist diesmal noch billig davongekommen.«

    »Möglich«, gab Tony Devine betrübt zu. »Kinder bereiten einem viele Sorgen, Donny.« Er schrieb einen zweiten Scheck aus. »Das ist für Sie. Und wenn es noch irgendwelche Schwierigkeiten gibt - Sie kümmern sich darum, nicht?«

    »Es wird keine mehr geben.« Kane nahm die beiden Formulare entgegen und prüfte sie. »Fünfzig für mich, Tony? Das ist aber nobel!«

    »Redlich verdient, Donny. Ich werde mich in künftigen Fällen gern wieder an Sie wenden.« Seine schwermütige Miene hellte sich ein wenig auf; die Äuglein begannen zu glitzern. »Und wenn Sie sich meinen Peter mal vornehmen und ihn windelweich prügeln, gebe ich Ihnen weitere fünfzig Pfund!«

    »Sie können ihm vorläufig damit drohen«, sagte Kane lachend. Dann warf er einen Blick auf die Uhr und fügte hinzu: »Heute habe ich keine Zeit mehr. Um sechs kommt wieder ein Klient.«

    Tony begleitete ihn an die Seitentür. »Nochmals schönen Dank für alles. Ich verlasse mich darauf, dass diese Janice jetzt Ruhe gibt. Auf Wiedersehen, Donny.«

    »Gute Nacht.« Kane setzte seinen Hut auf, überquerte einen kleinen Hof und kam durch die Ausfahrt auf die Straße zurück. Der Regen hatte sich inzwischen wieder verstärkt. Er blieb sekundenlang stehen, um den Mantelkragen hochzuschlagen. Ein paar Schritte entfernt stand ein schwarzer Wagen an der Bordschwelle; ein Consul, soviel in der Dunkelheit zu erkennen war. Aus Devines Laden fiel etwas Licht über den Vordersitz. Kane glaubte zwei Männer darin zu sehen, aber nur das eine Gesicht war schwach beleuchtet. Es wirkte jung, unfertig, blässlich und ein bisschen gespannt, als warte sein Besitzer auf etwas oder jemanden. Kane, gewohnt,. alles wahrzunehmen, auch wenn es ihn nichts anging, registrierte geistesabwesend ein dünnes Schnurrbärtchen in dem jungen Gesicht, farblos wie das übrige, und vergaß es gleich wieder. Er zog den Kopf in den Kragen, vergrub die Hände tief in den Manteltaschen und ging seiner Wege.

    Auf der Heimfahrt dachte er noch ein wenig über Tony und seinen hoffnungsvollen Sohn Peter nach. Wirklich, Kinder waren kein reines Vergnügen. Diesmal hatte der Bengel noch Glück gehabt. Hoffentlich zog ihm der Alte die fünfhundert Pfund von irgendwas ab, damit er am eigenen Leibe spürte, dass es Lehrgeld war. Es hätte bedeutend unangenehmer ausgehen können.

    Kane stieg an seiner Station aus, tauchte wieder zur Erdoberfläche empor und ging die kurze Strecke zur Proud Lane. Vor dem Eingang zu Nummer 44 blieb er gewohnheitsgemäß einen Moment stehen und sah den Weg zurück, den er gekommen war. Er machte das immer, ohne sich viel dabei zu denken, es gehörte einfach zur Routine seines Berufs. Die Straße war heute fast menschenleer. Nur ein Mann bog rasch um die nächste Ecke, kam etwa auf zehn Schritte heran, hielt dann plötzlich inne, drehte sich um und verschwand wieder.

    Kane verschwendete auf dieses alltägliche Vorkommnis keine besondere Aufmerksamkeit. Der Mann hatte vermutlich etwas vergessen oder sich anders besonnen. Er selbst kehrte oft genug auf dem Absatz um, wenn er irgendwohin wollte. Er betrat das Haus und ging die Treppe hinauf in sein Büro. Während er seinen Mantel auszog, bemerkte er, dass das Feuer ziemlich niedergebrannt war. Er stocherte darin herum, legte Holz und Kohlen nach und räumte ein bisschen auf.

    Mittlerweile war es sechs Uhr geworden. Er setzte sich wieder in seinen Sessel, stopfte eine Pfeife und wartete rauchend auf seine Klientin. Er war mit sich und der Welt im Frieden. Es war doch eine schöne Sache, an regnerischen Novemberabenden ein eigenes warmes, gemütliches Büro zu haben. Es war auch sehr angenehm, wieder fünfzig Pfund auf die hohe Kante legen zu können und

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